32 f

Ich füh­le fruch­t­end eigne Kraft

Sich stärk­end mich der Welt verleihn;

Mein Eigen­we­sen fühl ich kraftend

Zur Klarheit sich zu wenden

Im Lebenss­chick­sal­sweben.

Das sechste apokalyptische Siegel

Das sech­ste apoka­lyp­tis­che Siegel im Jahreskreis (als Ei orientiert)

Rudolf Stein­er sagt über das sech­ste apoka­lyp­tis­che Siegel: „Siegel VI stellt den gere­inigten, nicht nur vergeistigten, son­dern in der Geistigkeit stark gewor­de­nen Men­schen dar, welch­er die niederen Kräfte nicht nur über­wun­den, son­dern sie so umge­wan­delt hat, daß sie als verbesserte zu seinen Dien­sten ste­hen. Das gezähmte «Tier» drückt dieses aus. In der «Offen­barung St. Johan­nis» ist darüber zu lesen: «Und ich schaute, wie dem Him­mel ein Engel entstieg, der den Schlüs­sel des Abgrunds hielt und eine große Kette in der Hand hat­te. Und er brachte den Drachen, die Schlange der Vorzeit, in seine Gewalt, welche der Teufel und Satan ist, und er band ihn auf tausend Jahre.»“ (Lit.: GA 284, S. 94) An ander­er Stelle sagt Rudolf Stein­er zu diesem Siegel, dass der Men­sch dann dem Erzen­gel Michael gle­ich sein wird. Das bedeutet, dass seine Bewusst­sein­skraft der des Erzen­gels entsprechen wird.

Bewusst­sein­skraft und See­len­hal­tung des Men­schen bes­tim­men, wie er auf seine Umwelt blickt, wie sie ihm erscheint. Die Nava­jo bzw. Diné, das größte indi­an­is­che Volk der USA, betra­cht­en die Schön­heit als eine Grund­kraft. Ihr Schön­heits­ge­bet drückt die im Mantra beschriebene Hin­wen­dung zur Klarheit wun­der­bar aus: Es lautet: „Schön­heit, mit der ich lebe“ — die Schön­heit existiert bere­its. „Schön­heit, durch die ich lebe“ – die Schön­heit geht als Erleb­nis der Har­monie über das Ausse­hen hin­aus und schenkt Leben­skraft. „Schön­heit, auf die ich mein Leben gründe“ – die Bere­itschaft, ab jet­zt die Schön­heit zum Fun­da­ment des Lebens zu machen, ist die Entschei­dung, in allem diese Schön­heit­skraft des Lebens zu sehen.

Das sech­ste Siegel­bild zeigt etwas ähn­lich­es. So wie erst die Über­win­dung der spon­tan auftre­tenden Antipathie es möglich macht, wirk­lich in Allem die Schön­heit zu ent­deck­en, so schenkt die Fähigkeit, die eigene Trieb­natur zu lenken (den Drachen an der Kette zu führen – nicht zu besiegen!) dem Men­schen einen Schlüs­sel. Dieser Schlüs­sel öffnet ihm den Zugang zu über­ge­ord­neten Gesicht­spunk­ten. Nicht nur die Farbe, auch die Schön­heit entste­ht aus dem Gle­ichgewicht von Licht und Fin­ster­n­is, von Wer­den und Vergehen.

In der Natur ist in diesen Wochen die Zeit des max­i­malen Goldes. Erst der Abster­be­prozess lässt die Blät­ter flam­mend gold­en wer­den, sodass ein himm­lis­ches Leucht­en die Welt durchzieht. Dies Gold zeigt äußer­lich sicht­bar, was geistig geschieht. Im Ster­be­prozess wird das Licht frei, das vorher weisheitsvoll das Leben ord­nete. Was für ein grandios­es Schaus­piel, welch unaussprech­liche Schönheit!

Die Zwischensprüche — Übergänge von Schlafen und Wachen

Das Mantra 32 f ist ein­er von vier Zwis­chen­sprüchen. Sie ste­hen jew­eils zwis­chen Licht- und Krisen­spruch und verbinden die Dual­ität zu ein­er Dreier­gruppe. Beto­nen die Krisen­sprüche die Ver­ant­wor­tung des Men­schen, so beschreiben die Licht­sprüche Vorgänge, die ger­ade ohne bewusste Mitwirkung des Men­schen vor sich gehen. Zweimal im Jahr gehen wir den Weg vom unbe­wussten Licht- zum aufmerk­samen Krisen­spruch, zweimal vom “wachen” Krisen­spruch zum “schlafend­en” Licht­spruch. Vom Licht- zum Krisen­spruch zu gehen bedeutet, vom unbe­wussten Leben­sprozess voller Weisheit­slicht ins krisen­geschüt­telte Bewusst­sein aufzusteigen. Entsprechend ist der Weg vom Krisen­spruch zum Licht­spruch der Weg des Abstiegs vom Tag-Bewusst­sein ins Nacht- oder Unter­be­wusst­sein. Dazwis­chen ste­ht der Zwis­chen­spruch. Auch er hat wie der Krisen­spruch stets einen bewussten Ich-Sprech­er. Dieser Ich-Sprech­er “schaut” auf den Licht­spruch-Prozess und drückt seine Per­spek­tive darauf aus. Der Zwis­chen­spruch verkör­pert den Moment an der Gren­ze, wenn das Bewusst­sein erwacht bzw. ein­schläft. Den Zwis­chen­spruch 32 f kann ich wie seinen Gegen­spruch 6 F als “Aufwach-Mantra” lesen. Der Ich-Sprech­er schaut zurück zum voraus­ge­gan­genen Licht­spruch, die Prü­fung des Krisen­spruch­es liegt vor ihm. Die bei­den Mantren der anderen Achse (21 U und 47 v) zeigen sich als “Ein­schlaf-Mantren”. Die Prü­fung des Krisen­spruchs ist gemeis­tert, das Licht zeich­net sich ab und ist vorausahnbar.

Wofür erwacht das Bewusstsein im Mantra 32 f?

Das Mantra 32 f gehört zu den beson­ders kurzen Mantren des See­lenkalen­ders. Vom gram­ma­tis­chen Auf­bau und den ange­sproch­enen The­men erscheint es zunächst leicht ver­ständlich, sog­ar schlicht. Das Mantra han­delt von der wach­senden eige­nen Kraft, die der Ich-Sprech­er wahrn­immt- und damit didak­tisch-lit­er­arisch bekun­det, dass ich als Leser diese Kraft wahrnehme. Mit dieser Kraft wirke ich in der Welt und gestalte webend mein Schick­sal aus größt­möglich­er Klarheit her­aus. Eine kraftvolle, wirk­mächtige Atmo­sphäre durchzieht meine Seele in diesem Mantra. Soweit ist das Mantra leicht zugänglich. Doch ist das alles? Täuscht die Schlichtheit vielle­icht und erschw­ert sog­ar das tief­ere Eindringen?

Das Mantra 32 f begin­nt damit, dass der Ich-Sprech­er sagt, “Ich füh­le …” und auch im zweit­en Teil des Mantras heißt es “… fühl ich …”. Mithin: zu fühlen — das ist die Tätigkeit der Seele in diesem Mantra. Zu Beginn des Mantras füh­le ich meine eigene Kraft fruch­t­end, nach dem Semi­kolon füh­le ich mein Eigen­we­sen kraftend.

Ins­ge­samt dreimal wird die Ver­laufs­form ver­wen­det. Diese gram­ma­tis­che Form erzeugt durch den andauern­den Prozess Gle­ichzeit­igkeit bzw. ein Ver­schwim­men von Vorher und Nach­her in der Vorstel­lung. Diese Worte sind: fruch­t­end, stärk­end, kraftend. Dadurch wird eine fließende, sich im fort­dauern­den Prozess durch­drin­gende, form- und gestalt­freie Vorstel­lung erschaf­fen, die das Ungreif­bare, Traumhafte des Füh­lens weit­er verstärkt.

Das Mantra spricht von Kraft, stärk­end, und kraftend und erweckt dadurch ein Erleben von mächtig wirk­enden Energien in der Seele. Ohne Frage, in diesem Mantra erlebe ich mich kraft­durch­strömt! Und wieder entste­ht kein klares Bild in der Vorstel­lung, denn Kraft lässt sich ohne ein Etwas, das die Kraft ausübt, nicht fassen. Wir ken­nen die so unter­schiedliche Kraft des Wassers, des Sturms, des Feuers, der Erde — doch wie erlebe ich meine eigene Kraft? Zweifel­los ist sie da, meine eigene Kraft und ganz sich­er ist sie mehr als meine Muskel- oder Bewusst­sein­skraft. Kraft als solche ist ger­adezu das Gegen­teil von erkennbar­er Struk­tur. Kraft ist Verän­derung, ist Auflö­sung des Beste­hen­den, ist Chaos-Bewirk­er und Neu-Ord­ner. Um welche Kraft geht es also in diesem Mantra — und was ist ihre Quelle?

Wie lässt sich diese, meine eigene Kraft, die ich fruch­t­end füh­le, genauer erken­nen? Ich will dafür den See­lenkalen­der befra­gen, speziell den gram­ma­tisch spiegel­nden Zwis­chen­spruch 21 U und die jew­eils an die Zwis­chen­sprüche angren­zen­den Licht­sprüche (22 V und 31 e). Im Zwis­chen­spruch 21 U heißt es: “Ich füh­le fruch­t­end fremde Macht…”.

Der Unter­schied von Kraft und Macht lässt sich am Bild des Königs erk­lären: Der König hat Macht in seinem Reich, auch wenn er ger­ade keine Befehle gibt. Seine momen­tane Kraft zeigt sich durch die Energie, mit der er jew­eils dafür sorgt, dass die Befehle befol­gt werden.

Die fremde Macht (21 U) erscheint mir im Licht aus Wel­tenweit­en (22 V) genauer beschrieben zu sein, das ich als Astral­licht iden­ti­fizieren kon­nte (siehe 22 V). Die eigne Kraft hat ihren Ursprung im Licht aus Geis­testiefen (31 e), das aus der Ätheri­sa­tion des Blutes her­vorge­gan­gen ist und als Bewusst­seinslicht erleb­bar wird (siehe 31 e). Weit­er wird im Mantra 31 e gesagt, dass das Licht aus Geis­testiefen zur Lebenswil­len­skraft wird. Das Bewusst­seinslicht führt zur Lebenswil­len­skraft, weil ein Wesen mit eigen­em Bewusst­sein Über­lebenswillen entwick­elt. Das Mantra 32 f spricht von eign­er Kraft. Ich ver­ste­he hier die stets indi­vidu­elle Lebenskraft als Gesamtheit der ätherischen Lebens- und Bewusst­sein­skraft. Tat­säch­lich wirkt im Äther­leib Lebenskraft, im Astralleib See­lenmacht.

Die Quelle der Kraft ist das Licht aus Geis­testiefen (31 e). Dadurch kann ich annehmen, dass es sich auch bei der Kraft um einen auf­steigen­den Kraft­strom han­delt. Dieser Strom wird die auf­steigende Kun­dali­ni genan­nt. Ihre Wirkun­gen wer­den im Fol­gen­den beschrieben.

Der Ich-Sprech­er fühlt seine “eigne Kraft” fruch­t­end — das heißt also: ich füh­le meine eigene Kraft fruch­t­end. Die Kraft bewirkt etwas: sie fruchtet. Meine (Bewusst­seins-Lebenswil­lens-) Kraft wirkt in mir und lässt mich in Aus­tausch treten mit der Welt. Sie lässt mich atmen, Hunger erleben, wahrnehmen, kom­mu­nizieren. All diese Prozesse wirken fruch­t­end, mich befruch­t­end, in der Seele Frucht bildend. Jedes Frucht­en will eine Frucht her­vor­brin­gen, jed­er Einat­mung fol­gt eine Ausat­mung, solange wir leben. Jedes Frucht­en bringt den näch­sten Schritt hervor.

Dieser fort­laufend fruch­t­ende Prozess mein­er Kraft wirkt auf dieselbe zurück. Die Lebenswil­len­skraft, die ich als meine Kraft erlebe, stärkt sich dadurch. Nor­maler­weise nimmt Kraft durch Gebrauch ab. Irdis­che Kraft ver­braucht sich. Hier geschieht jedoch das Gegen­teil, sie stärkt, ver­stärkt sich (nicht mich!). Diese Kraft, die durch die Ätheri­sa­tion des Blutes gewon­nen wurde, unter­liegt nicht den irdis­chen Geset­zen. Meine Kraft ver­stärkt sich, je mehr Erfahrun­gen ich gemacht habe. Diese Kraftausstrahlung wird als Charis­ma ein­er Per­son erlebt. Die Kraft meines Lebenswil­lens wächst, je inten­siv­er ich im Aus­tausch ste­he mit der Welt. Jede Tat ist Same eines kom­menden Kar­mas, und so gese­hen ein Zuwachs an Lebenswil­len­skraft, die sich in ein­er kom­menden Inkar­na­tion auswirken wird.

Und ich ste­he nicht nur im Aus­tausch mit der Welt, meine Kraft ver­lei­ht mich sog­ar der Welt. Indem ich die Welt atmend, essend, wahrnehmend in mich aufnehme, werde ich “weltlich”, jedoch nicht auf Dauer. Ich werde von der (Lebenswil­lens-) Kraft der Welt ver­liehn — geliehen auf Zeit. Was für ein berühren­der Gedanke! Ein Stück Land wurde früher vom Grafen dem Rit­ter als Lehn ver­liehen, ohne in dessen Besitz überzuge­hen. So werde ich durch meine Kraft der Welt ver­liehen. Ich gehöre ihr auf Zeit an.

An dieser Stelle ste­ht im Mantra ein Semi­kolon. Was nun fol­gt, ist ein neuer Blick­winkel, der so intim mit dem ersten ver­bun­den ist, dass ein Punkt zu tren­nend wäre.

Stand bis hier­her die eigene Kraft und ihre Wirkung im Zen­trum, wen­det der Ich-Sprech­er den Blick auf das Gefäß dieser Kraft.  Mit dem Erleben eige­nen Bewusst­seins, eigen­er Kraft geht notwendi­ger­weise ein­her, auch ein Eigen­we­sen zu sein. Es ist der Ich-Sprech­er, der sich sel­ber füh­lend wahrn­immt: sowohl sein Innenge­fühl der Kraft als auch die Außen­wahrnehmung von sich als Eigen­we­sen. Als inkarnierte Wesen sind wir stets Eigen­we­sen. Wir durch­drin­gen uns nicht, wie geistige Wesen es tun, son­dern kön­nen nur neben einan­der ste­hen. Wir haben ein eigenes, ganz indi­vidu­elles Innen­leben, das von der Außen­welt und von allen anderen Wesen abge­gren­zt ist. Mein Eigen­we­sen füh­le ich kraftend. Mein Eigen-Sein ver­stärkt sich. Ein kräftig gewor­denes Eigen­we­sen ist ein solch­es, dass seine seel­is­chen Gren­zen zu wahren weiß, dass mit sein­er Umwelt nicht verschwimmt.

Als Eigen­we­sen muss ich unter­schei­den kön­nen was von mir nach außen wirkt und welchen Wirkun­gen ander­er Wesen ich aus­ge­set­zt bin — und wie bei­de inter­agieren. Als Eigen­we­sen habe ich Ver­ant­wor­tung für das, was ich “vom Rest der Welt abgren­ze” und mein Eigen nenne. Als kräftig gewor­denes Eigen­we­sen bin ich in der Lage, diese Ver­ant­wor­tung zu übernehmen, mich zur Klarheit zu wen­den. Zwar bin ich ein Eigen­we­sen, doch ist mein Schick­sal ver­woben mit dem Schick­sal ander­er Wesen. Diese gegen­seit­i­gen Bee­in­flus­sun­gen und Abhängigkeit­en kann ich wahrnehmen oder eben nicht. Die gegen­seit­ige Ver­bun­den­heit zu leug­nen führt zur Verblendung, sie zu beacht­en zur Klarheit. Zur Klarheit sich zu wen­den bedeutet, sich umzuwen­den, den Weg der Ver­strick­ung nicht immer weit­er zu gehen, son­dern sich an das Entwirren der Schick­sals­fä­den zu machen — sich der Klarheit zuzuwen­den. Als Eigen­we­sen bin ich aufgerufen, mein Schick­sal zu klären, zu ord­nen, damit ich im Gewebe allen Lebens ein schönes und klares Muster bin.

Betra­chte ich die Kraft als Auf­stieg der Kun­dali­ni durch die sieben Chakren, so kann ich in sieben Ver­ben bzw. von Ver­ben abgeleit­eten Worten des Mantras sieben Prozesse erkennen:

Ich füh­le (1. Chakra) fruch­t­end (2. Chakra) eigne Kraft

Sich stärk­end (3. Chakra) mich der Welt ver­lei­hn (4. Chakra);

Mein Eigen­we­sen fühl ich kraftend (5. Chakra)

Zur Klarheit sich zu wen­den (6. Chakra)

Im Lebenss­chick­salsweben (7. Chakra).

Das Mantra führt den Leser und die Leserin an die wirk­ende Kraft her­an, an die wirk­ende Kraft seines bzw. ihres Geist gewor­de­nen Blutes. Diese Kraft wirkt fruch­t­end — befruch­t­end, frucht­bildend im Kon­takt mit der Welt, kräfti­gend auf das indi­vidu­elle, abge­gren­zte Eigen­we­sen-Sein und ord­nend auf die Ver­wirrun­gen der Schick­sals­fä­den. Da die Kraft aus dem vergeistigten Blut­strom stammt, liegt die Ver­mu­tung nahe, dass es sich bei der Wen­dung zur Klarheit auch um eine Rück­wen­dung zum Blut­strom der Vererbung han­delt. Früher sagte man, dass der Blut­strom durch sieben Gen­er­a­tion die Vorzüge und Las­ten der Ahnen auf den Men­schen überträgt. Auch diese ererbten Wirkun­gen wer­den in die klärende Ver­ant­wor­tung des erkrafteten Eigen­we­sens genom­men (neben den gegen­wär­ti­gen Schicksalsverbindungen).

Ein geistiges Indi­vidu­um kommt hier in den gek­lärten Blick, das sowohl durch die Kar­mafol­gen sein­er Tat­en in kom­mende Inkar­na­tio­nen reicht, als auch sich vorge­burtlich über sieben Gen­er­a­tio­nen aus­dehnt. Durch dieses Mantra lässt sich eine Ahnung des höheren Ichs gewin­nen, das von Inkar­na­tion zu Inkar­na­tion wirkt und sein Schick­sal viele Gen­er­a­tio­nen vor der irdis­chen Geburt vorbereitet.