44 s
Ergreifend neue Sinnesreize
Erfüllet Seelenklarheit,
Eingedenk vollzogener Geistgeburt,
Verwirrend sprossend Weltenwerden
Mit meines Denkens Schöpferwillen.
Der Schöpferwillen des Geistes
Rudolf Steiner beschreibt, wie der Begriff eine Schöpfung des Menschen ist. Da es in diesem Mantra um den Schöpferwillen des eigenen Denkens geht, möchte ich vorausschicken, was Rudolf Steiner über den Prozess der Begriffsbildung sagt. Um einen Begriff zu bilden, müssen im Menschen Wahrnehmung und Denken zusammenwirken. Gerade diese beiden Komponenten verbindet Rudolf Steiner mit den Jahreshälften, die Wahrnehmung mit dem Sommer-Halbjahr, das Denken mit dem Winter-Halbjahr: “So wird bei ihm [dem Menschen] zum Rhythmus von Außen- und Innenleben, was in der Natur in der Zeiten Wechselfolge als Sommer und Winter sich darstellt. Es können ihm große Geheimnisse des Daseins aufgehen, wenn er seinen zeitlosen Wahrnehmungs- und Gedankenrhythmus in entsprechender Weise zum Zeitenrhythmus der Natur in Beziehung bringt. So wird das Jahr zum Urbilde menschlicher Seelentätigkeit und damit zu einer fruchtbaren Quelle echter Selbsterkenntnis.” (Vorwort zur ersten Ausgabe des Seelenkalenders 1912) Durch diesen zeitlosen Wahrnehmungs- und Gedankenrhythmus ist der Mensch fähig, Begriffe zu bilden. Um Rudolf Steiners Gedanken-Horizont zu diesem Thema aufzuzeigen, folgen hier einige Zitate:
„Unter Begriff verstehe ich eine Regel, nach welcher die zusammenhanglosen Elemente der Wahrnehmung zu einer Einheit verbunden werden.“ (Lit.: GA 3, S. 60)
„Begriffe werden also nicht durch Wahrnehmung gewonnen. Das ist ein Vorurteil, das heute sehr verbreitet ist. Begriffe werden gewonnen durch innerliche Konstruktion. Der Begriff ist sozusagen dasjenige, wozu der Mensch kommt, gerade wenn er absieht von aller äußeren, sinnlichen Wirklichkeit. Und nun kann er zusammenwirken lassen, was er innerlich konstruiert hat, mit dem, was sich ihm äußerlich als sinnliche Wirklichkeit darstellt.“ (Lit.: GA 108, S. 239)
“Zu einem Begriff des Dreiecks kommt man nur, wenn man sich innerlich konstruiert die Figur dreier sich schneidender Linien. Mit diesem innerlich konstruierten Begriff treten wir an das äußere Dreieck heran und finden es dann mit dem innerlich konstruierten Bilde harmonierend. … Goethe hat die Begriffe «Urpflanze», «Urtier» durch inneres Konstruieren geschaffen; … Die Urpflanze und das Urtier sind solche innerliche Geisteskonstruktionen. … Erst wenn man durch innerliche Konstruktion sich den Begriff des Pferdes, der Pflanze, des Dreiecks und so weiter aufbauen kann, und wenn dies sich mit der äußeren Wahrnehmung deckt, erst dann kommt man zum Begriff einer Sache.“ (Lit.: GA 108, S. 200f.)
„Durch das Denken entstehen Begriffe und Ideen. Was ein Begriff ist, kann nicht mit Worten gesagt werden. Worte können nur den Menschen darauf aufmerksam machen, dass er Begriffe habe. Wenn jemand einen Baum sieht, so reagiert sein Denken auf seine Beobachtung; zu dem Gegenstande tritt ein ideelles Gegenstück hinzu, und er betrachtet den Gegenstand und das ideelle Gegenstück als zusammengehörig. Wenn der Gegenstand aus seinem Beobachtungsfelde verschwindet, so bleibt nur das ideelle Gegenstück davon zurück. Das letztere ist der Begriff des Gegenstandes. Je mehr sich unsere Erfahrung erweitert, desto größer wird die Summe unserer Begriffe. Die Begriffe stehen aber durchaus nicht vereinzelt da. Sie schließen sich zu einem gesetzmäßigen Ganzen zusammen. Der Begriff «Organismus» schließt sich zum Beispiel an die andern: «gesetzmäßige Entwicklung, Wachstum» an. Andere an Einzeldingen gebildete Begriffe fallen völlig in eins zusammen. Alle Begriffe, die ich mir von Löwen bilde, fallen in den Gesamtbegriff «Löwe» zusammen. Auf diese Weise verbinden sich die einzelnen Begriffe zu einem geschlossenen Begriffssystem, in dem jeder seine besondere Stelle hat. Ideen sind qualitativ von Begriffen nicht verschieden. Sie sind nur inhaltsvollere, gesättigtere und umfangreichere Begriffe. … Der Begriff kann nicht aus der Beobachtung gewonnen werden. Das geht schon aus dem Umstande hervor, dass der heranwachsende Mensch sich langsam und allmählich erst die Begriffe zu den Gegenständen bildet, die ihn umgeben. Die Begriffe werden zu der Beobachtung hinzugefügt.“ (Lit.: GA 4, S. 57)
Außerdem führt Rudolf Steiner aus, dass zur Zeit der griechischen Philosophen Wort und Begriff weit weniger unterschieden werden konnten, als das heute der Fall ist. Denken war ein inneres Sprechen, weshalb die göttliche Schöpfertätigkeit analog als der Logos, das Wort bezeichnet wurde. Die Genesis beschreibt dieses sprechende Erschaffen mit den Worten: “Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.” (1. Mose 1,3) Der zuerst geistig vorhandene Sinnzusammenhang, die Idee, verwirklicht und erschafft die Welt. Diese Welt ent-spricht deshalb dem Wort Gottes, seiner Schöpfertätigkeit im Geist. Heute, so sagt Rudolf Steiner, sind Wort und Begriff nicht mehr so fest miteinander verbunden. Zwar wird ein Begriff, den sich ein Mensch bildet, auch durch Worte vermittelt, doch entspricht der inneren Repräsentanz des Begriffes, der Idee, eher ein selbst geschaffenes inneres Bild, eine Imagination.
Die Osterscholle — der Mond im Jahr
Ostern ist ein bewegliches Fest. Ostern ist immer der Sonntag nach dem ersten Vollmond nach der Tag-und-Nachtgleiche. Dadurch kann Ostern in einem Zeitraum von etwa fünf Wochen wandern. Das früheste Osterdatum ist der 22. März, das späteste der 25. April. Dadurch variiert die Anzahl der Wochen von einem Osterfest bis zum anderen von Jahr zu Jahr. Wir haben es im Grunde mit zwei Jahreskreisen zu tun: Zum einen mit dem Kalenderjahr, von dem wir gewohnt sind, dass es immer 52 Wochen lang ist und am 1. Januar startet. Und zum anderen mit dem “Seelenkalender-Jahr”, das eine variable Länge hat, indem es vom Ostersonntag des einen Jahres bis zum Karsamstag des nächsten Jahres geht. Und diese Länge variiert unter Umständen erheblich! Zu diesem “Seelenkalender-Jahr” gehört die feste Anzahl von 52 Mantren. Und dadurch entsteht für die Zuordnung der Mantren zu den Wochen ein Problem.
Rudolf Steiner hat ausdrücklich gesagt, dass immer am Ostersonntag mit dem Mantra 1 A begonnen werden soll. Die Mantren sind also an das von Ostern bestimmte, variable Jahr gebunden. Ihre Anzahl ist fest, die Jahreslänge aber nicht. Damit muss auf die eine oder andere Art umgegangen werden. Wenn das letzte Mantra (52 z) im Seelenkalender-Jahr in der Karwoche liegen soll, muss (meistens) am Beginn der Osterzeit angepasst werden. Im Jahr 2023 waren es nach der Woche 43 r noch zehn Wochen bis zur Karwoche,- es waren aber nur noch neun Mantren übrig (44 s – 52 z). Das bedeutet, dass ein Mantra über zwei Wochen gestreckt werden musste. Im Jahr 2024 tritt das umgekehrte Problem auf: es gibt mehr Mantren als Wochen vor Ostern. Deshalb müssen zwei Mantren in eine Woche genommen werden.
Wann findet diese Anpassung in sinnvoller Weise statt? Ich sage, zu Beginn der Osterzeit — doch wann beginnt diese? Nach Ostern ist es offensichtlich, dass sich der Ostereinfluss auch auf die nachfolgenden Feste auswirkt. Das Datum für Himmelfahrt, Pfingsten und Fronleichnam wird durch seinen Abstand zum Osterfest bestimmt. Danach endet diese Oster-Abhängigkeit. Fronleichnam liegt in der neunten Woche nach Ostern, mithin sind es nach Ostern neun Wochen, die als Osterzeit im weiteren Sinne zu gelten haben.
Bei den Wochen vor Ostern erscheint mit Aschermittwoch zum ersten Mal der Ostern-Einfluss. Aschermittwoch ist per Definition in der siebten Woche vor Ostern (Mantra 46 u). Ich glaube aber, dass die Osterzeit nicht erst hier beginnt, sondern sich zunächst unsichtbar vorbereitet. Ich glaube, dass Ostern nicht nur neun Wochen nachwirkt, sondern sich auch neun Wochen vorbereitet. Dann umfasst die von Ostern beherrschte Zeit 18 Wochen – etwa ein Drittel der insgesamt 52 Wochen des Jahres. Als Osterzeit betrachte ich also vor Ostern die Mantren 44 s bis 52 z und nach Ostern die Mantren 1 A bis 9 I (9 großes i).
Ich benutze für diese zweimal neun Wochen, die die Osterzeit ausmachen, das Bild der Oster“scholle”. Ich denke dabei an eine Eisscholle, die auf dem Wasser treibt. Die Eisscholle besteht auch aus Wasser, doch sind ihre Bestandteile fest miteinander verbunden. So sind auch die zu Ostern gehörenden Wochen miteinander verbunden und bewegen sich gemeinsam vor dem Hintergrund der Datumswochen, die nur von der Sonne bestimmt werden. Wie ein Pendel kann die Osterzeit mal mehr in das Sommer-Halbjahr schwingen, mal mehr in das Winter-Halbjahr. Ich kann den Impuls, der durch das Osterfest im Jahr gesetzt wird, wie einen “Strömungspilz” anschauen, der sich symmetrisch entfaltet. Jedes Jahr empfängt dadurch solch einen individualisierenden, verlebendigenden Impuls. Es ist, als ob der Osterimpuls ein Herzschlag der Erde wäre.
Die Osterscholle im Jahreskreis als Strömungsimpuls bzw. als Mond
Schaue ich mir diese Wochen im Jahreskreis an, erinnern sie an eine Mondsichel. Diese Osterzeit-Mondsichel hat eine gewisse Selbständigkeit gegenüber dem fixen Datums-Sonnenjahr, das natürlich im Hintergrund immer weiterläuft. Doch anders als im restlichen Jahr sind die Wochen — und damit die Mantren — der Osterzeit fest mit einer Mondphase verbunden. Ostern hängt ja vom Mond, vom Vollmond ab, und der Ostervollmond ist immer in der Woche 52 z. Dadurch ist auch für jede andere Woche der Osterzeit die Mondphase (mit leichten Verschiebungen) festgelegt.
Von der Woche 43 r zur Woche 44 s wechseln wir also vom Sonnenbereich in den Mondbereich des Jahres. Dafür müssen wir in manchen Jahren einen längeren, in anderen einen kürzeren Sprung machen.
Lichtmess, Imbolc und der Beginn des Neuen
Am 2. Februar feiern wir Lichtmess. Meist liegt dieses Datum in der Woche, die auf die Woche 43 r folgt — also in der Woche 44 s, wenn die Osterscholle unberücksichtigt bleibt. Zu Lichtmess endet die Epiphaniaszeit (Epiphanie, Erscheinung des Herrn), die Dreikönigszeit, die noch mit dem Weihnachtsfest verbunden ist. Nun wird der Weihnachtsschmuck endgültig weggeräumt, die Krippen in den Kirchen geschlossen. Früher begann zu diesem Termin das neue Bauernjahr und damit ein neues Dienstverhältnis für die Knechte und Mägde. Die Arbeit auf dem Feld wurde nun, wenn die klimatischen Verhältnisse es zuließen, wieder aufgenommen.
Lichtmess ist der 40. Tag nach Weihnachten. Nach jüdischer Tradition wurde der erstgeborene Sohn als Eigentum Gottes angesehen und musste nach 40 Tagen im Tempel vorgestellt, den Priestern übergeben und durch ein Geldopfer ausgelöst werden. Davon erzählt die Darstellung im Tempel (Lk 2,21 EU). Eine Frau galt nach dem Gesetz des Mose nach der Geburt als unrein. Hatte sie einen Sohn geboren, musste sie nach 40 Tagen ein Reinigungsopfer darbringen. Nachdem die Geburt Jesu auf die Nacht vom 24. zum 25. Dezember festgelegt worden war, wurde der 2. Februar zu diesem Festtag. Deshalb heißt dieser Tag auch “Darstellung des Herrn” und “Mariä Reinigung”, “Mariä Lichtmess” oder “Unsrer Lieben Frauen Lichtweih”.
Aus Irland ist ungefähr zu diesem Datum das Imbolc-Fest überliefert. Der Name Imbolc stammt vom altirischen < imb-folc („Rundum-Waschung“) und kennzeichnet es als ein Reinigungsfest. Oimelc ist eine andere Bezeichnung und bedeutet das erste Milchgeben der Schafe im Frühjahr. Es ist der Tag der heiligen Brigid. Die Legende von der Heiligen Brigid verbindet die Druidenweisheit mit dem auf Irland von Rom zunächst unabhängigen Christentum. „In diesem Licht sah man die Gestalt der Heiligen Brigid, die man auch die <Maria der Gälen> oder die <Prophetin Christi> nannte. Sie wurde von Legenden umwoben, die ihre Erscheinung über alle anderen irischen Heiligen hinaushob. Es wird erzählt, dass sie das Jesus-Kind von Bethlehem in ihren Mantel gehüllt hatte. Traum und Wirklichkeit, heißt es, verbanden sich für sie bei diesem Erlebnis, das in dem Bild von <Brigid mit dem Mantel> weiterlebt. Das Bild vermischt sich eigenartig mit der Gestalt der keltischen Göttin Brigit, die ihren Mantel mit reinigendem Feuer auf die Erde warf. Auch das dieser Muttergöttin zu Ehren gefeierte Fest am 1. Februar ging in der vorchristlich-christlichen Metamorphose auf die Heilige Brigid über. Der Mantel wiederum erweckt die Erinnerung der Himmelskönigin Maria mit ihrem Sternenmantel. So war auch das Christus-Ereignis der Brigid kosmisch durchdrungen, von der es hieß, dass sie den <König der Elemente> an ihrer Brust barg“ (Brandt-Förster, Das irische Hochkreuz, 1978, S. 21).
In Tibet, China und kulturell verwandten Ländern, feiert man ungefähr um diese Zeit (aber zu unterschiedlichen Daten) Neujahr. Im I Ging, dem ältesten chinesischen Weisheitsbuch heißt es, dass im Frühling der Drache aus der Erde aufsteigt, dargestellt im Trigramm des Donners. Insgesamt gibt es acht Trigramme, da es acht Kombinationsmöglichkeiten dreier übereinander gelagerter Striche gibt, die entweder unterbrochen sind (weiblich) oder durchgehend (männlich).
Aus allen Traditionen spricht sehr deutlich das ganz Neue, Reine, Lichte, feurig Machtvolle, das nun beginnt. Obwohl das Lichtmess-Datum noch nicht an das kommende Osterfest gebunden ist, vermittelt dieses Fest die neue Licht-Qualität, die mit der nun beginnenden Zeit zusammenhängt — und das Bild des Strömungsimpulses wiederum wirft ein neues Licht auf die mit dem Fest verbundenen Reinigungsriten. Auch die “Erscheinung des Herrn” — die Epiphanie ‑erhält eine weitergehende Bedeutung, wenn sie als Auftakt der Vor-Osterzeit gesehen wird. Dadurch wird der an Lichtmess 40 Tage alte Jesus mit der Erscheinung des Auferstandenen am Ostersonntag verbunden.
Die Osterscholle und die Zeit des Lebens im physischen Leib
In den Mantren nach der Winterschwelle (39 n) konnte verfolgt werden, wie sich das Neue vorbereitet. Die Eigenheit wurde initiiert im Mantra 40 o, die Schaffensmacht strebte im Mantra 41 p aus dem Herzensgrunde, die Offenbarung eigner Kraft war Thema des Mantras 42 q und im Mantra 43 r schließlich erhielt der Weltenschein Daseinsmacht, das Seelenfeuer brannte. Alle diese Mantren beschrieben Stufen der Vorbereitung der Inkarnation. Nun beginnt die Osterscholle und damit etwas ganz Neues, Individuelles, das mit der Osterzeit auch wieder endet, vergeht. Die Wochen der Osterscholle sind fest miteinander verbunden, und doch beweglich. So ist auch unsere Organisation mit den einzelnen Wesensgliedern während des Lebens auf gesetzmäßige Weise miteinander verbunden und gleichzeitig können wir uns motorisch von einem Ort zum anderen bewegen.
Für mich gibt es zu dieser Osterzeit seit vielen Jahren eine Arbeitshypothese, die sich immer wieder als fruchtbar erwies. Sie besagt, dass sich in der auf Ostern hinführenden Zeit die Stufen der Leibbildung der Schwangerschaft abbilden, in der Zeit nach Ostern die Stufen des Lebens im Leib bis zum Tod.
Rudolf Steiner beschreibt für die ersten drei Monate im Jahr, für die Zeit, die im Seelenkalender Winter genannt wird, eine überraschende Beziehung des Inkarnationsvorganges mit dem Jahreslauf. „Aber er [der Mensch] ist noch in einer andern Weise hineingestellt in diesen Weltengang. Es ist nun schon einmal so, daß der Mensch, wenn er hier auf Erden steht, von seiner Haut umgrenzt, von seinen Organen durchdrungen, dann sich schon etwas isoliert vorkommt im Kosmos, weil die Zusammenhänge, wie ich sie geschildert habe, eben eigentlich geheimnisvolle sind. Aber so ist es nicht, wenn der Mensch geistig-seelisch ist, zum Beispiel im vorirdischen Dasein. Da webt ja zwischen dem Tode und einer neuen Geburt das Geistig-Seelische im geistigen Gebiete, in der geistigen Sphäre. Da schaut dieses Seelische gewissermaßen herab, nun nicht auf einen einzelnen Menschenkörper zunächst, den wählt es sich dann im Laufe der Zeit, aber es schaut herab auf die ganze Erde, ja auf die Erde im Zusammenhang mit dem ganzen planetarischen System, mit all diesem Leben und Weben von Raphael, Uriel, Gabriel, Michael. Da ist man außerhalb, schaut es sich von außerhalb an. Und da öffnet sich das Tor für den Eintritt der Seelen, die vom vorirdischen Leben ins irdische Leben kehren, nur während der Zeit, während welcher von Ende Dezember an bis zum Frühlingsbeginn Gabriel oben webt als kosmischer Erzengel, unten an der Seite des Menschen Uriel, in das menschliche Haupt hineintragend die kosmischen Kräfte. Während dieser drei Monate kommen die Seelen, die das ganze Jahr verkörpert werden, alljährlich vom Kosmos zur Erde nieder. Dann bleiben sie und warten, bis sich ihnen die Gelegenheit bietet in der planetarisch-irdischen Sphäre; auch diejenigen Seelen, die meinetwillen im Oktober geboren werden, haben schon innerhalb der irdischen Sphäre gewartet auf ihre Geburt. Und es hängt im Grunde genommen viel davon ab, ob eine Seele, nachdem sie schon in die Erdensphäre eingetreten ist, schon berührt worden ist davon, noch warten muß innerhalb der Erdensphäre auf ihre irdische Verkörperung. Bei der einen Seele ist es länger, bei der andern kürzer der Fall. Aber das ist noch das besondere Geheimnis, daß ebenso, wie zum Beispiel in das Ei nur an einer Stelle der befruchtende Samen eindringt, so der Himmelssamen in das ganze Jahreswesen der Erde nur eindringt, wenn oben waltet Gabriel als kosmischer Engel mit dem milden, liebenden Blick, mit der segnenden Gebärde, unten Uriel ist mit dem urteilenden Blick und der mahnenden Gebärde. Da ist die Zeit, wo die Erde von Seelen befruchtet wird. Das ist die Zeit, wenn die Erde Schneehülle hat, wenn die Erde in ihre Kristallisationskräfte übergeht, wenn der Mensch mit der Erde als dem denkenden irdischen Weltenkörper verbunden sein kann: dann ziehen die Seelen aus dem Kosmos in die Erdensphäre ein, versammeln sich gewissermaßen. Das ist die jährliche Befruchtung des irdischen Jahreslaufwesens.“ (GA 229, S. 83ff., Vortrag 13.10.1923, Hervorhebungen A.F.)
Ich nenne das Mantra 44 s, den Beginn der Osterscholle, den Eintritt der Individualität in die Erdsphäre. Laut Rudolf Steiner lenkt die Individualität zunächst die Verwandtschaftsströme, um über mehrere Generationen hinweg die zukünftige eigene Leiblichkeit vorzubereiten.
Direkt mit dem Lichtmess-Fest verbunden kann das folgende Zitat von Rudolf Steiner empfunden werden: „Wie [der] Ätherleib auf den Bahnen des Lichtes herunterzieht, wenn diese Bahnen des Lichtes durch die Sternenkonstellation in einer gewissen Weise gelenkt werden …“ (GA 171, S. 206ff.).
Was ist im Mantra 44 s los?
Der Satzbau des Mantra 44 s ist unklar, verwirrend und für den Verstand nicht begreifbar. Die grammatischen Teile passen nicht zusammen, ihr Aufbau ist unlogisch. Die Zeilen gleichen eher losen Fäden, sollen nach der Zeichensetzung aber einen gemeinsamen Satz ergeben. Die grammatische Verzahnung passt so nicht. Das ändert sich, wenn die Zeilen umgestellt werden. Dann entsteht vom grammatischen Verständnis her ein ganz vernünftiger Satz. Das Umstellen der Zeilen geschieht dabei nach einem bestimmten Muster, einer Pendelbewegung um die mittlere Zeile. Links ist das ursprüngliche Mantra aufgeführt, rechts das umgestellte, sodass ein grammatisch stimmiger Satz entsteht:
Mantra 44 s von Rudolf Steiner: | Zeilen umgestellt, Satzzeichen angepasst: |
Ergreifend neue Sinnesreize
Erfüllet Seelenklarheit, Eingedenk vollzogener Geistgeburt, Verwirrend sprossend Weltenwerden Mit meines Denkens Schöpferwillen. |
Ergreifend neue Sinnesreize
Mit meines Denkens Schöpferwillen, Erfüllet Seelenklarheit Verwirrend sprossend Weltenwerden - Eingedenk vollzogener Geistgeburt. |
Warum macht Rudolf Steiner das? Welche zusätzliche Botschaft liegt in diesem Hin- und Herschwingen? Ich habe den Eindruck, das Mantra, so wie Rudolf Steiner es gestaltet hat, bildet den Jahreskreis auf eine ganz spezielle Weise ab: Die Zeilen zeigen abwechselnd einen Bezug zur Wahrnehmung oder zum Denken — und dadurch zum Sommer- oder zum Winter-Halbjahr. Lese ich das Mantra in der oben wiedergegebenen Umstellung, das Sommer-Halbjahr mit dem Winter-Halbjahr, die Wahrnehmung mit dem Denken in stetig kleiner werdendem Schwung verbunden, bis die Pendelbewegung in der Mittelzeile zur Ruhe kommt: dem Gedenken an die Geistgeburt. Die Geistgeburt wird von den zum Denken gehörenden Zeilen umrahmt, die äußeren Zeilen (die erste und die letzte des Mantras) beziehen sich auf die Wahrnehmung. Ein denkender Mensch wird durch das Mantra erschaffen, der im Zentrum die Geistgeburt trägt, und der umgeben ist von der Wahrnehmungswelt:
Die Zeilen des Sommer-Halbjahres sind: | Die Zeilen des Winter-Halbjahres sind: |
Ergreifend neue Sinnesreize
Verwirrend sprossend Weltenwerden |
Erfüllet Seelenklarheit
Mit meines Denkens Schöpferwillen |
Eingedenk vollzogener Geistgeburt |
Was ist denn die Geistgeburt, wer oder was wurde geboren — und wann vollzog sich diese Geburt? Das sind die zentralen Fragen, denn erst vor dem Hintergrund dieser Antworten ist ein wirkliches Verständnis der anderen Zeilen möglich. Auf die Frage, was die Geistgeburt ist, was also bereits geboren wurde, sind verschiedene Antworten möglich, die letztlich aber doch einen gemeinsamen Kern haben. Ich will sie nur kurz anreißen, um den Rahmen nicht zu sprengen. Da ist zum einen an die Erschaffung der ewigen Entität jedes Menschen zu denken, an die Monade zum Beginn der ganzen Weltentwicklung. Zum zweiten ist an den Inkarnationsimpuls dieses Lebens zu denken, an den Schritt von der Zeitlosigkeit in eine neue Entwicklung hinein noch bevor es zu einer irdischen Empfängnis kommt. Zum dritten ist an das eigene Selbstverständnis, das Bewusstsein von sich selber zu denken. Für was halte ich mich? Bin ich mein Körper, der geistige Funktionen zeigt — oder bin ich Geist, der einen Körper be-wohnt. Nur wenn ich mich mit meinem Geist und nicht mit meinem Körper identifiziere, kommen die zuerst genannten Aspekte als zunehmende zeitliche Horizonterweiterungen in Betracht. Deshalb ist der entscheidende Moment meine Selbsterkenntnis als Geist. Dies ist meine Geistgeburt. Diese Erkenntnis tritt irgendwann zum ersten Mal auf, im Grunde muss sie aber jeden Augenblick vergegenwärtigt werden.
Das Mantra 38 m, das Weihenachts-Mantra spricht vom Geisteskind im Seelenschoß. Es spricht davon, dass das heilige Weltenwort das Kind gezeugt hat, doch wann es geboren wird, erfahren wir nicht. Weihnachten feiern wir die Tatsache, dass jeder Mensch diese Geistgeburt erleben kann, weil er selber Geist ist. Weihnachten führt uns die Geistgeburt als Urbild vor Augen. Sie konkret selber zu erleben und im Bewusstsein präsent zu halten, ist Aufgabe jedes Menschen.
Der Blick auf die Welt, auf alles, was die Sinne uns vermitteln verändert sich, je nachdem, ob ich den Geist zum Ausgangspunkt nehme oder die Physis. Betrachte ich meine geistigen Fähigkeiten als Ergebnis biochemischer Prozesse im Gehirn und damit als Ergebnis physischer Wirkungen, so ist auch die Außenwelt für mich geistentleert und rein materiell vorhanden. Betrachte ich mich jedoch zu allererst als Geist, öffnet sich dadurch auch die Erkenntnis für die geistigen Ursachen hinter der Wahrnehmungswelt. Dann erscheint die erste, naive Erkenntnis als die große Täuschung. Diese Täuschung über die Welt wurde Maya genannt.
Sobald wir vom Schlaf erwachen sind wir wahrnehmend und denkend tätig — ununterbrochen. Rudolf Steiner nennt dies den zeitlosen Wahrnehmungs- und Gedankenrhythmus. Das Wort Rhythmus suggeriert in diesem Zusammenhang ein hin- und herschwingen zwischen diesen beiden Polen. Die Wahrnehmungswelt kann ich als männliche Welt betrachten, denn sie befruchtet die Seele. Das Denken kann ich als weibliche Kraft betrachten, denn Denken ist ein hervorbringender Innenprozess und dadurch ähnlich der weiblichen Fähigkeit Kinder zu gebären. Was gebiert das Denken also nachdem es durch eine Sinneserfahrung befruchtet wurde? Rudolf Steiner beschreibt die Bildung von Begriffen als einen geistigen Prozess des aktiven Schaffens. Indem wir die gedanklich erschaffenen Ideen-Zusammenhänge sprachlich vermitteln, gebären wir sie in die Welt. Und diese Begriffs-Ideen fallen sehr verschieden aus, je nachdem sie von einem materiellen oder geistigen Weltverständnis befruchtet wurden. Begriffe sind die geistigen Kinder des Menschen, die seinen Geist in sich tragen.
Das Mantra stellt den Prozess der geistigen Leibbildung, der Begriffsbildung vor uns hin: Die Welt ist in einem fortlaufenden, sprossenden Werdeprozess begriffen, der auf die Seele verwirrend wirkt. Die Seele ergreift die Sinneserfahrungen mit ihrer denkend schöpferischen Kraft. Sie fühlt sich aufgerufen, die Sinneserfahrung zu ordnen und zu strukturieren. Dies gelingt ihr, Seelenklarheit entsteht, indem sie sich erinnernd ihrer eigenen Geist-Herkunft bewusst ist — ihrer Geburt aus dem Geist — ihrer Geistgeburt. Das immer wieder neu Geschaffene ist der Begriff, der all das verkörpert, was an selbständig nachgeschaffener Erkenntnis der Seele möglich war, angeregt durch konkrete Wahrnehmungen.
Als Beispiel eines solchen Begriffes mögen die Ausführungen zur Osterscholle oben gelten. Im Zusammenhang mit der sechsten Kulturepoche, die erst 3573 beginnen soll, beschreibt Rudolf Steiner die Geisteshaltung der slawischen Völker. Hier wird das, was geboren wird, das Segenskind genannt — und tatsächlich mit dem Frühling verbunden, der Zeit der Osterscholle. Rudolf Steiner sagt: “Wir haben da zunächst ein deutliches Bewußtsein von einer Welt des kosmischen Vaters. Alles dasjenige, was in Luft und Feuer, was überhaupt in den Elementen, die in und über der Erde sich finden, schöpferisch tätig ist, das tritt uns wie in einem großen, umfassenden Gesamtbegriffe, der zugleich Gesamtempfindung ist, entgegen als der Begriff des Himmelsvaters. So wie wir uns etwa die Welt des Devachan unsere Erde befruchtend denken, so tritt uns diese Himmelswelt, diese väterliche Welt, von Osten her entgegen, und sie befruchtet dasjenige, was als Mütterliches empfunden wird, den Geist der Erde. Wir haben keinen anderen Ausdruck und kein anderes Mittel, als den gesamten Geist der Erde unter dem Bilde des Befruchtetwerdens des mütterlichen Erdenwesens uns zu denken. Da stehen sich dann zwei Welten gegenüber, nicht einzelne, individuelle Götterfiguren [wie in der germanischen Mythologie]. Und als eine dritte Welt steht jenen zwei Welten dasjenige gegenüber, was man als das Segenskind der beiden empfindet. Das ist nicht ein individuelles Wesen, nicht eine Empfindung der Seele, sondern etwas, was das Erzeugnis des Himmelsvaters und der Erdenmutter ist. So wird, aus der geistigen Welt heraus, das Verhältnis von Devachan zur Erde empfunden. Was da entsteht als der Segner, als der Frühling und als das, was da sprießt und sproßt im materiellen Leibe, das wird durchaus als Geistiges empfunden, und was da sproßt und sprießt in der Seele, das wird empfunden als die Welt, die zugleich empfunden wird als Segenskind vom Himmelsvater und der irdischen Mutter.” (GA 121, 10. Vortrag 16. 6. 1910, S. 173, Hervorhebungen A.F.)
Den Himmelsvater kann ich entsprechend dem obigen Zitat im Sommer-Halbjahr, in der die Seele befruchtenden Wahrnehmung erblicken; die Erdenmutter entsprechend im Winter-Halbjahr, im Denken und das Segenskind in der Osterscholle. Sie hat Anteil am Winter- und Sommer-Halbjahr. Sie ist sozusagen das Ergebnis, das Kind der beiden Grundkräfte von Wahrnehmung und Denken. Diese Grundkräfte, die wir im Jahreslauf in der Zeit durchgehen, verwirklichen sich im Wahrnehmungs- und Gedankenrhythmus des Menschen außerhalb der Zeit. Doch auch dieser Rhythmus bringt mit jeder Vollendung eine “Osterscholle”, ein Segenskind hervor. Das Segenskind ist das Bild für die vom Menschen geborenen Begriffe aus dem Wechselspiel von Wahrnehmung und Denken.