31 e
Das Licht aus Geistestiefen,
Nach außen strebt es sonnenhaft:
Es wird zur Lebenswillenskraft
Und leuchtet in der Sinne Dumpfheit,
Um Kräfte zu entbinden,
Die Schaffensmächte aus Seelentrieben
Im Menschenwerke reifen lassen.
Das fünfte apokalyptische Siegel
Das fünfte apokalyptische Siegel im Jahreslauf (als Ei orientiert)
Das fünfte apokalyptische Siegel zeigt im Zentrum eine strahlende Sonne. Es zeigt das Weib, mit der Sonne bekleidet, den Mond unter ihren Füßen und die Krone der zwölf Sternen auf ihrem Haupt. So schildert der Evangelist Johannes das Zukunftsbild der Seele. Diese Beschreibung ist das Vorbild aller Madonnen im Strahlenkranz auf der Mondsichel, die in vielfältiger Ausführung in Kirchen zu sehen sind.
Ich erblicke diese Imagination der Maria im Strahlenkranz auf der Mondsichel im Jahreslauf. Die zu Ostern gehörenden Wochen (blau) liegen wie ein Mond im Jahreskreis. Darüber befindet sich das Zentrum des Kreises, der zugleich der Schnittpunkt der 52 Wochensegmente ist. Dieser Mittelpunkt, der zunächst aus der geometrischen Konstruktion mit schwarzen Linien als schwarzes Zentrum erscheint, kann auch anders vorgestellt werden. Der Mittelpunkt des Jahreskreises kann auch als Quelle des Jahreslaufes, als eine geistige Sonne verstanden werden. Aus diesem Mittelpunkt, von dieser geistigen Sonne leuchtet in jede Woche ein Strahl und beschenkt sie mit ihrer ganz eigenen Lebensenergie.
Rudolf Steiner sagt über dieses Siegelbild: „Siegel V stellt dar eine höhere Entwicklungsstufe des Menschen, wie sie eintreten wird, wenn die Erde sich wieder mit der Sonne vereinigt haben und der Mensch nicht mehr bloß mit den Erdenkräften, sondern mit den Sonnenkräften arbeiten wird. Das «Weib, das die Sonne gebiert» bezieht sich auf diesen Zukunftsmenschen. Gewisse Kräfte niederer Natur, welche im Menschen leben und ihn an der vollen Entfaltung seiner höheren Geistigkeit hindern, wird er dann aus sich herausgesetzt haben. Diese Kräfte stellen sich im Siegel einerseits dar in dem Tiere mit den «sieben Köpfen und zehn Hörnern», anderseits in dem Monde zu Füßen des Sonnenmenschen. Der Mond ist für die Geisteswissenschaft der Mittelpunkt gewisser niederer Kräfte, welche heute noch in der menschlichen Wesenheit wirken, und die der Mensch der Zukunft «unter sich» zwingen wird.“ (Lit.: GA 284, S. 94)
Halloween, Allerheiligen und das keltische Fest Samhain
Das moderne Fest Halloween (31. Oktober), von “All Hallows´ Eve”, dem Abend vor Allerheiligen abgeleitet, liegt in dieser Woche (31 e), oder noch in der vorhergehenden Woche (30 d). Ich denke, dass die Ursprünge der Fest-Gemeinschaft von Halloween, Allerheiligen (1. November) und Allerseelen (2. November) mit der Lichtspruch-Woche zu tun haben. Die rasante Verbreitung und die Beliebtheit von Halloween heutzutage scheinen mir mit einer inneren Stimmigkeit zusammen zu hängen, der es nachzuspüren lohnt. Steckt vielleicht hinter der unschönen Kommerzialisierung ethnologischer Traditionen ein wahrer Kern, der auch heute bedeutsam ist?
Zunächst zu den — allerdings nicht unumstrittenen — geschichtlichen Ursprüngen der Feste: Obwohl wissenschaftlich nicht beweisbar, gibt es einen gefühlt stimmenden Zusammenhang von Halloween und dem keltischen Fest Samhain. Das kam so: Zunächst wurde Allerheiligen im Mai gefeiert. In der Ostkirche wurde “Allen Heiligen” seit dem 4. Jahrhundert am ersten Sonntag nach Pfingsten gedacht, das heißt am Sonntag der Fronleichnams-Woche 9 I. In der Westkirche pflegte man ihr Gedenken zunächst am Freitag nach Ostern. Seit dem 7. Jahrhundert war es der 13. Mai und weitere hundert Jahre später wurde das Fest auf den 1. November gelegt. In Irland verband es sich mit dem noch lebendigen vorchristlichen Fest Samhain, das seit eh her um den 1. November gefeiert wurde. Daran angeschlossen wurde später der Tag des Gedenkens aller Verstorbenen. Dieser Tag wurde Allerseelen genannt. Mit irischen Auswanderern kam die irische Variante des Festes vom Vorabend von Allerheiligen (Halloween) nach Amerika und von dort als Reïmport wieder zu uns.
Vier große, alte keltische Feste sind bekannt, das Wichtigste unter ihnen war Samhain. Zusammen mit Imbolc (1. Februar), Beltane (1. Mai) und Lughnasadh (1. August) bilden sie im Jahr ein exaktes rechtwinkliges Kreuz, wie es im Seelenkalender die Krisensprüche tun. Doch die Krisensprüche können nicht gemeint sein. Am ehesten stimmt Samhain mit dem Lichtspruch 31 e überein. Könnte es vielleicht sein, dass die Zeitqualitäten der Lichtsprüche die eigentliche Grundlage dieser vier keltischen Feste sind? Beltane liegt im Jahreskreis Samhain genau gegenüber. Das trifft auch auf den Lichtspruch 5 E (Gegenspruch von 31 e) zu. Doch wegen des beweglichen Osterfestes fällt diese Woche meist nicht mit dem heutigen Datum von Beltane zusammen. Ob die anderen beiden Feste ihren Ursprung ebenso in den besonderen Zeitqualitäten der Lichtsprüche (Imbolc 48 w und Lughnasadh 22 V) haben, muss offenbleiben. Ich halte es für möglich, dass die Kenntnis ihrer Lage im Jahr verloren ging, woraufhin sie fälschlicher Weise als rechtwinkliges Festeskreuz im Jahr festgeschrieben wurden.
Zu Samhain wurde das Ende des Sommer-Halbjahres und der Beginn eines neuen Zyklus mit großen Freudenfeuern gefeiert. Es hieß, dass der Schleier zur Anderswelt, zur Welt der Geister und der Toten, in dieser Zeit dünner sei. Die Toten wären in diesen Nächten auf der Suche nach denjenigen Lebenden, die im kommenden Jahr sterben würden. Deshalb verkleideten sich die Menschen als Geister mit furchterregenden Kostümen, um nur ja nicht als Mensch erkannt zu werden. Martin Barkhoff schreibt: „Samnaun [Samhain, A.F.], das höchste Fest, dauerte sieben Tage, vom 29. Oktober bis zum 4. November. Der Höhepunkt war der mittlere Tag, der 1. November. An Samnaun öffneten sich die Pforten von Himmel und Hölle und Herausforderungen aus der jenseitigen Welt traten an den Menschen heran, an den Helden in ihm. Viele Heldensagen von Fionn beginnen an Samnaun“ (Deutungsvorschläge zur Sonnensprache, 2009, S. 116).
Samhain ist auch die Festzeit des sterbenden Jahres und die Empfängnis des Neuen. Die Ernte ist eingebracht, die Felder liegen brach — der Wachstumszyklus des Jahres ist beendet. Der Gott der vergangenen Vegetationsperiode stirbt. Folgende kleine Erzählung begegnete mir:
„In der Nacht, so sagt man, wird der Schleier zwischen den Welten durchsichtig. Der König wird sichtbar, der sterbende Jahr-Gott, der über das sonnenlose Meer segelt, das der Schoß der Großen Mutter ist. Dann betritt er das Ufer der schimmernden Insel, das leuchtende Welt-Ei, und wird zur Saat seiner eigenen Wiedergeburt, zum Sonnenkind, das zur Weihnacht geboren wird. — Wir begegnen einander in der Zeit außer der Zeit, überall und nirgendwo, hier und dort. Die Tore von Leben und Tod stehen offen, die Toten wandeln mit den Lebenden und es enthüllt sich das Geheimnis, dass jedes Ende einen neuen Anfang birgt.“ (Quelle unbekannt)
Halloween heute: Halloween ist ein modernes, aus Amerika importiertes Fest. Sein hervorstechendstes Symbol ist der Kürbis, sein Vorläufer war die Rübe. In Deutschland und Irland war es gleichermaßen üblich, eine Rübe auszuhöhlen, ein Gesicht hinein zu schnitzen und von innen zu beleuchten. Bei dem in Deutschland vielerorts üblichen Rübengeistern wurde mit der Rübenlaterne durch die Siedlung gezogen, und es wurden Gaben erheischt, also erbettelt.
Eine Sage erzählt, wie es dazu kam: Es lebte in Irland ein alter, böser Mann mit Namen Jack Oldfield, der den Teufel überlistet und fies betrogen hatte. Als der Betrüger starb, war er im Himmel deshalb nicht willkommen. Aber auch in der Hölle wollte der Teufel ihn nicht haben. Am Ende hatte der Teufel Mitleid und schenkte Jack eine Rübe und eine glühende Kohle, damit er sich im Dunkeln zurechtfände. Als die Iren nach Amerika kamen, waren dort Rüben rar und die Kürbisse auch sehr viel einfacher zu bearbeiten.
Halloween, wie wir es heute kennen, hat die beiden Feste, auf die es vorbereiten sollte, Allerheiligen und Allerseelen vielerorts in den Hintergrund gedrückt. Trotzdem macht gerade der Dreiklang deutlich, worum es zu Halloween wirklich geht: um die Grenze zwischen den Welten und den zu erringenden Zugang zur anderen Welt – der Innenwelt der Seele und des nicht verkörperten Geistes. Die Feste stehen an der Grenze zu dieser anderen Welt. Den Grenzübertritt zu wagen, erfordert Mut. An diese Grenze klopfen die Kinder, wenn sie von Haus zu Haus gehen. Um bei Fremden zu klingeln, brauchen sie Mut. Wer Zugang zu seiner Seele erringt, wird durch eine innere Paradieslandschaft belohnt – durch Süße! Die andere Perspektive ist die der Erwachsenen, die die Türe öffnen. Sie öffnen sich dadurch auch für die jungen Zukunftskräfte der Seele, durch die sich ein neuer Wachstumszyklus leise ankündigen will. Mit Halloween begrüßen wir die Lebenskraft des kommenden Frühlings, die in den Untergründen — gleich den Knospen an den Zweigen — schon da ist.
Und was bringt die hervorstechendste Symbolik des Festes, der leuchtende, orangene, sonnengleiche Kürbis zur Erscheinung? Erinnert er mit seinem Licht im Innern nicht an einem Kopf voller kluger Gedanken? Doch – trägt diese Klugheit deshalb auch schon das ganz Neue, die Zukunft in sich? Ist sie womöglich eine dem Gestern verhaftete Klugheit und gleicht einem Hohlkopf, einem Kürbiskopf mit Fratze? Die Rübe als Wurzelgemüse zeigt den Bezug zum Kopf gemäß Rudolf Steiners Angaben. Er beschreibt, dass die Wurzel der Pflanze dem Kopf des Menschen mit dem Nerven-Sinnessystem entspricht, der rhythmisch mit Blättern versehene Sproß dem Brustraum mit dem Rhythmischen System und Blüte bzw. Frucht entsprechen dem Stoffwechsel-Gliedmaßen System. Zu Halloween dürfen wir uns also fragen, welches Licht in unseren Gedanken leuchtet.
Das Licht aus Geistestiefen — was ist damit gemeint?
Das Mantra 31 e ist seit Ostern, dem Beginn des Seelenkalender-Jahres das dritte von insgesamt vier Mantren, die vom Licht handeln. Sie bilden zusammen ein nicht-rechtwinkliges Kreuz. Zwei Mantren thematisieren das Licht selber, die beiden andere das Beleuchtete. Dabei werden drei unterschiedliche Lichtquellen benannt: In den Mantren 5 E und 31 e kommt das Licht aus Geistestiefen. Beide Mantren handeln vom selben Licht. Dies Licht strahlt sozusagen mit der im Mantra 31 e beschriebenen Lichtquelle durch den Jahreskreis und zeigt im Mantra 5 E das Beleuchtete. Beide Mantren liegen auf einer Achse. Anders bei den beiden anderen Lichtsprüchen: Im Mantra 22 V wird eine zweite Lichtquelle beschrieben. Sie kommt aus Weltenweiten. Doch im Mantra 48 w, das wiederum ein Beleuchtetes beschreibt, kommt das Licht aus Weltenhöhen. Gemeinsam ist beiden Lichtern der Welt-Aspekt. Die Mantren sind dieses Mal keine Gegensprüche, sie tragen nicht den gleichen Buchstaben. Ihre Achse ist gebrochen und geht nicht gerade durch den Jahreskreis. Im Blog-Artikel über den Lichtspruch 22 V konnte ich zeigen, dass es sich bei dem Licht aus Weltenweiten um das moralisch wirkende Astrallicht handelt. Es ist das Licht, dass uns Böse und Gut unterscheiden lässt, das Licht des Baumes der Erkenntnis, dessen Frucht zum Sündenfall führte.
Haben wir es bei dem Licht aus Geistestiefen, dem Licht der Mantren 31 e und 5 E nun mit dem Baum des Lebens zu tun, der dem Menschen nach dem Sündenfall entzogen wurde? Über diese beiden Bäume sagt Rudolf Steiner: „Da, wo es mit Bezug auf das Paradiesesleben heißt: Der göttliche Geist beschloß, daß der Mensch, nachdem er sich dieses oder jenes angeeignet hat, zum Beispiel die Urteilsfähigkeit über Gut und Böse, nicht auch erhalten solle einen Einblick in die Kräfte des Lebens. — Da ist die Stelle, wo in der Bibel aufmerksam gemacht wird, daß der Mensch nicht mit ansehen soll die Wiederbelebung seines Wesens während des Schlafes, überhaupt nicht mit ansehen soll die Wiederbelebung seines Wesens während seines physischen Erdendaseins. Dessen soll er nicht Zeuge sein. Und wenn der Mensch aufwacht, ist der ganze Lebensprozeß eigentlich ein Zerstörungsprozeß, ein Abnutzungsprozeß …“ (Lit.: GA 141, S. 73)
Und noch konkreter sagt er: „Dieser Baum des Lebens und dieser Baum der Erkenntnis muß mit dem Menschenwesen selbst etwas zu tun haben. Das Verbot, von dem Baum der Erkenntnis zu essen, das heißt ja — das werden Sie zuletzt herausbekommen -, daß die Seele des Menschen nicht Erkenntnis suchen soll, die am physischen Leib haftet; daraus ist ja die jetzige sinnliche Anschauung entstanden. «Essen von dem Baum der Erkenntnis» heißt, eben so sich verbinden mit dem physischen Leib, daß dadurch die jetzige … von Luzifer bewirkte Art von Erkenntnis entstanden ist [das Welt-Licht, die gebrochene Lichtachse, A.F.]. Also meinten die Elohim etwas am Menschenwesen selber, indem sie vom Baum der Erkenntnis sprachen. Und wiederum müssen sie etwas am Menschenwesen selber meinen, wenn sie vom Baum des Lebens sprechen. Da muß man sich fragen: Ja, wodurch sieht denn der Mensch so, wie er heute sieht? Wodurch nimmt er denn so wahr? Indem sein Geistig-Seelisches, durchtränkt von Luzifers Wesenheit, eingebettet ist in den physischen Leib und an diesem zehrt. Dies war nicht von vornherein bestimmt, daß die Seele so wie jetzt eingebettet ist in den physischen Leib. Dieser physische Leib ist der Baum der Erkenntnis, und der Baum des Lebens ist der Ätherleib. Die Menschen sollten, nachdem sie sich von Luzifer haben verführen lassen, ihren physischen Leib zu der uns gewohnten Erkenntnis benützen, nun wenigstens nicht auch noch dazu haben die Erkenntnis durch den Ätherleib. Es wird ihnen dies verwehrt.“ (Lit.: GA 253, S. 60f)
Lässt sich auch ein Prozess erkennen, der “am Menschen selber” den Baum des Lebens bildet? Zwar habe ich bei Rudolf Steiner keine Textstelle gefunden, die wörtlich einen Lichtprozess aus Geistestiefen beschreibt, doch spricht er von Lichtstrahlen, die vom Herzen zum Kopf aufsteigen. Dieser Lichtprozess vollzieht sich beim wachen Menschen und kann, wenn er kräftig genug ist, zu einem Leuchten um den Kopf führen, welches dem hellsichtigen Betrachter als Heiligenschein sichtbar wird. Diesen Vorgang nennt Rudolf Steiner die Ätherisation des Blutes: „Wenn der Mensch heute im Wachzustand vor uns steht und das hellseherische Auge betrachtet ihn, so zeigt sich, daß fortwährend vom Herzen nach dem Kopfe gewisse Lichtstrahlen gehen. Wenn wir das schematisch zeichnen wollen, müßten wir das so machen, daß wir hier die Herzgegend zeichnen, dann gehen fortwährend Strömungen nach dem Gehirn hin und umspielen im Innern des Hauptes dasjenige Organ, das in der Anatomie beschrieben wird als Zirbeldrüse. Wie Lichtstrahlen geht es vom Herzen nach dem Kopfe herauf und umströmt die Zirbeldrüse. Diese Strömungen entstehen dadurch, daß das menschliche Blut, das eine physische Substanz, ein Stoff ist, sich fortwährend auflöst in ätherische Substanz, so daß in der Gegend des Herzens ein fortwährender Übergang des Blutes in feine ätherische Substanz stattfindet, und diese strömt nach dem Kopfe herauf und umspielt glimmernd die Zirbeldrüse. Dieser Vorgang, das Ätherischwerden des Blutes, zeigt sich immerwährend am wachenden Menschen.“ (Lit.: GA 130, S. 89ff)
Dieses vom Herzen aufsteigende Licht ist unser Bewusstseinslicht, nicht zu verwechseln mit dem Denken, das sich im Bewusstsein abspielt, es aber nicht ausmacht. Dieses Licht entsteht, indem das Blut im Herzen stirbt und die in ihm enthaltene Gestaltungskraft frei wird. Sie strahlt als Licht vom Herzen zum Kopf hinauf. Es ist also ein Licht, das aus Geistestiefen kommt und nun, da es vergeistigte Materie ist, zum Ätherleib gehört. Zu diesem zum Menschen gehörenden kleinen Prozess beschreibt Rudolf Steiner außerdem direkt im Anschluss einen großen, makrokosmischen, der noch deutlicher macht, um was es geht: “Dem entsprechend ist dieses Makrokosmische zu schildern gegenüber dem Mikrokosmischen [der vom Herzen aufsteigenden Strömung, A.F.]. Und da zeigt sich denn … daß ein Ähnliches wie das, was jetzt gesagt worden ist für den Mikrokosmos, auch im Makrokosmos sich abspielt.
So wie in der Gegend des menschlichen Herzens ein fortwährendes Verwandeln des Blutes in Äthersubstanz stattfindet, so findet ein ähnlicher Vorgang im Makrokosmos statt. Wir verstehen dieses, wenn wir unser Auge hinwenden auf das Mysterium von Golgatha und auf jenen Augenblick, in dem das Blut des Christus Jesus geflossen ist aus den Wunden. Dieses Blut darf nicht nur als chemische Substanz betrachtet werden, sondern es ist durch alles das, was geschildert worden ist als die Natur des Jesus von Nazareth, etwas ganz Besonderes. Und indem es ausfloß und hineinströmte in die Erde, ist unserer Erde eine Substanz gegeben worden, die, indem sie sich mit der Erde verband, ein Ereignis war, das ein bedeutendstes ist für alle Folgezeiten der Erde, und das auch nur einmal auftreten konnte. Was geschah mit diesem Blut in den folgenden Zeiten? Nichts anderes, als was sonst im Herzen des Menschen geschieht. Dieses Blut machte im Verlaufe der Erdenevolution einen Ätherisierungsprozeß durch. Und wie unser Blut als Äther vom Herzen nach oben strömt, so lebt im Erdenäther seit dem Mysterium von Golgatha das ätherisierte Blut des Christus Jesus. Der Ätherleib der Erde ist durchsetzt von dem, was aus dem Blute geworden ist, das auf Golgatha geflossen ist; und das ist wichtig. Wäre das nicht geschehen, was durch den Christus Jesus geschehen ist, dann wäre nur das mit den Menschen auf der Erde der Fall, was vorher geschildert worden ist. So aber ist seit dem Mysterium von Golgatha eine fortwährende Möglichkeit vorhanden, daß in diesen Strömungen von unten nach oben die Wirkung des ätherischen Blutes des Christus mitströmt.“ (Lit.: GA 130, S. 89ff)
Im Mantra 5 E habe ich das Licht aus Geistestiefen des Mantras 31 e als Lebensäther benannt und das im Mantra 5 E zur Erscheinung kommende, im Raum fruchtbar webende Licht als den chemischen Äther. Dies sind die beiden Ätherarten, die Rudolf Steiner an anderer Stelle als den Baum des Lebens bezeichnet. Zum Baum der Erkenntnis gehören dagegen die dem Menschen zur persönlichen Verfügung stehenden Ätherarten, der Wärme Äther, erlebbar in der eigenen Körperwärme und der Lichtäther im willentlich lenkbaren eigenen Denken.
Was tut dieses Licht aus Geistestiefen — was sagt das Mantra 31 e?
Wie alle Lichtsprüche weist das Mantra 31 e keine Beteiligung eines bewussten Ich-Sprechers auf — es ist in der neutralen dritten Person geschrieben. Deutlich wird dadurch, dass in den Lichtsprüchen Vorgänge dargestellt werden, deren sich der Mensch normalerweise nicht bewusst ist. Er bewirkt sie nicht, die Ergebnisse werden ihm geschenkt.
Das Mantra 31 e beginnt, indem es die Lichtquelle benennt, deren Tätigkeit das Thema des ganzen Mantras ist: Das Licht kommt aus Geistestiefen. Was für eine Lichtquelle ist das? Wenn der Geist herabsteigt, inkarniert er sich. Ist er ganz unten, in Geistestiefen, so befindet er sich in einem physischen Körper. Das Licht kommt aus Geistestiefen — ich als Betrachter schaue hinab und sehe das Licht zu mir hinaufstrahlen. Ich schaue innerlich in einen Brunnenschacht hinab und sehe das Licht dort unten, wie es nach oben strahlt. Aus seiner eigenen Gesetzlichkeit heraus strebt das Licht nach außen, es strahlt sonnenhaft von einem Mittelpunkt in den Umkreis. Gerade so erlebe ich mein ausstrahlendes Bewusstsein, mein Gewahrsein, noch bevor es sich auf einen Inhalt ausrichtet. Idealer Weise breitet sich auch mein Bewusstsein gleichmäßig um mich aus.
An dieser Stelle steht im Mantra ein Doppelpunkt. Bis hierher wurde ein Bild beschrieben, eine Imagination. Nun verändert sich das Bild des sonnenhaften Lichtes zu einer wirksamen Kraft. Das Licht aus Geistestiefen wird zur Lebenswillenskraft. Gehe ich davon aus, das mit diesem Licht tatsächlich der wieder zu Geist gewordene, geformte Stoff, die gestaltete Materie gemeint ist, so ist es zunächst erstaunlich, dass dieselbe zur Lebenswillenskraft wird, zu der Kraft, die dem Tod entgegensteht. Denke ich mir jedoch ein Lebewesen, in dem sich dieser Prozess vollzieht, so ist es nur ein kleiner Schritt von diesem reinen Gewahrsein zu dem Bewusstsein, ein abgegrenztes Eigenwesen zu sein. Die Ahnung der eigenen Sterblichkeit, die Wahrnehmung der Möglichkeit des Sterbens, der Gewissheit der Endlichkeit des Erdenlebens ruft Lebenswillenskraft auf den Plan. Die Wahrnehmung der eigenen Lebendigkeit bringt den Wunsch und die Kraft hervor, das Leben erhalten zu wollen. Das Licht des Bewusstseins wird zur Lebenswillenskraft.
Das zur Lebenswillenskraft gewordene Licht leuchtet in der Dumpfheit der Sinne. In jedem unserer Sinne ist ein Funke dieses zur Lebenswillenskraft gewordenen Lichtes enthalten. Dadurch wird die Dumpfheit der Sinne von innen heraus erhellt. Das Licht weckt die Sinne auf und macht sie klug. Rudolf Steiner sagt ausdrücklich, dass der Prozess der Ätherisation des Blutes beim wachen Menschen stattfindet. Nun sind dem Menschen die Augen (stellvertretend für alle anderen Sinne) geöffnet worden. An dieser Stelle werden wir an die Paradiesgeschichte erinnert. Adam wurden die Augen aufgetan, nachdem er vom Apfel, der Frucht vom Baum der Erkenntnis, gegessen hatte.
Ist das ein Widerspruch zu der Annahme, dass es sich beim Licht aus Geistestiefen um den Baum des Lebens handelt? Ich denke nicht, denn erst nachdem Bewusstsein und Sinneserfahrungen vorhanden sind, beginnt das Denken. Denkend bilden wir Begriffe. Unsere menschlichen Begriffe grenzen ab und sind dadurch stets kleiner und härter, als die Erscheinungen mit ihren unendlich vielen Variationen es erfordern würden. Doch wir grenzen nicht nur ab, wir bilden auch Oberbegriffe und führen die Vielheit wieder zusammen. Ein Beispiel soll die zunehmende Zusammenfassung verdeutlichen: Die spezielle, wahrgenommene Pflanze wird im ersten Schritt zum Beispiel als Calendula benannt — dann als einjähriger Korbblütler, dann allgemein als Pflanze, weiter als Teil der Vegetation und schließlich mit dem höchsten Oberbegriff als Lebewesen. Hier vollzieht das menschliche Denken eine Gegenbewegung zur Schöpfung, die immer weiter differenziert. Erst an dieser Stelle kann von einem Fall aus dem Paradies gesprochen werden.
Der ruhig beschreibende Sprachfluss des Mantras ändert sich nun und wird für die Vorstellungs- und Verständniskraft des Lesers zur Herausforderung. Die Substantive reihen sich in einer Dichte aneinander, als wollten sie eine Mauer bilden. Sie bringen dadurch die oben erwähnte Grenze zwischen den Welten zum Erlebnis.
Das in der Dumpfheit der Sinne leuchtende Licht, das die Lebenswillenskraft ist, hat ein Ziel. Als zentral wirkende Kraft will dieses Licht weitere Kräfte entbinden. Die Kräfte sollen aus ihrer Bindung, ihrer Unbeweglichkeit und damit Wirkungslosigkeit befreit werden. Und was ist wiederum das mit den Kräften verfolgte Ziel der Lebenswillenskraft? Die Kräfte sollen aus Seelentrieben Schaffensmächte im Menschenwerk reifen lassen. Puh, das ist eine ziemlich verklausulierte Aussage.
Zunächst möchte ich den Unterschied von Kraft und Macht am Bild eines Königs verdeutlichen. Der König hat Macht in seinem Reich, auch wenn er ruhig auf seinem Thron sitzt. Kraft ist dagegen die im Moment wirkende Macht, die Aktion. Im Mantra werden Kräfte entbunden, damit (Schaffens-) Mächte reifen. Wir sprechen von Lebenskräften, die uns eigen sind. Lebensmacht haben wir nicht, bzw. steht sie uns nicht zu, denn es heißt schon in den zehn Geboten, du sollst nicht töten. Von Seelenmächten kann dagegen sehr wohl die Rede sein. Die Seele hat durch ihre drei Seelenfähigkeiten (Denken, Fühlen, Wollen) schöpferische Macht. Mir scheint, dass in dieser Formulierung ätherische Kräfte entbunden werden, um seelisch-astrale Schaffensmächte reifen zu lassen.
Nach dem Aufleuchten des Bewusstseins und den erhellten Sinnen beginnen die drei Seelenfähigkeiten in der Seele zu wirken. Denken, Fühlen und Wollen wirken nun schöpferisch, als Schaffensmächte und “verarbeiten” was im Bewusstsein an Sinneswahrnehmungen ankommt. Doch alle drei Seelenfähigkeiten arbeiten zunächst triebhaft in der Seele. Es denkt automatisch in mir, mein Fühlen antwortet reflexhaft durch Sympathie oder Antipathie und mein Wille orientiert sich am eigenen Vorteil. Sie sind Seelentriebe. Erst nach und nach lernt das Ich die Seelenfähigkeiten zu führen. Dadurch reifen sie und werden erst zu wirklichen frei verwendbaren Schaffensmächten. Ihre reife Form ist vom Menschen errungen, ist Menschenwerk — die Schaffensmächte reifen im Menschenwerke.
Nun ist die Frage, um welche (Lebens-) Kräfte es sich handelt, die entbunden werden. Eine Kraft ist eine Energie. Sie ist, wie die Physik lehrt, ein anderer Daseinszustand von Materie, denn Materie kann in Energie überführt werden — und umgekehrt. Die Kräfte, es sind mindestens zwei, kann ich als das Durchgangsstadium verstehen, wenn Geist sich in Materie verwandelt und umgekehrt Materie wieder vergeistigt wird. Eine absteigende, inkarnierende und eine aufsteigende, exkarnierende Kraft wird demnach entbunden. Vielleicht kann ich annehmen, dass mit dem Entbinden von Kräften ein zyklischer Prozess in Gang gesetzt wird. Die Exkarnationsbewegung in Gestalt der Ätherisation des Blutes wird nun in einen Kreislauf-Prozess eingebunden, indem aufsteigende und absteigende Kräfte gemeinsam wirken, sich Auf- und Abbau im Körper möglichst die Waage halten. Diese nun wechselseitig sich regulierenden Kräfte bilden die Grundlage für die in der Seele möglichen Schaffens- und Reifungsprozesse.
Ich habe das Menschenwerk weiter oben als das Ergebnis der Selbsterziehung, als die Kultivierung von Denken, Fühlen und Wollen dargestellt. Das ist jedoch noch nicht alles. Als Menschenwerk, als Aufgabe des Menschen beschreibt Rudolf Steiner die Umgestaltung der sogenannten niederen Wesensglieder in die höheren. (Als erstes wird der uns von hohen geistigen Mächten zur Verfügung gestellte Astralleib in das Geistselbst umgearbeitet. Im zweiten Schritt wird der Ätherleib in den Lebensgeist umgewandelt und schließlich der physische Leib in die rein geistige Form des Geistmenschen.) Diese Umgestaltung geschieht schrittweise, wenn der Mensch an sich arbeitet im Verlauf vieler Inkarnationen. Es gibt eine Individualität, die alle Erdenleben umgreift, die von Leben zu Leben an sich arbeitet.
Im Menschenwerk, in den Taten des Menschen, reifen die Schaffensmächte. Ich habe den Eindruck, die Schaffensmächte sind als Karmakräfte anzusprechen. Sie reifen in den Menschenwerken, um sich in einem kommenden Leben auszuwirken. Stirbt der Mensch, so wirken seine Werke fort. Eine Idee wie die Evolution der Arten von Darwin wirkt auch nach dem Tod ihres Entwicklers in den nachfolgenden Menschen fort. Ebenso ist es mit Erfindungen und Bauwerken. Während dieser Zeit, in der die Individualität, die dieses Werk schuf, nicht inkarniert ist, reifen die Folgen dieser Tat. Sie werden das zukünftige Karma der Individualität erschaffen und die Möglichkeiten der Korrektur und des Ausgleichs bereitstellen.
Das zur Lebenswillenskraft werdende Licht aus Geistestiefen, das aus dem Tod erstehende Licht, wird zu einer Kraft, die von Inkarnation zu Inkarnation führt, deren “Herr” der Christus ist.