FRÜHLING

1 A Oster-Stimmung

Wenn aus den Weltenweiten

Die Sonne spricht zum Menschensinn

Und Freude aus den Seelentiefen

Dem Licht sich eint im Schauen,

Dann ziehen aus der Selb­s­theit Hülle

Gedanken in die Raumesfernen

Und binden dumpf

Des Men­schen Wesen an des Geistes Sein.

Wer ist es, der hier als Sonne spricht?

Im Mantra 1 A spricht die Sonne zum Men­schen. Damit ist zum einen die äußere Sonne gemeint, die auf der Erde die Jahreszeit­en her­vor­bringt durch den sich wieder­holen­den Jahreszyk­lus. Doch nicht nur. Für Rudolf Stein­er ist die Sonne auch ein geistiges Wesen. Mehrfach beze­ich­nete er den Chris­tus als Son­nengeist, von der Sonne stam­mend. Was Rudolf Stein­er im fol­gen­den Zitat sagt, scheint mir für das tief­ere Ver­ständ­nis aller See­lenkalen­der Mantren entschei­dend. Jedes einzelne Mantra kann gele­sen wer­den als Rede der Sonne an den Men­schen — an den göt­tlichen Funken in ihm, seinem Ich:

„Chris­tus ist ein Son­nengeist, ein Feuergeist. Sein Geist ist es, der sich uns im Son­nen­licht offen­bart. Sein Leben­so­dem ist es, der in der Luft die Erde umspült und der mit jedem Atemzug in uns ein­dringt. Sein Leib ist die Erde, auf der wir wohnen […]. Damit wir uns unseres Selb­st, unseres Geistes bewußt wür­den, damit wir selb­st Geist­we­sen wür­den, opferte sich dieser hohe Son­nengeist, ver­ließ Seine königliche Woh­nung, stieg herab aus der Sonne und nahm physis­che Gewan­dung an in der Erde. So ist Er physisch in der Erde gekreuzigt.

Er aber umspan­nt geistig die Erde mit Seinem Licht und Sein­er Liebeskraft, und alles, was darauf lebt, ist Sein Eigen­tum. Er wartet nur darauf, daß wir Sein Eigen sein wollen. Geben wir uns Ihm ganz zu eigen, so gibt Er uns nicht nur Sein physis­ches Leben, nein, auch Sein höheres, geistiges Son­nen­leben. Dann durch­strömt Er uns mit Seinem göt­tlichen Licht­geist, mit Seinen wär­menden Liebesstrahlen und mit Seinem schöpferischen Gotteswillen.

Wir kön­nen nur sein, was Er uns gibt, wozu Er uns macht. Alles, was an uns dem göt­tlichen Plan entspricht, ist Sein Werk. Was kön­nen wir dazu tun? Nichts, als Ihn in uns wirken lassen. Nur, wenn wir Sein­er Liebe wider­streben, kann Er nicht in uns wirken. Wie kön­nten wir aber dieser Liebe wider­streben? Dem, der da spricht: «Ich habe Dich je und je geliebt und habe Dich zu mir gezo­gen aus lauter Güte.» Er hat uns geliebt von der Erde Urbe­ginn an. Wir müssen Seine Liebe in uns zum Wesen wer­den lassen. Nur das bedeutet wirk­lich­es Leben; nur da ist wahrer Geist, wahre Seligkeit möglich, wo uns dies Leben ein wesentlich­es Leben wird, das Chris­tus-Leben in uns.

Nicht von uns aus kön­nen wir selb­st rein und heilig wer­den, son­dern nur von diesem Chris­tus-Leben aus. All unser Streben und Rin­gen ist vergebens, solange uns nicht dies höhere Leben erfüllt. Das allein kann wie ein lauter­er, rein­er Strom alles hin­wegspülen aus unserem Wesen, was noch ungeläutert ist. Es ist der See­len­grund, aus dem dies reini­gende Lichtleben auf­steigen kann. Dort müssen wir unsere Woh­nung suchen, zu Seinen Füßen und der Hingabe an Ihn. Dann wird Er uns selb­st umwan­deln und uns selb­st mit Seinem göt­tlichen Liebesleben durch­strö­men, bis wir licht und rein wer­den wie Er; Ihm ähn­lich. Bis Er sein göt­tlich­es Bewußt­sein mit uns teilen kann. Durch Sein Licht muß die Seele rein, d. h. weise wer­den; so kann sie mit Seinem Leben sich vere­ini­gen. Dann ist das die Vere­ini­gung von Chris­tus und Sophia, die Vere­ini­gung des Chris­tus-Lebens mit der durch Sein Licht geläuterten Men­schenseele.“ (Lit.: GA 266c, S. 346f)

Was sagt das Mantra 1 A mir?

Dieses erste Spruch-Mantra des See­lenkalen­der-Jahres von Rudolf Stein­er begin­nt mit ein­er “Wenn-Dann” Beziehung. Ein Ursache-Wirkungs-Zusam­men­hang wird for­muliert, der den Charak­ter eines Naturge­set­zes trägt. Verkürzt lautet er: “Wenn die Sonne zum Men­schensinn spricht, dann ziehen Gedanken in die Raumes­fer­nen”. Wenn die Sonne die Welt erhellt, spricht sie unsere men­schlichen Sinne an, unseren Ver­stand, der das Sin­nvolle im Wahrgenomme­nen erken­nt. Wir sehen, wir nehmen wahr, wir ver­ste­hen. Das Wahrgenommene regt uns zu Gedanken an. So ist das Wort “Men­schensinn” dur­chaus mehrdeutig zu ver­ste­hen. Wir fra­gen z.B. was jemand im Sinn hat — und meinen, was er ger­ade denkt, was er in den inneren Blick genom­men hat.

Das ist aber noch nicht alles. Im Mantra wird sowohl an die Ursache als auch an die Wirkung noch ein zweites geknüpft. Zur Ursache — der Son­nenansprache an den Men­schen — kommt eine Reak­tion des Men­schen hinzu: die Freude, die aus den Tiefen der Seele auf­steigt, verbindet sich mit dem Schauen. Was ist mit dieser Freude gemeint? Es löst ja nicht jede Wahrnehmung Sym­pa­thie und Freude aus, son­dern vielfach auch Antipathie, Abwehr und Ärg­er. Doch noch bevor im Unter­be­wusst­sein eine Bew­er­tung und Ein­teilung der Wahrnehmung in sym­pa­thisch oder antipathisch stat­tfind­et, vergewis­sert uns jede Sin­neser­fahrung unser­er Exis­tenz, unseres Inkarniert-Seins. Die Freude über das eigene Dasein steigt aus den See­len­tiefen auf und eint sich mit allem Schauen. Mit jed­er Wahrnehmung ist zu allererst Freude verbunden.

Auch zur Wirkung — zu den vom Men­schen ausströ­menden Gedanken — kommt eine Folge hinzu: die Gedanken binden das Wesen dieses Men­schen an das Sein des Geistes. Sie tun dies jedoch dumpf, ohne dass der Men­sch etwas davon bemerkt. Er ist unwis­send an die Fol­gen seines Denkens gebunden.

Dieses Mantra beschreibt hier die Grund­lage von Kar­ma. Vor jed­er Tat, die dann karmis­che Fol­gen nach sich zieht, liegt ein Gedanke, der die Tat ini­ti­iert. Das Mantra sagt, dass jed­er Gedanke, der aus ein­er Sin­neser­fahrung mit Gefühls­beteili­gung fol­gt, das Wesen dieses Men­schen an das Sein des Geistes bindet. Das Sein des Geistes ist Unsterblichkeit. Der Geist ver­leib­licht sich indem er inkarniert, er vergeistigt sich, indem er exkarniert. Der Geist stirbt nicht, wenn das Leben den Leib ver­lässt. In diesem Wech­sel ist der Geist Dauer, Ewigkeit. Die Gedanken bewirken also, dass der Men­sch Anteil hat an dieser Dauer. Er bleibt zwar sterblich, doch er verkör­pert sich neu, er reinkarniert und gewin­nt ger­ade dadurch auf höher­er Ebene die Unsterblichkeit.

Die innere Bewegung im Mantra 1 A

Das Mantra ist gle­ichzeit­ig eine erfahrene Punkt-Kreis-Med­i­ta­tion. Die Sonne spricht aus den Wel­tenweit­en. Eine Bewe­gung vom Umkreis zu mir als Zen­trum find­et statt. Aus den See­len­tiefen steigt die Freude auf und ver­strömt sich in den Umkreis. Die Son­nen­wirkung ist eine konzen­tri­erende Bewe­gung, die der Freude eine wei­t­ende. Bei­de Bewe­gun­gen vere­inen sich im Licht im Prozess des Schauens. Schauen ist ein Sehen mit inner­er Beteili­gung, mit seel­is­ch­er Anteil­nahme. Umkreis und Punkt haben sich hier das erste Mal vereinigt.

Nun fol­gt der zweite Punkt-Umkreis-Prozess, der dieses Mal vom Men­schen ini­ti­iert wird: Dann ziehen Gedanken aus der Selb­s­theit Hülle, von innen nach außen in die Raumes­fer­nen, in den Umkreis. Meine Selb­s­theit Hülle ist mein Kör­p­er. Bess­er ließe sich die tiefe Unbe­wuss­theit des ganzen Vor­gangs kaum beschreiben. Mein Selb­st, meine Per­sön­lichkeit dieses Lebens, lebt in der Hülle des Kör­pers. Mit jedem Bewusst­sein­sprozess find­et ein ganz fein­er Ster­be­prozess, ein Geist-Werde-Prozess statt. Aus der Selb­s­theit Hülle ziehen die Gedanken in die Raumes­fer­nen. Sie ziehen dor­thin, wo Räum­lichkeit und die Geset­ze des Raumes fern sind. Was hier gilt, sind die geisti­gen Geset­ze. Weil der Men­sch sich mit jedem Gedanken vergeistigt, bindet dieser Vor­gang ihn an die Geist­ge­set­ze, an das Sein des Geistes. Das Sein des Geistes ist Umkreis-Sein, Weite, die let­z­tendlich wieder danach strebt, sich zu konzen­tri­eren — sich zu ver­leib­lichen, doch das ist nicht mehr The­ma dieses Spruchs. Dieses Mantra schließt mit der Weite, “des Geistes Sein”, und lässt die “Wel­tenweit­en” der ersten Zeile, aus denen die Sonne spricht, leise anklin­gen. Dadurch run­det sich das Mantra und gibt eine Vorah­nung des Jahreskreis­es, den es eröffnet.