50 y

Es spricht zum Menschen-Ich,

Sich machtvoll offenbarend

Und seines Wesens Kräfte lösend,

Des Wel­tenda­seins Werdelust:

In dich mein Leben tragend

Aus seinem Zauberbanne,

Erre­iche ich mein wahres Ziel.

Zur Zahl 50

Das Mantra 50 y ist, wie die Zahl kundg­ibt, das 50. nach dem let­ztjähri­gen Oster­fest. Von der meist nöti­gen Anpas­sung an das wech­sel­nde Oster­da­tum abge­se­hen, beschreibt es den 50. Wochen-Schritt nach Ostern. 50 Tage nach Ostern ist Pfin­g­sten. Es ist der erste Tag der acht­en Woche — oder anders aus­ge­drückt der erste Tag eines neuen sieben mal sieben Tage-Zyk­lus.  Sehe ich in jed­er Woche eine Stufe, einen Schöp­fungstag, so ist die alte Schöp­fung, das Sieben­t­agew­erk Gottes (Gen­e­sis) nach sieben Wochen, d.h. nach 49 Tagen, abgeschlossen. So begin­nt mit dem ersten Tag der acht­en Woche, dem 50. Tag, die neue Schöp­fung. Wird eine Woche wie ein Tag betra­chtet, entspricht die Woche 50 y dem Pfin­gst­son­ntag. Die mit Pfin­g­sten begin­nende neue Schöp­fung wird genan­nt die Schöp­fung aus dem Wort. Die Aufer­ste­hung Christi ist ihr Ini­tialgeschehen, das Emp­fan­gen des Heili­gen Geistes an Pfin­g­sten durch die Jünger und ihre Aussendung in alle Welt ist der Beginn ihres Wirkens. Mit dem Pfin­g­stereig­nis wird der Men­sch sel­ber ermächtigt, Schöpfer zu sein. Im Mantra 50 y find­et eine entsprechende Ermäch­ti­gung statt.

Der Buchstabe Y

Das “Y” ist ein Buch­stabe, der unein­deutig und fremd erscheint. Das “Y” kann als ein kon­so­nan­tis­ches I aufge­fasst wer­den. Da im See­lenkalen­der-Alpha­bet das “J” fehlt, das eben­so ein dem I nah­este­hen­der Kon­so­nant ist, will ich auf das “Y” näher einge­hen. Die Nähe zum “J” zeigt sich auch in der Geschichte des “Y”. In der gegen­wär­ti­gen deutschen Sprache tritt das “Y” sowohl als Vokal mit “I”- oder “Ü”-Klang auf als auch als “J”, d.h. als Kon­so­nant. Damit ist es im gewis­sen Sinne ein Zwit­ter-Wesen oder Gren­zgänger. Als Vokal tönt das “Y” von innen nach außen, wie die klas­sis­chen fünf Vokale (A, E, I, O, U). Als Kon­so­nant ist es eine klin­gende, resonierende Form, die kon­trair zu den Vokalen vom Umkreis nach innen tönt, so wie das für alle Kon­so­nan­ten der Fall ist.

Die Entwick­lungs­geschichte des Y‑Buchstabens zeigt eben­so seine Ver­wandtschaft mit “I” und “J”: Ursprünglich vom pro­to­semi­tis­chen und phönizis­chen waw-Zeichen, dem Zeichen für den W‑Laut abstam­mend, hat es sich vom U‑Klang im griechis­chen, durch den Sprach­wan­del bis zum 1. Jahrhun­dert vor Chris­tus zum Ü‑Klang entwick­elt. Bei Wikipedia ist über das “Y” zu lesen: „Im Früh­neudeutschen … wurde der lange [i:]-Laut bisweilen als ij wiedergegeben. Dies entspricht einem ii, doch die Ver­dop­pelung des Buch­stabens i wurde ver­mieden, indem das j ver­wen­det wurde, das damals noch eine freie Vari­ante des i war. Dieses ij sah gle­ich aus wie ein ý´ und kon­nte deshalb durch dieses erset­zt wer­den (beispiel­sweise frý´, ‘frei´). Das ý´ wurde wiederum wegen sein­er Ähn­lichkeit mit dem griechis­chen Ypsilon gle­ichge­set­zt. Auf diese Ver­wen­dung geht das in ale­man­nis­chen Namen übliche y zurück, das ein [i:] beze­ich­net (beispiel­sweise Schwyz, Mythen).“ (Wikipedia, Y)

Die Vogelgöttin als Spenderin des Lebens-Wassers

Die Vogel­göt­tin (ken­ntlich durch Dreifach­lin­ien und X‑Zeichen) als Kelch, die das “Wass­er des Lebens” spendet, Ungarn um 3000 v.Chr.

Der Mond der Oster­scholle liegt wie eine Schale im Jahreskreis. Zum Bild der Schale gehört, dass sie gefüllt und geleert wer­den kann — so wie sich auch der Mond am Him­mel wan­delt. Der Mond durch­läuft in den Mond­phasen einen an- und abschwellen­den Zyk­lus, einen Kreis­lauf. Will ich den vier­wöchi­gen Mondzyk­lus und den zwölf­monati­gen Jahreszyk­lus in Übere­in­stim­mung brin­gen, kann ich den Früh­ling als Voll­mondzeit, den Herb­st als Dunkel­mond-Zeit betra­cht­en. Bestätigt wird die Verbindung des Voll­monds mit dem Früh­ling durch die Bes­tim­mung des Oster­da­tums nach dem Voll­mond. In diesem Fall ist die Mond­sichel der Oster­scholle nicht die Schale, son­dern die in Erschei­n­ung tre­tende Fül­lung, Bild der max­i­malen Lebenskraft.

Denke ich den Prozess der Mond­phasen erweit­ert auf den Jahreszyk­lus weit­er, ist das Win­ter-Hal­b­jahr die Zeit des zunehmenden Mon­des, das Som­mer-Hal­b­jahr die des abnehmenden Mon­des. Der „Mond“ sam­melt sozusagen auf dem Weg vom Herb­st zum Früh­ling alle Leben­skräfte in sich, bis er im Früh­ling als Voll­mond ganz gefüllt ist. Nun strömt er das “Wass­er des Lebens” abnehmend aus. Er schenkt der Erde das ganze Som­mer-Hal­b­jahr über die Wach­s­tum­skräfte, bis sie im Herb­st ganz ver­braucht sind – der Mond leer ist. In sehr klaren Nächt­en kann der Mond als leere Schale gese­hen wer­den. Hier beleuchtet die Sonne ihn direkt von hin­ten, sodass die dun­kle Scheibe ein kreis­run­der Lich­trand umgibt.

Mit den zu Ostern gehören­den Wochen sind grob betra­chtet immer die gle­ichen Mond­phasen ver­bun­den, denn in der Kar­woche 52 z ist auf­grund der Oster­regel stets Voll­mond. Zwar kann es leichte Ver­schiebun­gen geben, doch meist scheint in der Woche 47 v, in der aus dem Wel­tenschoß die Werdelust erste­hen will, ein zunehmender Mond vom Him­mel, in der Licht­spruch-Woche 48 w ist (in etwa) Voll­mond, in der Woche 49 x ist abnehmender Mond und in der Woche 50 y ist (unge­fähr) Neu­mond (Dunkel­mond).

Und noch etwas finde ich bedenkenswert: In der Pfin­gst­woche 8 H ist dementsprechend unge­fähr Voll­mond. Das ist die kom­ple­men­täre Sit­u­a­tion zur Woche 50 y. Zeigt der Dunkel­mond der Woche 50 y einen Anfang, so bildet der Voll­mond in der Pfin­gst­woche den vol­len­den­den Hin­ter­grund zur Aus­gießung des Heili­gen Geistes, auch wenn es erst der dritte Voll­mond nach diesem Dunkel­mond ist.

Am V‑Zeichen ist die Vogel­göt­tin erkennbar, deren Kopf das leben­spendende Wass­er entströmt, Ser­bi­en 5200 – 5000 v.Chr.

Wasser des Lebens

Die Werdelust des Wel­tenda­seins, die ihr Leben in das Men­schen-Ich trägt, scheint mir mit dem alten Bild des Lebenswassers gemeint zu sein. In vie­len Märchen find­et sich dieses Motiv vom Wass­er des Lebens, wie z.B. “Das Wass­er des Lebens (Gebr. Grimm, KHM 97), “Der Königssohn, der sich vor nichts fürchtet” (Gebr. Grimm, KHM 121). Die nach mein­er Ken­nt­nis älteste Quelle des Lebenswassers find­et sich im Gil­gamesch Epos. Auf Tontafeln ist fest­ge­hal­ten, wie Gil­gamesch, König von Uruk, sich auf­macht, die Unsterblichkeit zu gewin­nen, weil sein Fre­und Enkidu gestor­ben ist. Er reist nach West­en zu Utnapis­chtim, seinem Urahn. Utnapis­chtim hat­te ähn­lich wie Noah im Alten Tes­ta­ment die Men­schen vor der großen Flut gerettet und dadurch Unsterblichkeit errungen.

Rudolf Stein­er erzählt die unvoll­ständig bleibende Ein­wei­hung so: “Sehr inter­es­sant ist es, daß er [Gil­gamesch, A.F.] vor­bei muß an ein­er Pforte, die behütet ist von Sko­r­pi­o­nen­riesen, daß ihn der Geist ein­führt in das Reich des Todes, daß er ein­tritt in das Reich des Xisuthros [Utnapis­chtim, A.F.] und daß er in diesem Reich des Xisuthros erfährt, daß alle Men­schen immer mehr von dem Bewußt­sein des Todes durch­drun­gen wer­den müssen in der nachat­lantis­chen Zeit. Nun fragt er Xisuthros, woher er denn ein Wis­sen habe von seinem ewigen Kern, warum er von dem Bewußt­sein der Unsterblichkeit durch­drun­gen sei. Da sagt ihm Xisuthros: Du kannst es auch wer­den, aber du mußt nacher­leben, was ich durch­leben mußte durch all die Über­win­dun­gen von Furcht und Angst und Ein­samkeit, die ich durch­machen mußte. Als der Gott Ea [Gott der Erde, A.F.] beschlossen hat­te — in dem, was wir die atlantis­che Katas­tro­phe nen­nen — , unterge­hen zu lassen, was von der Men­schheit nicht weit­er fortleben sollte, da trug er mir auf, mich zurück­zuziehen in eine Art Schiff. Hinein­nehmen sollte ich die Tiere, die übrig­bleiben soll­ten, und diejeni­gen Indi­vid­u­al­itäten, die da in Wahrheit genan­nt wer­den die Meis­ter. Mit diesem Schiff über­dauerte ich die große Katas­tro­phe. — So erzählte Xisuthros dem Gil­gamesch, und sagte: Was da durchgemacht wor­den ist, das kannst du nur im Inneren erleben. Dadurch aber kannst du zum Bewußt­sein der Unsterblichkeit kom­men, wenn du sieben Nächte und sechs Tage nicht schläf­st. — Gil­gamesch will sich dieser Probe unterziehen, schläft aber sehr bald ein. Da bäckt die Frau des Xisuthros sieben mys­tis­che Brote, die sollen erset­zen durch ihren Genuß das, was in den sieben Nächt­en und sechs Tagen hätte errun­gen wer­den sollen. Nun zieht Gil­gamesch weit­er mit dieser Art Lebenselix­i­er und macht etwas durch wie ein Bad im Jung­brun­nen und kommt wieder an die Küste sein­er Heimat, die etwa am Euphrat und Tigris liegt. Da wird ihm die Kraft des Lebenselix­iers durch eine Schlange genom­men, und er kommt also wieder ohne das Lebenselix­i­er in seinem Lande an, aber doch mit dem Bewußt­sein, daß es eine Unsterblichkeit gibt …” (Lit.: GA 126, S. 14ff, Her­vorhe­bung A.F.)

Etwas anders wird die Geschichte hier erzählt: “Ein­dringlich schärfte ihm Utnapis­chtim ein, den Schlaf, den kleinen Brud­er des Todes, zu bezwin­gen. Doch Gil­gamesch kon­nte sich nicht wach hal­ten und schlief sechs Tage und sechs Nächte. Nach dem er am siebten Tag aufgewacht war, sagte Utnapis­chtim ihm schliesslich, wo er ein Gewächs des Lebens find­en würde. Gil­gamesch kon­nte das Gewächs find­en und machte sich auf den Weg in die Heimat. Als er an einem Brun­nen rastete, war er unvor­sichtig und eine Schlange kon­nte ihm das Gewächs des Lebens stehlen.” (Anthrowiki.at, Gilgamesch-Epos)

Rudolf Stein­er spricht von sieben Nächt­en und sechs Tagen. Das sind fast eine Woche oder 13 Tag-Nacht-Phasen. Ein­mal ist es etwas weniger als die Ein­heit ein­er Woche, ein­mal mehr als zwölf und damit der Zahl eines voll­ständi­gen Jahres-Zyk­lus. Die 13 fasst wie in einem Samen die zwölf zusam­men. Doch Gil­gamesch ver­schläft sechs Tage und sechs Nächte. Kom­biniere ich bei­de Erzäh­lun­gen, so kann ich davon aus­ge­hen, dass es Gil­gamesch gelingt, die erste der sieben Nächte wachen zu bleiben. Daraufhin bekommt er von der Frau des Utnapis­chtim als Ersatz für die ver­schlafe­nen Bewusst­seinsstufen sieben Brote. Er bekommt, kön­nte man sagen, das Wochen-Geheim­nis, nicht jedoch das Jahres-Geheim­nis. So ver­liert er durch die Schlange — im Bild die Zeit — das Kraut des Lebens wieder, bevor er nach Hause kommt und behält nur die Gewis­sheit, die Erin­nerung, dass es die Unsterblichkeit gibt.

Was sagt das Mantra 50 y?

Die Werdelust des Wel­tenda­seins spricht im Mantra 50 y zum Men­schen-Ich. Vier Wochen vorher, im Mantra 47 v, war schon ein­mal die Rede von der Werdelust. Da wurde angekündigt, dass die Werdelust aus dem Wel­tenschoße erste­hen will, um den Sin­ness­chein zu erquick­en. Der Anfang ein­er Entwick­lungs­be­we­gung wird beschrieben, ihr “Son­nenauf­gang”. Im Licht­spruch-Mantra 48 w kann ihr mit­täglich­er Höch­st­stand im Licht aus Wel­tenhöhen gese­hen wer­den, im Neigen der Hoff­nungsstrahlen (49 x) ihr “Son­nenun­ter­gang”. Das Mantra 50 y stellt also die Mit­ter­nachtssi­t­u­a­tion dar, den End­punkt, der zum neuen Anfang wird. Der Inhalt der Mantren zeigt dadurch mit den oben genan­nten Mond­phasen dieser Wochen kor­re­spondierende Aspekte.

Das Wel­tenda­sein hat Werdelust. In der Welt herrscht unter allen Lebe­we­sen das Lust­prinzip und gewährleis­tet die Fortpflanzung, das Fortschre­it­en des Lebens von ein­er Gen­er­a­tion zur anderen. Dem sta­tis­chen Beste­hen der Welt, ihrem Dasein wohnt eine Kraft inne, die in Bewe­gung bringt, die Verän­derung will: und das ist die Werdelust. Die Werdelust, der Entwick­lungswille des Kos­mos, die Freude des immer neuen Erschaf­fens, die zyk­lisch sich immer neu ent­fal­tende Leben­skraft ist wesen­haft, denn sie spricht zum Men­schen-Ich. Und indem sie spricht, offen­bart sich die makrokos­mis­che Werdelust machtvoll – in ihrer ganzen Größe und Gewalt. Eine brausende Früh­jahrs­flut bran­det an das Ich her­an! Diese Werdelust wurde noch im Mit­te­lal­ter in der Schule von Chartres als Göt­tin Natu­ra erlebt. Rudolf Stein­er sagt: „Die Natur — ein Wesen, das wir nicht mehr fassen kön­nen, das sich uns entzieht, wenn wir ihm nahen wollen. … die Natur war ein mächtig großes Geist­we­sen, das über­all gewirkt hat, da, wo die Steine im Gebirge sich gebildet haben, da, wo die Pflanzen aus dem Erd­bo­den her­aus­gewach­sen sind, da, wo die Sterne am Him­mel funkel­ten. Über­all webte ein uner­meßlich großes Wesen, das sich in der Gestalt eines wun­der­baren Weibes darstellt. Das sahen die Alten mit ihrem Schauen. Wir kön­nen uns nach den Angaben, welche die Alten gemacht haben, noch Vorstel­lun­gen davon bilden, was die Natur war, dieses über­all Weben, Wirken, das in allem Umgeben­den, in aller Wärme, in allen Lichter­schei­n­un­gen, in allen Far­ben­er­schei­n­un­gen, in allen Lebenser­schei­n­un­gen lebt und webt. Aber es entschlüpft uns, wenn wir ihm nahen wollen. Denn lebend-webend ist die Göt­tin Natu­ra in allem. Eine Göt­tin, ein göt­tlich-geistiges Wesen, von dem man wußte, man kann es in sein­er Wesen­heit nur erken­nen, wenn man es anschauen kann.“ (Lit.: GA 243, S. 80f)

Das gewaltige, lustvolle Wer­den der Welt spricht zu dem Wesens­glied im Men­schen, das eben­falls ein wer­den­des ist – zum Ich des Men­schen. Das große Wer­den spricht zum kleinen Wer­den. Wie ist dieses Sprechen der Werdelust vorzustellen? Das sich kon­tinuier­lich und zyk­lisch ver­wirk­lichende, sich offen­barende Leben nan­nte man früher das Wel­tenwort. Es offen­barte sich schaf­fend, sein Schaf­fen war sein Aus­druck, seine Sprache. Hin­ter dem Sprechen der Werdelust kann ich also den Logos als schaf­fende, schöpferische Kraft ver­muten. Er ist es, der ihr die Fähigkeit gibt, sich mitzuteilen, sich für andere ver­ständlich zu äußern. Dadurch spricht in diesem Mantra durch die Werdelust der Logos, der sie zu den konkreten Geschöpfen inspiri­ert. Der Logos spricht durch die Werdelust zum Menschen-Ich.

Das Mantra sagt weit­er: die Werdelust löst durch ihr Sprechen die Kräfte des Ich-Wesens. Das Ich war zuvor offen­sichtlich gebun­den, starr und leb­los wie eine Mar­morstat­ue. Es war nur Geschöpf, wie alle anderen Geschöpfe auch. Doch das stimmt so nicht. Der Apos­tel Paulus spricht im Römer­brief vom „ängstlichen Har­ren der Krea­tur“ und dass „die ganze Schöp­fung bis zu diesem Augen­blick seufzt und in Wehen liegt.“ (Neue Tes­ta­ment, Römer 8, 19–22) Sie wartet auf eine Geburt. Sie wartet darauf, dass die Kräfte des Ichs gelöst wer­den und der Men­sch vom Geschöpf zum Schöpfer wird. Der Men­sch kann, was kein Tier ver­mag — er kann die Natur zur Kul­tur veredeln.

Was sind denn die Kräfte des Ichs, die hier in einen Entwick­lung­sprozess ein­treten, indem sie gelöst, erlöst, ent­bun­den, befre­it, entza­ubert, — oder vielle­icht wie Salz im Wass­er aufgelöst und in Fluss gebracht wer­den? Von der Seele wis­sen wir, dass sie sich dar­lebt in Denken, Fühlen und Wollen. Doch was sind die Wesen­skräfte des Ichs? Ich weiß es nicht. Es lässt sich aber manch­es aufzählen: Lebenslanges Ler­nen, Ini­tia­tivkraft, Kreativ­ität, innere Frei­heit und bedin­gungslose Liebe — voll­ständig ist das nicht. Das Wesen des Ichs zeigt sich auch in sein­er Fähigkeit zwis­chen Wahrnehmung und Denken, Schlafen und Wachen, Exkarniert-Sein und Inkarniert-Sein wech­seln zu kön­nen, ohne den roten Faden, das Iden­titäts­ge­fühl zu verlieren.

Bis hier ist das Mantra beschreibend. Nun fol­gt die wörtliche Rede der Werdelust des Wel­tenda­seins. Sie spricht das Men­schen-Ich als ein Du an. Der Spruch ist zwar durchge­hend in der drit­ten Per­son geschrieben, doch indem das Men­schen-Ich direkt ange­sprochen wird, ist der Ich-Sprech­er lauschend anwe­send. Das Men­schen-Ich ist Gesprächspart­ner der Werdelust. Die Werdelust offen­bart dem Men­schen-Ich, dass sie ihr eigenes Leben in das Ich trägt. Das Ich empfängt das Leben der Werdelust, sie opfert sich in das Ich hinein.

So wie das Men­schen-Ich angewiesen ist auf das Lösen sein­er Kräfte, bedarf die Werdelust der Hil­fe des Men­schen. Das Leben der Werdelust liegt im Zauber­bann. Es ist geban­nt in all den Geschöpfen, die die Werdelust her­vorge­bracht hat. Aber die Geschöpfe ster­ben schlussendlich, und das Leben der Werdelust muss mit in diesen Tod gehen. Doch das ist nicht das wahre Ziel der Werdelust. Als Natur kann sie nur sterblich­es Leben schenken. Um diesen End­punkt zu über­winden, bedarf die Werdelust des Men­schen. Deshalb trägt sie ihr Leben in das Ich des Men­schen, löst seine Kräfte und erre­icht ihr wahres Ziel. Ihr Ziel ist, in den Men­schen einzuge­hen. Die Werdelust reicht hier den Staffel­stab an den Men­schen weit­er. Der Men­sch hat dadurch einen Auf­trag. Er set­zt das Wer­den fort, indem er aus sein­er Ich-Kraft sel­ber zum Schöpfer wird, zum Gestal­ter – zwar nicht des Lebens der Natur, wohl aber des sozial-kul­turellen Lebens. Die Werdelust spricht zum Men­schen-Ich – und dieses Ich kann die kos­mis­che Botschaft hören, das Ver­mächt­nis des geschenk­ten Lebens annehmen. Das Men­schen-Ich erfährt hier einen wichti­gen Aspekt sein­er Lebensaufgabe.

Wenn ich das Mantra auf mich beziehe, wenn ich mich direkt ange­sprochen füh­le, kann ich mich fra­gen, was die Werdelust wohl vorhat­te, als sie sich offen­barend mich ins Sein — mich zur Erschei­n­ung brachte. Ich kann mich auch fra­gen, wofür löste die Werdelust die Kräfte meines Wesens? Was war ihr Ziel, als sie mir mein Leben schenkte?

Ich kann die Energie dieser Woche auch im Bild ein­er ein- und auswick­el­nden Spi­rale beschreiben: Wie ein großer Wirbel ergießt sich das Leben von außen, aus dem Kos­mos in das Men­schen-Ich. Dort ist der Ruhe- und Umkehrpunkt. Von hier aus will das Leben als men­schliche Schöpfer­kraft aus der Seele wieder her­vorströ­men, sich ent­fal­ten und uner­müdlich erschaf­fen. Misslin­gen gibt es nicht für die Werdelust – nur immer neues Erschaf­fen und Ver­suchen. Der Mut zum immer­währen­den Neube­ginn ist ein Geschenk der Werdelust. Das Schöpfer­tum des Men­schen, seine stete Entwick­lung sind das wahre Ziel der Werdelust. So betra­chtet ist der Men­sch ihr Kind und hat all ihre Kraft und Weisheit in sich. Klingt in diesem Mantra nicht der Auf­trag mit, das Leben der Werdelust in den men­schlichen Schöp­fun­gen wieder aufer­ste­hen und in die Welt strö­men zu lassen? Ein machtvoller Schöpfer­strom geht von der Werdelust auf den Men­schen über. Das Ich wird dadurch der keimkräftige Same neuer Schöpfung.