6 F
Es ist erstanden aus der Eigenheit
Mein Selbst und findet sich
Als Weltenoffenbarung
In Zeit- und Raumeskräften;
Die Welt, sie zeigt mir überall
Als göttlich Urbild
Des eignen Abbilds Wahrheit.
Himmelfahrt und die Zahl 40
In der Woche 6 F ist Himmelfahrt. Immer am Donnerstag der sechsten Woche nach Ostern ist Christi Himmelfahrt, denn dieses Fest wird am 40. Tag nach der Auferstehung gefeiert. Und das Pfingstfest wird zehn Tage später, am 50. Tag nach der Auferstehung gefeiert werden. Spricht sich das Ereignis der Himmelfahrt im Mantra aus? Und warum diese Zahlen? Warum gerade 40 — was sagen die 40 Tage über dieses Ereignis aus?
Die Erhebung Christi in den Himmel, die nur wenige Auserwählte erfahren, wird im Lukas- und im Markusevangelium des Neuen Testamentes der Bibel geschildert. Und zwar bei Lukas unter zeitlich und bei Markus unter räumlich tingierter Sichtweise. Vom 40. Folgetag wird nur in der Apostelgeschichte des Neuen Testamentes berichtet:
Im Lukasevangelium (24, 49–51) verkündet der Auferstandene den Jüngern das Pfingstereignis, das allen Völkern gilt (Luk 24, 47) führt sie hinaus, segnet sie und entschwindet ihren Blicken. Die Jünger sind von großer Freude erfüllt, kehren nach Jerusalem zurück und warten auf die Sendung des Heiligen Geistes, auf Pfingsten (Apg. 2, 1–14). So endet das Lukasevangelium mit dem Fokus auf ein zukünftiges Ereignis, auf das zu erwartende Pfingstfest. Hier ist also der Fokus auf ein Zeitliches gerichtet, auf den Zukunftsaspekt der Zeit.
Bei Markus (16,19) heißt es, dass Christus seit dem Ereignis der Himmelfahrt zur Rechten Gottes sitzt. Das Markusevangelium endet mit diesem Bilde, unmittelbar nachdem der Auftrag, das Evangelium zu verkünden und Menschen zu heilen, erteilt worden war. So endet das Markusevangelium mit einer räumlichen Information — “zur Rechten”. Auch wenn damit kein irdischer Raum gemeint ist, liegt offensichtlich in dieser aus räumlichen Verhältnissen stammenden Information eine Bedeutung.
Im Evangelium ist die Himmelfahrt Christi nirgends mit der Zahl 40 verbunden. Erst in der Apostelgeschichte wird von den 40 Tagen folgendes gesagt: “Ihnen (den Aposteln) erwies er (der auferstandene Christus) sich auch nach seinem Leidensgang als der Lebendige in vielen Begegnungen; vierzig Tage hindurch zeigte er sich ihnen und sprach mit ihnen vom Reich Gottes” (Apostelgeschichte 1, 3).
Die Zahl 40 spielt auch an anderen Stellen eine wichtige Rolle. Sie begegnet uns in den 40 Jahren, die das auserwählte Volk durch die Wüste ziehen muss, den 40 Tagen, die Christus nach der Taufe in der Wüste fastend verbringt, bevor er handelnd in die Welt tritt. Außerdem sind es 40 Wochen, die ungefähr eine Schwangerschaft dauert. Alle drei mit der Zahl 40 verbundenen Ereignisse beschreiben einen Prozess tiefgreifender Wandlung und Neu-Werdung. Auch die Zahlenmystik spricht bei der 40 von einem Durchbruch in eine neue Dimension. “Die Zahl Vierzig (40) setzt sich zusammen aus 4 und 0. Null, okkult gelesen als Ei, bedeutet den Abschluss, die Vollendung eines Entwicklungszyklus. Vier ist die Zahl der Maya, des äußeren Scheins. Wenn in der Bibel von der Zahl 40 gesprochen wird, deutet das an, dass die Maya überwunden wird…” (anthrowiki.at, 40).
In welche neue Dimension des Bewusstseins führt nun das Mantra 6 F selbst?
Was sagt mir das Mantra 6 F?
Zunächst erinnert der Inhalt des Mantras 6 F an das vorherige, an den Spruch 5 E. Der jetzige Inhalt scheint fast identisch mit der zweiten Hälfte von 5 E — mit dem Unterschied, dass es nun einen bewussten Ich-Sprecher gibt. Doch bei genauerer Betrachtung zeigen sich weitere Unterschiede: Es ist im Mantra 6 F das Selbst, das erstanden ist, nicht das Wesen der Seele. Das Wesen der Seele erscheint im Licht aus Geistestiefen geweitet zum Weltensein und auferstanden (5 E). Im Mantra 6 F teilt der Ich-Sprecher den Sachverhalt als Tatsache mit. Das Selbst ist aus der Eigenheit erstanden. Zum einen hat sich die Auferstehung vom Schein zur Tatsache weiterentwickelt, zum anderen ist nun vom “Selbst” und nicht mehr vom “Wesen der Seele” die Rede. Was ist jeweils damit gemeint? Unsere Seele erleben wir als einen Seelenraum, in dessen Zentrum wir unser Ich erahnen. Dieses Ich ist aber nicht direkt erlebbar für uns. Stattdessen erleben wir uns als ein Selbst. Das Selbst ist, wie Rudolf Steiner sagt, die Spiegelung des Ichs am physischen Leib. “Und was der Mensch sein Selbst nennt, ist nicht das wirkliche Ich, ist das Ich, wie es sich spiegelt im physischen Leib.” (GA 145, S. 188)
Im Mantra 5 E war der Selbstheit Innenmacht noch das Enge, das überwunden werden musste. Der Seele Wesen musste sich von dieser selbstischen Eigenschaft befreien, auferstehen. Da das Selbst ein Icherleben ist, das sich am physischen Leib erzeugt, vermittelt diese Erfahrung auch das Erlebnis der Trennung, die physischen Körpern eigen ist. In Verbindung mit dem Ego ist das Begrenzende die Innenmacht der Selbstheit. Von dieser Begrenzung auf den Körper erscheint die Seele im göttlichen Licht auferstanden.
Im Mantra 6 F ist das Selbst nicht diese niedere, mit dem Ego verschwisterte Macht. Hier ist das Selbst auf dem Weg der Entwicklung. Rudolf Steiner spricht in diesem Fall vom höheren Selbst oder auch vom Geistselbst. “Das niedere Selbst des Menschen ist sein im Egoismus verhärtetes Ego; sein höheres Selbst ist das Geistselbst, der durch die bewusste Arbeit des Ich vergeistigte Astralleib” (anthrowiki.at, Selbst). Im Mantra 5 E wird uns die Überwindung des Egoismus in der Seele geschildert. Im Mantra 6 F wird uns dagegen das Selbst geschildert, das auf dem Weg ist, Geistselbst zu werden.
Rudolf Steiner führt aus: “Ich wollte zeigen, wie man allmählich dahin kommen kann, das, was in unserem Inneren lebt als astralischer Leib und Selbst, seiner wahren Gestalt nach, nicht in der Maya, zu erkennen; denn so wie der Mensch seinen astralischen Leib innerlich erlebt, so ist es nicht der wirkliche astralische Leib, so ist es der astralische Leib, wie er sich spiegelt im Ätherleib. Und was der Mensch sein Selbst nennt, ist nicht das wirkliche Ich, ist das Ich, wie es sich spiegelt im physischen Leib. Spiegelbilder seines Inneren erlebt der Mensch nur” (GA 145, S. 188 aus: anthrowiki.at, Selbst). Rudolf Steiner unterscheidet also Astralleib und Selbst. Das im (Lebensäther-) Licht aus Geistestiefen erscheinende Wesen der Seele (5 E) kann ich als den im Ätherleib gespiegelten Astralleib ansprechen, das sich an der Physis spiegelnde Ich als das Selbst im Spruch 6 F.
Dieses Selbst ist im Mantra 6 F aus der Eigenheit erstanden. Im Vergleich zu dem “auferstanden” aus 5 E, das den Prozess der Aufwärtsbewegung betont, wirkt “erstanden” statischer, aufrechter, dem Ich gemäß. Das Selbst ist aus der Eigenheit erstanden und der Ich-Sprecher als wacher Beobachter bezeugt diesen Schritt. Das sich am physischen Leib spiegelnde und als Selbst wahrnehmende Ich ist aus der Eigenheit erstanden, ausgeschlüpft aus der Abgegrenztheit des Ego-Seins. Für das Ich ist nun nicht nur der eigene physische Leib Spiegel der Selbstwahrnehmung, sondern die ganze Welt. Das Selbst findet sich als Weltenoffenbarung — und zwar in zweifacher Weise: in Zeit- und Raumeskräften.
Wie könnte das aussehen, was das Ich da als sein Selbst im Spiegel der Welt sieht? Was offenbart die Welt dem Ich?
Ich möchte mich zunächst den Raumeskräften, und deshalb auch dem Raum zuwenden, weil dieser leichter ins Bewusstsein zu heben ist. Wie nehme ich also den Raum wahr und was offenbart er mir? Der Raum, den ich durch meine Augen sehen kann, ist idealer Weise wie z. B. auf offener See ein kreisrunder Raum. Für meinen Horizontkreis unterscheide ich vier Richtungen: vorne, hinten, rechts und links. Sehe ich von mir ab, von meiner Eigenheit, so gibt es im Raum die vier Himmelsrichtungen, die durch den Sonnenlauf ihre Charakteristik erhalten: Osten, Westen, Norden und Süden. Diese Richtungen sind in alten Mysterientexten mit besonderen Qualitäten verbunden. Thor geht in der Edda, der Nordisch- Germanischen Mythologie, immer auf Ostfahrt, die Königin von Saba kommt im Alten Testament aus dem Süden. Durch diese Beispiele wird deutlich, dass mit den Himmelsrichtungen ganz bestimmte Qualitäten verbunden sind. Dies sind kosmische Richtungskräfte, die beim Hörer früherer Zeiten wachgerufen wurden, wenn die Himmelsrichtung genannt wurde. Von Rudolf Steiner gibt es die Angabe, dass Michael, der Lenker der Ich-Entwicklung, aus dem Osten wirkt. Gabriel, der mit den heiligen Herzenskräften und dem Astralleib verbunden ist, wirkt aus dem Süden. Raphael ist mit dem Ätherleib verbunden und wirkt aus dem Westen. Uriel, mit dem physischen Leib verbunden, wirkt aus dem Norden (GA 265, 316f). Das Ich erkennt das Selbst als Offenbarung der Welt, als das Zusammenwirken der vier Wesensglieder-Kräfte aus den vier Himmelsrichtungen. Das Selbst findet sich — nachdem es sich sozusagen als zu enge Selbstheit (siehe 5 E) verloren hatte — im Zentrum der vier Wesensglieder. Diese vier Wesensglieder, der physische Leib, der Ätherleib, der Astralleib und das Ich wurden dem Menschen im Laufe der Entwicklung verliehen. Das Selbst findet sich in den Raumeskräften als das, was der Mensch durch die vergangenen Entwicklungen geworden ist.
Und was offenbaren nun die Zeitkräfte diesem Selbst und dadurch dem Ich? Zeit gliedert sich in die drei Qualitäten von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese sind verbunden mit den drei Seelenfähigkeiten Denken, Fühlen und Wollen. Das Denken beruht immer auf vergangenen Wahrnehmungen, die Vorstellung geworden sind, das Fühlen ist immer gegenwärtig, der Wille setzt seine Ziele in der Zukunft. Aus diesen inneren Kräften werden die zukünftig zu entwickelnden geistigen Wesensglieder gebildet werden. Rudolf Steiner sagt: “Drei höhere Glieder wird er entwickeln können, er wird sie aber in seinem Innern ausbilden. Aus den vier Gliedern wird er drei hervorwachsen lassen als eine höhere Dreiheit. … Sie (die Erzengel-Lenker dieser Entwicklungen) stehen nicht in den vier Richtungen des Raumes wie die vier Erzengel, die das kosmische Kreuz formen, so als hätten sie sich von einem gemeinsamen Mittelpunkte heraus voneinander entfernt, sondern sie sind so miteinander verbunden, dass sie ein Dreieck formen, strahlend in goldenem Glanze. In dem <Ich bin der da war, der da ist, der da sein wird> verbinden sie die drei Punkte der Zeit: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und weben diese zur Einheit. In die Vier hinein werden sie ihre Kraft ergießen, indem sie nicht neben den vier, sondern über den Vier stehen ” (GA 265, 336ff, in anthrowiki.at, Himmelsrichtungen). Durch die Zeitkräfte offenbart sich dem Ich, was der Mensch in der Zukunft entwickeln kann.
Stand im ersten Teil des Mantras 6 F das Selbst und damit die Eigenwahrnehmung des Ich-Sprechers im Mittelpunkt, so rückt nun die Wirkung der Welt auf das Ich in den Fokus. Die Welt tut etwas. Sie zeigt dem Ich-Sprecher die Wahrheit des eigenen Abbilds. Sie zeigt ihm und sagt ihm damit: <das Bild, das du von dir als Spiegelung an der physischen Welt siehst, ist wahr>. Die Welt ist das göttliche Urbild, von dem der Mensch Abbild ist. Überall hat der Mensch die vier Himmelsrichtungen um sich, immer wirkt die Zeit verändernd auf den Raum ein. Die Welt zeigt überall als göttliches Urbild, wovon jeder einzelne Mensch ein wahres Abbild ist. In jedem Menschen wirken die vier bereits entwickelten Wesensglieder zusammen und in jedem Menschen liegen die Keime für die drei in Zukunft zu entwickelnden geistigen Wesensglieder. Das Ich hat Bewusstsein über seinen äußeren und inneren Raum und seine Zeitgestalt erlangt. Der Ich-Sprecher erkennt in der Welt das (göttliche) Urbild, von dem er selbst ein wahres Abbild ist.
Indem der Ich-Sprecher sein Selbst als Weltenoffenbarung erlebt, hat nicht nur eine Auferstehung, eine Überwindung der Begrenztheit der Dualität von Außen- und Innensein stattgefunden, sondern eine weitere Erhebung. Hatte das Ich sich bis dahin im individuellen, sterblichen Leib gespiegelt, um Kenntnis von sich zu erhalten, so bezieht es nun seine Selbstwahrnehmung aus den überindividuellen Zeit- und Raumeskräften. Diese Kräfte sind nicht wie der physische Leib der Vergänglichkeit unterworfen. Sie sind überzeitlicher, vielleicht sogar ewiger Natur. Rudolf Steiner beschreibt die Himmelsrichtungen als von vier Erzengeln beherrscht. Mit dem Erstehen des Selbstes ist dem Ich bildlich gesprochen der Himmel, das Ewige des Menschen zugänglich. Mit Christi Himmelfahrt wird uns das Bild dieser Erhebung des Ichs gegeben. Rudolf Steiner bezeichnet den Christus auch als das wahre Ich. In den Mantren des Seelenkalenders werden die Stufen der Seele beschrieben. In den 40 Tagen bis zu diesem Himmelfahrtstag drückt sich, wie oben beschrieben, nach jüdischer Tradition die vollständige Neu-Werdung aus. Das Bewusstsein des Ich-Sprechers reicht sozusagen von der Erde bis in den Himmel.