Die Gegensprüche 25 Y und 50 y

25 Y

Ich darf nun mir gehören

Und leuch­t­end bre­it­en Innenlicht

In Raumes- und in Zeitenfinsternis.

Zum Schlafe drängt natür­lich Wesen,

Der Seele Tiefen sollen wachen

Und wachend tra­gen Sonnengluten

In kalte Winterfluten.

50 y

Es spricht zum Menschen-Ich,

Sich machtvoll offenbarend

Und seines Wesens Kräfte lösend,

Des Wel­tenda­seins Werdelust:

In dich mein Leben tragend

Aus seinem Zauberbanne,

Erre­iche ich mein wahres Ziel.

Die Eurythmieformen zu den Mantren 25 Y und 50 y

Über den Buchstaben “Y”

Das Y gilt zwar als Kon­so­nant und wird wie im Wort ‘Yoga’ als J gesprochen, doch hat es im Griechis­chen, Franzö­sis­chen und Rus­sis­chen sowie z.T. auch im Deutschen den Lautwert Ü, also den eines Vokals. Ursprünglich bedeutete das Y sog­ar U, den let­zten der fünf Vokale. Deshalb wurde im Griechis­chen das Y‑psilon ‘ein­fach­es U’ genan­nt, wie auch das Epsilon eben E‑psilon, ‘ein­fach­es E’ hieß. ‘Ypsilon’ ist also kein Name, wie z.B. ‘Rad’ für den R‑Laut, son­dern eine äußer­liche Abgren­zung zum zusam­menge­set­zten U, dem OY. Als Y im Griechis­chen noch den U‑Vokal bedeutete, über­nah­men die Römer das Y zur Wieder­gabe ihres U- und V‑Lautes. So vol­l­zog sich sich im Lateinis­chen die Aufgliederung des ein­heitlichen Y der Griechen in ein kon­so­nan­tis­ches V und ein vokalis­ches U und wieder­holte damit eine Aufteilung, die auch bei der Über­nahme des hebräis­chen Alpha­bets ins Griechis­che stattge­fun­den hat­te. Das griechis­che Ypsilon stammt vom hebräis­chen Vav (Waw) und stellt den vokalis­chen Aspekt dieses Lautes dar, während der kon­so­nan­tis­che zum Bau- oder Vau-Buch­staben mit dem Lautwert V wurde. Die Buch­staben­for­men von Y, U, V (und W) lassen diesen Zusam­men­hang noch erken­nen. Vom Y zum V und U geht lediglich der mit­tlere Strich, bildlich die Ein­heit vor der Teilung ver­loren, denn auch das Y kann gerun­det geschrieben werden.

Das Y kommt in unserem Alpha­bet und im See­lenkalen­der nach dem X. Kann das X als Beze­ich­nung für das ‘Exo­ter­ische’ ver­standen wer­den, als Aus­druck des äußer­lich Sin­nen­fäl­li­gen, so das Y als Beze­ich­nung für das ‘Mys­tisch-Esotherische’, das Ver­bor­gene, Geheime. Das Y ist der Mys­te­rien­laut, was seine Ver­wandtschaft mit dem U verdeut­licht, dem Laut der ‘unio’ und ‘com­mu­nio’, der Laut der ‘unio mys­ti­ca’ eben. Doch warum ist dies so? Bevor ich dem Y vor allem in der griechis­chen Sprache nachge­he, will ich seine Form betrachten.

Die Form des Y ähnelt der Elhaz- oder Algiz-Rune des älteren Futhark und hat den Lautwert Z. Für die Bedeu­tung von Elhaz wird Elch angenom­men. Da die Form der M‑Rune Man­naz (‘Mann’ oder ‘Men­sch’) sich wan­delte zur Madhr-Rune des jün­geren Futhark und nun Ver­wech­slungs­ge­fahr bestand, wurde die Elhaz-Rune oft gestürzt (auf den Kopf gestellt) ver­wen­det.

Nach dem völkischen Autor und Eso­terik­er Gui­do List (1848 — 1919), der 1902 ein 18-Zeichen-Rune­nal­pha­bet erfand, ist die mit der Elhaz- bzw. Algiz-Rune fast iden­tis­che Man-Rune die ‘Leben­srune’ und ihre gestürzte Vari­ante, die Yr-Rune, die ‘Todesrune’. Im Drit­ten Reich und danach wur­den bei­de Vari­anten z.B. auf Grab­steinen ver­wen­det, um Geburts- und Todes­da­tum zu markieren.

Trotz dieses Runen­miss­brauchs lohnt es sich, diesem Sym­bol der Elch- bzw. Z‑Rune und der späten Form der Man­naz- bzw. M‑Rune nachzuge­hen, um das Y als Mys­te­rien­laut zu verstehen.

Aus der Gotik stam­men soge­nan­nte Gabelkreuze, die den Lebens­baum als Baum des vererbten, gen­er­a­tiv­en Lebens darstellen. Wohl aus Ital­ien kom­mend ver­bre­it­ete sich im Rhein­land und West­falen diese Kreuz­form als Kreuz des lei­de­nen Chris­tus, Cru­ci­fixus doloro­sus („schmerzen­sre­ichen Gekreuzigten“), als Pest- oder Schächerkreuz. Die von Natur aus an einen Baum mit Astabzwei­gun­gen erin­nernde Kreuz­form geht ver­mut­lich auf Mys­tik­er des 13. und 14. Jahrhun­derts zurück, die in dieser Y‑Kreuzform den Baum des Lebens sahen. So zeigt das Gabelkreuz aus Hal­tern, das gegen den Strom schwim­mend bei diesem Ort aus dem Fluss Lippe gefis­cht wor­den sein soll, viele weit­ere Astabzwei­gun­gen. Auch das Pestkreuz aus Neuss zeigt Baum-Chakakter.

1. Der lei­dende Chris­tus am Gabelkreuz, stil­isiert als Lebens­baum, um 1340, Pfar­rkirche St. Six­tus, Hal­tern in Westfalen

2. Pestkreuz Neuss, St. Quirin, um 1360

Auch wenn das Kreuz sel­ber rechtwinke­lig gebildet ist, wird Chris­tus über­wiegend in ein­er Y‑Haltung, mit hochge­zo­ge­nen Armen bzw. her­abge­sunken­em Kör­p­er dargestellt. Beson­ders deut­lich wird dies auf dem Kreuzi­gungs­bild des Isen­heimer Altars von Matthias Grünewald. Diese Darstel­lungsweise unter­stre­icht das Lei­den Christi und tritt erst im Mit­te­lal­ter auf.

Die Elhaz- oder Algiz-Z-Rune ist der Elch. Das Geweih ist das Zeichen der Med­i­ta­tion­skraft des Men­schen, denn anders als das Kuhge­hörn muss es jährlich neu gebildet wer­den — ganz wie die med­i­ta­tive Geis­te­shal­tung jew­eils neu errun­gen wer­den muss. Ein Beispiel ist der medi­tierende Schamane mit Hirschgeweih auf dem Sil­berkessel von Gun­de­strup. Das Gehörn bringt den Strom der vergeistigten Blut­skräfte ins Bild, der durch die Ätheri­sa­tion des Blutes bere­its durch den Tod gegan­genen Leben­skräfte. Nach Rudolf Stein­er bildet die Ätheri­sa­tion des Blutes die Grund­lage für das über die direk­ten kör­per­lichen Belange hin­aus­re­ichende, sein­er selb­st bewusst­wer­dende Bewusst­sein. So wun­dert es nicht, dass die Man­naz-M-Rune sich diesem Zeichen anglich, denn es ist der Men­sch, der Bewusst­sein von sich selb­st erlangt. Da Man­naz mit Man­as, dem Geist­selb­st zusam­men­hängt, meint es den geisti­gen, den zukün­fti­gen Men­schen (siehe 13 M — 38 m). Die Zeichen ähneln sich nicht grund­los. Sie ver­weisen auf das gle­iche Geheim­nis, die Über­win­dung des irdis­chen, lei­den­den Men­schen, um den geisti­gen, den unsterblichen Men­schen zu find­en. Der Aufer­standene Chris­tus wird der “Erst­ge­borene der Schöp­fung” (Koloss­er 1,15) genan­nt, denn er ist der erste Men­sch, der den Tod über­wand. Inter­es­san­ter­weise trägt auch der Riese Ymir das Y im Namen. Aus seinem Leib, so erzählt es die nordis­che-ger­man­is­che Mytholo­gie, ent­stand die gegen­wär­tige Welt.

Das mit dem Y ver­wandte U ist das Grab (siehe 21 U — 46 u). Als Teil der Ein­wei­hung wurde der Myste sym­bol­isch ins Grab gelegt. Die griechis­che Sprache hat viele Worte, die das Y mit den Mys­te­rien in Zusam­men­hang brin­gen. Der Eingewei­hte heißt ‘mýstes’, der heilige Gesang ist der ‘hým­nos’, die Nacht ist nýx’, das Ver­steck, das Inner­ste, Ver­bor­gene ist ‘mychós’ und die Fähigkeit­en der Maus, ‘mys’, hat­te sich der Myste anzueignen, damit er sich zurückziehen, dem Zugriff pro­fan­er Hände entziehen kon­nte. Von Chris­tus wird dies wieder­holt geschildert. “Aber als Jesus das erfuhr [dass die Phar­isäer ihn fan­gen woll­ten], wich er von dan­nen” (Matth 12,15)

Auch ein neuer Gedanke kann so unschein­bar und schnell vor­bei­huschen wie eine kleine Maus. Ein Eingewei­hter muss gel­ernt haben, einen solchen mys­tis­chen Gedanken trotz­dem wahrzunehmen. Slaw­isch heißt Gedanke ‘mýs­lij’ und rus­sisch ‘müsh’ [ꙧꙐꚇꙏ] die Maus. Klan­glich sind sich die Worte Gedanke und Maus ähn­lich. Rudolf Stein­er beschreibt, wie der Yogi früher­er Zeit­en durch den Atemvor­gang, der den Ner­ven-Sinnes-Organ­is­mus durch­pulst (durch die Bewe­gung der Rück­en­marks­flüs­sigkeit) sein Bewusstein verän­derte. Er sagt: “Dadurch erlebte der Yogi einen inneren Vor­gang, der sich zusam­menset­zte aus dem, was durch den Ner­ven-Sinnesprozess erfol­gte, und dem, was durch das Gehirn und auch durch die Sinne hin­durch­wellte. … Dadurch kam an diesen Yogi etwas ganz Beson­deres her­an. Er strahlte das Denken, das son­st kaum als ein Kopfvor­gang gefühlt wurd, in seinen Organ­is­mus hinein. Er dacht nicht bloß, son­dern er fühlte, wie der Gedanke — ich möchte sagen — wie so ein Tierchen durch­lief, durch den Atmungsvor­gang, den er kün­stlich her­vorgerufen hat­te.” (GA 212 in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 437) Diese von Rudolf Stein­er erwäh­n­ten “Tierchen” iden­ti­fiziert Ernst Moll mit Mäusen.

Wird das Y als Ü aus­ge­sprochen, so gilt, was Rudolf Stein­er all­ge­mein über die Umlaute sagt: Es ist so, dass “wenn aus dem [gewöhn­lichen] Laut der Umlaut wird, man hineinkommt in das sinnlich nicht mehr in fes­ten Kon­turen Auftre­tende, son­dern in das mehr Zer­flat­ternde, Zer­stäubende. Das ist aber zu gle­ich­er Zeit schon ein Hineinge­hen in das Geistige.” (GA 279 in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 435) Am Beispiel der Mehrzahlbil­dung macht Rudolf Stein­er das deut­lich: “Ein ‘Wagen’ [sin­gu­lar], das ist etwas Festes, in sich Beschlossenes. Die ‘Wägen’ [Plur­al], da sind die Kon­turen nicht so scharf, das Ding wird auseinan­derg­eris­sen. … So müssen Sie empfind­en das Dumpfer­w­er­den [im Sin­gu­lar “Wagen”] und das Heller­w­er­den [im Plur­al “Wägen”]. Heller wird der Laut, weil sich die Sache zer­streut; z.B. ‘Baum, Bäume’.” (GA 280 in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 435) So ist ein ‘Gut’ etwas konkret Gegebenes, Dicht­es, ‘Güter’ dage­gen “sind viele, nicht so konkret mehr. … immer wenn der Vokal heller wird ist das Ding auseinan­derg­eris­sen, weich­er gemacht. Der Vokal wird im Plur­al heller, weil sich im Plur­al [wo der Umlaut auftritt] die Sache ver­streut.” (GA 280 in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 435) Und an ander­er Stelle: “Sehen Sie, wo die Diph­tonge sind oder Umlaute sind, ist immer etwas von der Empfind­ung da: die Sache wird schwum­melig, nebe­lig, undeut­lich. Undeut­lich wer­den die Dinge einach in der Mehrzahl; z.B. wenn ein Brud­er da ist bloß, da ist er ganz deut­lich. Nehmen wir die Mehrzahl, da müssen wir es undeut­lich über­schauen: Brüder; wenn Undeut­lichkeit für die Anschau­ung her­vor­tritt,  … dann erscheint der Umlaut.” (Zitiert nach Dubach-Donath, Die Grun­dele­mente der Eury­th­mie, in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 435f) Zum Ü sagt er dort auch, es sein ein ‘Ver­sprühen’, es sei, wenn “Staunen mit Freude” in den melan­cholis­chen U‑Laut hineinkommt. Und auch wenn es ‘düster’ wird, wenn man ‘müde’ wird, gehen die Kon­turen ver­loren. So kommt man, sagt Rudolf Stein­er dort, in die “Bangigkeit hinein, dass es schief gehen kön­nte.” (in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 436)

So ist das Y im Griechis­chen die Tiefe, die Spalte, das Grab und die Schlucht. ‘Styx’ heißt der Fluss in der Unter­welt, der Welt der Toten, im Hades, ‘bythós’ heißt ‘versinken’ und ‘bythizein’ ‘versenken’, ‘byssós’ und ‘pýn­dax‘ sind die ‘Tiefe’, ‘abyssos’ der ‘Abgrund’. Das Y im ‘mythos’, griechisch ‘Rede, Wort’, ist der tief­ere Sinn, ‘hýle’ der ‘Wald’ und gle­ichzeit­ig ‘Materie, Stoff’. Im Waldes­dunkel wurde das Geheim­nis der Materie, der Stoffes-Hülle erlebt, die das Licht, das Y, gebiert. Der ‘Uterus’, im Deutschen, ganz auf U ges­timmt, ist griechisch ‘hys­téria’. ‘Phýein’ bedeutet ‘erzeu­gen’, ‘her­vor­brin­gen’, ‘bekom­men’ und ‘phý­sis’ ist die ‘Geburt’, die ‘Natur’, die ‘Herkun­ft’ und ‘Schöpfer­kraft’. Und in griechisch ’ným­phe’ ‘Braut’ und ’nymphíos’ ‘Bräutigam’ erscheint die unio, die mys­tis­che Ein­heit in der Sinneswelt. Der ‘Boden’, der ‘Fuß’ ist ‘pyth­mén’, doch während der Leib her­ab­sinkt auf den Grund, das Grab, vere­inigt sich die Seele, ‘psy­ché’ mit der geisti­gen Welt. Aus dieser Vere­ini­gung kann die ‘Phythia’ wahrsagen, ‘pýthon’ heißt ‘wahrsagend’ und ‘atmen, hauchen’ ‘psýchein’. Dieser Gegen­satz von ‘unten’ und ‘über’, von ’sub’ und ’super’, von hypó’ und ‘hyper’ find­et gle­icher­maßen im Deutschen, Lateinis­chen und Griechis­chen. ‘Hybris’ ist über­steigert­er ‘Über­mut’, ‘hýp­sos’ die ‘Anhöhe’, dem auf See­lenebene das Hineinger­at­en in die Extase entspricht. Das ist das Ele­ment des ‘Dion­y­sis­chen’, das Unscharf-Wer­den des Y als Ü.

Die ‘Kryp­ta’ ist der unterirdis­che, geheime Kirchen­raum. ‘Krýphios’, der ‘Geheime’ wird der zweite Ein­wei­hungs­grad der Mithras­mys­te­rien genan­nt. Der ‘Sohn’ ist ‘hyiós’ oder ‘hyiýs’, der ‘Fisch’ ‘ichtýs). So ist das Y im Griechis­chen eng mit dem Chris­tus ver­bun­den. ‘Gesund­heit’ heißt ‘hygíeia’ und ‘heilen’ hygiázesthai’. Das Y vere­int die Gegen­sätze, ’syn’ heißt ‘zusam­men’ und ermöglich dadurch das Leben. Als Kon­so­nant, der einen vokalis­chen Lautwert verkör­pert, wirkt das Y wie ein Zukün­ftiges, noch unein­deutiges, unge­borenes Lautwe­sen. Dadurch ist es Bild des auf­steigen­den Bewusst­seinslicht­es, das noch ver­bun­den ist mit der Materie, der Her­vor­bringerin des Lichtes. 

Ernst Moll schreibt zusam­men­fassend über das Y: “Das Y ist das Geheim­nis der Seele, ihr Mys­teri­um. In der Gruft, in der Kryp­ta des Leibes wird sie gefan­gen gehal­ten; sie sehnt sich nach Eins­sein im Geiste. Im Psi von ‘psy­ché’ und im S von ‘Seele’ dro­ht die Seele zu zer­rreißen, sie wird geheilt durch die Kom­mu­nion: im Y, im U.” (Die Sprache der Laute, S. 438) 

So wie das X der weib­liche Aspekt des Men­schen ist, sein Denken, das Leben her­vor­bringt aber auf Befruch­tung angewiesen ist, so ist das Y der männliche Aspekt des Men­schen, sein Bewusst­seinslicht, seine Wahrnehmung, das was sicht­bar leuchtet und anderes sicht­bar macht.

Über die Gegensprüche 25 Y und 50 y

Die Mantren 25 Y und 50 y weisen bei­de einen Ich-Sprech­er auf. Im Mantra 25 Y ist es ein sich selb­st reflek­tieren­der Sprech­er, im Mantra 50 y die Werdelust des Wel­tenda­seins, die das Men­schen-Ich als Hör­er anspricht. Hier ist also von zwei wachen Entitäten auszuge­hen. Die Mantren ste­hen durch ihre Zahl in einem beson­deren Ver­hält­nis, da 25 die Hälfte von 50 ist. Es fragt sich also, ob sich diese Zahlbeziehung in den Mantren wiederfindet.

Das Mantra 25 Y beschreibt einen inti­men Innen­prozess, die Hin­wen­dung zum eige­nen Inneren, wie sie am Abend, nach getan­er Arbeit, möglich ist. Der Ich-Sprech­er erken­nt, dass er nun sich selb­st gehören darf. Alle Außenori­en­tierung durch die Sinne ist been­det. Er darf nun Innen­licht leuch­t­end aus­bre­it­en in Raumes- und Zeit­en­fin­ster­n­is. Das Licht sein­er Bewusst­seinssonne darf nun den seel­is­chen Innen­raum ausleucht­en, die Fin­ster­n­is der eige­nen Innen­welt beleucht­en mit den son­st unbe­wusst bleiben­den Überzeu­gun­gen, Gefühlen und Wil­len­sim­pulsen, mit all den fest­ge­fahre­nen inneren Mustern und Reak­tion­sweisen. Dies geschieht z.B. beim Tages­rück­blick, wenn gefragt wird, welche Motive das eigene Han­deln bes­timmt haben, wie die Ver­ket­tun­gen der Ereignisse durch eigene Entschei­dun­gen und Emo­tio­nen mit­bee­in­flusst wur­den. Dann geht die Betra­ch­tung des Innen­raumes über in die zeitliche Dimen­sion und erhellt die Zeitenfinsternisse.

Die lin­ear fließend erlebte Zeit run­det sich durch ihren zyk­lis­chen Charak­ter zum Zeitraum, zum Tages- oder Jahreskreis. Wird die Sonne als Schöpferin dieser Zyklen nun nicht auf dem Kreis­bo­gen ent­langlaufend son­dern im Zen­trum gedacht, als Quelle der Zeit, so strahlt sie den Zeitraum aus, wie das Bewusst­seinslicht den seel­is­chen Innen­raum. So kann der Jahreskreis als das Große, der See­len-Bewusst­sein­raum als das diesem Großen entsprechende Kleine betra­chtet wer­den. Eine gegen­seit­ige “Beleuch­tung”, ein ver­tieftes Ver­ste­hen sowohl des Jahreskreis­es, als auch des men­schlichen Inneren wird dadurch möglich. Der Jahreskreis wird erkennbar als men­schheitlich­es Urbild des See­len-Bewusst­sein­sraumes und let­zter­er wird sozusagen les­bar durch den Jahreskreis. Dann ist leuch­t­en­des Innen­licht in Raumes- und in Zeit­en­fin­ster­n­is gebreitet.

Das Bewusst­seinslicht entste­ht, wie Rudolf Stein­er sagt, durch den auf­steigen­den Blut­strom, der bis zum Herzen ein Lebensstrom ist und dann durch die Ätheri­sa­tion des Blutes im Herzen durch einen laten­ten Ster­bevor­gang zu Geist wird, zu Bewusst­seinslicht. Dieses aus der eige­nen Leben­skraft ent­standene Licht ist der Men­sch selb­st und gle­ichzeit­ig gehört das Bewusst­seinslicht ihm. Das spricht der Ich-Sprech­er im Mantra aus, wenn er sagt, “Ich darf nun mir gehören”. Er darf nun sein Innen­licht leuch­t­end aus­bre­it­en, um die Daseins­grund­lage zu erken­nen, die sowohl räum­lich als auch zeitlich in Fin­ster­n­is getaucht ist. Und dieses Bewusst­seinslicht soll erhal­ten bleiben, wenn das kör­per­liche, das natür­liche Wesen des Men­schen zum Schlaf drängt. Gewöhn­lich löst sich das Geistig-Seel­is­che beim Ein­schlafen vom Kör­p­er los und der Men­sch ver­liert das Bewusst­sein. Doch im Mantra sollen die Tiefen der Seele wachen, das Bewusst­seinslicht soll erhal­ten bleiben und nicht erlöschen.

Nicht schlafend wie gewöhn­lich, son­dern wachend sollen Son­neng­luten in kalte Win­ter­fluten getra­gen wer­den. Der Gegen­satz von Son­neng­luten und Win­ter­fluten lässt an die Hal­b­jahre denken: das warme, son­nen­durch­flutete Som­mer-Hal­b­jahr und das kalte, nasse Win­ter-Hal­b­jahr. Diesen Hal­b­jahren entspricht die nach außen gerichtete Wahrnehmungs­seite der Seele und ihre nach innen gerichtete Denk­seite. Die Son­neng­luten ver­steh ich als die Wahrnehmungen. Und mit der Wahrnehmung geht das gefühlsmäßige Bew­erten aller Sin­ne­sein­drücke ein­her, die sym­pa­tis­che oder antipatis­che Reak­tion. Hier herrscht die feurig emo­tionale Seite der Seele. Die Denk­seite ist dage­gen logisch, kalt. Die Gedanken durch­fließen das Bewusst­sein, das sel­ber gerne mit Wass­er ver­glichen wird. Beständig wer­den Wahrnehmungen, Son­neng­luten, in kalte Win­ter­fluten, in das denk­ende Bewusst­sein getra­gen, doch geschieht dies unbe­wusst. Nun soll dies wachend geschehen, damit die Bew­er­tun­gen von Sym­pa­thie und Antipathie bemerkt wer­den, die Denk-Schritte und Schlussvol­gerun­gen bewusst gezo­gen wer­den. Die für gewöhn­lich unbe­wusst sich vol­lziehen­den Vorgänge sollen mit Bewusst­sein begleit­et werden.

Das Mantra 25 Y ist geprägt durch das mys­tis­che Licht. Im auf­steigen­den Strom, der das Bewusst­seinslicht erzeugt, ist das Y erkennbar. Um das Mantra noch bess­er zu ver­ste­hen, will ich dieses The­ma ver­tiefen. Rudolf Stein­er sagt, dass dieser auf­steigende Bewusst­seinsstrom sich teilt und an bei­den Stirn­seit­en aus dem Kopf aus­tritt. Dies hat zu der imag­i­na­tiv­en Anschau­ung der Hörn­er geführt, mit denen Moses oft dargestellt wird — ganz entsprechend der Form des Y. Auf dem Bild unten ist Moses mit den zwei Licht­bün­deln zu sehen, die aus seinem Kopf aus­treten. Auch der Baum mit der Schlange erin­nert an die Y‑Form bzw. an das Gabelkreuz, den Lebens­baum. Dargestellt ist die Aufrich­tung der ehernen Schlange während der Wüsten­wan­derung des hebräis­chen Volkes. Weil die Men­schen durch den Biss feuriger Schlangen star­ben, erhielt Moses die Weisung von Jhave, an seinem Stab die eherne Schlange aufzuricht­en. Wer zu ihr auf­sah, sollte geheilt werden.

In der aufrecht­en einzel­nen Lin­ie unter der Gabelung ist das “Ich darf nun mir gehören” ver­bildlicht und auch die Auf­forderung wach zu bleiben. Die Gabelung des Y, die Ver­bildlichung des Gegen­satzes find­et sich in den bei­den Paaren: Raumes- und Zeit­en­fin­ster­n­is sowie Son­neng­luten und Win­ter­fluten. Inhaltlich gehört die Fin­ster­n­is des Abgrunds und das Darüber­ste­hen, das Beleucht­en der Raumes- und Zeit­en­fin­ster­n­is zum Y. Das Lei­den des Gekreuzigten klingt ganz leise an im Aufruf zu wachen, während der Kör­p­er zum Schlaf drängt.

Aufrich­tung der Schlange durch Moses an einem Y‑förmigen Kreuz, Chor­fen­ster der Andels­buch Pfarrkirche

Auf dieses Bild will ich ver­tieft einge­hen, um “Licht in Raumes- und Zeit­en­fin­ster­n­is” (25 Y) zu brin­gen. Der Stab, an dem die Schlange aufgerichtet wurde, ist hier ein Y‑artiger, an die Elhaz- oder Algiz-Rune ᛉ erin­nern­der Baum. In der christlichen Kun­st find­et sich statt des hier dargestell­ten Y‑förmigen Kreuzes häu­fig auch das T‑Kreuz, sel­tener das vier­armige Kreuz.

Die Szene wird von Jesus Chris­tus zitiert, um auf seine Kreuzi­gung hinzuweisen. Zu Nikode­mus sagt er: „Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Men­schen­sohn erhöht wer­den, damit jed­er, der an ihn glaubt, in ihm das ewige Leben hat.“ (Joh 3,14–15)

Um die Aufer­ste­hung zu ver­ste­hen, ist es also notwendig, zuvor die Aufrich­tung der Schlange zu begreifen, sie inner­lich zu vol­lziehen. Im Alten Tes­ta­ment heißt es: „Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bis­sen das Volk, dass viele aus Israel star­ben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den Her­rn und wider dich gere­det haben. Bitte den Her­rn, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. Da sprach der Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an ein­er Stange hoch auf. Wer gebis­sen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jeman­den eine Schlange biß, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.“ (Num 21,6–9)

Die feuri­gen Schlangen kann ich als das Getrieben-Sein durch die Zeit erleben – jed­er Tag eine neue feurige Schlange. Stellt der Jahreskreis sich als Ouroboros, als Schlange, die sich in den Schwanz beißt dar, so ist jed­er Tageszyk­lus eine eben solche kleine Schlange. Die im Jahres­lauf erleb­bare, äußere Zeit vol­lzieht sich auf der Erde – um uns herum. Hier liegt der Jahreskreis sozusagen waagerecht. Erhebe ich ihn jedoch zu ein­er Vorstel­lung, so stelle ihn wörtlich vor mich hin — erhebe ihn, sodass das Som­mer-Hal­b­jahr oben, das Win­ter-Hal­b­jahr unten ist. Nach mein­er Erfahrung sehen die meis­ten Men­schen den Jahreskreis so.

Die Vorstel­lung des Jahreskreis­es ist eine soge­nan­nte “gegen­stands­freie” Vorstel­lung, wie Rudolf Stein­er es für die geistige Wahrnehmung fordert, denn nie­mand kann einen ganzen Jahreskreis auf ein­mal sehen. Wir erleben ihn nur nach und nach. Nur durch Voraus­denken und Erin­nern erschafft sich diese Vorstel­lung. Sich dessen bewusst zu wer­den, erfordert zwin­gend gegen­wär­tig zu werden.

Das stets son­nen­gle­ich ausstrahlende Licht des Bewusst­seins muss also zur Gegen­wär­tigkeit erhoben und die “gegen­stands­freie” Vorstel­lung – das reife Werk des Denkens (des Win­ter-Hal­b­jahres) muss bewusst – aufrecht – vor die Seele gestellt wer­den. Das ist die Erhe­bung der Schlange. Das heilt, denn wer gegen­wär­tig im Jet­zt ist, wird nicht mehr von der Hek­tik des All­t­ags, — den feuri­gen Schlangen — verfolgt.

Das Bewusst­seinslicht im Men­schen ist die Chris­tuskraft, die die Kreuzi­gung noch vor sich hat. Es ist das Licht des irdis­chen Bewusst­seins. Im Jet­zt, im hell­sten Aufleucht­en des Bewusst­seins, scheint die Zeit ste­hen zu bleiben. Das ist Kreuzi­gung. Hier ist das Bewusst­sein an die Wahrnehmung der fünf irdis­chen Sinne gebun­den, genagelt an die Raum-Welt. Die fünf Wundmahle Christi wer­den (unter anderem) als diese fünf Sinne betrachtet.

Der Schritt über das Jet­zt hin­aus ist der Weg zur Aufer­ste­hung. Meine kleine Bewusst­seinssonne, die meinen See­len-Bewusst­sein­sraum ausstrahlt, ist Abbild der großen Sonne im Zen­trum des aufgerichteten, rein geistig wahrnehm­baren Jahreskreis­es. Dies große Sonne hat Rudolf Stein­er in den Mantren des See­lenkalen­derns dem irdis­chen Bewusst­sein zugägn­lich gemacht. Meine kleine Bewusst­seinssonne geht wie die große Sonne durch Phasen von Dunkel­heit. So fol­gt der Kreuzi­gung die Grable­gung und Höl­len­fahrt. Erst danach ist Aufer­ste­hung. Nur schrit­tweise gelingt es, die Wesens­gle­ich­heit der eige­nen Bewusst­seinssonne mit der großen Sonne zu realisieren.

Komme ich zur Form des Y zurück, so finde ich in der aufrecht­en einzel­nen Lin­ie unter der Gabelung das “Ich darf nun mir gehören” ver­bildlicht und auch die Auf­forderung wach zu bleiben. Die Gabelung des Y, die Ver­bildlichung des Gegen­satzes find­et sich in den bei­den Paaren: Raumes- und Zeit­en­fin­ster­n­is sowie Son­neng­luten und Win­ter­fluten. Inhaltlich gehört die Fin­ster­n­is des Abgrunds und das Darüber­ste­hen, das Beleucht­en der Raumes- und Zeit­en­fin­ster­n­is zum Y. Das Lei­den des Gekreuzigten klingt ganz leise an im Aufruf zu wachen, während der Kör­p­er zum Schlaf drängt.

Im Mantra 50 y spricht die Werdelust des Wel­tenda­seins zum Men­schen-Ich. Diese Werdelust der Welt, ihr Entwick­lungswille, ist die Leben­skraft, die in allen Lebe­we­sen lebt, sich von Gen­er­a­tion zu Gen­er­a­tion fortpflanzt und die Evo­lu­tion des ganzen Lebens auf der Erde durchzieht. Sie offen­bart sich in diesem ewigen Schaf­fen machtvoll. Ihr Wirken, ihre Macht drückt sich aus in den Vererbungs­ge­set­zen, in der Kom­bi­na­tion der Merk­male, in der Evo­lu­tion der Arten, im Streben nach Gle­ichgewicht in den Natur­re­ichen — in allem Leben. Die Werdelust ist die lustvoll treibende Kraft, die die Kör­p­er erschafft und belebt.

Sie löst die Wensen­skräfte des Ichs. Was sind denn die wesentlichen Kräfte des Ichs? Min­destens von zwei Kräften spricht das Mantra. Und warum waren sie bis dahin gebun­den? Gehe ich davon aus, dass die Werdelust das Ziel hat, Bewusst­sein zu wer­den, so kann sie dies nur gradu­ell in den einzel­nen Lebe­we­sen. Nur der Men­sch kann wirk­lich­es Selb­st­be­wusst­sein, also Bewusst­sein von sich sel­ber entwick­eln. Der Men­sch kann abse­hen von sich selb­st, sich dis­tanzieren und wie von außen betra­cht­en. Und nur den Men­sch kann sich liebevoll zuwen­den, ohne dabei eigene Inter­essen zu ver­fol­gen. Gebun­den an den eige­nen Leib, den eige­nen Vorteil kön­nen diese Kräfte als Sym­pa­thie- und Antipatiekräfte ange­sprochen wer­den. Doch wenn der Men­sch zum Selb­st­be­wusst­sein erwacht, erhält er die Möglichkeit, los­gelöst davon zu han­deln. Durch Entwick­lung, durch die Werdelust wur­den ihm die Kräfte seines Ich-Wesens los­gelöst und zur freien Ver­fü­gung gestellt.

In der Werdelust des Wel­tenda­seins (50 y) erkenne ich den Baum des Lebens, den Baum der Gen­er­a­tio­nen. Jedes Lebe­we­sen ist untrennbar­er Teil dieses Baumes. Die sich aus der Leben­skraft durch Tode­sprozesse entwick­el­nde Bewusst­sein­skraft ist zunächst noch an diesen Baum geheftet. Doch dem Men­schen wur­den seine Kräfte gelöst. Er kann die Werdelust aus ihrem Zauber­bann befreien, indem er Selb­st­be­wusst­sein entwick­elt und an sich arbeit­et, um die seinen Ego­is­mus, die Bindun­gen an die Eigen­in­ter­essen zu überwinden.

Das Innen­licht (25 y) ist die Bewusst­sein­skraft, die schon in der Paradies­geschichte im Bild der Schlange erscheint und den Men­schen ver­führt. Sie ist auch die Zeit, die über die Erde kriecht und ger­ade durch ihren schlangen­haften, lin­earen Charak­ter Begier­den weckt und Angst schürt — der zum Tod führende Biss der feuri­gen Schlangen. Wird die Schlange in der Gegen­wär­tigkeit erhoben, scheint die Zeit still zu ste­hen. Innere Ruhe kehrt ein und die Grund­lage zur höheren Entwick­lung des Bewusst­seins, zur Entwick­lung von kör­pe­run­ab­hängigem Bewusst­sein ist gelegt.

Im Mantra 25 Y, dem das große Y beigegeben ist, geht es um das innere Licht, das Bewusst­seinslicht. Im Mantra 50 y spricht die Werdelust zum Men­schen-Ich. Die uni­verselle Leben­skraft, die durch alle Organ­is­men hin­durch­lebt, will ihr Leben in das Men­schen-Ich tra­gen. Das Y dieses Mantras (50 y) wurde durch Rudolf Stein­er, wie alle Buch­staben des Win­ter-Hal­b­jahres, mit einem Quer­strich darüber verse­hen. Dieses Y ist also das untere, in mein­er Darstel­lung der kleine Buch­stabe. Das erstaunt, denn spon­tan kön­nte man meinen, dass das Bewusst­seinslicht, das im Innern auf­steigt, das Kleine und Untere ist, die Leben­skraft der Welt jedoch das Obere, Große. Dem ist der Zahl des Mantras nach so, nicht aber nach dem Buch­staben. Die Zahl sagt, dass die Werdelust (50 y) das Umfassende, Große ist und das Bewusst­seinslicht (25 y) die notwendi­ge Ergänzung, die andere Hälfte. Der Buch­stabe verortet diese Lebe­nen­skraft und Bewusst­seinslicht im Kör­p­er und kommt so zu einem anderen Ergeb­nis. Die Leben­skraft der Welt hat das Ziel, im Lebe­we­sen aufzusteigen und zu Bewusst­sein zu wer­den. Deshalb ist sie das untere y, das Innen­licht das obere Y.