11 L

Es ist in dieser Sonnenstunde

An dir, die weise Kunde zu erkennen:

An Wel­tenschön­heit hingegeben,

In dir dich füh­lend zu durchleben:

Ver­lieren kann das Menschen-Ich

Und find­en sich im Welten-Ich.

Auflösung des Astralleibs — die zweite Stufe nach dem Tod

Unser Astralleib, in Ableitung von griechisch “Aster” auch “Ster­nen­leib” genan­nt, ist der Träger unseres Bewusst­seins, das sel­ber noch nicht Selb­st­be­wusst­sein ist, dieses aber aus sich her­vor­bringt. Der Astralleib ist der Erreger jed­er Begierde und Lei­den­schaft. Jed­er als sym­pa­thisch oder antipathisch beurteil­ten Empfind­un­gen liegt der Astralleib zu Grunde, eben­so unseren Gedanken und Vorstel­lun­gen. Auch unsere Wahrnehmungs- und Bewe­gungs­fähigkeit beruht auf den Kräften des Astralleibs. Rudolf Stein­er sagt: “In diesem astralis­chen Leib sieht das hellse­herische Bewußt­sein alles abge­bildet, was man seel­is­che Erleb­nisse nen­nt, von dem nieder­sten Triebe an bis hin­auf zum höch­sten sit­tlichen Ide­ale.“ (GA 104, S. 52).

Diese Fülle von irdisch-seel­is­chen Erleb­nis­see muss nach dem Tod ver­ar­beit­et und aus einem neuen Bewusst­sein her­aus beurteilt wer­den. Dies geschieht, indem das Leben rück­wärts erlebt wird in dreifach beschle­u­nigter Leben­szeit. Rudolf Stein­er beschreibt: „Nach­dem man … die Hand­lun­gen durchgemacht hat, zurück­ge­laufen ist mit den Hand­lun­gen bis zu sein­er Geburt, ist es so, daß man diese Hand­lun­gen eben vom Ster­nen­stand­punk­te aus beurteilt. Man bekommt jet­zt über sich nicht das Urteil, daß man bloß zurückschaut, son­dern man bekommt das Urteil nach vor­wärts; man bekommt das Urteil: Dies mußt du tun, um auszu­gle­ichen diese Hand­lung; dies mußt du tun, um auszu­gle­ichen eine andere Hand­lung. — Darin­nen ste­ht man für die näch­sten zwanzig, dreißig Jahre seines Lebens nach dem Tode, je nach­dem man alt gewor­den ist, etwa ein Drit­tel der irdis­chen Zeit. Kinder machen das sehr kurz durch. Es kommt kaum in Betra­cht bei ganz kleinen Kindern, wie Sie sich denken kön­nen nach meinen Aus­führun­gen. Man durch­lebt auf diese Weise tat­säch­lich, indem man noch einen geistig-seel­is­chen Zusam­men­hang hat mit seinem Irdis­chen, sein Leben rück­wärts noch ein­mal. Und wenn man angekom­men ist bei der Geburt, dann stellt sich das her­aus, daß einem von all­dem die Erin­nerung bleibt. Es ist jet­zt ger­ade so, wie wenn man wieder einen Leib able­gen würde. Man sagt, man legt den astralis­chen Leib ab. Aber was in Wirk­lichkeit geschieht, ist, daß sich das lebendi­ge Tun, in dem man vorher war, ver­wan­delt in ein Gedanken­bild, nur daß jet­zt ein ganz anderes Bewußt­sein, ein Ster­nen­be­wußt­sein denkt, während hier ein irdis­ches Bewußt­sein gedacht hat.“ (GA 218, S. 166f). Eine ganz neue Sinnhaftigkeit, ein neues Ver­ste­hen der Zusam­men­hänge des eige­nen Lebens stellt sich ein — ver­bun­den mit dem Willen zum Aus­gle­ich. Ein Kar­ma-Bewusst­sein entwick­elt sich. Dadurch wird der Same bere­it­et für das Kar­ma eines neuen Lebens. Wenn ich im Leben mein Ich als die meine Gedanken wil­len­shaft führende Instanz erlebt habe, so fragt sich, welch­er Art das Ich des neuen Ster­nen­be­wusst­seins ist, das nach Able­gen des Astralleibs nun denkt. Das Mantra 11 L scheint mir darauf eine Antwort zu geben.

Das nicht von Menschenhand gemalte Antlitz Christi

Im Zitat oben wird gesagt, dass sich auf dieser Stufe der Entwick­lung das lebendi­ge Tun, also der gewohnte Fluss des Lebens in ein Gedanken­bild, in ein ruhig ste­hen­des Gesamt­bild ver­wan­delt. Diese Aus­sage möchte ich zum Anlass nehmen, ein­er sehr alten Tra­di­tion nachzus­püren, der Verehrung des soge­nan­nten Abgar-Bildes. Das Abgar-Bild, auch Mandylion genan­nt, ist der Leg­ende nach das nicht von Men­schen­hand gemalte Bild des Antlitz Christi. (Die Abbil­dun­gen dieses Tuch­es sind natür­lich gemalte Iko­nen.) Dieses heute ver­lorenge­gan­gene Tuch zeigt Par­al­le­len zum Turiner Grab­tuch bzw. dem Schweiß­tuch der heili­gen Veroni­ka. Diese zeigen das Antlitz Christi, das durch Abdruck seines Gesicht­es auf diesem Tuch ent­standen sein soll.

Mandylion kommt von alt­griechisch μανδύλιον‚ was Tuch, Hand­tuch‘ bedeutet. Ein Bote soll dem kranken mesopotamis­chen König Abgar V. Ukam­ma statt Jesus in Per­son, ein Tuch mit dessen Gesicht mit­ge­bracht haben, woraufhin der König gesund wurde. Dieses Bild gilt als die erste Ikone und wird auch das Chris­tus­bild von Edessa (heute Şan­lıur­fa, Türkei) genannt.

Typ­is­ch­er Weise wird bei Darstel­lun­gen dieses Bildes das Haupt Christi frontal, ohne Hal­sansatz, dargestellt. Seine Haare fall­en bei­d­seits in zwei bis drei Flecht­en bis auf die Schul­tern, auch der Bart läuft in älteren Exem­plaren in zwei Spitzen aus. Wie drei Kraft­ströme fließen die Haare aus dem Kreis des Heili­gen­scheins und erin­nern an die drei Geist­gestal­ten der Verk­lärung: Elias, Chris­tus und Mose, die wie drei Säulen im Bild ste­hen (siehe dazu beim Mantra 10 K.)

Mandylion, Jaroslawel Anfang 13. Jhd.

Beim Anblick dieses Bildes kam mir der Gedanke, dass der König damals geheilt wurde, weil er im Jahreskreis das Angesicht Christi als die Leben spendende Son­nen­macht schauen kon­nte, die den Jahres­lauf hervorbringt.

Auf der ältesten Darstel­lung, die ich fand, ragen die Haare nicht aus dem Heili­gen­schein her­aus. Dadurch bleibt der gold­ene Nim­bus geschlossen und erscheint wie erfüllt vom Gesicht. Der Jahreskreis als Gewebe, als Tuch, in dem Christi Antlitz erscheint, wird hier noch deutlicher.

Mandylion von Edessa, das nicht von Men­schen­hand gemaltes Antlitz Christi, Nov­goroder Ikone, 1100 

Warum sind es immer min­destens zwei (manch­mal links drei) Haarsträ­nen, zwei Bart­spitzen? Ich habe dazu keine erk­lärende Äußerung gefun­den. Möglicher­weise ist dadurch auf die auf Erden wal­tende Dual­ität gewiesen, die in Vere­ini­gung Ganzheit darstellt. Auch die bei­den Hal­b­jahre bilden erst gemein­sam den Jahreskreis.

Was sagt mir das Mantra 11 L?

Das Mantra 11 L spricht mich als Leser direkt an. Trotz der bei­den Verse, die mit je einem Dop­pelpunkt abgeschlossen sind, und die der eigentlichen Botschaft vor­angestellt sind, liest sich das Mantra 11 L als eine einzige und zusam­men­hän­gende “Wörtliche Rede”. Ich werde als Leser durchgängig als Gegenüber mit Du angesprochen.

Wer ist es, der hier spricht und redet, aber unge­nan­nt bleibt? Im vorherge­hen­den Spruch 10 K wurde das Bild der Sonne vor die Seele gestellt, deren Wesen am Schluss als ein Gottes­geist benan­nt wurde. Im Spruch 1 A wird die Sonne als Sprechende genan­nt, doch fol­gt keine Rede. Alle drei Mantren sind beson­ders promi­nente Vertreter der Qual­itäten der Zahl Eins. Dadurch kommt als Sprech­er für dieses Mantra das Son­nen­we­sen in Frage. Der Stil ist ein­dringlich, auf­fordernd, belehrend. Ich komme mir als Leser vor wie ein Schüler, der eine Unter­weisung erhält, die mich streng anspricht und wach macht.

Es ist in dieser Son­nen­stunde an dir, die weise Kunde zu erken­nen: Wenn ich etwas in dieser Stunde erken­nen soll, so soll ich es sofort, jet­zt, auf der Stelle, zu dieser Stunde erken­nen. Es ist dringlich! Die Son­nen­stunde sagt, dass das zu erken­nende jet­zt möglich, beleuchtet ist – zu anderen Zeit­en aber nicht, dass es dann sozusagen im Dunkel liegen wird. Es ist an mir es zu erken­nen. Ich bin der, auf den es in diesem Prozess ankommt, ich bin gefragt, Bewusst­sein zu entwick­eln. – Von der anderen Seite ist alles vor­bere­it­et, es herrscht Son­nen­stunde und die Kunde, das Wis­sen ist vorhanden.

Eine weise Kunde soll ich erken­nen. Kunde hat mit kün­den und verkün­den zu tun. Im Mantra 9 i kün­det die Ahnung mir kraftvoll mich zu ver­lieren, um mich find­en zu kön­nen. Im Mantra 10 K ist es die Empfind­ung, die dumpf kün­det, dass ich einst erken­nen werde, was sich dort gegen­wär­tig zuträgt. Hier im Mantra 11 L ist die Tätigkeit des Kün­dens zur Kunde gewor­den. Es ist ein Wis­sen, dass ich erken­nen soll. Es lautet: Ver­lieren kann das Men­schen-Ich und find­en sich im Wel­ten-Ich. Was vorher in den bei­den Mantren spezielles Erleb­nis war, ist nun Kunde gewor­den — ein fer­tiges Wis­sen, von dem ich in Ken­nt­nis geset­zt werde.

Doch vor der eigentlichen Kunde erge­ht eine zweifache Auf­forderung an mich. Ich erhalte die Anleitung für eine spir­ituelle Prax­is: Während ich an die Wel­tenschön­heit hingegeben bin, soll ich mich füh­lend durch­leben. Dieser Anweisung muss ich fol­gen, wenn ich ein Kundi­ger wer­den will.

Was ist die Wel­tenschön­heit, der ich mich wahrnehmend hingeben soll? Über die heil­same “Essenz” der Schön­heit schreibt Eck­hart Tolle: “Gegen­wär­tigkeit ist nötig, um zur Schön­heit, zur Majestät, zur Heiligkeit der Natur aufzuwachen. … Jen­seits der Schön­heit aller äußeren For­men gibt es noch mehr: etwas, das nicht benan­nt wer­den kann, etwas Unaussprech­lich­es, eine tiefe, innere, heilige Essenz. Wann und wo immer Schön­heit ist, da scheint diese innere Essenz qua­si durch. ” (Eck­hart Tolle, Jet­zt, die Kraft der Gegen­wart, Biele­feld, 28. Aufl. 2014, S. 108). Die Wel­tenschön­heit ist die Schön­heit der Welt, all ihrer Geschöpfe und Gestal­ten im steti­gen Wand­lung­sprozess des Jahres. Alles Schöne ist in sein­er Art vol­lkom­men. Ich bekomme also gesagt, ich soll die Vol­lkom­men­heit in allem wahrnehmen und ganz darin aufge­hen. Ich soll die Schön­heit nicht nur im Wer­den sehen, son­dern auch im Verge­hen, denn das macht die Welt aus. Sie ist in ständi­ger Wand­lung begrif­f­en. Diese Bilder der Vol­lkom­men­heit der Welt soll ich ganz in mich aufnehmen. In diesem Wahrnehmen bin ich gewöhn­lich ganz im Außen, ganz beim Wahrnehmungs­ge­gen­stand. Hier werde ich jedoch aufge­fordert, mich gle­ichzeit­ig füh­lend zu durch­leben, mich nach innen zu wen­den.  Ich soll mich fühlen.

Mich zu fühlen bedeutet zunächst, meine Emo­tio­nen und Gefüh­le wahrzunehmen. Aber außer­dem sind auch meine Wil­len­sim­pulse und Gedanken in ihren sym­pa­this­chen oder antipathis­chen Tingierun­gen für mich inner­lich erfühlbar. Für kundi­ge Men­schen offen­baren die Muskeln die ver­gan­genen Erleb­nisse eines Men­schen. Sie spe­ich­ern alle Trau­ma­ta. Die Emo­tio­nen und der Kör­p­er reagieren auf jede gedankliche Bew­er­tung, die der Geist vorn­immt und bewahren sie als Muskelspan­nung, bis eine Neube­w­er­tung erfol­gt. Das sym­pa­thisch bew­ertete Erleb­nis wirkt entspan­nend, das antipathisch bew­ertete führt zu höher­er Anspan­nung. Werde ich mir meines Füh­lens bewusst, bin ich ganz gegen­wär­tig. So ist ungeschmink­te Selb­sterken­nt­nis möglich.

Gewöhn­lich gelingt es mir entwed­er bewusst die sinnliche Außen­welt wahrzunehmen, oder meine seel­is­che Innen­welt. Eck­hard Tolle beschreibt im obi­gen Buch, dass es mit etwas Train­ing möglich ist, in bei­den Rich­tun­gen gle­ichzeit­ig “bewusst zu sein”. Dadurch hebe ich meine unter­be­wussten Reak­tio­nen auf ein neues Niveau, meine son­st unbe­wusst bleibende Gefühls-Antwort tritt ins Bewusst­sein. Diese dop­pelt gerichtete Aufmerk­samkeit ermöglicht mir eine neue Sicht auf die Welt und auf mich. So ganz gegen­wär­tig zu sein, beschreibt er als frei von der Zeit zu sein. Dadurch erhält sowohl die Wahrnehmung eine tief­ere Dimen­sion, als auch mein Fühlen des Kör­pers: “Die zeit­lose Dimen­sion bringt eine andere Art von Wis­sen mit sich, eine, die den Geist, der in allen Lebe­we­sen und allen Din­gen lebt, nicht <tötet>. Ein Wis­sen das die Heiligkeit und das Geheim­nis des Lebens nicht zer­stört, son­dern eine tiefe Liebe und Verehrung für alles bein­hal­tet, was ist. Ein Wis­sen, von dem der Ver­stand nichts weiß.” (Eck­hart Tolle, Jet­zt, s.o., S. 65).

Und über das Fühlen des eige­nen Kör­pers schreibt er: “Indem du tiefer in deinen Kör­p­er gehst, bist du über ihn hin­aus­ge­gan­gen.” Und kurz darauf: “Wenn du nun mit dein­er Aufmerk­samkeit tief in den inneren Kör­p­er hineingehst, erre­ichst du vielle­icht diesen Punkt, diese Einzi­gar­tigkeit, wo sich die Welt im Unman­i­festen auflöst und das Unman­i­feste als Energiefluss des Chi Form annimmt, der dann die Welt wird. Das ist der Punkt von Geburt und Tod. Wenn dein Bewusst­sein nach außen gerichtet ist, entste­hen der Ver­stand und die Welt. Ist es nach innen gerichtet, erken­nt es seine eigene Quelle und kehrt nach Hause zurück ins Unmanifeste. …

Lasse dies deine spir­ituelle Prax­is sein: Während du mit deinem Leben befasst bist, gebe der äußeren Welt und deinem Ver­stand nicht hun­dert Prozent dein­er Aufmerk­samkeit. Behalte einen Teil im Innern. Ich habe darüber schon gesprochen. Füh­le den inneren Kör­p­er auch, wenn du alltägliche Dinge tust, beson­ders wenn du [mit Men­schen oder] … mit der Natur in Kon­takt bist. Füh­le die Stille in deinem Inner­sten. Halte das Por­tal geöffnet. Es ist wirk­lich möglich, dein ganzes Leben lang ein Gewahr­sein für das Unman­i­feste zu haben. Du spürst es als ein tiefes Gefühl von Frieden, irgend­wo im Hin­ter­grund, eine Stille, die dich nie ver­lässt, ganz gle­ich was da draußen passiert. Du wirst zu ein­er Brücke zwis­chen dem Unman­i­festen und den Man­i­fes­ta­tio­nen, zwis­chen Gott und der Welt. Das ist der Zus­tand von Ver­bun­den­heit, den wir Erleuch­tung nen­nen. … Das Unman­i­feste… ist das Leben inner­halb ein­er jeden Form, die inner­ste Essenz von allem, was lebt.” (Eck­hart Tolle, Jet­zt, s.o. S. 140ff)

Nach dieser Anleitung für ein spir­ituelles Train­ing fol­gt die eigentliche Kunde: Ver­lieren kann das Men­schen-Ich und find­en sich im Wel­ten-Ich. Schon im Mantra 9 I (Neun und großes i) leuchtete dieses The­ma auf. Dort hieß es noch: Ver­liere dich, um dich zu find­en, — eine Aus­sage, die sich nur auf mich bezog. Daraus ist nun eine ver­all­ge­mein­erte Lehre gewor­den, eine Kunde, die in ihrer Bedeu­tung über die Aus­sage von 9 I hin­aus geht. Ich soll nicht nur mein irdisch-ego­is­tis­ches Mit­telpunk­ts-Gefühl ver­lieren und mich in meinem geisti­gen Sein find­en. Nun soll ich dieses geistige Sein, mein Men­schen-Ich, eben­so ver­lieren kön­nen, um mich zu inte­gri­eren im Welten-Ich.

Es heißt: Ver­lieren kann das Men­schen-Ich … Das Men­schen-Ich kann also in einen Zus­tand kom­men, in dem es sich ver­liert. Und es kann — nicht wird oder muss — sich find­en im Wel­ten-Ich. Es sind zwei Möglichkeit­en beschrieben. Um hier eine Vorstel­lung dieses Prozess­es entwick­eln zu kön­nen, ist die schon öfter erwäh­nte Punk-Kreis-Med­i­ta­tion hil­fre­ich. Im irdis­chen Leben erfahre ich mein Ich als Zen­trum mein­er Seele. (Die Unter­schei­dung des Ichs vom Ego soll hier nicht the­ma­tisiert wer­den.) Das Ich kann sich vom Zen­trums-Sein weit­en und Umkreis wer­den. Ein Umstülpung­sprozess kann sich vol­lziehen. Im Leben im physis­chen Leib spiegeln mir die anderen Men­schen mein Ich durch die Art, wie sie auf mich reagieren. Auch wenn ich mich ein­er Wahrnehmung ganz hingebe, gehe ich aus mir her­aus und werde für den Moment Umkreis. Betra­chte ich dieses Umkreis-Wer­den aber für das Leben nach dem Tode, so stellt sich die Frage: was bleibt von meinem indi­vidu­ellen Sein, wenn ich mich zum Umkreis weite? Gehe ich ins Nir­vana ein, ver­hauche ich mich dann? Nein, sagt das Mantra 11 L, ich kann mich auch find­en im Welten-Ich.

Doch worin kann ich mich eigentlich find­en? Was oder wer ist das Wel­ten-Ich? Das Wel­ten-Ich ist eine Beze­ich­nung Rudolf Stein­ers für den Chris­tus, wie fol­gen­des Zitat deut­lich macht: „Das Ich ist im Men­schen das­selbe wie Chris­tus in der Welt. … Chris­tus ist das Wel­tenzen­trum. Er ist das Wort, das in der Mitte der ganzen Entwick­lung ste­ht. … Das Göt­tliche hat­te sich mit der eige­nen Schöp­fung voll­ständig vere­int, als Chris­tus sich her­ab­senk­te auf die Per­sön­lichkeit des Jesus von Nazareth und in ihm seinen Einzug hielt. Dieser Chris­tus war ein Aus­druck des ganzen Wel­tenlebens in einem physis­chen Kör­p­er, in der Hülle der Per­sön­lichkeit des Jesus, der in Palästi­na lebte. Dort war das ganze Wel­tenleben zusam­menges­trahlt wie in einem Mit­telpunkt. Dort wohnte während drei irdis­chen Jahren das Wel­ten-Ich. Dort kam das Wel­ten-Ich zu sich, zum Bewusst­sein sein­er ganzen Auf­gabe für die Welt, die vorher von ihm aus­ge­gan­gen war. Hat­te zuerst der Logos die Welt aus sich her­vorge­hen lassen durch das Schöpfer­wort, hielt er selb­st diese aus ihm her­vorgeströmte Welt in seinen Armen und durch­pul­ste er sie mit seinem eige­nen Leben, so nahm er jet­zt das große Opfer auf sich, nicht länger nur als Schöpfer und Erhal­ter dieser Welt zu leben und über sie zu herrschen, son­dern er zog mit seinem Leben in das Zen­trum dieser Welt ein. Die Welt hat­te er sich gestal­tet als eine Hülle, als den Tem­pel, in dem er wohnen wollte. Da ver­band sich das Wort mit allem, was durch das­selbe gedacht war. Das Wort ward Fleisch.“ (GA 91, S. 241)

Das, was beim Men­schen das Ich ist, seine ganz indi­vidu­elle geistige Essenz, die von Inkar­na­tion zu Inkar­na­tion geht, die im Leben Mit­telpunkt der Seele ist, dieses Ich gehört zum Mikrokos­mos — zum Innen­raum des Men­schen. Dem Mikrokos­mos ste­ht der Makrokos­mos gegenüber. Auch der Makrokos­mos hat ein Ich, wie Rudolf Stein­er aus­führt: „Der Chris­tus unter­schei­det sich ganz radikal von anderen Wesen­heit­en, die an der Erde­nen­twick­elung teil­nehmen. … Er war eine makrokos­mis­che Wesen­heit vom Beginn der Erde­nen­twick­elung an, eine Wesen­heit, welche also ganz anderen Entwick­elungs­be­din­gun­gen aus­ge­set­zt ist als die mikrokos­mis­chen Wesen­heit­en. Und seine Entwick­elungs­be­din­gun­gen waren eigen­er Art. Sie waren so, daß diese makrokos­mis­che Chris­tus- Wesen­heit außer­halb des Irdis­chen das makrokos­mis­che vierte Prinzip, das makrokos­mis­che Ich entwick­elt hat­te. … Es war also für die Entwick­elung der Chris­tus-Wesen­heit nor­mal — als sie von dem Makrokos­mos nieder­stieg auf unsere Erde -, here­inzubrin­gen den großen Impuls vom makrokos­mis­chen Ich, damit das mikrokos­mis­che Ich, das Men­schen-Ich, diesen Impuls aufnehme und weit­erkom­men könne in der Entwick­elung. … So ist das Chris­tus-Wesen ein Wesen, das in ein­er gewis­sen Beziehung dem Men­schen gle­icht, nur daß der Men­sch mikrokos­misch ist und seine vier Prinzip­i­en mikrokos­misch zum Aus­druck gebracht hat, also auch sein Ich mikrokos­misch hat als Erden-Ich, der Chris­tus aber als Wel­ten-Ich. …  Und wie der Men­sch während der Erden­zeit die Mis­sion hat, sein Ich auszu­bilden, um emp­fan­gen zu kön­nen, so hat­te der Chris­tus sein Ich auszu­bilden, um geben zu kön­nen. Als er herun­ter­stieg auf die Erde war er so, daß alles in sein­er Wesen­heit ver­wen­det war, um in möglichst vol­lkommen­er Gestalt sein viertes Prinzip [Her­vorhe­bung A.F.] zum Aus­druck zu brin­gen. Nun hat ein jedes gle­ichzahlige Prinzip des Makrokos­mos und des Mikrokos­mos eine innige Ver­wandtschaft zum entsprechen­den anderen, das die gle­iche Zahl hat. Das vierte makrokos­mis­che Prinzip im Chris­tus entspricht dem vierten mikrokos­mis­chen im Men­schen und das fün­fte im Chris­tus wird dem Geist­selb­st im Men­schen entsprechen.“ (Lit.:GA 130, S. 213ff)

Ich erhalte in diesem Mantra die Kunde, dass ich mein Men­schen-Ich nicht ver­lieren muss im Nir­vana, wenn ich mich voll­ständig zum Umkreis geweit­et habe, son­dern dass ich mich find­en kann im Wel­ten-Ich, in Chris­tus als dem Makrokos­mis­chen Ich. Diese Kunde scheint mir auch in dem Rosenkreuzer­spruch enthal­ten zu sein, der lautet: «Ex deo nascimur — In Chris­to morimur — Per spir­i­tum sanc­tum reviviscimus» (Aus dem Gotte sind wir geboren — In dem Chris­tus ster­ben wir — Durch den Heili­gen Geist wer­den wir aufer­ste­hen).

In Chris­tus zu ster­ben, mein irdis­ches Men­schen-Ich zu ver­lieren, aufzugeben, um mich im Wel­ten-Ich des Chris­tus zu find­en, bedeutet für mich im Leben, das unbe­wusste Zusam­men­wirken mein­er drei See­len­fähigkeit­en (Denken, Fühlen und Wollen) ins Bewusst­sein zu heben. Dadurch kann ich das unbe­wusst-reflex­haft ablaufende Zusam­men­wirken dieser drei See­len­fähigkeit­en been­den, meinen Astralleib ein Stück auflösen und die drei See­len­fähigkeit­en unter die ord­nende Kraft des Ichs stellen.

Erstaunlicher­weise zeigt die Struk­tur des Mantras einen deut­lichen Bezug zu den drei See­len­fähigkeit­en. Es beste­ht aus drei Zeilen­paaren. Jedes dieser Paare wird beherrscht einem bzw. zwei Ver­ben, die einen deut­lichen Bezug zu ein­er der drei See­len­fähigkeit­en aufweisen:

In den ersten bei­den Zeilen werde ich angewiesen zu erken­nen, was Kunde gewor­den ist: also zu erken­nen, was aus der Ver­gan­gen­heit stammt. Das ist die Welt des Denkens.

In den mit­tleren bei­den Zeilen soll ich mich hingeben und fühlen: das ist ein gegen­wär­tiger Prozess, die See­len­fähigkeit des Fühlens.

In den let­zten bei­den Zeilen geht es um das Verlieren und das Finden, das sind Prozesse, die passieren kön­nen. Sie wer­den aus­ge­drückt durch Ver­ben der Hand­lung, die Zukun­fts­bezug zeigen. Dahin­ter ste­ht das Wollen.

So zeigt sich mir, dass sich die den See­len­fähigkeit­en eige­nen Zeitqual­itäten in den entsprechen­den Zeilen ent­deck­en lassen. Das Mantra zeigt sich dadurch als Aus­druck des Astralleibs.

Einen let­zten Gedanken will ich an die im Mantra genan­nte Son­nen­stunde anfü­gen: Einst, so sagt Rudolf Stein­er, war der Astralleib son­nen­haft. Dann wurde er mon­den­haft, um das Ich als neue Sonne aus sich zu gebären. Im Mantra scheint es mir genau um diesen Geburt­sprozess zu gehen.