44 s

Ergreifend neue Sinnesreize

Erfül­let Seelenklarheit,

Einge­denk vol­l­zo­gen­er Geistgeburt,

Ver­wirrend sprossend Weltenwerden

Mit meines Denkens Schöpferwillen.

Der Schöpferwillen des Geistes

Rudolf Stein­er beschreibt, wie der Begriff eine Schöp­fung des Men­schen ist. Da es in diesem Mantra um den Schöpfer­willen des eige­nen Denkens geht, möchte ich vorauss­chick­en, was Rudolf Stein­er über den Prozess der Begriffs­bil­dung sagt. Um einen Begriff zu bilden, müssen im Men­schen Wahrnehmung und Denken zusam­men­wirken. Ger­ade diese bei­den Kom­po­nen­ten verbindet Rudolf Stein­er mit den Jahreshälften, die Wahrnehmung mit dem Som­mer-Hal­b­jahr, das Denken mit dem Win­ter-Hal­b­jahr: “So wird bei ihm [dem Men­schen] zum Rhyth­mus von Außen- und Innen­leben, was in der Natur in der Zeit­en Wech­selfolge als Som­mer und Win­ter sich darstellt. Es kön­nen ihm große Geheimnisse des Daseins aufge­hen, wenn er seinen zeit­losen Wahrnehmungs- und Gedanken­rhyth­mus in entsprechen­der Weise zum Zeit­en­rhyth­mus der Natur in Beziehung bringt. So wird das Jahr zum Urbilde men­schlich­er See­len­tätigkeit und damit zu ein­er frucht­baren Quelle echter Selb­sterken­nt­nis.” (Vor­wort zur ersten Aus­gabe des See­lenkalen­ders 1912) Durch diesen zeit­losen Wahrnehmungs- und Gedanken­rhyth­mus ist der Men­sch fähig, Begriffe zu bilden. Um Rudolf Stein­ers Gedanken-Hor­i­zont zu diesem The­ma aufzuzeigen, fol­gen hier einige Zitate:

„Unter Begriff ver­ste­he ich eine Regel, nach welch­er die zusam­men­hanglosen Ele­mente der Wahrnehmung zu ein­er Ein­heit ver­bun­den wer­den.“ (Lit.: GA 3, S. 60)

„Begriffe wer­den also nicht durch Wahrnehmung gewon­nen. Das ist ein Vorurteil, das heute sehr ver­bre­it­et ist. Begriffe wer­den gewon­nen durch inner­liche Kon­struk­tion. Der Begriff ist sozusagen das­jenige, wozu der Men­sch kommt, ger­ade wenn er absieht von aller äußeren, sinnlichen Wirk­lichkeit. Und nun kann er zusam­men­wirken lassen, was er inner­lich kon­stru­iert hat, mit dem, was sich ihm äußer­lich als sinnliche Wirk­lichkeit darstellt.“ (Lit.: GA 108, S. 239)

“Zu einem Begriff des Dreiecks kommt man nur, wenn man sich inner­lich kon­stru­iert die Fig­ur dreier sich schnei­den­der Lin­ien. Mit diesem inner­lich kon­stru­ierten Begriff treten wir an das äußere Dreieck her­an und find­en es dann mit dem inner­lich kon­stru­ierten Bilde har­monierend. … Goethe hat die Begriffe «Urpflanze», «Urtier» durch inneres Kon­stru­ieren geschaf­fen; … Die Urpflanze und das Urtier sind solche inner­liche Geis­teskon­struk­tio­nen. … Erst wenn man durch inner­liche Kon­struk­tion sich den Begriff des Pfer­des, der Pflanze, des Dreiecks und so weit­er auf­bauen kann, und wenn dies sich mit der äußeren Wahrnehmung deckt, erst dann kommt man zum Begriff ein­er Sache.“ (Lit.: GA 108, S. 200f.)

„Durch das Denken entste­hen Begriffe und Ideen. Was ein Begriff ist, kann nicht mit Worten gesagt wer­den. Worte kön­nen nur den Men­schen darauf aufmerk­sam machen, dass er Begriffe habe. Wenn jemand einen Baum sieht, so reagiert sein Denken auf seine Beobach­tung; zu dem Gegen­stande tritt ein ideelles Gegen­stück hinzu, und er betra­chtet den Gegen­stand und das ideelle Gegen­stück als zusam­menge­hörig. Wenn der Gegen­stand aus seinem Beobach­tungs­felde ver­schwindet, so bleibt nur das ideelle Gegen­stück davon zurück. Das let­ztere ist der Begriff des Gegen­standes. Je mehr sich unsere Erfahrung erweit­ert, desto größer wird die Summe unser­er Begriffe. Die Begriffe ste­hen aber dur­chaus nicht vere­inzelt da. Sie schließen sich zu einem geset­zmäßi­gen Ganzen zusam­men. Der Begriff «Organ­is­mus» schließt sich zum Beispiel an die andern: «geset­zmäßige Entwick­lung, Wach­s­tum» an. Andere an Einzeldin­gen gebildete Begriffe fall­en völ­lig in eins zusam­men. Alle Begriffe, die ich mir von Löwen bilde, fall­en in den Gesamt­be­griff «Löwe» zusam­men. Auf diese Weise verbinden sich die einzel­nen Begriffe zu einem geschlosse­nen Begriff­ssys­tem, in dem jed­er seine beson­dere Stelle hat. Ideen sind qual­i­ta­tiv von Begrif­f­en nicht ver­schieden. Sie sind nur inhaltsvollere, gesät­tigtere und umfan­gre­ichere Begriffe. … Der Begriff kann nicht aus der Beobach­tung gewon­nen wer­den. Das geht schon aus dem Umstande her­vor, dass der her­anwach­sende Men­sch sich langsam und allmäh­lich erst die Begriffe zu den Gegen­stän­den bildet, die ihn umgeben. Die Begriffe wer­den zu der Beobach­tung hinzuge­fügt.“ (Lit.: GA 4, S. 57)

Außer­dem führt Rudolf Stein­er aus, dass zur Zeit der griechis­chen Philosophen Wort und Begriff weit weniger unter­schieden wer­den kon­nten, als das heute der Fall ist. Denken war ein inneres Sprechen, weshalb die göt­tliche Schöpfer­tätigkeit ana­log als der Logos, das Wort beze­ich­net wurde. Die Gen­e­sis beschreibt dieses sprechende Erschaf­fen mit den Worten: “Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.” (1. Mose 1,3) Der zuerst geistig vorhan­dene Sinnzusam­men­hang, die Idee, ver­wirk­licht und erschafft die Welt. Diese Welt ent-spricht deshalb dem Wort Gottes, sein­er Schöpfer­tätigkeit im Geist. Heute, so sagt Rudolf Stein­er, sind Wort und Begriff nicht mehr so fest miteinan­der ver­bun­den. Zwar wird ein Begriff, den sich ein Men­sch bildet, auch durch Worte ver­mit­telt, doch entspricht der inneren Repräsen­tanz des Begriffes, der Idee, eher ein selb­st geschaf­fenes inneres Bild, eine Imagination.

Die Osterscholle — der Mond im Jahr

Ostern ist ein beweglich­es Fest. Ostern ist immer der Son­ntag nach dem ersten Voll­mond nach der Tag-und-Nacht­gle­iche. Dadurch kann Ostern in einem Zeitraum von etwa fünf Wochen wan­dern. Das früh­este Oster­da­tum ist der 22. März, das späteste der 25. April. Dadurch vari­iert die Anzahl der Wochen von einem Oster­fest bis zum anderen von Jahr zu Jahr. Wir haben es im Grunde mit zwei Jahreskreisen zu tun: Zum einen mit dem Kalen­der­jahr, von dem wir gewohnt sind, dass es immer 52 Wochen lang ist und am 1. Jan­u­ar startet. Und zum anderen mit dem “See­lenkalen­der-Jahr”, das eine vari­able Länge hat, indem es vom Oster­son­ntag des einen Jahres bis zum Karsam­stag des näch­sten Jahres geht. Und diese Länge vari­iert unter Umstän­den erhe­blich! Zu diesem “See­lenkalen­der-Jahr” gehört die feste Anzahl von 52 Mantren. Und dadurch entste­ht für die Zuord­nung der Mantren zu den Wochen ein Problem.

Rudolf Stein­er hat aus­drück­lich gesagt, dass immer am Oster­son­ntag mit dem Mantra 1 A begonnen wer­den soll. Die Mantren sind also an das von Ostern bes­timmte, vari­able Jahr gebun­den. Ihre Anzahl ist fest, die Jahres­länge aber nicht. Damit muss auf die eine oder andere Art umge­gan­gen wer­den. Wenn das let­zte Mantra (52 z) im See­lenkalen­der-Jahr in der Kar­woche liegen soll, muss (meis­tens) am Beginn der Osterzeit angepasst wer­den. Im Jahr 2023 waren es nach der Woche 43 r noch zehn Wochen bis zur Kar­woche,- es waren aber nur noch neun Mantren übrig (44 s – 52 z). Das bedeutet, dass ein Mantra über zwei Wochen gestreckt wer­den musste. Im Jahr 2024 tritt das umgekehrte Prob­lem auf: es gibt mehr Mantren als Wochen vor Ostern. Deshalb müssen zwei Mantren in eine Woche genom­men werden.

Wann find­et diese Anpas­sung in sin­nvoller Weise statt? Ich sage, zu Beginn der Osterzeit — doch wann begin­nt diese? Nach Ostern ist es offen­sichtlich, dass sich der Ostere­in­fluss auch auf die nach­fol­gen­den Feste auswirkt. Das Datum für Him­melfahrt, Pfin­g­sten und Fron­le­ich­nam wird durch seinen Abstand zum Oster­fest bes­timmt. Danach endet diese Oster-Abhängigkeit. Fron­le­ich­nam liegt in der neun­ten Woche nach Ostern, mithin sind es nach Ostern neun Wochen, die als Osterzeit im weit­eren Sinne zu gel­ten haben.

Bei den Wochen vor Ostern erscheint mit Ascher­mittwoch zum ersten Mal der Ostern-Ein­fluss. Ascher­mittwoch ist per Def­i­n­i­tion in der siebten Woche vor Ostern (Mantra 46 u). Ich glaube aber, dass die Osterzeit nicht erst hier begin­nt, son­dern sich zunächst unsicht­bar vor­bere­it­et. Ich glaube, dass Ostern nicht nur neun Wochen nach­wirkt, son­dern sich auch neun Wochen vor­bere­it­et. Dann umfasst die von Ostern beherrschte Zeit 18 Wochen – etwa ein Drit­tel der ins­ge­samt 52 Wochen des Jahres. Als Osterzeit betra­chte ich also vor Ostern die Mantren 44 s bis 52 z und nach Ostern die Mantren 1 A bis 9 I (9 großes i).

Ich benutze für diese zweimal neun Wochen, die die Osterzeit aus­machen, das Bild der Oster“scholle”. Ich denke dabei an eine Eiss­cholle, die auf dem Wass­er treibt. Die Eiss­cholle beste­ht auch aus Wass­er, doch sind ihre Bestandteile fest miteinan­der ver­bun­den. So sind auch die zu Ostern gehören­den Wochen miteinan­der ver­bun­den und bewe­gen sich gemein­sam vor dem Hin­ter­grund der Datumswochen, die nur von der Sonne bes­timmt wer­den. Wie ein Pen­del kann die Osterzeit mal mehr in das Som­mer-Hal­b­jahr schwin­gen, mal mehr in das Win­ter-Hal­b­jahr. Ich kann den Impuls, der durch das Oster­fest im Jahr geset­zt wird wie einen “Strö­mungspilz” anschauen, der sich sym­metrisch ent­fal­tet. Jedes Jahr empfängt dadurch solch einen indi­vid­u­al­isieren­den, ver­lebendi­gen­den Impuls. Es ist, als ob der Oster­im­puls ein Herz­schlag der Erde wäre.

Die Oster­scholle im Jahreskreis als Strö­mungsim­puls bzw. als Mond

Schaue ich mir diese Wochen im Jahreskreis an, erin­nern sie an eine Mond­sichel. Diese Osterzeit-Mond­sichel hat eine gewisse Selb­ständigkeit gegenüber dem fix­en Datums-Son­nen­jahr, das natür­lich im Hin­ter­grund immer weit­er­läuft. Doch anders als im restlichen Jahr sind die Wochen — und damit die Mantren — der Osterzeit fest mit ein­er Mond­phase ver­bun­den. Ostern hängt ja vom Mond, vom Voll­mond ab, und der Oster­voll­mond ist immer in der Woche 52 z. Dadurch ist auch für jede andere Woche der Osterzeit die Mond­phase festgelegt.

Von der Woche 43 r zur Woche 44 s wech­seln wir also vom Son­nen­bere­ich in den Mond­bere­ich des Jahres. Dafür müssen wir in manchen Jahren einen län­geren, in anderen einen kürz­eren Sprung machen.

Lichtmess, Imbolc und der Beginn des Neuen

Am 2. Feb­ru­ar feiern wir Lichtmess. Meist liegt dieses Datum in der Woche, die auf die Woche 43 r fol­gt — also in der Woche 44 s, wenn die Oster­scholle unberück­sichtigt bleibt. Zu Lichtmess endet die Epipha­ni­aszeit (Epiphanie, Erschei­n­ung des Her­rn), die Dreikönigszeit, die noch mit dem Wei­h­nachts­fest ver­bun­den ist. Nun wird der Wei­h­nachtss­chmuck endgültig weg­geräumt, die Krip­pen in den Kirchen geschlossen. Früher begann zu diesem Ter­min das neue Bauern­jahr und damit ein neues Dien­stver­hält­nis für die Knechte und Mägde. Die Arbeit auf dem Feld wurde nun, wenn die kli­ma­tis­chen Ver­hält­nisse es zuließen, wieder aufgenommen.

Lichtmess ist der 40. Tag nach Wei­h­nacht­en. Nach jüdis­ch­er Tra­di­tion wurde der erst­ge­borene Sohn als Eigen­tum Gottes ange­se­hen und musste nach 40 Tagen im Tem­pel vorgestellt, den Priestern übergeben und durch ein Gel­dopfer aus­gelöst wer­den. Davon erzählt die Darstel­lung im Tem­pel (Lk 2,21 EU). Eine Frau galt nach dem Gesetz des Mose nach der Geburt als unrein. Hat­te sie einen Sohn geboren, musste sie nach 40 Tagen ein Reini­gung­sopfer dar­brin­gen. Nach­dem die Geburt Jesu auf die Nacht vom 24. zum 25. Dezem­ber fest­gelegt wor­den war, wurde der 2. Feb­ru­ar zu diesem Fest­tag. Deshalb heißt dieser Tag auch “Darstel­lung des Her­rn” und “Mar­iä Reini­gung”, “Mar­iä Lichtmess” oder “Unsr­er Lieben Frauen Lichtweih”.

Aus Irland ist unge­fähr zu diesem Datum das Imbolc-Fest über­liefert. Der Name Imbolc stammt vom altirischen < imb-folc („Run­dum-Waschung“) und kennze­ich­net es als ein Reini­gungs­fest. Oimelc ist eine andere Beze­ich­nung und bedeutet das erste Milchgeben der Schafe im Früh­jahr. Es ist der Tag der heili­gen Brigid. Die Leg­ende von der Heili­gen Brigid verbindet die Druiden­weisheit mit dem auf Irland von Rom zunächst unab­hängi­gen Chris­ten­tum. „In diesem Licht sah man die Gestalt der Heili­gen Brigid, die man auch die <Maria der Gälen> oder die <Prophetin Christi> nan­nte. Sie wurde von Leg­en­den umwoben, die ihre Erschei­n­ung über alle anderen irischen Heili­gen hin­aushob. Es wird erzählt, dass sie das Jesus-Kind von Beth­le­hem in ihren Man­tel gehüllt hat­te. Traum und Wirk­lichkeit, heißt es, ver­ban­den sich für sie bei diesem Erleb­nis, das in dem Bild von <Brigid mit dem Man­tel> weit­er­lebt. Das Bild ver­mis­cht sich eige­nar­tig mit der Gestalt der keltischen Göt­tin Brig­it, die ihren Man­tel mit reini­gen­dem Feuer auf die Erde warf. Auch das dieser Mut­tergöt­tin zu Ehren gefeierte Fest am 1. Feb­ru­ar ging in der vorchristlich-christlichen Meta­mor­phose auf die Heilige Brigid über. Der Man­tel wiederum erweckt die Erin­nerung der Him­mel­sköni­gin Maria mit ihrem Ster­nen­man­tel. So war auch das Chris­tus-Ereig­nis der Brigid kos­misch durch­drun­gen, von der es hieß, dass sie den <König der Ele­mente> an ihrer Brust barg“ (Brandt-Förster, Das irische Hochkreuz, 1978, S. 21).

In Tibet, Chi­na und kul­turell ver­wandten Län­dern, feiert man unge­fähr um diese Zeit (aber zu unter­schiedlichen Dat­en) Neu­jahr. Im I Ging, dem ältesten chi­ne­sis­chen Weisheits­buch heißt es, dass im Früh­ling der Drache aus der Erde auf­steigt, dargestellt im Tri­gramm des Don­ners. Ins­ge­samt gibt es acht Tri­gramme, da es acht Kom­bi­na­tion­s­möglichkeit­en dreier übere­inan­der gelagert­er Striche gibt, die entwed­er unter­brochen sind (weib­lich) oder durchge­hend (männlich).

Aus allen Tra­di­tio­nen spricht sehr deut­lich das ganz Neue, Reine, Lichte, feurig Machtvolle, das nun begin­nt. Obwohl das Lichtmess-Datum noch nicht an das kom­mende Oster­fest gebun­den ist, ver­mit­telt dieses Fest die neue Licht-Qual­ität, die mit der nun begin­nen­den Zeit zusam­men­hängt — und das Bild des Strö­mungsim­puls­es wiederum wirft ein neues Licht auf die mit dem Fest ver­bun­de­nen Reini­gungsriten. Auch die “Erschei­n­ung des Her­rn” — die Epiphanie ‑erhält eine weit­erge­hende Bedeu­tung, wenn sie als Auf­takt der Vor-Osterzeit gese­hen wird. Dadurch wird der an Lichtmess 40 Tage alte Jesus mit der Erschei­n­ung des Aufer­stande­nen am Oster­son­ntag verbunden.

Die Osterscholle und die Zeit des Lebens im physischen Leib

In den Mantren nach der Win­ter­schwelle (39 n) kon­nte ver­fol­gt wer­den, wie sich das Neue vor­bere­it­et. Die Eigen­heit wurde ini­ti­iert im Mantra 40 o, die Schaf­fens­macht strebte im Mantra 41 p aus dem Herzens­grunde, die Offen­barung eign­er Kraft war The­ma des Mantras 42 q und im Mantra 43 r schließlich erhielt der Wel­tenschein Daseins­macht, das See­len­feuer bran­nte. Alle diese Mantren beschrieben Stufen der Vor­bere­itung der Inkar­na­tion. Nun begin­nt die Oster­scholle und damit etwas ganz Neues, Indi­vidu­elles, das mit der Osterzeit auch wieder endet, verge­ht. Die Wochen der Oster­scholle sind fest miteinan­der ver­bun­den, und doch beweglich. So ist auch unsere Organ­i­sa­tion mit den einzel­nen Wesens­gliedern während des Lebens auf geset­zmäßige Weise miteinan­der ver­bun­den und gle­ichzeit­ig kön­nen wir uns motorisch von einem Ort zum anderen bewegen.

Für mich gibt es zu dieser Osterzeit seit vie­len Jahren eine Arbeit­shy­pothese, die sich immer wieder als frucht­bar erwies. Sie besagt, dass sich in der auf Ostern hin­führen­den Zeit die Stufen der Leib­bil­dung der Schwanger­schaft abbilden, in der Zeit nach Ostern die Stufen des Lebens im Leib bis zum Tod.

Rudolf Stein­er beschreibt für die ersten drei Monate im Jahr, für die Zeit, die im See­lenkalen­der Win­ter genan­nt wird, eine über­raschende Beziehung des Inkar­na­tionsvor­ganges mit dem Jahres­lauf. „Aber er [der Men­sch] ist noch in ein­er andern Weise hineingestellt in diesen Wel­tengang. Es ist nun schon ein­mal so, daß der Men­sch, wenn er hier auf Erden ste­ht, von sein­er Haut umgren­zt, von seinen Orga­nen durch­drun­gen, dann sich schon etwas isoliert vorkommt im Kos­mos, weil die Zusam­men­hänge, wie ich sie geschildert habe, eben eigentlich geheimnisvolle sind. Aber so ist es nicht, wenn der Men­sch geistig-seel­isch ist, zum Beispiel im vorirdis­chen Dasein. Da webt ja zwis­chen dem Tode und ein­er neuen Geburt das Geistig-Seel­is­che im geisti­gen Gebi­ete, in der geisti­gen Sphäre. Da schaut dieses Seel­is­che gewis­ser­maßen herab, nun nicht auf einen einzel­nen Men­schenkör­p­er zunächst, den wählt es sich dann im Laufe der Zeit, aber es schaut herab auf die ganze Erde, ja auf die Erde im Zusam­men­hang mit dem ganzen plan­e­tarischen Sys­tem, mit all diesem Leben und Weben von Raphael, Uriel, Gabriel, Michael. Da ist man außer­halb, schaut es sich von außer­halb an. Und da öffnet sich das Tor für den Ein­tritt der See­len, die vom vorirdis­chen Leben ins irdis­che Leben kehren, nur während der Zeit, während welch­er von Ende Dezem­ber an bis zum Früh­lings­be­ginn Gabriel oben webt als kos­mis­ch­er Erzen­gel, unten an der Seite des Men­schen Uriel, in das men­schliche Haupt hinein­tra­gend die kos­mis­chen Kräfte. Während dieser drei Monate kom­men die See­len, die das ganze Jahr verkör­pert wer­den, alljährlich vom Kos­mos zur Erde nieder. Dann bleiben sie und warten, bis sich ihnen die Gele­gen­heit bietet in der plan­e­tarisch-irdis­chen Sphäre; auch diejeni­gen See­len, die meinetwillen im Okto­ber geboren wer­den, haben schon inner­halb der irdis­chen Sphäre gewartet auf ihre Geburt. Und es hängt im Grunde genom­men viel davon ab, ob eine Seele, nach­dem sie schon in die Erden­sphäre einge­treten ist, schon berührt wor­den ist davon, noch warten muß inner­halb der Erden­sphäre auf ihre irdis­che Verkör­pe­rung. Bei der einen Seele ist es länger, bei der andern kürz­er der Fall. Aber das ist noch das beson­dere Geheim­nis, daß eben­so, wie zum Beispiel in das Ei nur an ein­er Stelle der befruch­t­ende Samen ein­dringt, so der Him­melssamen in das ganze Jahreswe­sen der Erde nur ein­dringt, wenn oben wal­tet Gabriel als kos­mis­ch­er Engel mit dem milden, lieben­den Blick, mit der seg­nen­den Gebärde, unten Uriel ist mit dem urteilen­den Blick und der mah­nen­den Gebärde. Da ist die Zeit, wo die Erde von See­len befruchtet wird. Das ist die Zeit, wenn die Erde Schnee­hülle hat, wenn die Erde in ihre Kristalli­sa­tion­skräfte überge­ht, wenn der Men­sch mit der Erde als dem denk­enden irdis­chen Wel­tenkör­p­er ver­bun­den sein kann: dann ziehen die See­len aus dem Kos­mos in die Erden­sphäre ein, ver­sam­meln sich gewis­ser­maßen. Das ist die jährliche Befruch­tung des irdis­chen Jahres­laufwe­sens.“ (GA 229, S. 83ff., Vor­trag 13.10.1923, Her­vorhe­bun­gen A.F.)

Ich nenne das Mantra 44 s, den Beginn der Oster­scholle, den Ein­tritt der Indi­vid­u­al­ität in die Erd­sphäre. Laut Rudolf Stein­er lenkt die Indi­vid­u­al­ität zunächst die Ver­wandtschaftsströme, um über mehrere Gen­er­a­tio­nen hin­weg die zukün­ftige eigene Leib­lichkeit vorzubereiten.

Direkt mit dem Lichtmess-Fest ver­bun­den kann das fol­gende Zitat von Rudolf Stein­er emp­fun­den wer­den: „Wie [der] Äther­leib auf den Bah­nen des Licht­es herun­terzieht, wenn diese Bah­nen des Licht­es durch die Ster­nenkon­stel­la­tion in ein­er gewis­sen Weise gelenkt wer­den …“ (GA 171, S. 206ff.).

Was ist im Mantra 44 s los?

Der Satzbau des Mantra 44 s ist unklar, ver­wirrend und für den Ver­stand nicht begreif­bar. Die gram­ma­tis­chen Teile passen nicht zusam­men, ihr Auf­bau ist unl­o­gisch. Die Zeilen gle­ichen eher losen Fäden, sollen nach der Zeichenset­zung aber einen gemein­samen Satz ergeben. Die gram­ma­tis­che Verzah­nung passt so nicht. Das ändert sich, wenn die Zeilen umgestellt wer­den. Dann entste­ht vom gram­ma­tis­chen Ver­ständ­nis her ein ganz vernün­ftiger Satz. Das Umstellen der Zeilen geschieht dabei nach einem bes­timmten Muster, ein­er Pen­del­be­we­gung um die mit­tlere Zeile. Links ist das ursprüngliche Mantra aufge­führt, rechts das umgestellte, sodass ein gram­ma­tisch stim­miger Satz entsteht:

Mantra 44 s von Rudolf Steiner: Zeilen umgestellt, Satzze­ichen angepasst:
Ergreifend neue Sinnesreize

Erfül­let Seelenklarheit,

Einge­denk vol­l­zo­gen­er Geistgeburt,

Ver­wirrend sprossend Weltenwerden

Mit meines Denkens Schöpferwillen.

Ergreifend neue Sinnesreize

Mit meines Denkens Schöpferwillen,

Erfül­let Seelenklarheit

Ver­wirrend sprossend Weltenwerden -

Einge­denk vol­l­zo­gen­er Geistgeburt.

Warum macht Rudolf Stein­er das? Welche zusät­zliche Botschaft liegt in diesem Hin- und Her­schwin­gen? Ich habe den Ein­druck, das Mantra, so wie Rudolf Stein­er es gestal­tet hat, bildet den Jahreskreis auf eine ganz spezielle Weise ab: Die Zeilen zeigen abwech­sel­nd einen Bezug zur Wahrnehmung oder zum Denken — und dadurch zum Som­mer- oder zum Win­ter-Hal­b­jahr. Lese ich das Mantra in der oben wiedergegebe­nen Umstel­lung, das Som­mer-Hal­b­jahr mit dem Win­ter-Hal­b­jahr, die Wahrnehmung mit dem Denken in stetig klein­er wer­den­dem Schwung ver­bun­den, bis die Pen­del­be­we­gung in der Mit­telzeile zur Ruhe kommt: dem Gedenken an die Geist­ge­burt. Die Geist­ge­burt wird von den zum Denken gehören­den Zeilen umrahmt, die äußeren Zeilen (die erste und die let­zte des Mantras) beziehen sich auf die Wahrnehmung. Ein denk­ender Men­sch wird durch das Mantra erschaf­fen, der im Zen­trum die Geist­ge­burt trägt, und der umgeben ist von der Wahrnehmungswelt:

Die Zeilen des Som­mer-Hal­b­jahres sind: Die Zeilen des Win­ter-Hal­b­jahres sind:
Ergreifend neue Sinnesreize

Ver­wirrend sprossend Weltenwerden

Erfül­let Seelenklarheit

Mit meines Denkens Schöpferwillen

Einge­denk vol­l­zo­gen­er Geistgeburt

Was ist denn die Geist­ge­burt, wer oder was wurde geboren — und wann vol­l­zog sich diese Geburt? Das sind die zen­tralen Fra­gen, denn erst vor dem Hin­ter­grund dieser Antworten ist ein wirk­lich­es Ver­ständ­nis der anderen Zeilen möglich. Auf die Frage, was die Geist­ge­burt ist, was also bere­its geboren wurde, sind ver­schiedene Antworten möglich, die let­ztlich aber doch einen gemein­samen Kern haben. Ich will sie nur kurz anreißen, um den Rah­men nicht zu spren­gen. Da ist zum einen an die Erschaf­fung der ewigen Entität jedes Men­schen zu denken, an die Mon­ade zum Beginn der ganzen Wel­tentwick­lung. Zum zweit­en ist an den Inkar­na­tion­sim­puls dieses Lebens zu denken, an den Schritt von der Zeit­losigkeit in eine neue Entwick­lung hinein noch bevor es zu ein­er irdis­chen Empfäng­nis kommt. Zum drit­ten ist an das eigene Selb­stver­ständ­nis, das Bewusst­sein von sich sel­ber zu denken. Für was halte ich mich? Bin ich mein Kör­p­er, der geistige Funk­tio­nen zeigt — oder bin ich Geist, der einen Kör­p­er be-wohnt. Nur wenn ich mich mit meinem Geist und nicht mit meinem Kör­p­er iden­ti­fiziere, kom­men die zuerst genan­nten Aspek­te als zunehmende zeitliche Hor­i­zon­ter­weiterun­gen in Betra­cht. Deshalb ist der entschei­dende Moment meine Selb­sterken­nt­nis als Geist. Dies ist meine Geist­ge­burt. Diese Erken­nt­nis tritt irgend­wann zum ersten Mal auf, im Grunde muss sie aber jeden Augen­blick verge­gen­wär­tigt werden.

Das Mantra 38 m, das Wei­henachts-Mantra spricht vom Geis­te­skind im See­len­schoß. Es spricht davon, dass das heilige Wel­tenwort das Kind gezeugt hat, doch wann es geboren wird, erfahren wir nicht. Wei­h­nacht­en feiern wir die Tat­sache, dass jed­er Men­sch diese Geist­ge­burt erleben kann, weil er sel­ber Geist ist. Wei­h­nacht­en führt uns die Geist­ge­burt als Urbild vor Augen. Sie konkret sel­ber zu erleben und im Bewusst­sein präsent zu hal­ten, ist Auf­gabe jedes Menschen.

Der Blick auf die Welt, auf alles, was die Sinne uns ver­mit­teln verän­dert sich, je nach­dem, ob ich den Geist zum Aus­gangspunkt nehme oder die Physis. Betra­chte ich meine geisti­gen Fähigkeit­en als Ergeb­nis bio­chemis­ch­er Prozesse im Gehirn und damit als Ergeb­nis physis­ch­er Wirkun­gen, so ist auch die Außen­welt für mich geis­tentleert und rein materiell vorhan­den. Betra­chte ich mich jedoch zu allererst als Geist, öffnet sich dadurch auch die Erken­nt­nis für die geisti­gen Ursachen hin­ter der Wahrnehmungswelt. Dann erscheint die erste, naive Erken­nt­nis als die große Täuschung. Diese Täuschung über die Welt wurde Maya genannt.

Sobald wir vom Schlaf erwachen sind wir wahrnehmend und denk­end tätig — unun­ter­brochen. Rudolf Stein­er nen­nt dies den zeit­losen Wahrnehmungs- und Gedanken­rhyth­mus. Das Wort Rhyth­mus sug­geriert in diesem Zusam­men­hang ein hin- und her­schwin­gen zwis­chen diesen bei­den Polen. Die Wahrnehmungswelt kann ich als männliche Welt betra­cht­en, denn sie befruchtet die Seele. Das Denken kann ich als weib­liche Kraft betra­cht­en, denn Denken ist ein her­vor­brin­gen­der Innen­prozess und dadurch ähn­lich der weib­lichen Fähigkeit Kinder zu gebären. Was gebiert das Denken also nach­dem es durch eine Sin­neser­fahrung befruchtet wurde? Rudolf Stein­er beschreibt die Bil­dung von Begrif­f­en als einen geisti­gen Prozess des aktiv­en Schaf­fens. Indem wir die gedanklich erschaf­fe­nen Ideen-Zusam­men­hänge sprach­lich ver­mit­teln, gebären wir sie in die Welt. Und diese Begriffs-Ideen fall­en sehr ver­schieden aus, je nach­dem sie von einem materiellen oder geisti­gen Weltver­ständ­nis befruchtet wur­den. Begriffe sind die geisti­gen Kinder des Men­schen, die seinen Geist in sich tragen.

Das Mantra stellt den Prozess der geisti­gen Leib­bil­dung, der Begriffs­bil­dung vor uns hin: Die Welt ist in einem fort­laufend­en, sprossenden Werde­prozess begrif­f­en, der auf die Seele ver­wirrend wirkt. Die Seele ergreift die Sin­neser­fahrun­gen mit ihrer denk­end schöpferischen Kraft. Sie fühlt sich aufgerufen, die Sin­neser­fahrung zu ord­nen und zu struk­turi­eren. Dies gelingt ihr, See­len­klarheit entste­ht, indem sie sich erin­nernd ihrer eige­nen Geist-Herkun­ft bewusst ist — ihrer Geburt aus dem Geist — ihrer Geist­ge­burt. Das immer wieder neu Geschaf­fene ist der Begriff, der all das verkör­pert, was an selb­ständig nachgeschaf­fen­er Erken­nt­nis der Seele möglich war, angeregt durch konkrete Wahrnehmungen.

Als Beispiel eines solchen Begriffes mögen die Aus­führun­gen zur Oster­scholle oben gel­ten. Im Zusam­men­hang mit der sech­sten Kul­ture­poche, die erst 3573 begin­nen soll, beschreibt Rudolf Stein­er die Geis­te­shal­tung der slaw­is­chen Völk­er. Hier wird das, was geboren wird, das Segen­skind genan­nt — und tat­säch­lich mit dem Früh­ling ver­bun­den, der Zeit der Oster­scholle. Rudolf Stein­er sagt: “Wir haben da zunächst ein deut­lich­es Bewußt­sein von ein­er Welt des kos­mis­chen Vaters. Alles das­jenige, was in Luft und Feuer, was über­haupt in den Ele­menten, die in und über der Erde sich find­en, schöpferisch tätig ist, das tritt uns wie in einem großen, umfassenden Gesamt­be­griffe, der zugle­ich Gesamtempfind­ung ist, ent­ge­gen als der Begriff des Him­mels­vaters. So wie wir uns etwa die Welt des Devachan unsere Erde befruch­t­end denken, so tritt uns diese Him­mel­swelt, diese väter­liche Welt, von Osten her ent­ge­gen, und sie befruchtet das­jenige, was als Müt­ter­lich­es emp­fun­den wird, den Geist der Erde. Wir haben keinen anderen Aus­druck und kein anderes Mit­tel, als den gesamten Geist der Erde unter dem Bilde des Befruchtetwer­dens des müt­ter­lichen Erden­we­sens uns zu denken. Da ste­hen sich dann zwei Wel­ten gegenüber, nicht einzelne, indi­vidu­elle Göt­ter­fig­uren [wie in der ger­man­is­chen Mytholo­gie]. Und als eine dritte Welt ste­ht jenen zwei Wel­ten das­jenige gegenüber, was man als das Segen­skind der bei­den empfind­et. Das ist nicht ein indi­vidu­elles Wesen, nicht eine Empfind­ung der Seele, son­dern etwas, was das Erzeug­nis des Him­mels­vaters und der Erden­mut­ter ist. So wird, aus der geisti­gen Welt her­aus, das Ver­hält­nis von Devachan zur Erde emp­fun­den. Was da entste­ht als der Seg­n­er, als der Früh­ling und als das, was da sprießt und sproßt im materiellen Leibe, das wird dur­chaus als Geistiges emp­fun­den, und was da sproßt und sprießt in der Seele, das wird emp­fun­den als die Welt, die zugle­ich emp­fun­den wird als Segen­skind vom Him­mels­vater und der irdis­chen Mut­ter.” (GA 121, 10. Vor­trag 16. 6. 1910, S. 173, Her­vorhe­bun­gen A.F.)

Den Him­mels­vater kann ich entsprechend dem obi­gen Zitat im Som­mer-Hal­b­jahr, in der die Seele befruch­t­en­den Wahrnehmung erblick­en; die Erden­mut­ter entsprechend im Win­ter-Hal­b­jahr, im Denken und das Segen­skind in der Oster­scholle. Sie hat Anteil am Win­ter- und Som­mer-Hal­b­jahr. Sie ist sozusagen das Ergeb­nis, das Kind der bei­den Grund­kräfte von Wahrnehmung und Denken. Diese Grund­kräfte, die wir im Jahres­lauf in der Zeit durchge­hen, ver­wirk­lichen sich im Wahrnehmungs- und Gedanken­rhyth­mus des Men­schen außer­halb der Zeit. Doch auch dieser Rhyth­mus bringt mit jed­er Vol­len­dung eine “Oster­scholle”, ein Segen­skind her­vor. Das Segen­skind ist das Bild für die vom Men­schen gebore­nen Begriffe aus dem Wech­sel­spiel von Wahrnehmung und Denken.