
Die spiegelnden Mantren 24 X und 29 c
| 24 X
Sich selbst erschaffend stets, Wird Seelensein sich selbst gewahr; Der Weltengeist, er strebet fort In Selbsterkenntnis neu belebt Und Schafft aus Seelenfinsternis Des Selbstsinns Willensfrucht. |
29 c
Sich selbst des Denkens Leuchten Im Innern kraftvoll zu entfachen, Erlebtes sinnvoll deutend Aus Weltengeistes Kräftequell, Ist mir nun Sommererbe, Ist Herbstesruhe und auch Winterhoffnung. |
Musik zum Mantra 24 X — tänzerisch — komponiert von Herbert Lippmann
Musik zum Mantra 29 c — etwas kühn — komponiert von Herbert Lippmann
Über die Spiegelsprüche 24 X und 29 c
Die Mantren 24 X und 29 c spiegeln auffallend wenig. Zwar beginnen beide gleichlautend mit “Sich selbst …” und machen auf diese Weise deutlich, dass sie dem Gesetz der Spiegelsprüche folgen, doch danach gibt es nur noch eine einzige Entsprechung. Diese letzte Spiegelung ist eine kurze entgegengesetzte Ortsangabe — im Mantra 24 X lautet sie “In”, im Mantra 29 c “Aus”. Dieses Fehlen von weiteren spiegelnden Entsprechungen wirkt, als wäre gerade ihre relative Unabhängigkeit wesentlich für ihr Verständnis. Dadurch rückt das jeweils Eigene in den Fokus. So wird der gleichlautende Beginn beider Mantren “Sich selbst …” zu ihrem Motto.
Das Mantra 24 X handelt vom Seelensein und weist keinen über sich selber reflektierenden Ich-Sprecher auf. Es ist durchgängig in der neutralen, beschreibenden dritten Person verfasst. Anders das Mantra 29 c, in ihm beschreibt der Ich-Sprecher die Aufgabe und Herausforderung des selbständigen Denkens.
Obwohl die Mantren durch die sparsamen Entsprechungen wenig Verbindung zeigen, vereint sie inhaltlich der Weltengeist, der in beiden eine Rolle spielt. Das Mantra 24 X schildert die Daseinsbedingung der Seele, das Seelensein und das Wirken des Weltengeistes in ihr. Da kein Ich-Sprecher auftritt, handelt es sich um eine Seinsebene, die durch Selbstreflektion nicht direkt beobachtbar ist. Das erschwert den Nachvollzug für den Leser. Ohne solchen Ich-Sprecher geht es in diesem Mantra nicht um die Herrschaft des Ichs über die Seele, sondern um das Seelensein selber. Und es geht um das Wirken des Weltengeistes in diesem Seelensein. Ganz anders ist es im Mantra 29 c, denn hier gibt es einen wachen, seiner selbst bewussten, sich als Ich erfassenden Sprecher. Dieser Ich-Sprecher reflektiert über sein Denken und in seinem Gedankeninhalt spielt der Weltengeist eine zentrale Rolle. Es ist der Kräftequell des Weltengeistes, der ihm die Deutung seiner Erlebnisse ermöglichen soll.
Der Weltengeist ist in Rudolf Steiners Werk ein sehr weit gefasster Begriff. Im Blog-Artikel 24 X finden sich verschiedene Zitate von Rudolf Steiner, in denen der Weltengeist mit ganz unterschiedlichen Themen in Zusammenhang gebracht wird. Es ist zum Beispiel der Weltengeist, der dem Menschen Erkenntnisse schenkt, wenn dieser sein Gedankenmaterial zur Verfügung stellt und darauf verzichtet, selber Vorstellungen zu bilden. Es ist auch der Weltengeist, der dem Menschen seit Urzeiten moralisch den Weg weist und der später in ihn als Gewissen eingezogen ist. Auch die Taube über dem Kelch ist der Weltengeist, mithin der Heilige Geist, den Rudolf Steiner den körperlosen Geist nennt. Im Blog-Artikel 29 c habe ich den Kräftequell des Weltengeistes als den geistigen Ort beschrieben, aus dem die Zeit, die alles trägt, was auf Erden im Leben des Menschen geschieht, in weisheitsvoller Ordnung hervorquillt. Im Mantra 51 ! wird der Weltengeist ein drittes Mal im Seelenkalender erwähnt. Hier findet er sich im Spiegelbild des Menschenauges, dass aber erst durch seine Kraft wieder lernen muss, geistig zu sehen. Der Weltengeist ist also eine Kraft, die sowohl auf das Erkennen, als auch auf die moralische Ausrichtung des Menschen weisheitsvoll ordnend wirkt und die gleichzeitig außerhalb des Menschen im weisheitsvollen Gang der Zeit zu finden ist.
Im Blogartikel zu den Gegensprüchen 24 X — 49 x finden sich zwei von vielen Beispielen, in denen der Weltengeist in Sprüchen vorkommt, die Rudolf Steiner für die Meditation geschaffen hat. Hier steht der Weltengeist mit dem Rosenkreuz in Beziehung und deutet auf die Kraft, die den Tod überwinden kann.
In den Anthroposophischen Leitsätzen beschreibt Rudolf Steiner den Weltengeist weniger speziell, dafür bringt er ihn in Zusammenhang mit der Zeit. Er unterscheidet drei Zeitepochen, eine uralt vergangene, die gegenwärtige und eine kommende. In dieser mittleren Epoche tritt auseinander, was in der vergangenen Epoche zu einer Einheit gebildet worden war und was auch in der zukünftigen Epoche wieder eine Einheit bilden wird. Der eine Pol in der mittleren Zeitepoche ist der Weltengeist, sein Gegenteil der Weltenleib. Rudolf Steiner fasst unter dem Weltengeist alles gemeinschaftlich-harmonische Wirken geistiger Mächte zusammen, das zwar unberechenbar ist, jedoch stattdessen durch Liebe in Freiheit verbunden. Der Weltenleib ist dagegen nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet und dadurch vorbestimmt, determiniert und deshalb auch berechenbar. Rudolf Steiner sagt: “… es gab eine kosmische Zeit-Epoche, da waren dieses Scheinen und diese Erdenkräfte noch unmittelbare geistige Offenbarung der göttlich-geistigen Wesen. Der Mensch in seinem dumpfen Bewußtsein fühlte die göttlich-geistigen Wesen wirksam in seiner Wesenheit.
Dann kam eine andere Zeit-Epoche. Der Sternenhimmel löste sich als körperliches Wesen aus dem göttlich-geistigen Wirken heraus. Es entstand das, was man Weltengeist und Weltenleib nennen kann. Der Weltengeist ist eine Vielheit göttlich-geistiger Wesenheiten. Sie wirken in der älteren Epoche aus den Sternen-Orten auf die Erde herein. Was da von den Weltenweiten erglänzte, was vom Erdenzentrum als Kräfte erstrahlte, das war in Wirklichkeit Intelligenz und Wille der göttlich-geistigen Wesenheiten, die an der Erde und ihrer Menschheit schufen. …
Man kann, wenn man in geistgemäßer Weltanschauung auf diese Dinge zurückblickt, sagen: aus dem ursprünglichen Geist-Leib der weltschöpferischen Wesen ist Weltengeist und Weltenleib entstanden. Und der Weltenleib zeigt in Sternen-Anordnung und Sternenbewegung, wie einst das intelligente und willensgemäße Götterwirken war. Aber für die kosmische Gegenwart ist, was einst frei bewegliche Götterintelligenz und Götterwille in den Sternen war, in diesen gesetzmäßig-fest geworden.
… Man muß in der Weltgestaltung zurückblicken auf eine alte kosmische Epoche, in der Weltengeist und Weltenleib als eine Einheit wirken. Man muß die mittlere Epoche ins Auge fassen, in der sie als Zweiheit sich entfalten. Und man muß in die Zukunft, die dritte Epoche, denken, in der der Weltengeist den Weltenleib wieder in seine Wirksamkeit übernehmen wird.
Für die alte Epoche wären Sternenkonstellation und Sternenlauf nicht zu «berechnen» gewesen, denn sie waren Ausdruck der freien Intelligenz und des freien Willens von göttlich-geistigen Wesen. In der Zukunft werden sie wieder nicht zu berechnen sein.
«Berechnung» hat nur eine Bedeutung für die mittlere kosmische Epoche.
Und wie für Sternenkonstellation und Sternenlauf, so gilt dieses auch für die Wirksamkeit der vom Erdenzentrum in die Weltenweite strahlenden Kräfte. Da wird das, was «aus der Tiefe» wirkt, «berechenbar».
Aber alles strebt aus der älteren kosmischen Epoche der mittleren zu, in der das Räumliche und Zeitliche «berechenbar» wird und das Göttlich-Geistige als Intelligenz- und Willens-Offenbarung «hinter» dem «Berechenbaren» gesucht werden muß.
Nur in dieser mittleren Epoche sind die Bedingungen gegeben, in denen die Menschheit von einem dumpfen Bewußtsein zu einem hellen, freien Selbstbewußtsein, zu eigener freier Intelligenz und eigenem freien Willen fortschreiten kann.” (GA 26 aus den Leitsätzen 167 — 169, Hervorhebung fett A.F.)
Welche Rolle spielt der Weltengeist nun in den Mantren 24 X und 29 c? Beide Mantren beginnen mit “Sich selbst …” Sie beginnen damit, die Eigenaktivität zu benennen. Im Mantra 24 X ist das Seelensein aktiv. Es erschafft sich in jedem Augenblick, fortlaufend, selbst und wird dadurch für sich selber wahrnehmbar. Das Seelensein wird sich durch sein Handeln selbst gewahr. Seelensein ist also schöpferische Aktivität, die Bewusstsein entstehen lässt. Es ist eine fortlaufende Interaktion zwischen zwei gegensätzlichen Komponenten. Analog zum Weltengeist und Weltenleib könnte es sich um die schöpferische Begegnung von Menschengeist und Menschenleib handeln, von Lebens- und Todeskräften. Aus dieser Interaktion entsteht Bewusstsein. Doch dieses Bewusstsein ist noch kein Selbstbewusstsein. Es gibt im Mantra keinen Ich-Sprecher, es ist das Seelensein, was sich seiner gewahr wird.
Nun wird der Weltengeist genannt. Er nimmt sozusagen die Stelle des Ichs ein, das hier nicht vorhanden ist. Der Weltengeist lässt sich in dem Bewusstsein nicht häuslich nieder, wie es das Ich tut, sondern er strebt fort. Hier stellen sich nun eine Reihe von Fragen: War der Weltengeist beteiligt an der Selbsterschaffung des Seelenseins? Gab er dem Seelensein die Voraussetzung für die Selbsterschaffung? Strebt er fort, weil er seine Arbeit mit dem Entstehen von Bewusstsein beendet hat? Gibt er das entstehende Bewusstsein frei, damit es vom Ich als Selbstbewusstsein ergriffen werden kann?
Dieses Ergreifen und benutzen des Bewusstseins findet im Mantra 29 c durch den Ich-Sprecher statt, der sich selbst des Denkens Leuchten entfachen will. Er will also denken. Eine Leuchte ist eine Lichtquelle. Es handelt sich mindestens um zwei Denk-Leuchten, mithin um zwei Arten zu denken, die kraftvoll, also willentlich aktiviert, d.h. entzündet werden müssen. Aktives, willentlich geführtes sowohl analytisch-unterscheidendes als auch Ganzheiten bildendes, synthetisches Denken verbreiten Erkenntnislicht und können als diese Leuchten angesehen werden.
So wie der Ich-Sprecher im Mantra 29 c potentiell durch Denken in der Lage ist, Selbsterkenntnis zu gewinnen, wird dies vom Weltengeist im Mantra 24 X berichtet. Diese Selbsterkenntnis belebt den Weltengeist neu. War er vorher unbelebt? Schlief er? Wodurch hatte er sich so verausgabt? Im Mantra wird darüber nichts gesagt. Das Mantra 29 c verrät vom Weltengeist jedoch, dass er einen Kräftequell besitzt, dass es sein Kräftequell ist, — den er also beherrscht, lenkt und vielleicht aus sich hervorbringt — aus dem alle Geschehnisse sinnvoll gedeutet werden können. Der Weltengeist bringt demnach den Sinn hervor, der in jeder Entwicklung und damit im Verstreichen der Zeit liegt. Die Zeit wird gerne im Bild eines strömenden Flusses vorgestellt. Und wie jeder Fluss muss auch der Zeit-Fluss aus einer Quelle entspringen.
In der Genesis wird beschrieben, wie ein Strom im Paradies entspringt, der sich in vier Ströme teilt und die die ganze Welt bewässert.
“Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen. Der Name des ersten ist Pischon (Phison); er ist es, der das ganze Land Hawila umfließt, wo es Gold gibt. Das Gold jenes Landes ist gut; dort gibt es Bdelliumharz und Onyx. Der Name des zweiten Stromes ist Gihon (Geon); er ist es, der das ganze Land Kusch umfließt. Der Name des dritten Stromes ist Tigris (Tygris); er ist es, der östlich an Assur vorbeifließt. Der vierte Strom ist der Eufrat (Euphrat).” (Genesis 2,10–14, Einheitsübersetzung, Schreibweise in Klammern A.F.)
Rudolf Steiner sagt über diese Paradiesflüsse: “Die vier Gewässer [die vier Paradiesströme, A.F.] sind die Symbole für die vier Astralformen der Materie, die zusammenfließen. Das Wasser bedeutet immer das Astrale in der esoterischen Sprache.” (GA 88, S. 221)
Im Mittelalter wurden diese vier Paradiesströme verschiedentlich dargestellt und mit den seit Aischylos (467 v. Chr.) bekannten vier Kardinaltugenden kombiniert, wie es z.B. eine Abbildung im sogenannten Jungfrauenspiegel zeigt, bei der die Madonna im Zentrum steht.
Die Paradiesflüsse bilden auf dieser Abbildung ein senkrechtes Kreuz, die Tugenden ein diagonales, dargestellt als Jungfrauen auf je einem Blüten-Thron

Speculum Virginum Ms 665 fol 19v Leipzig Universitaetsbibliothek, um 1140
Das Mantra 29 c sagt, aus dem Weltengeist entquellen Kräfte. Sicherlich lassen sich hier vier Kräfte gemäß der vier Paradiesströme denken: die Kraft des Ichs, des Astralleibs, des Ätherleibs und der Physis. Diese vier Kräfte strömen vom Kosmos ins Zentrum, wie Rudolf Steiner es für die vier Wirkrichtungen der Wesensglieder beschreibt (GA 115, S. 39) und wie es die mittelalterliche Darstellung zeigt (allerdings mit anderen Zuordnungen der Tugenden). Diese vier Kräfte durchwirken den geistigen Raum und stellen sich deshalb in jedem Zeit-Raum, in jedem Zyklus dar. Die Kräfte, die dem Weltengeist entquellen, sind die in den Rhythmen der Zeit und jeder Entwicklung wirkenden Ätherkräfte.
Im Wirken der Zeit gibt der Weltengeist seine Kräfte hin, verausgabt sich durch die Wandlungen der Natur im Jahr. Das sich selbst erschaffende Seelensein (24 X), führt beim Weltengeist zu neu belebender Selbsterkenntnis. Der Weltengeist erwacht durch das sich selbst erschaffende Seelensein, könnte man sagen. Auch Bewusstseinskräfte sind Ätherkräfte, die durch sterbendes Leben, durch die Ätherisation des Blutes gebildet werden (wie Rudolf Steiner sagt). Hier wird ein Kreislauf sichtbar. Durch Absterbevorgänge im Menschen bildet sich Bewusstsein. Das entweichende Leben nimmt der Weltengeist auf, es belebt ihn neu (24 X). Doch sein Leben gibt er mit dem Verfließen der Zeit, dem Erschaffen des Lebens hin (Weltengeistes Kräftequell 29 c). Auch dem Menschen führt die Zeit immer neue Lebenskräfte zu, solange seine ihm bemessene Lebenszeit dauert.
Im Mantra 24 X wird nun eine zweite Tätigkeit des Weltengeistes geschildert. Der Weltengeist schafft aus Seelenfinsternis, aus tiefster Unbewusstheit der Seele, die Willensfrucht des Selbstsinns. Er erfüllt mit Sinn, damit der Menschen als Seelenwesen ein Selbst, ein eigenständiges Wesen, sein kann und will. Das bedeutet, dass es ohne diese Schöpfungstat des Weltengeistes sinnlos wäre, sich als ein selbständiges Wesen zu fühlen. Ohne diese Tat wäre der Mensch nur Glied des Weltenwesens. Sein Seeleninnenraum wäre nur Spiegel der Welt und kein wirklich eigener Raum. Der Weltengeist erschafft den Sinn des menschlichen, dualen Welterlebens. Es ist also vom Weltengeist gewollt, dass der Mensch sich als Eigenwesen, als Ich, der Welt gegenüberstehend, erlebt. Damit macht das Mantra eine gewichtige Aussage.
Rudolf Steiner sagt: “Immer wieder hört man die Phrase, die Menschen müßten nach und nach in einem Allbewußtsein aufgehen. Das wäre die Erlösung, wenn sie ihr heutiges Bewußtsein verlören und in einem Allbewußtsein aufgingen. So verhält es sich aber nicht. Das Ich-Bewußtsein, das einstmals gar nicht da war, wird noch nach der letzten Verkörperung bestehen. Was sich aus der gemeinsamen geistigen Substanz herausgegliedert hat, wird wieder zusammenfließen. Aber das stellen Sie sich jetzt so vor: Ursprünglich hatten Sie klares Wasser, das ist aufgesogen worden von den vielen Schwämmchen. Während dieser Absonderung wird jedoch alles aufgenommen, was aus der Umgebung aufgenommen werden kann. Jeder Tropfen färbt sich mit einer ganz bestimmten Färbung. Wenn die Schwämmchen wieder ausgedrückt werden, dann bringt ein jedes seine Farbe mit. Das ist eine Mannigfaltigkeit von Farben, schillernd, schöner als es jemals vorher hätte sein können. So bringt ein jeder Mensch, wenn er wieder in das Allgeistige zurückkehrt, seine besondere Färbung mit. Das ist sein individuelles Bewußtsein, das unverlierbar ist. Ein Zusammenklang von allen Bewußtseinen, eine Harmonie wird das Allbewußtsein sein. In Freiheit werden die Wesen, die durch die Menschheit gegangen sind, eine Einheit sein. Sie werden viele bleiben, doch weil sie eine Einheit sein wollen, aber nicht gezwungen werden, eine Einheit zu bilden, daher werden sie eine Einheit sein. Jeder hat sein Bewußtsein erhalten, und alle zusammen bilden durch ihren Willen ein einheitliches Bewußtsein. So müssen wir uns Anfang und Ende unseres heutigen Weltenprozesses vorstellen.“ (Lit.: GA 96, S. 222ff)
Indem der Weltengeist aus der tiefen Unbewusstheit der Seele die Frucht des Selbstsinns — also die Trennung von Welt und Selbst im Bewusstsein des Menschen erschafft, trennt er, was ehemals eine Einheit war. So bildet er, denke ich mir, aus der Ganzheit die Dualität, die nun Voraussetzung für das sich selbst erschaffende Seelensein ist. Damit gibt es nicht nur den makrokosmischen Quellort der Zeit im Besitz des Weltengeistes, sondern einen zweiten Quell im Menschen. Aus diesem entsteigt der Weltengeist verjüngt mit neuer Selbsterkenntnis. Von diesem Quellort des sich selbst erschaffenden Seelenseins strebt er fort — wirkt in die Zukunft.
Das Mantra 29 c schließt mit drei Aufgaben für den Ich-Sprecher, die sich aus dem sinnvollen Deuten des Erlebten ergeben. Zum einen ist dieses sinnvolle Deuten des Geschehenen Sommererbe, zum zweiten ist es Herbstesruhe und zum dritten Winterhoffnung. Im Blog 29 c beschreibe ich verschiedene Verständnisebenen dieses Dreischritts. Für den im Mantra wachen, schöpferisch denkenden Menschen geht es um die Handhabung der drei Zeitqualitäten im Zusammenhang mit seinen Seelenfähigkeiten. Das Sommererbe weist auf die Vergangenheit. Da das Sommer-Halbjahr mit der Wahrnehmung verbunden ist, so ist das Sommererbe der Wahrnehmungsschatz, den das Denken von der Wahrnehmung erbt. Die Herbstesruhe ist ein fühlendes Erleben in Gegenwärtigkeit. Die Winterhoffnung weist in die Zukunft. Sie ist mit dem Wollen verbunden, dass die Handlungen, die auf den gemachten und denkend verarbeiteten Wahrnehmungen beruhen, in ausgeglichenem, ruhigem, abgeklärtem, herbstlichem Fühlen ausgeführt, Grund zur Hoffnung auf eine gute Weiterentwicklung geben mögen. Der in der Gegenwart, in Herbstesruhe durch den Willen gewirkten Tat folgt die Winterhoffnung, die Hoffnung, dass die zum Abschluss gekommene, Kristall gewordene Tat in der Welt Same werden möge, aus der neues Leben entsteht. Auch der durch Sommererbe und Herbstesruhe gewonnene neue Seelenzustand kann winterlich-kristallin erlebt werden und Hoffnung auf die Vervollkommnung des Menschen wecken. Mit diesen drei Eigenschaften, dem Sommererbe, der Herbstesruhe und der Winterhoffnung erweist sich der denkende Mensch als geistig reifer Schöpfer. Der Geist ist in ihn eingezogen und leuchtet durch menschliches Denken in die Welt.
Rudolf Steiner charakterisiert die Empfindung zur Wintersonnenwende als Hoffnung, mithin als Winterhoffnung: „Und es lebte innerhalb dieser heidnischen Anschauung der Gedanke, daß, wenn die Erde zur Zeit der Wintersonnenwende ihre finstersten Tage hat, zugleich der Augenblick herangerückt ist, wo die Sonne ihre siegende Kraft für alle Erdenfruchtbarkeit wieder zu entwickeln beginnt. Diese Empfindung des Auf-sich-selbst-Angewiesenseins der Erde, der Abgeschlossenheit der Erde von den kosmisch-göttlichen Mächten, diese Empfindung gewissermaßen der Welteinsamkeit der Erde, sie wurde abgelöst in diesem Augenblicke der Wintersonnenwende von der Empfindung der Hoffnung: Ja, es kommen wieder die segensvollen Licht-und Liebewirkungen aus dem Sonnenbereich und wecken alles Fruchtbare der Erde neu auf.“ GA 209, S. 60, 26. Dezember 1921) Winterhoffnung ist also die Hoffnung auf neue Geistverbindung, auf den Sieg des Sonnenhaften auch im Menschen.
Das folgende Zitat von Rudolf Steiner könnte auf das Aufwachen des Geistes im Menschen hindeuten, wie es das Mantra 29 c im leuchtenden und sinnvoll deutenden Denken des Ich-Sprechers schildert: “Der Geist ist in diesen drei Weltgebieten [in der Natur, in der Seele und im Geist] schaffend. Die Natur ist nicht geistlos. Man verliert erkennend auch die Natur, wenn man in ihr den Geist nicht gewahr wird. Aber man wird allerdings innerhalb des Naturdaseins den Geist wie schlafend finden. So wie aber der Schlaf im Menschenleben seine Aufgabe hat und das «Ich» eine gewisse Zeit schlafen muß, um zu einer andern recht wach zu sein, so muß der Weltengeist an der «Natur-Stelle» schlafen, um an einer andern recht wach zu sein.” (GA 26, Leitsatz 18, Hervorhebung A.F.) In der Natur schläft der Weltengeist. Im Geist, aus dem der Zeitenstrom des Weltengeistes herausquillt, wacht er, denn er gestaltet das Weltgeschehen so, dass das Erlebte vom Menschen sinnvoll gedeutet werden kann. Auch im Menschengeist kann er erwachen. Zwischen diesen beiden Weltgebieten liegt das Seelensein. Träumt der Weltengeist hier? Das Mantra 24 X schildert das Wirken des Weltengeistes im Seelensein als ein doppeltes. Im aufscheinenden Bewusstsein strebt der Weltengeist fort, in der Seelenfinsternis, im Unbewussten, erschafft er die Willensfrucht des Selbstsinns. Hier in diesem Zwischenbereich ist zwar kein träumendes Bewusstsein des Weltengeistes zu beobachten, wohl aber eine weitende und ballende Bewegung, die an das mittlere System im Menschen, an sein rhythmisches System erinnert. Der im Geist wache Weltengeist kann hinter dem Mantra 29 c erahnt werden. Ist auch der in der Natur schlafende Weltengeist im Seelenkalender zu finden? Im Mantra 51 ! findet sich der Weltengeist im Spiegelbild des Menschenauges — und dieses Spiegelbild wird hervorgerufen durch die Wahrnehmung — die Wahrnehmung der Natur, in der der Weltengeist eben schläft.
Laut Rudolf Steiner steht dem in Freiheit gemeinschaftlich wirkenden, vielgestaltigen Weltengeist der berechenbare Weltenleib dual gegenüber, wie im Vorangehenden dargelegt worden ist. Lässt sich über den Weltenleib auch etwas sagen? Der Zeitorganismus als Jahreslauf und auch der Seelenkalender in seinen Strukturen mit Spiegel- und Gegensprüchen muss als Weltenleib angesprochen werden, denn jede Struktur bedeutet Voraussagbarkeit und damit “Berechenbarkeit”. Den Inhalt jedes Mantras, seine Aussage, erlebe ich jeweils als eine vollständig eigenständige. Hier glaube ich, dem Weltengeist zu begegnen. Ich denke, der Seelenkalender als Ganzes nimmt die Vereinigung von Weltengeist und Weltenleib vorweg — oder bereitet sie vor — die Rudolf Steiner für die dritte Epoche voraussagt.
Die Spiegelsprüche 24 X und 29 c weisen erstaunlich wenige Entsprechungen auf. Sie sind sozusagen wenig Weltenleib. Dieser Anteil wird (in der Ei-Orientierung des Jahres) im darüber liegenden Spruchpaar 25 Y und 28 b weiter abnehmen und beim obersten, letzten Spruchpaar 26 Z und 27 a verschwunden sein. Was bedeutet diese Abnahme? Die feste Struktur der Spiegel- und Gegensprüche wird im Seelenkalender “planmäßig” durchbrochen. Für die Spiegelsprüche geschieht dies durch die Mantren 26 Z und 27 a, die nicht spiegeln, für die Gegensprüche durch die Mantren ohne Buchstaben 12 ! und 51 ! (das Ausrufezeichen verdeutlicht, dass der Buchstabe nicht vergessen wurde und stammt von mir), die beide an zwölfter Stelle ihres Vierteljahres stehen. All diese Mantren haben also graduell mehr Anteil am Weltengeist, als die anderen, die eben die feste Struktur des Seelenkalenders verwirklichen. So wundert es wenig, dass das dritte Mantra, das im Seelenkalender vom Weltengeist spricht, das Mantra 51 ! ist. Es fügt sich ohne jede strukturelle Notwendigkeit hinzu und führt so zu einer rein inhaltlich begründeten Dreiheit von Weltengeist-Sprüchen.
