Die Gegensprüche 11 L und 37 l
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11 L Es ist in dieser Sonnenstunde An dir, die weise Kunde zu erkennen: An Weltenschönheit hingegeben, In dir dich fühlend zu durchleben: Verlieren kann das Menschen-Ich Und finden sich im Welten-Ich. |
WINTER
37 l Zu tragen Geisteslicht in Weltenwinternacht Erstrebet selig meines Herzens Trieb, Dass leuchtend Seelenkeime In Weltengründen wurzeln, Und Gotteswort im Sinnesdunkel Verklärend alles Sein durchtönt. |
Die Eurythmieformen zu den Mantren 11 L und 37 l
Über den Buchstaben “L”
Das L wird gebildet, indem die Zungenspitze sich am oberen Gaumen hinter den Zähnen anschmiegt und der Luftstrom sich deshalb teilen muss. Dieses Umfließen, zu dem der Stimmklang tragende Atemstrom genötigt ist, gleicht dem Wasser, das um Steine herumfließt. Auch die Zunge selber formt sich dabei zu einer Welle. Deshalb ist das L der “Wasser-Laut”. Das R ist dagegen viel “rascher”, dynamischer und deshalb der “Luft-Laut”. Diese beiden Laute stehen jeweils alleine für ihr Element, das L für Wasser und das R für Luft. Das ist bei den Lauten der anderen beiden Elemente anders. Sowohl das Feuer- als auch das Erdelement drücken ihre Qualitäten differenziert durch eine ganze Reihe verschiedener Laute aus. Alle Blaselaute gehören zum Feuer, alle Stoßlaute einschließlich der Nasale zum Erdelement. Die vielfältigen Aspekte des Wassers und der Luft sind jedoch zusammengedrängt in nur einem Laut, dem L bzw. R. Deshalb können diese Laute als besonders “mächtig” erlebt werden.
Der gotische Name des L ist ‘laaz’ oder ‘langus’, der ‘See’, das ‘Meer’. Rudolf Steiner sagt: “Durch das L müssen wir in unserem Innern, — namentlich mit der Zunge, — werden wie das Meer, das vom Sturm bewegt ist, wenn wir es richtig artikulieren wollen. Wir müssen die Zunge wellig schlagen wie das Meer.” (GA 279 in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 223)
Auch die Runensprüche zum L sprechen vom Wasser. Das norwegische Runenlied lautet:
Wasser ist das, wo ein
Wasserfall vom Berge stürzt,
aber Gold sind Kleinode.
Und die isländischen Runensprüche lauten:
Nässe ist hervorquellendes Wasser
und weiter Kessel
und der Fische Land.
Der Sumpf ist Tümpel,
der Tümpel ist See,
der See ist Wasser,
Wasser ist Runenschrift.
Das angelsächsische Runenlied klingt so:
See ist der Menschen — beständiger Gedanke,
wenn sie unten — im Nachen schwanken
und die Seewellen — sie schrecken
und das Meerross — seines Zügels nicht achtet.
(Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 225f)
Was verkörpert der Wasserlaut L also? Schon äußerlich betrachtet ist die Ähnlichkeit des L mit dem Wasser bei der Artikulation des Lautes gegeben. Die Luft umfließt dabei die Zunge, wie das Wasser einen Stein, eine Insel oder einen ganzen Kontinent. Rudolf Steiner sagt, dass das L “etwas [zu tun hat] mit dem Gefühl, dass sich etwas herumbewegt, dass man in der Sprache nachzuahmen hat das sich Herumbewegende.” (GA 299 in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute) So wundert es nicht, das L in vielen Worten vorzufinden, die mit dem Wasser zu tun haben. Es ist der Laut des bewegten Wassers, der ‘Quellen’ und ‘Wellen’, der ‘Wolken’ und alles ‘Blauen’, des ‘Fließens’ und ‘Plätscherns’. Auch die ‘Flammen’ des Feuers machen diese mäandernde Bewegung, sie ‘flackern’ und ‘züngeln’.
Auch mit der menschlichen Sprache steht das L in einer intimen Beziehung, denn die Rede soll fließen, sie soll ohne Stocken flüssig herauskommen. Die Schöpfermächte, die dem Menschen die Sprache ermöglicht haben, heißen auf hebräisch ‘El’, Plural ‘Elohim’ und tragen also das L im Namen. Die anderen Namen dieser Engelhierarchie lauten Exusia (wörtlich ‘Ex-usia’, ‘aus der Macht’), oder Geister der Form. Rudolf Steiner sagt: “Die Geister der Form sind die, welche den Menschen dazu befähigen, sprechen, denken und aufrecht gehen zu lernen. In den ersten Lebensmonaten und ‑jahren sind sie im Kampf mit luziferischen Geistern, die so stark und kräftig sind, dass sie das Bewusstsein des Ich nicht aufkommen lassen. Zuletzt, nach den Anstrengungen, die sein wahres Ich gemacht hat, ist der Mensch eingebettet in die Sphäre, in welcher die Geister der Form leben.” (GA 141, in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 243) An anderer Stelle sagt Rudolf Steiner: “Die Geister der Form schaffen nicht äußerlich räumliche Formen, sondern das sind diese inneren, uns eigentlich nur zum Bewusstsein kommenden Formationen, die wir im Verlauf unseres Seelenlebens fassen können. Da verläuft aber alles bloß in der Zeit.” (GA 134 in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 243) Gleichzeitig sind es aber auch die Geister der Form, die die irdischen Formen erschaffen. Rudolf Steiner sagt: “Wo immer Sie etwas in einer bestimmten, abgegrenzten Form erblicken, da sind es diese Geister der Form, welche tätig sind. … Der Name ‘Geister der Form’ wurde von den alten Sehern deshalb gewählt, weil das Wesen dieser Geister ein Kraftelement ist, das nach Gestaltung drängt in dem mineralischen Reich.” (GA 105 in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 242) Hinter diesen Ausführungen Rudolf Steiners über die Elohim kann die ebenso mit L anlautende Logoskraft, die göttliche Schöpferkraft, die wie die menschliche Sprache zunächst im Geist gedacht und dann physisch ausgesprochen wird, erahnt werden.
Der Zusammenhang der Zunge mit dem L kommt in vielen Sprachen zum Ausdruck. Lateinisch ‘lingua’ ist die ‘Zunge’ und auch die ‘Sprache’. Sprechen heißt auf Lateinisch ‘loqui’, auf Griechisch ‘lógos’ und ‘léxis’ ist das ‘Wort’, ‘légein’ bedeutet ‘reden’. Auf Hebräisch ist ‘lason’ (lsvn) die ‘Zunge, Sprache’, auf Russisch heißt der ‘Schwätzer’ ‘lála’ zu ‘lalitj’ und ‘lálkatj’ ‘lallen, schwätzen’. Ernst Moll schreibt: “Die ‘lallende lingua’ ist ein Abbild des Lallens der Wellen, des Wallens der Wogen, des dumpfen Meeres-‘Rollens’. Indem wir lallen, ringen wir darum, die Sprache in unsere Gewalt zu bringen.
Die Qualität des L ist eine fließend gestaltende und dadurch rhythmisierende. Und auch im Alphabet habe ich Rhythmus entdeckt, deren Zäsuren die Vokale sind. Zwei Rhythmen sind es, die das Alphabet gliedern, wie die Abbildung unten zeigt. Der eine gliedert das Alphabet vom Anfang in 3 x 5, der andere vom Ende in 3 x 6. Diese Rhythmen überschneiden sich in sieben Buchstaben, deren mittlerer das L ist.
Die Abbildung zeigt diese Rhythmen einmal als lineare Folge, ein zweites Mal als vielzackige Sterne. Der Fünfstern stellt die Strömungen des Ätherleibs dar, der Sechsstern verbildlicht den Astralleib und der Siebenstern das Mystische Lamm — so Rudolf Steiner. Die Zuordnung der Buchstaben zu den Zacken der Sterne ist als Versuch gedacht. Rudolf Steiner sah im Alphabet keine willkürliche Reihenfolge der Buchstaben, sondern eine zutiefst weisheitsvolle. “Wenn der Mensch die ganze Fülle des Göttlichen in einem Ursatze aussprechen wollte, so sprach er das Alphabet aus. … Sprach man das Alphabet aus in der ursprünglichen instinktiven Weisheit der Menschen, dann sprach man eine Astronomie aus. Alphabet-Aussprechen und Astronomielehre war für diese alten Zeiten ein und dasselbe.“ (Lit.: GA 209, S. 116f) Oder: “Der menschliche ätherische Leib stünde vor Ihnen, wenn Sie einmal das ganze Alphabet — man müßte es erst richtigstellen, heute ist es nicht ganz richtig so, wie es gewöhnlich aufgestellt wird, aber es kommt ja auf das Prinzip jetzt an -, wenn Sie einmal lautlich das Alphabet von a angefangen bis zum z hinstellen würden, der Mensch stünde vor Ihnen.” (Lit.: GA 279, S. 47)
Der gliedernde Aspekt des L kommt vor allem zum Tragen, wenn das L am Schluss des Wortes steht, wie bei ‘Teil’, ‘Keil’ und ‘Beil’. Auch beim ‘Maul’, mit dem das Tier die Nahrung zerkleinert, oder wenn etwas ‘faul’ ist und sich zersetzt, beim ‘Tal’ das die Bergkette unterbricht zeigt sich diese fließend gestaltende und dadurch rhythmisierende Seite des L.
So wie durch die Sprache ein Sachverhalt erklärt und erhellt werden kann, ist das L auch der Laut des ‘Lichtes’, des ‘Leuchtens’. Und auch hier findet sich ein Hinweis Rudolf Steiners auf die Elohim. “Da haben wir z.B. jene Wesenheiten, die uns im Lichte entgegenstrahlen. … Überall, wo etwas aufleuchtet, da haben wir in dem Lichte das Kleid von hohen Wesenheiten, die in der christlichen Esoterik als ‘Gewalten’, als ‘Exusiai’ bezeichnet werden; man nennt sie auch die Geister der Form.” Und an anderer Stelle: “Die Sonnengewalten, die ihr Licht von außen der Erde zustrahlen und als Formgeister wirkten, werden in der biblischen Urkunde die Elohim, die Geister des Lichtes genannt.” (GA 105 in: Die Sprache der Laute, 243)
Mit der Sonne verband man früher nicht nur das Licht, sondern auch den Klang, wie es Johann Wolfgang von Goethe noch formuliert: “Die Sonne tönt nach alter Weise …” So zeigt sich die “sprechende”, Leben gestaltende Kraft des L auch in Worten wie ‘Lied’ ‘Lob’-Gesang, ‘Laute’ ‘Leier’ und dem griechischen Sonnengott ‘Apollen’ bzw ‘Helios’.
Das Leben auf der Erde wird durch Sonnenlicht und Sonnenton, dem ätherischen Wasser, neben dem irdischen möglich. Das sagt das L in Worten wie ‘Leben’, ‘Laub’, ‘Leib’, ‘Liebe’ und auch ‘Land’, denn hier ist das belebte, begrünte Land gemeint.
Im keltischen Alphabet wird das L durch ‘Luis’, die ‘Quecke’ bezeichnet (Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 228). Dieses sehr vitale Süßgras ist fast weltweit verbreitet und dem Gärtner als kaum auszumerzendes Unkraut bekannt. So ist die Quecke Symbol des strömenden, ätherischen Lebens, das sich in jeder Pflanze erhebt und nach oben, zur Sonne strebt. Als solches ist das L der grüne ‘Lauch’ — und auch der ‘Blüten’- und ‘Blumen’-laut, der besonders schön im Namen der ‘Lilie’ zum Ausdruck kommt.
Wie das Wasser dunkle Tiefen hat, so hat auch das L einen dunklen, bedrohlichen Aspekt, der sich im ‘Lindwurm’, dem Drachen und dem ‘Leviatan’, dem jüdischen Seeungeheuer zeigt. Der Leviathan (hebr. לִוְיָתָן liwjatan, “der sich Windende”, auch “Walfisch”), wird von der Gnosis mit dem Ouroboros gleichgesetzt, dem Schwanzfresser, sodass sich auch zum Bild der Midgardschlange der nordischen Mythologie eine Brücke findet. Erst am Ende der Zeiten wird Gott dieses Ungeheuer, gegen das Menschen nichts vermögen, überwinden. Es heißt: „Zu der Zeit wird der HERR heimsuchen mit seinem harten, großen und starken Schwert den Leviatan, die flüchtige Schlange, und den Leviatan, die gewundene Schlange, und wird den Drachen im Meer töten.“ (Altes Testament: Jes 27,1 LUT)
Dem gefahrvollen Aspekt des L entspricht die sich ’schlängelnde Schlange’ und auch in ‘Luzifer’ und ‘Lillith’ zeigt sich, was im L als dunkle, verführerische Macht erlebt wurde. Die Nacht heißt auf hebräisch ‘lajlah’ (ljlh) und davon ist ‘lilith’ (ljljt), der Name von Adams erster Frau, abgeleitet. Sie ist mit Tiamat vergleichbar, dem Salzwasserozean des kollektiven Bewusstseins der babylonischen Mythologie. Rudolf Steiner sagt über Lillith: “Das sind die saturnischen Archai … die noch heute in uns wirksam sind während des Nachtschlafes, indem sie an unserem physischen und Ätherleib als aufbauende Kräfte wirken. … Ebenso wie das tagwache Leben ein fortwährendes Verbrauchen … Zerstören der Kräfte des physischen Leibes ist, so ist das Schlafleben ein fortwährendes Wiederherstellen, ein Regenerieren, ein Aufbauen. … Dieses Abbauen unseres physischen Leibes … durfte während des alten Saturndaseins nicht vorhanden sein. [Sonst] hätte sich überhaupt niemals die erste Anlage unseres physischen Leibes bilden können. Denn man kann natürlich nichts bilden, wenn man anfängt zu zerstören. Die Saturntätigkeit musste an unserem Leibe eine aufbauende sein. … Nun musste aber wenigstens während einer gewissen Zeit diese aufbauende Tätigkeit erhalten bleiben, auch als später, während des alten Sonnendaseins, das Licht eintrat. Das konnte nur dadurch bewirkt werden, dass Saturnwesen zurückgeblieben sind, die das Aufbauen besorgen. … [Es gibt deshalb ein] Zusammenwirken von Lichtwesen und Finsterniswesen. … Und es heißt daher…: <Und die Elohim, sie nannten das, was als Geister im Licht wob, ‘jom’ (jvm) = ‘Tag’, das aber, was in der Finsternis wob, das nannten sie ‘lilith’ (ljljt)>, und das ist nicht nur unsere abstrakte Nacht, das sind die saturnischen Archai. … Und das sind diejenigen, die auch heute noch in uns wirksam sind während des Nachtschlafes, indem sie an unserem Physischen- und Ätherleib als aufbauende Kräfte wirken.” (GA 122 in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 236) Im Zusammenhang mit der Szene der Walpurgisnacht im Faust sagt Rudolf Steiner: “Das führt hinauf in Zeiten, in denen der Mensch überhaupt nicht so konstituiert war. Lilith ist der Sage nach Adams erste Frau und Luzifers Mutter.” (GA 273 in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 236) So nennt Ernst Moll das Motto des L: “Durch Nacht zum Licht” (Die Sprache der Laute, S. 235)
Auch die ‘List’ und Ver-‘lockung’, die ‘Lüge’, das ‘Laster’, die ‘Lust’ und auch der ‘Teufel’ zeigen die gefahrvollen Aspekte des L. Mit dem L ist eine Verbindung zu einem älteren Bewusstseinszustand der Menschen gegeben. Wie sich dieser Zustand heute auswirkt, sagt Rudolf Steiner im Zusammenhang der Entstehung von Gespenstern: “Der Volksmund hat ein altes Wort für diesen Zustand, wo das normale Bewusstsein zurücktritt, wo man einen Gegenstand anschaut und doch nicht sieht. Das nennt man <Spannung, Staunen, Spahnen>, und dieses Wort ist wurzelhaft verwandt mit dem Worte ‘Gespenst’ … Damals war der Mensch darauf angewiesen, wenn das auftrat, sich zu sagen: Aber ich will doch sehen, ich will nicht, dass du mich anglotzt, ich will sehen>. So kam das, was er so sah, ihm vor, wie etwas, was er zu überwinden hatte. … Die ganze Seltsamkeit der Erscheinung konnte für die Seele aber auch etwas Lockendes haben. Daher waren es solche Wesenheiten, die zu dem Inneren der Dinge gehörten, gegen die Menschen aber ver-lockend, ver-führend wirkten.” (GA 57 in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 230) Die von Rudolf Steiner erwähnten Worte ‘Spannung, Spahnen und spannen’ gehen zurück auf die Wurzel ’span’ mit der Bedeutung ’strecken, locken’, althochdeutsch ’spanan’ und ‘gispanst’, ‘Lockung’. Sie hängen zusammen mit den lateinischen Worten ’spons, spontis’, der ‘Antrieb’.
Die lockenden Gespenster wurden ‘Lur’ oder ‘Lore’ genannt, das bekannteste ist die Lorelei, wobei ‘lei’ Fels bedeutet. Rudolf Steiner fährt fort: “Der oder die ‘Lur’ oder ‘Lore’ ist das Grundwort für dieses Verführen. Und wo uns dieses Grundwort entgegentritt, haben wir dieses Gespenst in lockender Form.” (GA 57 in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 230) In Bayern ist es üblich, dass von ‘luren’ geredet wird, wenn neugierig und ein wenig unanständig Ausschau gehalten, verstohlen beobachtet wird.
Vor diesem Hintergrund wird ein anderes Bild des L verständlich. Auf Hebräisch heißt das L ‘Lamed’ (ל), dessen begriffliche Bedeutung ‘erziehen, lehren, gewöhnen’ ist. Als Gegenstand ist ‘Lamed’ der ‘Ochsenstecken’ oder ‘Ochsenstachel’, dessen Name ‘malmad’ von ‘lamed’ abgeleitet ist. (Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 239) Auch als Hirtenstab wird Lamed bezeichnet. Der Stock ist also der wohlmeinende Zucht- und Lehrmeister. Hier ist ‘Lehren’ kein einfaches Deuten, wie beim Erziehen östlicher Prägung (siehe 4 D — 30 d), sondern ein autoritäres ‘Leiten’ und ‘Lenken’, das dem Westen eigen ist — und die Gefahr der Gewaltausübung birgt. Rudolf Steiner sagt: “Und gerade dieses In-seine-Gewalt-bringen war der Aspekt, in dem die Mysterien die dämonische Kraft des L gesehen haben. [Das L war] das, was als ein besonderer Zauberlaut angesehen wurde in den Mysterien.” (GA 279 in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 239) Wer ‘lesen’ und damit auch schreiben kann, bekommt Gewalt über die Sprache. Er kann die im Klang dahinfließende Sprache dauerhaft festhalten, in Formen bannen. Deshalb wurde das heilige Wissen im Westen z.B. bei den Kelten nicht aufgeschrieben.
Von einer Lehrerin besonderer Art spricht Rudolf Steiner gerade im Zusammenhang mit der Sprache: “So arbeitete beim Menschen in seinen drei Wesensgliedern, bevor er eine individuelle Seele wurde, eine andere Seele — von der wir heute nur noch durch die Geisteswissenschaft Kunde erhalten -, welche die Vorgängerin unseres eigenen Ich war. Und diese Vorgängerin unseres Ich, diese Gruppen- oder Gattungsseele des Menschen, welche dann dem Ich die von ihr bearbeiteten drei Wesensglieder übergab, den physischen Leib, Ätherleib und Astralleib, um sie vom Ich weiter bearbeiten zu lassen, hat in ganz ähnlicher Art von ihrem Inneren, Seelenhaften heraus den physischen Leib, Ätherleib und astralischen Leib umgestaltet, bearbeitet, nach sich geregelt. Und die letzte Tätigkeit, die dem menschlichen Wesen zugrunde liegt, bevor es mit einem Ich begabt worden ist, die letzten Einflüsse, die vor der Geburt des Ich liegen, sie sind heute in dem niedergelegt, was wir die menschliche Sprache nennen.” (GA 59, S. 19)
Im altslawischen Alphabet heißt der L‑Laut (Л л, людиѥ) ‘ljúdije’, auf Deutsch schlicht ‘Leute, Menschen’. Die Einzahl ‘ljud’ bedeutet ‘Volk’. Das L ist für sie das in die Vielheit sich entfaltende Leben. Gleichzeitig ist es auch der Laut des Lernens und der Entwicklung, denn ‘ljúdin’ ist altrussisch der ‘freie Mann’ im Gegensatz zum Hörigen. Das gleiche Wort ist burgundisch ‘leúdis’, griechisch ‘eleútheros’ lateinisch ‘liber’ und bedeutet stets ‘frei’. Die als Leute bezeichneten Menschen sind also die gesellschaftliche Schicht, denen eine feie Entfaltung und Entwicklung ermöglicht wird.
Ist diese Entwicklung vollzogen, kann sich das Leben ‘leicht’ anfühlen, ‘Lachen’ entstehen. Über das Lachen und das seelisch entgegengesetzte Weinen, das ‘Heulen’ sagt Rudolf Steiner: “Das Lachen ist etwas, dem der entgegengesetzte Vorgang zugrunde liegt. Das Ich sucht den astralischen Leib in einer gewissen Weise schlaff werden zu lassen, seine Kräfte mehr in die Breite gehen zu lassen, ihn auszudehnen. Während durch das Zusammenziehen der weinerliche Zustand hervorgerufen wird, wird durch das Erschlaffenlassen, durch das Ausdehnen des astralischen Leibes das Lachen herbeigeführt. … Wenn das Ich den astralischen Leib, statt ihn in der gewöhnlichen Spannung zu halten, schlaff werden lässt, ihn ausdehnt, dann wird er auch mit geringeren Kräften auf den Ätherleib und den physischen Leib wirken, — und die Folge davon ist, dass gewisse Muskeln … eine andere Lage einnehmen. … Daher ist im Lachen eben nichts anderes gegeben als der physiognomische Ausdruck jenes Schlaffwerdens des astralischen Leibes. …Lässt der astralische Leib seine Spannkraft nach, so dehnen sich die Muskeln aus und der Ausdruck des Lachens tritt ein.” Und das Lachen ist zurückzuführen darauf, “dass der Mensch sich erhaben fühlt über seine Umgebung und über das, was in seiner Umgebung geschieht. Warum lacht der Mensch? Er lacht immer dann, wenn er sich über das stellt, was er beobachtet. Diesen Satz können Sie immer bewahrheitet finden. Ob sie über sich selbst oder über einen anderen lachen: im Grunde genommen ist Ihr Ich so, dass es sich erhaben fühlt über etwas. … [Deshalb wurden bei den Griechen die Götter heiter dargestellt. Es war noch die richtige Imagination,] dass man damals die Götter darstellte als heitere Wesenheiten, deren hauptsächliche Eigenschaft die Heiterkeit, das Lachende … war. Und nicht umsonst hat man denjenigen Gebieten des Weltendaseins, in denen vorzugsweise etwas wie eine übertriebene Egoität herrscht, Heulen und Zähneklappern zugeschrieben. Weshalb? Weil das Lachen auf der einen Seite ein Sich-erheben bedeutet ein Hinausführen des Ich über die Umgebung, also den Sieg des Oberen über das Untere: während das Weinen bedeutet ein Sich-ducken, ein Sich-zurückziehen vor dem Äußeren, ein Kleinwerden und ein Sich-verlassen-fühlen der Egoität, ein Sich-auf-sich-selbst-zurückziehen” (GA 107 in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 238)
Vor diesem Hintergrund wird der stets wiederholte Engelgruß an Maria im ältesten überlieferten Mariengebet, dem Akathistos verständlich, der entweder ‘Sei gegrüßt’ lautet, oder in anderer Übersetzung ‘Freue dich’. Hier einige Beispiele:
Freue dich, durch welche die Freude ausstrahlt;
Freue dich, für menschliche Fassungskraft unerklimmbare Höhe;
Freue dich, selbst für die Augen der Engel unabsehbare Tiefe!
Freue dich, weil du bist der Sitz des Königs;
Freue dich, weil du trägst den Träger des Alls!
Freue dich, Stern, der die Sonne erleuchtet;
Freue dich, du, durch welche die Schöpfung erneuert wird;
Freue dich, du, durch welche der Schöpfer ein Kind wird!
Freue dich, himmlische Leiter, auf welcher Gott herabstieg;
Freue dich, Brücke, welche die Bewohner der Erde zum Himmel führt!
Rudolf Steiner nennt das L “den Laut der freien inneren Entfaltbarkeit” (zitiert nach Dubach-Donath, Die Grundelemente der Eurythmie, in: Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 235) Diese Entwicklung hin zu gelassener Heiterkeit und Freiheit ist die Aufgabe der Menschen.
Über die Gegensprüche 11 L und 37 l
Das Mantra 11 L ist nach dem Mantra 10 K das zweite und letzte Mantra, bei dem die Position im Alphabet nicht mit der Zahl in der Mantren-Überschrift übereinstimmt. Mit dem kommenden Mantra findet im Sommer-Halbjahr ein Ausgleich zu dem übersprungenen J statt, indem das Mantra 12 ! keinen Buchstaben hat. Im Winterhalbjahr geschieht dieser Ausgleich jedoch erst mit dem Mantra 51 !, dem vorletzten dieses Halbjahres. Das Mantra 37 l ist das Mantra der dritten Adventswoche. Da jede der vier Adventswochen ein Naturreich bzw. Wesensglied des Menschen, thematisiert, ist nach dem Sein (35 i Mineralreich bzw. Physis) und dem Weltenwort (36 k Pflanzenreich bzw. Ätherleib) nun im Mantra 37 l das Thema des Tierreichs bzw. des Astralleibs zu erwarten.
Die Gegensprüche 11 L und 37 l haben beide einen Ich-Sprecher und zeigen damit, dass sie Inhalte betreffen, die dem seiner selbst bewussten, tagwachen Menschen zugänglich sind. Im Mantra 11 L ist dieser Ich-Sprecher jedoch derjenige, der den Leser und damit den Menschen anspricht. Der Mensch ist nur Hörer und Empfänger der Botschaft. Er wird mit “du” angesprochen, doch wer da mit ihm spricht, bleibt im Dunkeln. Das ganze Mantra 11 L ist eine einzige streng belehrende Rede. (Das folgende Mantra 12 ! ohne Buchstaben kann wegen der fehlenden Laut-Kraft als das Schweigen, die Pause nach der Rede angesehen werden, in der der Hörer versteht.) Im Gegensatz dazu ist es im Mantra 37 l der Ich-Sprecher selber, der über seine Seelenregungen Auskunft gibt.
Wer spricht also im Mantra 11 L zum Menschen? Wer gibt ihm die Weise Kunde, wer ruft ihn auf genau jetzt, in dieser Sonnenstunde die weise Kund zu erkennen? Wer fordert ihn auf, sich an die Weltenschönheit hinzugebe? Wer verlangt von ihm, dass er sich in sich fühlt und durchlebt? Wer will also, dass der Mensch sich in seinem Seelenraum erfühlt und die Emotionen durchlebt, die dort zu finden sind? Und wer schließlich informiert ihn, dass das Menschen-Ich verlieren kann, dass die egoistische Selbstbezogenheit reduziert bzw. überwunden werden kann? Und wer gibt ihm den Ausblick, dass es danach weitergeht, dass das Menschen-Ich sich im Welten-Ich finden kann?
Ist es vielleicht die weise Macht, die Gattungsseele der Menschheit, die die Seele bewohnte und bildete, ihr die Sprachfähigkeit schenkte, bevor der Mensch ein Ich hatte? Ist sie es vielleicht, die nun von außen spricht? Ist ihr Wesen vielleicht in besonderer Weise mit dem Wasserlaut L verbunden? Der erzieherische Entwicklungsgedanke, der ‘Lamed’, der Ochsenstecken, ist dem ganzen Mantra anzumerken. In der Sonnenstunde ist der Licht-Aspekt des L zu finden, in der Kunde der den Hörer lehrende, in der Weltenschönheit der in den Blüten ätherisch sich entfaltende, im fühlenden Durchleben der Aspekt des inneren Wassers, und schließlich im Verlieren des Menschen-Ich der teilende Aspekt des L in der Endstellung des Wortes. Diese verschiedenen L Aspekte münden im Welten-Ich, das auf die höchste L‑Kraft verweist, auf die göttliche Schöpfermacht des El bzw. der Elohim.
Im ganzen Mantra 11 L zeigt sich die Kraft des L. Das L als Wesen gefasst ist der belehrende Sprecher dieses Mantras. Dieses L steht dem Menschen gegenüber und spricht ihn von außen als “du” an. Und tatsächlich zeigen die Beobachtungen, dass die Gruppenseele z.B. der Tiere von außen auf die einzelnen Individuen wirkt. Sie lebt in allen Tieren der Gattung gleichzeitig und steuert die ganze Gruppe, wie es bei einem Fisch- oder Vogelschwarm zu beobachten ist. Der Schwarm agiert wie ein einziger wohlorganisierter großer Organismus.
Ganz anders ist die Situation im Mantra 37 l. Hier erklärt sich der Ich-Sprecher des Mantras, den ich menschlich denke. Er sagt, was ihn antreibt, welches Ziel er hat. Er strebt danach, Geisteslicht in Weltenwinternacht, also in die absolute Kälte und Dunkelheit zu tragen. Er strebt danach, die Welt zu verstehen, die ihm zunächst dunkel und antipathisch-kalt gegenüber steht. Das ist der Trieb seines Herzens, seine Lebensaufgabe, das, was ihn im Leben antreibt. Folgt er diesem inneren Vorwärtsdrängen, macht ihn das nicht nur glücklich, es beseligt ihn sogar. Es führt ihn zum höchsten Glück, dass für die Seele möglich ist, zur Vollendung und Transzendenz durch den Tod — werden doch die Verstorbenen selig genannt. Nun nennt der Ich-Sprecher das Ziel, warum er Geisteslicht in Weltenwinternacht tragen, die Welt mit seinem Verstand erhellen will. Leuchtende Seelenkeime sollen in Weltengründen wurzeln. Das Geisteslicht, das er trägt, ist also gleichzeitig ein lebendiges Licht, das mit einem keimenden Samen vergleichbar ist. Der Ich-Sprecher gleicht dadurch einem Gärtner, der statt Pflanzen-Keimlingen Licht-Keime in die winterkalten und nachtdunklen Weltengründe pflanzt. Er pflanzt Ideen, lebendige, entwicklungsfähige, also geistgemäße Ideen. Mit seinem Tun schafft er Voraussetzungen dafür, damit die göttliche Macht wirken kann, damit das Wort Gottes, die eigentliche lebenerschaffende Macht, das Sinnesdunkel erhellend verklärt und durchtönt. Im Bild gesprochen erschafft das Gotteswort die Samen und lässt sie keimen. Der Mensch muss sie pflanzen, damit die Licht-Keime wurzeln bilden, zur ausgewachsenen Pflanze werden, blühend Samen bilden und den Zyklus schließen können. In diesem geschlossenen Zyklus, in dieser ausgereiften, geistgemäßen Idee, die Samenkraft für neue Ideen in sich trägt, klingt das Gotteswort verklärend. Und nur durch die Mithilfe des Menschen erhellt sich das Sinnesdunkel. Nur wenn der Mensch das Geisteslicht in die Dunkelheit der Weltenwinternacht trägt und den leuchtenden Seelenkeimen ermöglicht, in Weltengründen zu wachsen, durchtönt das Gotteswort das Sein verklärend. Verklärt, erhellt sich das Sinnesdunkel, wird die Wahrnehmungswelt geistgemäß verständlich, so wird dies im Bild als das Lesen der okkulten Schrift ausgedrückt. Dann ist dieses Lesen gleichzeitig ein Hören des Gotteswortes, das in den Rhythmen und Bildern der Natur diese verklärend durchtönt.
Wie der Fluss die Schiffe, so trägt das Leben den Geist. Und so ist es der vom Herzen stammende selige Trieb des Ich-Sprechers, Geisteslicht in Weltenwinternacht zu tragen. Hier verkörpert der Ich-Sprecher selbst die L‑Kraft, die als Lebensfluss den Geist tragen will. Und dieser Geist vervielfältigt sich in den leuchtenden Seelenkeimen, die wurzeln, leben und sich entfalten wollen. Sie wollen den Geist in seiner lebendigen Vielfältigkeit, in seiner ganzen zyklischen Erscheinung zum Ausdruck bringen. So werden sie zu Klangkörpern, bzw. zum Klangkörper, sodass das Gotteswort im Sinnesdunkel verklärend alles Sein durchtönen kann.
Im Mantra 11 L hört der Mensch das belehrende Wort einer ungenannt bleibenden höheren Macht — das L wirkt von außen. Im Mantra 37 l schafft er die Voraussetzungen, damit das Wort als Gotteswort erklingen kann. Hier ist er sozusagen ausführender Musiker einer göttlichen Komposition — oder auch Instrument, “Klangkörper” des Wortes — das L wirkt durch ihn von innen.
Ergänzung
Das göttliche Vaterprinzip in der Natur und der vom Menschen zu leistende alchimistische Merkur- Sulphur- und Sal-Prozesses
Hier beschreibt Rudolf Steiner das Erleben der Natur. Seine Worte geben eine Ahnung von dem die Natur durchtönenden und erhellenden Gotteswort: “Indem wir die äußerliche Natur um uns sehen, sehen wir durch die Kräfte dieser Natur auch den Menschen in sein physisches Dasein hereintreten. Wir wissen aus alldem, was uns aus der Geisteswissenschaft kommen kann, daß wir diese Natur nicht im rechten Sinne betrachten, wenn wir sie nur ihren physisch-sinnlichen Äußerlichkeiten nach ansehen. Wir wissen, daß göttliche Kräfte die Natur umweben, und wir werden unseres Ursprungs aus der Natur nur dann uns im wahren Sinne des Wortes bewußt, wenn wir auf dieses die Natur durchwallende und durchwebende Göttliche hinsehen können. Dann blicken wir auf zu den Vaterprinzipien der Natur. Alles, was die Natur als Göttliches durchwallt und durchwebt, sind uns Vaterprinzipien im Sinne älterer Religionen und auch im Sinne des richtig verstandenen Christentums. Ob wir gewahr werden, wie das Blümchen auf dem Felde wächst, ob wir gewahr werden, wie aus der Wolke der Donner rollt und der Blitz zuckend niederschießt, ob wir die Sonne über den Himmel gehen und die Sterne leuchten sehen, ob wir die Quellen und den Strom rauschen hören — wenn wir das, was in diesen äußeren Offenbarungen des Naturdaseins sich geheimnisvoll als der Ursprung alles Werdens zeigt, gewahr werden, dann werden wir auch dessen gewahr, was uns selber durch das Mysterium der physischen Geburt in diese Welt hereinstellt.” (GA 202, S. 122)
In der Beschreibung des Merkur- und Sulphur-Prozesses der Alchemisten wird der aktive Anteil des Menschen deutlich, der auch im Mantra 37 l liegt: “Derjenige, welcher eine wirkliche Anschauung von dem vierdimensionalen Raum sich erwerben will, muß ganz bestimmte Anschauungsübungen machen. Diese bestehen darin, daß er sich zunächst eine ganz klare Anschauung, eine vertiefte Anschauung, nicht Vorstellung, bildet von dem, was man Wasser nennt. Eine solche Anschauung von dem Wasser ist nicht so leicht zu kriegen. Man muß lange meditieren und sich sehr genau in die Natur des Wassers vertiefen, man muß sozusagen hineinkriechen in die Natur des Wassers. Das zweite ist, daß man sich eine Anschauung verschafft von der Natur des Lichtes. Das Licht ist etwas, was der Mensch zwar kennt, aber nur so kennt, wie er es von Außen empfängt. Nun kommt der Mensch dadurch, daß er meditiert, dazu, das innere Gegenbild des äußeren Lichtes zu bekommen, zu wissen, wodurch und woher das Licht entsteht, so daß er dadurch selbst so etwas wie Licht hervorbringen, erzeugen kann. Diese Fähigkeit, Licht hervorbringen, erzeugen zu können, eignet sich der Yogi [Geheimschüler] an durch Meditation. Das kann derjenige, welcher reine Begriffe wirklich meditativ in seiner Seele anwesend zu haben vermag, der reine Begriffe wirklich meditativ auf seine Seele wirken läßt, der sinnlichkeitsfrei denken kann. Dann entspringt dem Begriffe das Licht. Dann geht ihm die ganze Umwelt auf als flutendes Licht. Der Geheimschüler muß nun gleichsam chemisch verbinden die Anschauung, die er sich von Wasser gebildet hat, mit der Anschauung des Lichtes. Das vom Licht ganz durchdrungene Wasser ist ein Körper, der von den Alchemisten genannt wird Merkurius. Wasser plus Licht heißt in der Sprache der Alchemisten Merkurius. Dieses alchemistische Merkur ist aber nicht das gewöhnliche Quecksilber. Sie werden die Sache nicht in dieser Form [überliefert] erhalten haben. Man muß erst in sich die Fähigkeit erwecken, aus dem [Umgehen mit den reinen] Begriffen selbst das Licht zu erzeugen. Merkurius ist diese Vermischung [des Lichtes] mit der Anschauung des Wassers, diese lichtdurchdrungene Wasserkraft, in deren Besitz man sich dann versetzt. Das ist das eine Element der astralischen Welt.
Das zweite [Element] entsteht dadurch, daß man sich, ebenso wie man vom Wasser sich eine Anschauung gebildet hat, man sich von der Luft eine Anschauung bildet, daß wir also die Kraft der Luft durch einen geistigen Vorgang heraussaugen. Wenn Sie [auf der anderen Seite Ihr] Gefühl in sich in gewisser Weise konzentrieren, so erzeugen, so entzünden Sie durch das Gefühl das Feuer. [Wenn Sie die Kraft der Luft gleichsam chemisch verbinden mit dem durch Gefühl erzeugten Feuer, so] bekommen Sie «Feuerluft». Sie wissen, daß in Goethes «Faust» von Feuerluft gesprochen wird. Das ist etwas, wo das Innere des Menschen mitarbeiten muß. Also das eine Element wird [aus einem gegebenen Element, der Luft,] herausgesogen, das andere [das Feuer oder die Wärme] wird von Ihnen selbst erzeugt. Diese Luft plus Feuer nannten die Alchemisten Schwefel, Sulfur, leuchtende Feuerluft. Wenn Sie nun diese leuchtende Feuerluft in einem wäßrigen Elemente haben, dann haben Sie in Wahrheit jene [astrale] Materie, von der es in der Bibel heißt: und der Geist Gottes schwebte, oder brütete, über den «Wassern».
[Das dritte, sonst Sal, Salz, genannte Element entsteht, wenn] man der Erde die Kraft entzieht und das dann verbindet mit den [geistigen Kräften im] «Schall»; dann hat man das, was [hier] Geist Gottes genannt wird. Daher wird es auch «Donner» genannt. [Wirkender] Geist Gottes ist Donner, ist Erde plus Schall. Der Geist Gottes [schwebt also über der] astralen Materie.
Jene «Wasser» sind nicht gewöhnliche Wasser, sondern was man eigentlich astrale Materie nennt. Diese besteht aus vier Arten von Kräften: Wasser, Luft, Licht und Feuer. Die Anordnung dieser vier Kräfte stellt sich der astralischen Anschauung als die vier Dimensionen des astralen Raumes dar. So sind sie in der Wirklichkeit. Es sieht im Astralen eben ganz anders aus als in unserer Welt. Manches, was als astral aufgefaßt wird, ist nur eine Projektion des Astralen in den physischen Raum.
Sie sehen, dasjenige, was astral ist, ist halb subjektiv [das heißt dem Subjekt passiv gegeben], halb Wasser und Luft, denn Licht und Gefühl [Feuer] sind objektiv, [das heißt vom Subjekt tätig zur Erscheinung gebracht]. Nur einen Teil von dem, was astral ist, kann man außen [als dem Subjekt gegeben] finden, aus der Umwelt gewinnen. Den anderen Teil muß man subjektiv [durch eigene Tätigkeit] dazubringen. Aus Begriffs- und Gefühlskräften gewinnt man [aus dem Gegebenen] durch [tätige] Objektivierung das andere. Im Astralen haben wir also Subjektiv-Objektives. Im Devachan gibt es gar keine [für das Subjekt bloß gegebene] Objektivität mehr. Man würde dort ein völlig subjektives Element haben.
Wir haben eben da etwas, was der Mensch erst [aus sich heraus] erzeugen muß, wenn wir vom astralen Raum sprechen. So ist alles, was wir hier tun, das Symbolische, [nur] eine sinnbildliche Darstellung für die höheren Welten, für die devachanische Welt, die in der Art wirklich sind, wie ich es Ihnen in diesen Andeutungen auseinandergesetzt habe. Es ist das, was in diesen höheren Welten liegt, nur dadurch zu erreichen, daß man in sich selbst neue Anschauungsmöglichkeiten entwickelt. Der Mensch muß selbst etwas dazu tun.” (Lit.: GA 324a, S. 58ff Nachschrift von Franz Seiler; Zweite Textvariante in der Nachschrift von Walter Vegelahn siehe: GA 324a, S. 60ff)