16 P

Zu bergen Geist­geschenk im Innern,

Gebi­etet strenge mir mein Ahnen,

Dass reifend Gottesgaben

In See­len­grün­den fruchtend

Der Selb­s­theit Früchte bringen.

Was sagt mir das Mantra?

Das Mantra 16 P begin­nt damit, dass ich ein Geist­geschenk erhal­ten habe. Dieses Geist­geschenk muss ich in meinem Innern bergen, so gebi­etet es mir mein Ahnen. Um welch­es Geschenk es sich dabei han­delt, erfahre ich nicht; auch nicht, warum ich das, was ich schon erhal­ten habe, das Geschenk, erst noch bergen muss, zu meinem dauer­haften Besitz machen muss. Ich erfahre davon durch mein Ahnen. Mein Ahnen gebi­etet mir streng. Mein Ahnen nimmt die Rolle eines Eltern­teils oder Lehrers an, ich werde aufge­fordert zu gehorchen.

Um welch­es Geschenk kön­nte es sich han­deln? Das Geschenk ste­ht in der Ein­zahl, es ist nur eines, obwohl doch die Wahrnehmungen, die wir Men­schen in großer Vielfalt geschenkt bekom­men, so viele Geschenke sind. Die Ein­zahl ver­weist auf den Augen­blick, meine Gegen­wär­tigkeit. Das Geist­geschenk gle­icht ein­er Gele­gen­heit, die ergrif­f­en und genutzt wer­den muss. Mein Geist­geschenk das Jet­zt, die Wahrnehmung und meine Leben­skraft in diesem Moment. Die Leben­skraft entstammt dem Geist und ergießt sich in den Kör­p­er. Dort wird sie zu Bewusst­sein, indem sie sich wieder vergeistigt. Das geschieht durch leise Abster­bevorgänge, die jeden Leben­sprozess begleit­en. Jedes Lebe­we­sen, vom Einzeller an, entwick­elt einen gewis­sen Grad an Bewusst­sein, an Inter­ak­tions­fähigkeit mit der Umwelt. Alle Lebe­we­sen bis hin­auf zu den Tieren ver­wen­den ihr Bewusst­sein, um ihr Leben zu erhal­ten und es fortzupflanzen. Der Men­sch kann darüber hin­aus seine Bewusst­sein­skraft ein­set­zen, um die Weisheit in der Welt zu erfassen, um Schön­heit in Kunst­werken zu erschaf­fen und um die Liebe in die Welt zu tra­gen. Ob ich dies tue oder meine Bewusst­sein­skraft nur für ego­is­tis­che Ziele ein­set­ze, ist mir über­lassen. Bei­des hat Fol­gen für die Welt und für mich, denn Men­schen sind dem Gesetz des Kar­ma unter­wor­fen. Mit diesem Hin­ter­grund erk­lärt sich mir die Strenge, mit der mir mein Ahnen gebietet.

Zusät­zlich zu dem oben aus­ge­führten, der Weisheit, Schön­heit und Liebe im Leben Raum zu geben, kann ich auch die Kraft als Geist­geschenk betra­cht­en, die gemäß Mantra 15 O dem Ich geschenkt wird. Das Ich erhält das Geschenk dieser Kraft, indem es sich mit den Anstren­gun­gen auseinan­der­set­zt, die mit der Verkör­pe­rung ein­herge­hen. Was dort noch ein füh­len­des Wahrnehmen ist, kann nun im Mantra 16 P als Geist­geschenk erkan­nt wer­den: das Geschenk der Bewusst­seinskraft, der Kraft, das Bewusst­sein und damit auch das Denken, Fühlen und Wollen vom Ich aus zu lenken.

Doch was oder wer ist mein Ahnen, das mir gebi­etet? Ahnen ist im Mantra 16 P ein sub­stan­tiviertes Verb, eine Tätigkeit. Würde mir mein Sehen oder Hören gebi­eten, so wäre es für mich eine über­wälti­gende Sin­neser­fahrung, die mich zu ein­er bes­timmten Reak­tion treibt. Etwas zu ahnen ist auch eine Art Sin­neser­fahrung, wenn auch keine klar ins Bewusst­sein tre­tende, aus der Außen­welt stam­mende. Wer spricht hier durch mein tas­tend wahrnehmendes Ahnen? Wer tritt so in mein Bewusst­sein ein und gebi­etet mir? Das Wort Ahnen hängt zusam­men mit den Ahnen, den Ver­stor­be­nen. Ahnend sind sie mir wahrnehm­bar. Meine in der Geist­welt leben­den Ahnen, meine Vor­fahren, mit denen ich durch den Strom des Lebens ver­bun­den bin, sie wirken in mir, indem ich tätig bin. Im Mantra 9 I (Neun und großes i) kün­dete mir die Ahnung, dass ich mich ver­lieren muss, um mich zu find­en. Hier ist Ahnung das Sub­jekt, die Tätigkeit geht von hier aus. Sie ermutigte mich, den Sprung in die Geist­welt zu wagen. Im Mantra 16 P gebi­etet mir mein Ahnen, meine Wahrnehmung der Ver­stor­be­nen. Indem mir meine Ahnen vor­ange­gan­gen sind, erahne ich, worauf es im Leben ankommt. Von meinen Ahnen erhalte ich das Gebot, das Geist­geschenk im Innern zu bergen.

Das Geist­geschenk zeigt sich durch das gebi­etende Ahnen ver­bun­den mit den Ver­stor­be­nen, dem in der Ver­gan­gen­heit ver­sunke­nen, ver­gan­genen Leben. Gegen­wär­tig bin ich immer im Jet­zt — doch dieses Jet­zt ist im näch­sten Moment schon vor­bei und eine neues Jet­zt tritt an seine Stelle. Der gegen­wär­tige Moment stirbt beständig. Doch was ich erlebt habe in diesem Moment, das kann ich als Erin­nerung im Herzen bergen. Das Geist­geschenk ist nicht nur mein Bewusst­sein, son­dern auch das, was sich in diesem Raum zeigt. Mein Ahnen mah­nt mich, den Moment bewusst wahrzunehmen, damit dieser Bewusst­seinsin­halt gebor­gen wer­den kann, damit er erin­ner­bar wird. Mein Ahnen mah­nt streng, damit ich mein Bewusst­seinslicht nicht vergeude, den Moment nicht ver­schlafe, denn schon im näch­sten Augen­blick ist er vorbei.

Etwas zu bergen ist eine Tätigkeit, die an beherber­gen denken lässt, oder an einen Schatz, der von einem unzugänglichen Ort ans Licht geholt, gebor­gen wird. Auch ein Verunglück­ter wird gebor­gen, gerettet. In der Tätigkeit des Bergens klingt der Berg mit und die Höh­le erscheint als erste Behausung des Men­schen. Bergen ist ein sehr umfan­gen­des, Innen­raum beto­nen­des, etwas Kost­bares schützen­des, ret­ten­des Wort. Das, was ich wil­len­haft gebor­gen habe in meinem Innern, trage ich nun füh­lend in mir. Ein­er­seits muss ich beim Bergen mich aktiv auf den Weg machen und arbeit­en. Die Tätigkeit des Bergens ist in der Gegen­warts­form geschrieben. Sie ist stetig zu leis­ten. Gle­ichzeit­ig muss ich auch nach innen füh­lend, schützend das Geschenk dauer­haft in mir hal­ten. Es darf nicht dem Vergessen anheim­fall­en. Acht­samkeit wird diese wahrnehmende, präsente und sich inner­lich berühren lassende Hal­tung heute genannt.

Bin ich im Wahrnehmung­sprozess ganz aus mir her­aus­ge­gan­gen, so kommt nun der Schritt, wieder in mich einzukehren, bere­ichert durch die neue Erfahrung. Wer die neue Erfahrung in sich bergen, sie in sich hal­ten kann, ohne sie durch die Bil­dung eines Begriffs abzuschließen, der kann die Gnade erleben, beschenkt zu wer­den mit einem über den bish­eri­gen Hor­i­zont hin­aus­ge­hen­den Ver­ständ­nis. Dieses Bergen ist ein med­i­ta­tiv­er Zus­tand, ein fra­gen­des, brü­ten­des Bewe­gen des nach innen Genomme­nen. Die erlösende ganz neue, noch nie gese­hene Idee kommt — wenn sie kommt — wie ein Blitz. Sie ord­net die wirren einzel­nen Teile der Frage zu einem neuen großen Ganzen, zu einem Bild, das mir geschenkt wurde. Freude, Dankbarkeit und große Ehrfurcht vor dem zu erah­nen­den Spender des Geschenks stellen sich ein.

Nun wird im Text des Mantras deut­lich, dass mit dem Geist­geschenk ein Ziel ver­bun­den ist. Um dieses Ziel zu erre­ichen, muss das Geist­geschenk im Innern gebor­gen wer­den. Mein Ahnen weiß darum und gebi­etet mir deshalb streng. Durch das Geist­geschenk sollen die Gottes­gaben in meinem Innern der Selb­s­theit Früchte bringen.

Der Weg zu den Frücht­en für die Selb­s­theit ist dage­gen schw­er ver­ständlich. Reifend, fruch­t­end, Früchte brin­gend — das klingt nach ein­er wenig stil­vollen und über­flüs­si­gen Wieder­hol­ung. Was wollen diese ähn­lichen Worte sagen? Es macht den Ein­druck, dass das, was gesagt wer­den soll, schw­er in Worte zu fassen ist. Die Zeilen sind rein durch Bilder aus dem Pflanzen­re­ich gestal­tet. Dies weist auf ein veg­e­ta­tives Geschehen fern des Bewusstseins.

Ein Tis­chspruch von Rudolf Stein­er kann da zu Hil­fe kom­men, der das See­len­leben im Bild der Entwick­lungsstufen der Pflanze beschreibt.

„Es keimen die Pflanzen in der Erde Nacht –es sprossen die Kräuter durch der Luft Gewalt – es reifen die Früchte durch der Sonne Macht.

So keimet die Seele in des Herzens Schrein – so spros­set des Geistes Macht im Lichte der Welt – so reifet des Men­schen Kraft in Gottes Schein.“

Sowohl die Pflanze als auch die Seele durch­lebt einen drei­gliedri­gen Entwick­lungsweg: sie keimt, sprosst und reift. Das Aufkeimen der Seele und des Bewusst­seins im Herzen kann ich in meinem Ahnen wiederfind­en. Das Geist­geschenk erhalte ich, weil mein Geist sprosst im Lichte der Welt. Ich samm­le Sin­neser­fahrun­gen und Erken­nt­nisse in der Außen­welt und berge sie in meinem Innern. Was reifen soll ist die Kraft im Schein der göt­tlichen Sonne. Auch im Mantra 15 O ging es um die Kraft. Die Inkar­na­tions­be­din­gun­gen des Leibes schenken dem Ich die Möglichkeit, Kraft zu erwer­ben, indem es lernt, trotz “Verza­uberung” den Sin­ness­chleier zu durchdringen.

Was sind nun die Gottes­gaben, die sich in einem Rei­fung­sprozess befind­en? Was haben sie mit dem Geist­geschenk zu tun? Anders als das Geist­geschenk ste­hen die Gottes­gaben in der Mehrzahl. Es sind zwei oder mehr. Meine eine Ver­mu­tung ist, dass es sich hier um unsere drei niederen Wesens­glieder han­delt: den physis­chen Leib, den Äther­leib und den Astralleib. Diese Organ­i­sa­tio­nen bekom­men wir für unsere Inkar­na­tion geschenkt. Der Men­sch kann sie sich nicht sel­ber bilden. Wenn wir ster­ben, leg­en wir nicht nur unseren physis­chen Leib ab, son­dern auch die bei­den anderen. Nur was wir schon umar­beit­en kon­nten in die geisti­gen Wesens­glieder, genan­nt Geist­selb­st, Lebens­geist und Geist­men­sch bleibt erhal­ten. Diese Umwand­lung kann ich als ein langsames Reifen auf­fassen — im Schein Gottes, wie der Tis­chspruch sagt. Die Rei­fungs­fortschritte sind unsere Früchte der Inkarnation.

Neben dem Reifen tun die Gottes­gaben gle­ichzeit­ig noch etwas anderes. Bei­de Ver­ben ste­hen in der Ver­laufs­form. Es ist ein stetig andauern­der Prozess, um den es hier geht. Die Gottes­gaben reifen nicht nur, sie frucht­en auch in See­len­grün­den. Frucht­en, Frucht-bilden, set­zt eine Befruch­tung voraus. Die Gründe der Seele stellen sich als frucht­bare Täler dar. Das, was von den unteren Wesens­gliedern umge­wan­delt wer­den soll, was wach­sen soll, denke ich mir wie Pflanzen, die in meinen See­len­grün­den blühen. Durch mein gelebtes Leben, in dem ich mich entwick­ele, Wahrnehmungen zu Erken­nt­nis­sen ver­ar­beite und meine Per­sön­lichkeit aus­gestalte, befruchte ich mit dem nach innen genommene Geist­geschenk die reifend­en Gottes­gaben, meine drei unteren Wesens­glieder, sodass sie Früchte bringen.

Eine andere Möglichkeit beste­ht darin, in den Gottes­gaben die See­len­fähigkeit­en zu sehen. Denken, Fühlen und Wollen sind Begabun­gen des Men­schen, die ihm geschenkt wur­den. Doch sie müssen reifen. Das Denken sollte von einem eher automa­tisch ablaufende inneren Monolog her­an­reifen zu ein­er bewusst gelenk­ten Erken­nt­n­is­fähigkeit. Das Fühlen, das zunächst zwis­chen Sym­pa­thie und Antipathie hin und herg­eris­sen wird, sollte sich im Gle­ichgewicht zwis­chen diesen Kräften hal­ten kön­nen. Der Wille, der zunächst nur auf die Stil­lung kör­per­be­zo­gen­er Bedürfnisse aus­gerichtet ist, sollte sich auch auf selb­st­lose Ziele richt­en kön­nen. Dies alles kann als ein Rei­fung­sprozess betra­chtet wer­den, der das ganze Leben fortdauert.

Der Reife­s­tand dieser See­len­fähigkeit­en, die reifend­en Gottes­gaben, frucht­en in den See­len­grün­den. Mein Denken, Fühlen und Wollen prägt seine Ergeb­nisse meinen See­len­grün­den ein. Im Denken fälle ich Urteile, die mehr oder weniger der Wirk­lichkeit angemessen, also wahr sind, mein Fühlen ist mehr oder weniger selb­st­be­zo­gen bzw. liebevoll-mit­füh­lend und mein Wollen kann ver­schieden frei sein. Das alles hat für meine Seele grundle­gende Kon­se­quen­zen. Daraus bilden sich die Früchte meines Lebens.

Die Gottes­gaben brin­gen die Früchte für die Selb­s­theit. Erstaunlicher­weise heißt es nicht mein­er Selb­s­theit. Dadurch ste­ht die Selb­s­theit wie eine emp­fan­gende Autorität da, für die ich arbeite, für die ich let­ztlich das Geist­geschenk im Innern berge. Das Mantra 7 G sprach vom Selb­st. Dort beschreibe ich, dass Rudolf Stein­er das Selb­st als die Abspiegelung des Ichs am physis­chen Leib beze­ich­net. Die Selb­s­theit kann ich dadurch als die Abspiegelung mein­er Ich­heit, mein­er geisti­gen Ent­elechie verstehen.

Ein ander­er Aspekt zur Selb­s­theit ist, sie als Geist-Selb­st-heit, als geistiges Prinzip des Geist­selb­st zu ver­ste­hen. So wie aus dem Astralleib das ego­is­tis­che Ich geboren wird, so gibt das Geist­selb­st dem von Inkar­na­tion zu Inkar­na­tion gehen­den Ich seinen Geistleib. Rudolf Stein­er nen­nt in den ersten Jahren sein­er Lehrtätigkeit das Geist­selb­st auch den Kausalkör­p­er, den Ursachenkör­p­er, der das Kar­ma bein­hal­tet: “Der Kausalkör­p­er ist das­jenige, was das Ergeb­nis eines früheren Lebens hinüberträgt in die kom­menden Leben, was als Früchte genießt das­jenige, was in den vorherge­hen­den Leben erar­beit­et wurde.“ (Lit.:GA 88, S. 128f)

Meine reifend­en Gottes­gaben, meine reifend­en See­len­fähigkeit­en frucht­en, wer­den in See­len­grün­den zu Frücht­en, die der Selb­s­theit, meinem mit dem überzeitlichen Ich vere­in­ten Geist­selb­st als Früchte zum “Verzehr” gere­icht wer­den. Das alles ist aber nur möglich, wenn das Geist­geschenk, mein Bewusst­seinsin­halt im Innern gebor­gen wer­den kann.

Damit schafft das Geist­geschenk, meine zu Bewusst­sein wer­dende Leben­skraft, durch die ich die Welt erlebe und auf sie reagiere, eine streng mah­nende Voraus­set­zung dafür, dass mir für meine ewige Exis­tenz Früchte reifen.