52 z
Wenn aus den Seelentiefen
Der Geist sich wendet zu dem Weltensein
Und Schönheit quillt aus Raumesweiten,
Dann zieht aus Himmelsfernen
Des Lebens Kraft in Menschenleiber
Und einet, machtvoll wirkend,
Des Geistes Wesen mit dem Menschensein.
Das Schließen des Kreises — oder die Vereinigung der beiden Wege der Einweihung
Mit dem Mantra 52 z befinden wir uns an der Schwelle vom Winter- zum Sommer-Halbjahr und gleichzeitig an der Schwelle eines neuen Jahreszyklus. Mit diesem Mantra schließt sich der Jahreskreis des Seelenkalenders.
Rudolf Steiner benutzt im folgenden Zitat auffallend oft das Bild des sich schließenden, sich rundenden Kreises. Worum geht es ihm hier?
Er beschreibt, dass dem Menschen große Gefahren drohen, wenn er zum einen den Weg der Erkenntnis der Weltenweiten und zum anderen der Seelentiefen sucht, ohne den Christusimpuls aufgenommen zu haben. Die beiden Wege sind im Seelenkalender enthalten als Sommer- und Winter-Halbjahr. Die Wahrnehmung und damit das Sommer-Halbjahr führt in die Weltenweiten, das Denken und damit das Winter-Halbjahr führt in die Seelentiefen. Rudolf Steiner sagt: “… dass wir in der Tat mit unserem gegenwärtigen Bewusstsein schwache Menschen sind. Wollen wir hinaus in die Welt, so stehen wir vor der Leere, wollen wir in uns hinunter, da fangen wir uns in der Falle unserer Willensnatur. Und dadurch kommen die schweren Seelenprüfungen, die eintreten müssen, wenn der Mensch von dem gegenwärtigen Standpunkt seines Bewusstseins sich nach der einen oder anderen Richtung den Geheimnissen der Welt nähern will, über die er sich zunächst verwundern muss, weil sie ihm als Weltenwunder entgegentreten.
Woher kommt denn das, was jetzt gesagt worden ist? Nun, das kommt daher, weil, wenn wir hinausdringen in die Weltenweiten, wir in eine Region hineinkommen, die wir … bezeichnet haben als die Region der oberen Götter und Geister, die nur die Vorstellungen der realen Götter oder Geister sind. Wir geraten also in eine Welt hinein, die keine Selbständigkeit hat. Kein Wunder, dass das, was uns diese Welt geben kann, uns zuletzt ins Leere führt. Wie auch der Mensch zur Erkenntnis vorzudringen strebt, wenn er da hinaufdringt, wohin sein Denken, seine Vorstellungen zunächst dringen können, da gelangt er selber nur zu Vorstellungen, zu Vorstellungen der Götter, und kann nicht in eine wirkliche Realität hineinkommen. Dringt der Mensch aber in sich hinunter, in das, was durch Jahrmillionen und aber Jahrmillionen in ihm gebildet worden ist, dann gelangt er zu den Taten, den Ergebnissen der anderen göttlich-geistigen Welten, die wir … die unterirdischen, die wahren Götter nannten. Aber um zu ihnen hindurchzudringen, müssen wir erst durch unsere eigenen Triebe, Begierden und Leidenschaften hindurch, durch alles das, was uns da fängt, uns aufnimmt und uns verändert, so dass wir ihm folgen müssen. Und das führt uns in die Egoität, in den Egoismus und schließt uns ab von diesen unteren Göttern. So haben wir den anderen Pol der Seelenprüfungen. Wollen wir uns den oberen Göttern nähern, dann gelangen wir ins Leere, in die bloße Vorstellungswelt. Wollen wir uns den unteren Göttern nähern, so verlässt uns alles Vorstellen, weil wir von den blindwütenden Trieben in unserem eigenen Innern erfasst werden und uns in ihnen selber verbrennen. Deshalb sind die Seelenprüfungen so schwierig. Eines aber gibt es, das uns zunächst eine rein theoretische Aussicht eröffnet. Wir müssen uns doch sagen: Wie dünn auch die Ideen sind, wie dünn auch alles das ist, was uns die Egoität, der Egoismus geben kann, es ist eben doch aus dem Weltenganzen heraus. Und wenn wir nur in der richtigen Weise uns in dieses unser Bewusstsein hineinfinden können, dass wir es in seiner Selbständigkeit betrachten, so betrachten, wie es in sich selber ist, und wenn es dann immer stärker und stärker wird, dann vielleicht dringen wir auf dem einen oder anderen Weg vor, so dass die Seelenprüfung bestanden werden kann. Es soll nur hier gekennzeichnet werden, wie wir vordringen können in anderer Art als mit dem gewöhnlichen normalen Bewusstsein.
Nehmen wir an, wir durchdringen uns mit dem, was wir jetzt schon in der verschiedensten Weise genannt haben den Christus-Impuls, wir lernen verstehen in seiner tiefsten Bedeutung das Paulinische Wort: Nicht Ich, sondern der Christus in mir. Dann stehen wir mit unserem normalen Bewusstsein zunächst da und sagen: Wir wollen dieses normale Bewusstsein nicht allein wirken lassen, wir wollen nicht allein in dieser unserer Persönlichkeit bleiben, sondern wir wollen uns mit der Substantialität durchdringen, die ja seit dem Mysterium von Golgatha in der Erdenatmosphäre enthalten ist, mit der Christus-Substanz. Wenn wir uns so mit ihr durchdringen, dann nehmen wir nicht bloß unsere dünnen Ideen hinaus in die Weltenweiten, sondern dann nehmen wir – und wenn wir noch so weit gehen in die Raumesweiten – die Substantialität des Christus mit. Alle unsere Ideen sind dann durchdrungen von der Substanz des Christus. Und dabei stellt sich etwas höchst merkwürdiges heraus, was ich Ihnen klarmachen möchte an der wissenschaftlichen Entwickelung der neueren Zeit. … [Es wird beschrieben, wie die wissenschaftliche Theorie ins Leere führt und Licht und Wärme selber nicht mehr erklärbar sind aus Atomen und Schwingungen, A.F.]
Anders ist es, wenn wir unsere Ideen, wenn wir unsere abstrakten Gesetze überall mit dem durchdringen, was in Wahrheit der Christus-Impuls ist, von dem Sie ja alle wissen, dass nicht irgend etwas damit gemeint ist, was ein orthodoxes Bekenntnis im Auge hat, sondern der große makrokosmische Christus-Impuls. Mit dem müssen wir uns durchdringen im Paulinischen Sinn. Nicht unsere abstrakten Ideen und Begriffe, sondern das, was sie sind, als unsere gegenwärtige Bewusstseinsform durchdrungen von dem Christus-Impuls, das tragen wir hinaus in die Welt. Und hier liefert die Erfahrung etwas ganz Eigenartiges. Wie wir immer leerer und ärmer werden und unser Bewusstsein zuletzt zersprüht und zerstiebt in die Weltenleere, wenn wir mit dem Christus-losen Bewusstsein hinausdringen — sobald wir den Christus-Impuls aufgenommen haben, je weiter wir auch kommen in die Weltenfernen, in die Raumesweiten, desto reicher, voller wird unser Bewusstsein. Und wenn wir bis zur Hellsichtigkeit vordringen, dann haben wir durch die Christus-erfüllte Seele reichlichen Seelenstoff, so dass mächtig und grandios die wirklichen Ursachen der Realität als übersinnliche Realitäten zuletzt vor uns stehen. Während unser Christus-loses Bewusstsein uns vor die Leere in den Weltenweiten bringt, bringt uns das Christus-erfüllte Bewusstsein vor die wahren Ursachen der Welterscheinungen und Weltenwunder. … Wenn wir den Christus hinaustragen in unsere Weltanschauung, wird er uns Fülle geben statt der Leerheit.
Und wenn wir den anderen Weg gehen, wenn wir im Paulinischen Sinne … unsere Seele erfüllen mit dem Christus-Impuls und dann in uns selber eintauchen, was geschieht dann? Der Christus-Impuls hat die Eigentümlichkeit, dass er auf unsere Egoität, auf unseren Egoismus wie auflösend, wie zerstörend wirkt. Merkwürdig: je weiter wir hinuntersteigen mit dem Christus-Impuls in uns selber, desto weniger kann uns der Egoismus anhaben. Wir dringen dann immer mehr und mehr in uns selber ein, und wir lernen, indem wir mit dem Christus-Impuls durch unsere egoistischen Triebe und Leidenschaften dringen, die Menschenwesenheit erkennen, lernen die ganzen Geheimnisse des Weltenwunders, des Menschen kennen. Ja dieser Christus-Impuls lässt uns noch viel weiter gehen. Während wir sonst wie ein Kautschukball zurückgeworfen werden und nicht in uns selber, in das Gebiet unserer eigenen Menschheitsorganisation hinunterkommen, dringen wir durch Christus immer tiefer und tiefer in uns, durchdringen uns selber, kommen sozusagen wieder heraus aus uns selber nach der anderen Seite. So dass, wenn wir nach der einen Seite hinausdringen in die Weltenweiten und überall in den Raumesfernen das Christus-Prinzip finden, wir auf der anderen Seite, wenn wir hinunterdringen, im Gebiete der unterirdischen Welten, auch alles Unpersönliche, von uns Freie finden. Nach beiden Seiten finden wir das, was über uns hinausgeht. In den Weltenweiten zerstieben, zersprühen wir nicht, wir finden die Welt der oberen Götter; unten dringen wir in die Welt der wahren Götter ein.
Und dasjenige, was uns in uns selbst führt und uns in die Weltenweiten führt, wir könnten es zeichnen als einen Kreis und kämen selber zuletzt außerhalb von uns selbst zusammen. Das, was Willensnatur ist, in das wir sonst untertauchen wie in ein Gebiet, in dem wir verbrennen, und das, was Raumesweiten sind, darinnen wir zerstieben wie in ein Nichts: das kommt zusammen. Und unsere Gedanken über die Welt vereinigen sich mit dem Willen, der uns aus der Welt entgegentritt, wenn wir hinuntersteigen. Willenserfüllte Gedanken, wollende Gedanken! Wir stehen durch einen solchen Prozess nicht mehr vor abstrakten Gedanken, sondern vor den Weltengedanken, die in sich selber schaffend sind, die wollen können. Wollende Gedanken: das heißt aber Götterwesen, geistige Wesenheiten, denn willenserfüllte Gedanken sind geistige Wesenheiten. So schließt sich der Kreis. So dringen wir durch die Seelenprüfungen, die uns begegnen, während wir sonst ins Nichts durch die Schwäche der eigenen Seele gehen würden. So dringen wir, wenn wir in uns selber hinuntersteigen durch die übergroße Egoität – das heißt durch die in der Egoität, im Egoismus starke Seele – nach beiden Seiten zu dem, was uns zu Seelenprüfungen zwar führen kann, was uns aber nimmermehr etwas über die Welt sagen kann.
Wir müssen beide Wege wandeln, müssen beide Widerstände empfinden, sowohl die Furcht vor der Leere wie auch den Widerstand der eigenen Egoität. Und so durch uns hindurchdringend nach der anderen Seite der Willensnatur, der Welt uns nähernd, werden wir ergriffen, sobald wir auf diese Weise aus uns selber herauskommen, von dem unendlichen Mitfühlen, von dem unendlichen Mitleiden mit allen Wesenheiten. Und dieses Mitfühlen, dieses Mitleiden, das ist es, was sich verbindet, wenn der Kreislauf geschlossen ist, mit den Weltengedanken, die sich sonst verflüchtigen und nun substantiellen Gehalt empfangen. Der Christus-Impuls führt uns nach und nach zum Schließen des Kreises, führt uns dazu, zu erkennen, was in den Raumesweiten als willenserfüllte, das heißt wesenhafte, Gedanken weset und lebt. Dann aber, wenn uns die Seelenprüfungen in dieser Art weitergeführt haben, sind wir geläutert in unserer Seele, durchgedrungen durch den Läuterungsprozess, den wir durchmachen mussten. Indem wir nach unten durch alles dringen müssen, was uns der Hüter der Schwelle zeigt als die Veranlassung zum Egoismus, sind wir auch gefeit vor alledem, was uns Veranlassung gibt, zu zerstieben in den Raumesweiten und die Furcht vor der Leere zu empfinden.
Solch eine Weisheit, die uns im Grunde genommen auf das tiefste Mysterium der Seelenprüfungen führt, herrschte in den alten griechischen Mysterien. Deshalb wurden die griechischen Mysten, die Schüler dieser Mysterien, auf der einen Seite geführt zu der Furcht vor dem unendlichen Abgrund und der Erkenntnis, auf der anderen Seite zu der Versuchung durch die Egoität und zur Überwindung der Egoität in dem unendlichen Mitleid und Mitgefühl mit allen Wesenheiten. Und in der Ehe, in der Vereinigung des Mitgefühls, des Mitleidens mit den Gedanken, erlebten sie die Läuterung von allen Seelenprüfungen. Ein schwaches, ein ganz schwaches Abbild hat die Urtragödie, das Urdrama, in Griechenland geschaffen. … Sie waren da, um in der Art und Weise, wie eine Handlung fortlaufend auf der Bühne dargestellt ist, Furcht und Mitleid zu erregen und zur Läuterung, zur Katharsis von Furcht und Mitleid zu führen. …
So aber sehen wir, wie aus dem Welt- und Menschheitswerden entspringen müssen die Seelenprüfungen. Wir sehen aber auch, wie diese Seelenprüfungen dadurch entstehen, dass unsere Seele sich veranlasst fühlt, zwei Wege zu gehen, den einen Weg in die Weltenfernen, den anderen in die eigenen Wesenstiefen: Dass sie Prüfungen bestehen muss, weil sie nach beiden Seiten hin den Ausblick nicht haben kann, dass sie aber hoffen kann, den Kreis zu schließen, den Willen von der einen Seite, die Gedanken von der anderen Seite zu finden und dadurch die wahren Realitäten, das, wodurch sich die Welt offenbart als wollender Geist, als geistiges Wollen.
Wohin wir zuletzt gelangen, ist, dass sich uns die ganze Welt in Geist auflöst, dass wir überall Geist erblicken und dass wir alles, was Stofflich-Materielles ist, nur als die äußere Manifestation des Geistes zu erkennen haben, als das Trugbild des Geistes. Weil wir nicht im Geiste uns wissen, wohl aber im Geist leben, müssen wir solche Prüfungen durchmachen. Denn wir leben zwar im Geist, wissen es aber nicht. Wir sehen den Geist in einer trügerischen Form und müssen aus dem Truge, der wir selber sind, aus dem Traum, als welchen wir uns selber träumen, zur Realität vordringen, müssen abstreifen alles das, was noch an Materielles oder an Gesetze von Materiellem erinnert. Das ist ein Weg, dessen Ende wir ahnen können, aber aus solchen Ahnungen entsprießt uns die Stärke, die uns sagt: Wir werden endlich den Kreis schließen können und in der Geistesoffenbarung die Lösungen der Weltenwunder, die Befriedigungen für die Seelenprüfungen finden können.
So muss uns eine wirkliche Betrachtung der Geisteswissenschaft niemals mutlos machen. Und wenn uns auch gezeigt werden muss, wie schwer die Seelenprüfungen sind, wie sie immer wieder von neuem auftreten müssen, so müssen wir uns dennoch sagen; Kennenlernen müssen wir sie, ja, auch durchmachen müssen wir sie, denn dass wir sie abstrakt wissen, das hilft uns nichts. Aber wir müssen auch das Vertrauen haben, dass wir über die Seelenprüfungen zu den Geistesoffenbarungen vorschreiten werden. … Niemals aber dürfen wir das Vertrauen verlieren, dass die Menschenseele dazu bestimmt ist, ihr göttliches Selbst zu den Geistesoffenbarungen emporzutragen. Daher ist der Gang der Menschenseele der, dass sie der Welt gegenübersteht, diese Welt als Maja oder große Illusion sieht, fühlt, dass innerhalb dieser Maja oder großen Illusion die Weltenwunder verborgen sind, dass die Verwunderung als die erste Seelenprüfung eintritt, dass dann die Prüfungen immer schwerer und schwerer werden, aber dass die Seele ihre Stärke behalten kann, so dass sie zum Schließen des Kreises kommt und endlich in der Geistesoffenbarung die Auflösung der Weltenwunder, die Läuterung der Seelenprüfungen findet. Das ist der Gang, den die Menschenseele macht – und nicht allein die Menschenseele -, den alle göttlichen Hierarchien anstreben und in der Menschenseele machen“ (Steiner, GA 129, 10. Vortrag, 27.8. 1911, S. 216 — 225, Hervorhebungen A.F.).
Die vielfache Wiederholung des Kreis-Bildes für die beiden Wege der Einweihung klingt so, als würde Rudolf Steiner implizit auf den Jahreslauf hinweisen wollen.
Karwoche und Karfreitag
Die Karwoche wird vom Palmsonntag bis zu seiner Oktave, dem Ostersonntag die Große Woche genannt. Das Mantra 52 z ist das Mantra dieser Woche. Zwei fast gegensätzliche Bedeutungen fand ich für die Vorsilbe “Kar”: zum einen stammt kar vom althochdeutschen kara, was Klage, Kummer, Trauer bedeutet, zum anderen gab Martin Luther ihm die Bedeutung “Guter Freitag”, von kar auf lateinisch carus beruhend, was lieb, gut oder teuer bedeutet. Daraus entwickelte sich die englische Bezeichnung Good Friday. (Wikipedia.org, Karfreitag)
Was in dieser Woche geschah, wessen die Christenheit in dieser Woche gedenkt, beschreibt Rudolf Steiner als das wichtigste Ereignis der ganzen Menschheits- und Erdenentwicklung:
„An einem Freitag, am 3. April des Jahres 33, drei Uhr am Nachmittag fand das Mysterium von Golgatha statt. Und da fand auch statt die Geburt des Ich in dem Sinne, wie wir es oftmals charakterisiert haben. Und es ist ganz gleichgültig, auf welchem Erdenpunkte der Mensch lebt, oder welchem Religionsbekenntnis er angehört, das, was durch das Mysterium von Golgatha in die Welt kam, gilt für alle Menschen. So wie es für alle Welt gilt, daß Cäsar an einem bestimmten Tage gestorben ist, und nicht für die Chinesen ein anderer und für die Inder wieder ein anderer Tag dafür gilt, ebenso ist es eine einfache Tatsache des okkulten Lebens, daß das Mysterium von Golgatha sich an diesem Tage zugetragen hat und daß man es da zu tun hat mit der Geburt des Ich. Das ist eine Tatsache ganz internationaler Art.“ (Lit.: GA 143, S. 163)
Rudolf Steiner beschreibt darüber hinaus, dass dieses Ereignis für die Erde und sogar für die Wesen der übersinnlichen Welte von entscheidender Bedeutung war: „Ebenso wie das Leben dem menschlichen Wissen unzugänglich ist, so ist dies der Fall mit dem Tod dem wahren Wissen gegenüber, welches in den übersinnlichen Welten erlangt wird. In dem ganzen Gebiet der übersinnlichen Welten gibt es keinen Tod. Man kann nur auf Erden sterben, in der physischen Welt oder in den Welten, welche in der Entwickelung unserer Erde gleichen, und alle die Wesenheiten, die hierarchisch höher stehen als der Mensch, haben keine Kenntnis vom Tode, sie kennen nur verschiedene Bewußtseinszustände. Ihr Bewußtsein kann zeitweise so herabgesetzt sein, daß es unserem irdischen Schlafzustand ähnlich ist, aber es kann aus diesem Schlaf wieder aufwachen. Es gibt keinen Tod in der geistigen Welt, es gibt dort nur Bewußtseinsänderungen, und die größte Furcht, die der Mensch hat, die Todesfurcht, kann von einem, der nach dem Tode zu den übersinnlichen Welten aufgestiegen ist, nicht empfunden werden. Es gibt daher keinen Tod für die Wesen, die zu den höheren Hierarchien gehören, mit nur einer einzigen Ausnahme, der des Christus. Aber damit eine übersinnliche Wesenheit wie der Christus durch den Tod gehen konnte, mußte er erst auf die Erde herabsteigen. Und das ist es, was von so unermeßlicher Wichtigkeit in dem Mysterium von Golgatha ist, daß eine Wesenheit, die in ihrem eigenen Reiche in der Sphäre ihres Willens niemals den Tod hätte erfahren können, hat hinuntersteigen müssen auf die Erde, um eine Erfahrung durchzumachen, die dem Menschen eigen ist, nämlich um den Tod zu erfahren. Es vereinigte sich ein Wesen, einzig in seiner Art, welches bis dahin nur kosmisch war, durch das Mysterium von Golgatha, durch den Tod des Christus, mit der Erdenevolution. Seitdem lebt es auf eine solche Weise auf Erden, ist so an die Erde gebunden, daß es in den Seelen der Menschen auf Erden lebt und mit ihnen das Leben auf Erden erfährt. Daher war die ganze Zeit vor dem Mysterium von Golgatha nur eine Zeit der Vorbereitung in der Evolution der Erde. Das Mysterium von Golgatha gab der Erde ihren Sinn. Als das Mysterium von Golgatha stattfand, wurde der irdische Körper des Jesus von Nazareth den Elementen der Erde übergeben, und von der Zeit an war der Christus verbunden mit der geistigen Sphäre der Erde und lebt darin.“ (Lit.: GA 152, S. 39f)
Die Karwoche beginnt mit Palmsonntag, dem glanzvollen Einzug von Jesus Christus in Jerusalem. Als König wird er gefeiert, wie die Sonne strahlt seine Macht. Am Montag und Dienstag regiert er, indem er die Verhältnisse neu ordnet. Am Mittwoch wendet sich die Situation. Maria Magdalena salbt ihn und bei Matthäus findet der Verrat an diesem Tage statt. Was nun kommt sind nicht mehr die Handlungen eines Königs. Es sind die Taten des dienenden Bruders, des in der Hingabe Großen, der den Menschen durch Leid und Tod vorangeht.
Die Jahreszählung beginnend mit dem Auferstehungstag
Rudolf Steiner betonte immer wieder, dass die Bedeutung des Mysteriums von Golgatha, Tod und Auferstehung Christi, nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Er machte es sogar zur Grundlage einer Jahreszählung und zeichnete für die erste Ausgabe des Seelenkalender einen Entwurf, der dies verdeutlicht. Diese Idee rührt an die Grundfesten unseres Weltverständnisses, das die Jahre von der Geburt Christi zählt. Erstaunen und Verwirrung sind die Folge. Vielfach wird angenommen, dass Rudolf Steiner dadurch eine neue Jahreszählung anregen wollte, diesen Impuls aber dann nicht weiterverfolgte. Vielleicht. — Ich vermute jedoch etwas anderes. Vorher soll Rudolf Steiner selber zu Wort kommen:
Entwurf Rudolf Steiners für den Umschlag des Kalenders 1912/13 (in: Beiträge 37/38, S. 35)
In einem Vortrag sagt er: “Was der Kalender als Äußeres hat, ist nur die exoterische Seite, denn in Wahrheit schreiben wir 1879. Die Zeitverhältnisse, die geschaut werden können durch okkulte Beobachtung, sollen wirklich hier zum Ausdruck gebracht werden. Damit soll hier begonnen werden, denn es ist natürlich nur ein erster Anfang. Mit dem Mysterium von Golgatha ist gegeben die Geburt des Ich-Bewusstseins innerhalb der Menschheit. Und diese Tatsche wird allmählich immer mehr und mehr in der geistigen Kultur unserer Erde erkannt werden als bedeutsam für alle Zukunft der Menschheit. So wird man nach und nach verstehen, dass es gerechtfertigt ist, das Jahr 1879 zu zählen heute, das heißt 1912 weniger 33. Damit ist auch gegeben, dass die Zeit gerechnet wird von Ostern zu Ostern, dass wir nicht mit dem Januar beginnen, weil, wenn man in der Geburt des Ich-Bewusstseins etwas Wesentliches sieht für die geistige Menschheitsentwicklung, es auch gerechtfertigt ist, jedes Jahr daran erinnert zu werden, indem diese Geburt des Ich-Bewusstseins selber bezogen wird auf Verhältnisse des Mikrokosmos und Makrokosmos. Ein bedeutsamer Zug des Verhältnisses von Mikrokosmos und Makrokosmos ist gegeben, wenn das Osterfest in Zusammenhang mit der Geburt des Ich-Bewusstseins gedacht wird. Dass heute versucht wird, das Osterdatum auf einen bestimmten Tag zu verlegen, statt es vom Himmel abzulesen, das gehört ganz selbstverständlich zur Signatur unserer Zeit, die für alle äußeren Verhältnisse immer mehr in den Materialismus hineinstürmt und vergisst, was mit dem Spirituellen zusammenhängt.” (Rudolf Steiner in Berlin am 23. April 1912, in: Beiträge 37/38, S. 28)
Ausführlicher erklärt es Rudolf Steiner in einem Text, der dem Kalender 1912/13 (mit Kalendarium, Gedenktage, Tierkreisskizzen und Wochensprüchen) unter «Was gemeint ist» beigegeben war: “Die Zahl eines Jahres wird von je einem Teile der Menschheit jeweilig so festgesetzt, daß die Zählung begonnen wird von einem Ereignisse, das für diesen Teil der Menschheit als besonders wichtig empfunden wird. Die Juden rechnen von dem Zeitpunkte an, den sie als «Erschaffung der Welt» bezeichnen, die Christen von der «Geburt Jesu». In diesen Kalenderangaben ist von dem Jahre 33–34 der christlichen Zeitrechnung an gezählt. Es wird dabei jenes Datum der Erdenentwicklung zu Grunde gelegt, das für die gesamte Menschheit ohne Unterschied von Rasse, Nation und so weiter von Bedeutung ist. Dabei ist die Annahme der «Geisteswissenschaft» zu Grunde gelegt, welche in dem angegebenen Jahre den Zeitpunkt sieht, in welchem in die Menschheitsentwickelung die Kräfte eingetreten sind, durch welche das Menschen-Ich sich ohne Sinnbild durch die Kräfte des eigenen Vorstellungslebens in sich selbst erfassen und in ein Verhältnis zur Welt bringen kann. Vor diesem Zeitpunkte brauchte der Mensch, um sich zu erfassen und in die Welt hineinzudenken, Vorstellungen, die von der äußeren Wahrnehmung entnommen sind. Die Vorbereitung zu diesem Zeitpunkte liegt einerseits in der althebräischen Kultur, welche zuerst den «Gott im Innern» bildlos zur Erkenntnis brachte; andrerseits im griechischen Geistesleben, das sowohl in seinen Künstlern wie in seinen Weltweisen den Zeitpunkt dadurch vorbereitete, daß es den Menschen durch Vorstellung seiner selbst als Erdenwesen erfaßte und in seiner Philosophie das Weltwerden nicht durch äußere Bilder, sondern durch Vorstellungen charakterisierte, die allein dem Menschen-Innern als denkendem Bewußtsein entstammen (Thales bis Aristoteles). Das christliche Bekenntnis brachte die Empfindung gegenüber dieser Menschheitstatsache dadurch zum Ausdruck, daß es in den entsprechenden Zeitpunkt «Tod und Auferstehung Christi», das «Mysterium von Golgatha» versetzte. Von diesem an sind in den folgenden Angaben die Jahre gezählt. Und in Anlehnung daran ist der Erinnerungstag an dieses Jahr als der erste in der Jahres-Zählung angenommen. Ob dazu ein Recht vorhanden ist gegenüber der Zählung vom ersten Januar an, darüber kann man selbstverständlich streiten. Hier soll dies nicht geschehen.” (Beiträge 37/38, S. 38f)
Da mit dem ersten Wochenspruch stets am Ostersonntag begonnen werden soll, regte Rudolf Steiner damit sowohl einen neuen Jahresanfang (Ostern) als auch eine neue Jahreszählung an. Wollte er wirklich über den esoterischen Kalender hinaus Jahresanfang und ‑zählung revolutionieren? Ich kann es mir schwer vorstellen. Wenn das bewegliche Osterdatum beibehalten werden sollte, wovon ich ausgehe, da Rudolf Steiner das sich darin ausdrückende Zusammenwirken von Sonne und Mond in vielen Vorträgen als deutungsvoll erwähnt, so würden sich dadurch einschneidende und höchst ungewohnte Konsequenzen ergeben.
Das Jahr von Ostern bis Ostern zu zählen bedeutet, dass die einzelnen Jahre erheblich in ihrer Länge variieren! Diese “Oster-Jahre” haben selten 52 Wochen, wie das für uns gewohnte, mit dem 1. Januar beginnende Jahr. Das früheste Osterdatum ist der 22. März und das späteste der 25. April. Die Differenz beträgt 35 Tage, d. h. fünf Wochen. Das bedeutet, dass ein “Oster-Jahr” zwischen 47 und 57 Wochen dauern kann! Die praktische Konsequenz ist, dass Menschen, die in der Osterzeit Geburtstag haben in manchen “Oster-Jahren” zwei Geburtstage feiern, in anderen einen oder auch garkeinen. Diese “Oster-Jahr”-Jahreszählung wäre für das reale Leben also wenig praktikabel. Eine solche Verwirrung wollte Rudolf Steiner sicherlich nicht, denn lebensfremd war er nicht.
Doch was wollte er dann mit dieser Jahreszählung? Es könnte sein, dass er neben das statische Sonnen-Jahr (Kalenderjahr), das schon in vorchristlich-römischer Zeit am 1. Januar begann und stets 52 Wochen hat, ein zweites, flexibles, lebendigeres Jahr stellen wollte. Das Kalenderjahr zählt irdisch — es beginnt mit der Ankunft Jesu auf der Erde. Das “Oster-Jahr” ist individuell und kann als geistgemäß erlebt werden, dem Wesen des Ichs entsprechend. Es zeugt von der Befreiung vom Körper, vom Geist-Werden des Christus am Karfreitag, seinem Tod am Kreuz und von der folgenden Besiegung des Todes durch die Auferstehung am Ostersonntag. Und so sprengt das “Oster-Jahr” auch die feste Quantität des Kalenderjahres.
Ich nenne dieses “Oster-Jahr” das “Ich-Jahr” im Unterschied zum Kalenderjahr. Das “Oster-Jahr” ist also stets 33 1/4 Jahre “jünger”, als das Kalenderjahr. Wir traten also am 9. April 2023 mit Beginn der Osterwoche in das “Ich-Jahr” 1990 (2023 — 33 = 1990) ein. Im Jahr 2024 werden wir mit dem Ostersonntag am 31. März das “Ich-Jahr” 1991 beginnen.
Rudolf Steiner sagt, dass es in der Geschichte immer 33 Jahre dauert, bis ein Gedanke äußere, geschichtliche Realität wird.
“Welche Aussichten für das Ostern nach dreiunddreißig Jahren verspricht das Weihnachten von diesem Jahre? — Denn alle Dinge im geschichtlichen Werden erstehen nach dreiunddreißig Jahren in verwandelter Gestalt aus dem Grabe, durch eine Gewalt, die zusammenhängt mit dem Heiligsten und Erlösendsten, das die Menschheit durch das Mysterium von Golgatha bekommen hat. (…) Werde man sich bewußt, daß eine Generation zu der nachfolgenden so hinzuschauen hat, daß sie zu gedenken hat: Im Weihnachtssterne lehre ich dich pflanzen in deiner Seele als Geburt dasjenige, was auferstehen wird im Ostersterne nach dreiunddreißig Jahren. Weiß ich diesen Zusammenhang zwischen dieser und der folgenden Generation, dann habe ich gewonnen — so kann sich jeder sagen — einen Impuls in aller Arbeit, der hinausreicht über den Tag.” (Lit.: GA 180, Vortrag vom 23.12.1917).
Mit anderen Worten: was wir heute 2024 auf der geschichtlichen Bühne erleben, wurde vor 33 Jahren, also 1991 von einzelnen als Gedanke der Menschheit eingepflanzt. Bildlich gesprochen schlüpft nach 33 Jahren das in der Innenwelt – im Ei – lange bebrütete Küken und wird sichtbar. Nun beginnt der Gedanke sein eigenes Leben, er zeitigt Konsequenzen und ist ein eigenständiges, von seinem Schöpfer unabhängiges Wesen — wie das geschlüpfte Küken.
Die weiße Göttin des Todes und der Wiedergeburt
Von der Steinzeit bis in geschichtliche Zeit war eine weiße Göttin Begleiterin der Toten. In ganz Europa wurde Verstorbenen eine helle Figur mit ins Grab gegeben, wie Ausgrabungen zeigten. Sie wurde in der Nähe des Herzens platziert, das Grab selber hatte häufig eine Form, die an einen Mutterschoß erinnert. Diese Göttin wird die „Starre Nackte“ genannt und wurde stets aus weißem Stein oder Ton gefertigt. Ihr Gesicht zeigt meist nur eine scharf hervorstehende Nase, die an einen Vogelschnabel denken lässt. Weitere Merkmale sind stark abstrahierte oder verschränkte Arme, ein großes Schamdreieck und einen geraden, manchmal knochigen Körperbau. Die Arme können so reduziert sein, dass sie wie der Querbalken eines Kreuzes wirken.
Die Starre Nackte, die weiße Göttin des Todes und der Wiedergeburt, Marmor, südgriechisch Anfang 6. Jahrtausend
Die obige Figur ist die älteste, die ich fand. Ihr rundes Gesäß erinnert an die Venus von Willendorf. Deshalb habe ich sie in gleicher Orientierung in den Jahreskreis gestellt. Das Winter-Halbjahr ist unten, das Sommer-Halbjahr oben. Doch im Sommer-Halbjahr, wo die nährenden Brüste der Venus von Willendorf sind, wird die hier abgebildete Figur knochig. Der senkrechte Zylinder ist durch die Nase, die einem Vogelschnabel ähnelt, als Kopf zu erkennen. Zusammen mit dem Querbalken, den “Armen” wirkt die obere Partie wie ein Kreuz. Mich lässt die Figur an einen Reichsapfel denken – an einen Apfel mit einem Kreuz darauf. Die Form entspricht dem astrologischen Zeichen für die Erde, einem Kreis mit aufgerichtetem Kreuz.
Die Figuren in den folgenden vier Abbildungen zeigen, dass es tatsächlich auf die Kreuzform anzukommen schien:
Die Starre-Nackte der Gräber, die Göttin des Todes und der Wiedergeburt war aus Knochen, weißem Stein oder hellem Ton gefertigt, von links nach rechts:
1. Knochenstatuette, Norditalien, neolithisch
2. Alabasterfigur, Sardinien, ca. 4000 v.Chr.
3. Alabasterfigur, Sardinien, frühes 4. Jahrtausend
4. Marmorfigur, Kykladen 2800 – 2400 v.Chr.
Mit der Weißen Göttin ist tatsächlich niemand anderes als die Mutter allen Lebens, unsere Mutter Erde gemeint. Gräber wurden damals in Form eines Mutterschoßes angelegt, um in ihrem Bauch auf die Wiedergeburt zu warten.
In den Mythen und Sagen zahlreicher Völker hat die Weiße Göttin ihre Spuren hinterlassen. Wenn sie den nahenden Tod verkündete, hatte sie häufig die Gestalt eines Raubvogels oder einer Giftschlange. Marija Gimbutas (1921 — 1994) schreibt: „… in der litauischen Überlieferung kündigt sich der Tod durch eine kriechende Giftschlange an. Der Name der litauischen Todesgöttin verrät einiges: Sie heißt Giltine, und <gilti> heißt so viel wie <Stechen>. Derselben Wortfamilie gehören galas (Ende) und geltonas (Gelb – die Farbe der Knochen) an. In Erzählungen wird sie als die Schwester Laimas bezeichnet, die die Lebensspanne bemisst.“ (Die Zivilisation der Göttin, 2. Aufl. 1998, S. 242)
Als Göttin Holla hat die weiße Göttin schneeweiße oder goldene Haare. Auch in der Gestalt eines Frosches kann sie erscheinen, um den roten Apfel, das Symbol des Lebens, aus dem Brunnen zurückzuholen, in den er bei der Ernte gefallen war. Das Reich der weißen Göttin ist die Tiefe der Erde, die Klüfte und Höhlen der Berge. Ihr Ruf kann klagend, stöhnend oder einem Vogelruf ähneln – oder noch viel rätselhafter klingen, wie das Plätschern von Wasser oder das Sprudeln der Aale, das Klopfen an einer Türe oder auf einen Tisch, das Knallen einer Peitsche das Klirren von Gläsern! Manchmal ist sie die große Wäscherin, die alle wieder so rein und weiß wäscht, wie sie selber ist.
Als jugendliche Göttin erscheint sie im Frühling, manchmal in Gestalt einer weißen Taube, die Fruchtbarkeit verheißt. Lachend und tanzend geht sie in der slawischen Mythologie als die weiße Göttin Lelja über das Land und erfüllt es mit Vogelgezwitscher und Blütenduft. Die Weiße Göttin zeigt den Tod als Versprechen neuen Lebens.
Die Weiße Göttin scheint mir auch durch das Mantra 52 z hindurch zu schimmern, indem es in der Karwoche, der Woche der Kreuzigung und des Todes von Jesus Christus heißt, dass die Kraft des Lebens in Menschenleiber einzieht.
Was das Mantra 52 z sagt
Trauer und Klage sucht man im Mantra der Karwoche vergebens. Lediglich die Strenge der Wenn-Dann-Aussage lässt das für die ganze Erde schicksalhafte Geschehen der Karwoche erahnen. Das Mantra 52 z spricht von einem gesetzmäßigen Zusammenhang, einer naturgesetzlichen Notwendigkeit: Das „Wenn …. dann …“ bestimmt das ganze Mantra. Wenn der Geist sich an das Weltensein wendet, löst seine Bewegung aus den Seelentiefen hin zur Welt einen Prozess aus — sofern zu dem “Sich-Wenden” ein Zweites, das “Quellen der Schönheit” hinzutritt. Auch das “Dann”, die Konsequenz erfolgt zweigliedrig: des Lebens Kraft zieht in Menschenleiber und bewirkt die Vereinigung des Geistes mit dem Menschensein.
Mit dem Mantra 52 z kommt ein Abstiegsprozess an sein Ende, der mit dem ersten Mantra des Winter-Halbjahres (27 a) begonnen hatte. Dort heißt es: “In meines Wesens Tiefen dringen …” Nun, im letzten Mantra des Winter-Halbjahres kommt es an diesem Endpunkt zu einer Wende. Der Geist aus den Seelentiefen ist der menschliche Geist. Wenn dieser Geist sich wendet, weil sein Abstieg in die Seelentiefen beendet ist, weil der tiefste Punkt, das “Grab”, erreicht ist, wenn er sich nun umwendet, um erneut aufzusteigen — sich wieder der Welt, dem Weltensein zuwendet und beginnt erneut außen wahrzunehmen — dann entsteht eine neue Situation. Leise klingt hier der kommende Schwellenübertritt ins Sommer-Halbjahr an.
Wie eine Resonanz auf die Umwendung des Geistes kommt aus den Raumesweiten ein Echo. Mit “Und” verbunden mit der Ursache, — der Wendung des menschlichen Geistes zum Weltensein, — quillt die Schönheit aus Raumesweiten hervor. Jede Wahrnehmung offenbart zunächst Schönheit, doch wenn der Verstand hinzukommt und urteilt, verblasst die Unmittelbarkeit und die Schönheit. Dann erscheint nur das als schön, was den eigenen Vorstellungen und Normen entspricht. Wenn der urteilende Verstand schweigt, offenbart alles sein gottgewolltes Sein — und erstrahlt so im göttlichen Licht. Die Schönheit quillt aus Raumesweiten – sie quillt aus dem Umkreis hervor und strebt zum Zentrum. In meinem inneren Bild quillt sie aus dem Horizontkreis meiner Wahrnehmung und strömt zum Mittelpunkt — zu mir. Sie quillt wie das Wasser aus der Quelle — jedoch nicht vom Zentrum, sondern von den Rändern aus. — Sie sickert vom Umkreis der Raumesweiten in meine Seele. Ist Schönheit vielleicht die substanzielle Grundlage des oft gesuchten Wassers des Lebens? Die unmittelbar erlebte Wahrnehmung beinhaltet auf jeden Fall belebende Kraft.
Nun erfahren wir die Konsequenz, das „Dann“: Wenn diese zwei Bedingungen erfüllt sind, wenn sich der Geist wendet und die Schönheit quillt, dann zieht des Lebens Kraft in Menschenleiber. Dann zieht aus Himmelsfernen Lebenskraft in den Leib ein. Im gewöhnlichen Bewusstsein beziehen wir unsere Lebenskraft aus der Nahrung, das heißt von der Erde. Doch hier handelt es sich um eine himmlische Kraftquelle, eine himmlische Ernährung. Die Lebenskraft stammt aus Himmelsfernen. Es ist das Leben selber, das einzieht. In der Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments (Genesis, 1. Buch Mose) wird beschrieben, wie Gott den ersten Menschen, Adam, aus Lehm formt und ihm im zweiten Schritt seinen lebendigen Atem einhaucht. Eine große erste Einatmung geschieht im Mantra 52 z, nachdem alle vorhergehenden Mantren des Winter-Halbjahres betrachtet werden können als die Formung dieses Menschenleibes.
Und mit dem Einziehen der Lebenskraft in die Leiber der Menschen ist noch etwas anderes verbunden. Mit der einziehenden Lebenskraft eint sich auch das Wesen des Geistes mit dem Menschensein. Indem das Leben einzieht in den Leib, ihn bewohnt, vereint sich das Lebensgesetz des Geistes mit dem Menschen. Nun herrscht nicht nur die Erde mit ihren Gesetzen über ihn, sondern auch der Geist, der Himmel.
Was bedeutet das? Das Wesen des Geistes ist schöpferisches Bewusstsein. Mit dem Einziehen des Lebens wird der irdische Mensch befähigt, Bewusstsein zu bilden. Von Adam wird im Anschluss an seine Erschaffung und Belebung berichtet, wie er allen Tieren ihre Namen gibt und dadurch die Schöpferkraft seines neu gewonnenen Bewusstseins kundtut. Indem das Wesen des Geistes sich mit dem Menschensein vereinigte, erhält der Mensch Bewusstsein, seinen göttlichen Funken. Durch diese Vereinigung wird der Mensch zum Menschen.
Mit dem aus Himmelsfernen herabströmenden Leben erhält er die Möglichkeit, wieder aufzusteigen, sich zu wenden – wie es das Mantra eingangs beschreibt. Ein senkrecht auf Erden stehender Kreislauf wird sichtbar von sich inkarnierendem, absteigenden Leben und aufsteigendem Geist, von Bewusstsein – ein ewiger Zyklus. Auch der Jahreskreis zeigt sich im spontanen inneren Bild als eine solche senkrecht vor dem inneren Bild stehende Vorstellung — das Sommer-Halbjahr oben, das Winter-Halbjahr unten.