Die spiegelnden Mantren 1 A und 52 z

FRÜHLING

1 A Oster-Stimmung

Wenn aus den Wel­tenweit­en

Die Sonne spricht zum Menschensinn

Und Freude aus den See­len­tiefen

Dem Licht sich eint im Schauen,

Dann ziehen aus der Selb­s­theit Hülle

Gedanken in die Raumes­fer­nen

Und binden dumpf

Des Men­schen Wesen an des Geistes Sein.

 

   

 52 z

Wenn aus den See­len­tiefen

Der Geist sich wen­det zu dem Weltensein

Und Schön­heit quillt aus Raumesweit­en,

Dann zieht aus Him­mels­fer­nen

Des Lebens Kraft in Men­schen­leiber

Und einet, machtvoll wirkend,

Des Geistes Wesen mit dem Men­schensein.

 

Die Mantren 1 A und 52 z spiegeln beson­ders deut­lich. Das bedeutet, dass ihre gram­ma­tis­che Grund­struk­tur auf­fal­l­end par­al­lel gebaut ist. Diese bei­den Mantren sind die einzi­gen spiegel­nden Mantren, die außer­dem zeitlich aufeinan­der fol­gen. Im Herb­st, dort wo dieses Phänomen wieder auftreten kön­nte, spiegeln die Mantren 26 Z und 27 a nicht. Bei­de Phänomene bedeuten eine beson­ders starke Ver­ket­tung des ersten Mantras im See­lenkalen­der-Jahr mit dem Letzten.

Bei­de Mantren sind auf dem Schema “Wenn … und … dann … und” aufge­baut. Aus zwei miteinan­der ver­bun­de­nen ursäch­lichen Bedin­gun­gen entste­ht eine Wirkung, die eben­falls zwei­gliedrig ist. Bei­de Mantren sind in der neu­tralen drit­ten Per­son geschrieben. Sie schildern Prozesse, die nicht vom bewussten Mitvol­lzug des Men­schen abhängig sind. Welche bei­den grundle­gen­den seel­is­chen Bewe­gun­gen sind das?

Im Mantra 1 A spricht die Sonne zum Men­schensinn, und sie spricht damit über die Wahrnehmung den Ver­stand des Men­schen an. Die Sonne spricht aus den Wel­tenweit­en — und ich erlebe den Men­schen im Zen­trum dieser Weit­en, ganz so, wie jed­er Men­sch stets im Zen­trum seines Hor­i­zon­tkreis­es ste­ht. Dieser Son­nenansprache, dem kos­mis­chen Son­nen­wort, antwortet die Seele mit dem Auf­steigen von Freude. Die Freude des Men­schen und das Licht der Sonne vere­inen sich im Schauen — im Wahrnehmungsvorgang.

Im Mantra 52 z wen­det sich der Geist, der als göt­tlich­er Funke im Men­schen anwe­send ist, aus der Tiefe der Seele auf­steigend, dem Wel­ten­sein zu. Der Geist des Men­schen zeigt sich in sein­er Fähigkeit zu ver­ste­hen und sich auszu­drück­en — zu sprechen. Der Denk-Men­sch, der kleine Logos ste­ht dem Sein der Welt gegenüber. Ist das Ver­ste­hen des Wel­ten­seins gelun­gen, entspringt den ein­leuch­t­en­den Gedanken ein beleben­der, quel­len­der Strom. Und er strömt aus den Weit­en des Raumes, aus der Wahrnehmung auf den Men­schen zu. Schön­heit quillt aus der Erken­nt­nis der Sinnhaftigkeit des Weltenseins.

Im Mantra 1 A spricht der makrokos­mis­che Logos im Bild der Sonne zum Wahrnehmungs­men­schen. Freude ist seine Antwort. Im Mantra 52 z wen­det sich der mikrokos­mis­che Logos fra­gend der Welt zu, die ihn mit Schön­heit beschenkt.

Das Dann ist kon­se­quenter­weise jew­eils ein Prozess des Part­ners: im Mantra 1 A ist die auf die Ursache der Son­nenansprache fol­gende Wirkung ein Prozess im Men­schen; im Mantra 52 z fol­gt auf die Aktiv­ität des Men­schen ein kos­mis­ch­er Prozess.

Im Mantra 1 A ziehen (men­schliche) Gedanken in die Raumes­fer­nen außer­halb des Men­schen; im Mantra 52 z zieht aus Him­mels­fer­nen die Kraft des Lebens in Men­schen­leiber. Die Gedanken ziehen vom Zen­trum in den geisti­gen Umkreis; das Leben zei­ht aus dem sphärisch vorstell­baren geisti­gen Him­mels­gewölbe in den Leib. Inter­es­san­ter Weise ste­hen die Zielorte bei­der Bewe­gun­gen in der Mehrzahl: es heißt nicht Raumesweite, son­dern Raumesweit­en und nicht Men­schen­leib, son­dern Men­schen­leiber. Die Wirkung ist jew­eils keine punk­tuelle, son­dern eine großflächige, gestreute, die geistige oder irdis­che Gemein­schaft betr­e­f­fende. Was von einem einzel­nen Men­schen bzw. der sin­gulären Sonne aus­ge­gan­gen war, hat großflächige Kon­se­quen­zen. Die Macht und Ver­ant­wortlichkeit des Einzel­nen wird im Mantra 52 z deut­lich, das all­ge­mein Men­schliche im Mantra 1 A.

Bis hier­her waren die Prozesse abge­se­hen von ihren Aus­gangs- und Zielpunk­ten fast syn­chron: in bei­den Mantren zieht etwas aus etwas in etwas. Nun fol­gt eine Dif­feren­zierung, obwohl bei­de Ver­ben Zusam­men­führung meinen. Doch das Verb “binden” hat einen autoritären, zwin­gen­den Charak­ter, “einen” set­zt dage­gen Frei­willigkeit voraus. In bei­den Mantren wird Wesen mit Sein verknüpft. Im Mantra 1 A bindet der vorherge­hende Prozess das Wesen des Men­schen an das Sein des Geistes; im Mantra 52 z eint der Prozess das Wesen des Geistes mit dem Sein des Men­schen, dem Men­schen­sein. Im Mantra 1 A geschieht dies dumpf, unbe­wusst, im Mantra 52 z machtvoll wirk­end, also gewollt.

Der Men­sch bindet sich durch auf­steigende Gedanken unbe­wusst an den Geist, er kann gar nicht anders, sofern er auf die Anre­gun­gen sein­er Sinne durch die Sonne mit Gefühl, mit auf­steigen­der Freude antwortet. Der Geist eint sich Leben spendend, sich hin schenk­end mit dem Men­schen, sofern der men­schliche Geist sich der Welt zuwen­det und ihre sinnhafte Schön­heit erschaut.

Betra­chte ich die bei­den Hal­b­jahre als zwei Säulen, so bilden die Mantren 1 A und 52 z das Fun­da­ment ihrer Säule. Die Säule des Som­mer-Hal­b­jahres mit dem Mantra 1 A als Basis spricht von der Sonne, dem makrokos­mis­chen Licht aus den Wel­tenweit­en, das über die Wahrnehmung im Men­schen die Gedanken­bil­dung anregt. Dadurch wird das Men­schen­we­sen an das Sein des Geistes gebun­den, jedoch dumpf, ohne dass der Men­sch dies bemerkt. Die Säule des Win­ter-Hal­b­jahres mit dem Mantra 52 z als Basis spricht vom Geist, dem mikrokos­mis­chen Licht aus den See­len­tiefen, dem Licht der Bewusst­seins­bil­dung und damit der Voraus­set­zung des Denkens. Und obwohl der Zusam­men­hang gewöhn­lich ander­sherum gese­hen wird, so sagt das Mantra, dass der Einzug der Leben­skraft Folge der Weltzuge­wandtheit des Geistes ist. Dadurch vere­inigt sich das Wesen des Geistes mit dem Sein des Menschen.

Im Mantra 1 A wer­den die Ursachen der Exkar­na­tions­be­we­gung (der Her­ausziehen­den Gedanken) sowie ihre Folge beschrieben; im Mantra 52 z wer­den die Ursachen der Inkar­na­tions­be­we­gung (der einziehen­den Leben­skraft) sowie ihre Folge beschrieben. Einzeln betra­chtet zeigt sich jedes der bei­den Mantren als eine eigene Ganzheit, als ein Zusam­men­wirken von Ein­strahlung und Ausstrahlung, Ein­strö­men und Ausströ­men. Im Mantra 1 A wirkt die Sonne sprechend, ein­strahlend auf den Men­schen, der ausstrahlend mit Freude und Gedanken­bil­dung antwortet. Im Mantra 52 z wen­det sich der men­schliche Geist der Welt zu, sein Bewusst­sein ausstrahlend, worauf Schön­heit und Leben­skraft ihm zuströmen.

So knapp wie bei­de Mantren sind, beschreiben sie zusam­mengenom­men den physisch-geisti­gen Men­schen in sein­er Inter­ak­tion mit der geistig-physis­chen Welt doch vol­lum­fänglich. Sie bilden sozusagen das Gesetz, die geset­zmäßige Grund­lage, nach­dem Men­sch und Geist-Welt interagieren.