Die spiegelnden Mantren 24 X und 29 c

24 X

Sich selb­st erschaf­fend stets,

Wird See­len­sein sich selb­st gewahr;

Der Wel­tengeist, er stre­bet fort

In Selb­sterken­nt­nis neu belebt

Und Schafft aus Seelenfinsternis

Des Selb­stsinns Willensfrucht.

29 c

Sich selb­st des Denkens Leuchten

Im Innern kraftvoll zu entfachen,

Erlebtes sin­nvoll deutend

Aus Wel­tengeistes Kräftequell,

Ist mir nun Sommererbe,

Ist Herb­stes­ruhe und auch Winterhoffnung.

Musik zum Mantra 24 X — tänzerisch — komponiert von Herbert Lippmann

Musik zum Mantra 29 c — etwas kühn — komponiert von Herbert Lippmann

Über die Spiegelsprüche 24 X und 29 c

Die Mantren 24 X und 29 c spiegeln auf­fal­l­end wenig. Zwar begin­nen bei­de gle­ich­lau­t­end mit “Sich selb­st …” und machen auf diese Weise deut­lich, dass sie dem Gesetz der Spiegel­sprüche fol­gen, doch danach gibt es nur noch eine einzige Entsprechung. Diese let­zte Spiegelung ist eine kurze ent­ge­genge­set­zte Ort­sangabe — im Mantra 24 X lautet sie “In”, im Mantra 29 c “Aus”. Dieses Fehlen von weit­eren spiegel­nden Entsprechun­gen wirkt, als wäre ger­ade ihre rel­a­tive Unab­hängigkeit wesentlich für ihr Ver­ständ­nis. Dadurch rückt das jew­eils Eigene in den Fokus. So wird der gle­ich­lau­t­ende Beginn bei­der Mantren “Sich selb­st …” zu ihrem Motto.

Das Mantra 24 X han­delt vom See­len­sein und weist keinen über sich sel­ber reflek­tieren­den Ich-Sprech­er auf. Es ist durchgängig in der neu­tralen, beschreiben­den drit­ten Per­son ver­fasst. Anders das Mantra 29 c, in ihm beschreibt der Ich-Sprech­er die Auf­gabe und Her­aus­forderung des selb­ständi­gen Denkens.

Obwohl die Mantren durch die sparsamen Entsprechun­gen wenig Verbindung zeigen, vere­int sie inhaltlich der Wel­tengeist, der in bei­den eine Rolle spielt. Das Mantra 24 X schildert die Daseins­be­din­gung der Seele, das See­len­sein und das Wirken des Wel­tengeistes in ihr. Da kein Ich-Sprech­er auftritt, han­delt es sich um eine Sein­sebene, die durch Selb­stre­flek­tion nicht direkt beobacht­bar ist. Das erschw­ert den Nachvol­lzug für den Leser. Ohne solchen Ich-Sprech­er geht es in diesem Mantra nicht um die Herrschaft des Ichs über die Seele, son­dern um das See­len­sein sel­ber. Und es geht um das Wirken des Wel­tengeistes in diesem See­len­sein. Ganz anders ist es im Mantra 29 c, denn hier gibt es einen wachen, sein­er selb­st bewussten, sich als Ich erfassenden Sprech­er. Dieser Ich-Sprech­er reflek­tiert über sein Denken und in seinem Gedanken­in­halt spielt der Wel­tengeist eine zen­trale Rolle. Es ist der Kräfte­quell des Wel­tengeistes, der ihm die Deu­tung sein­er Erleb­nisse ermöglichen soll.

Der Wel­tengeist ist in Rudolf Stein­ers Werk ein sehr weit gefasster Begriff. Im Blog-Artikel 24 X find­en sich ver­schiedene Zitate von Rudolf Stein­er, in denen der Wel­tengeist mit ganz unter­schiedlichen The­men in Zusam­men­hang gebracht wird. Es ist zum Beispiel der Wel­tengeist, der dem Men­schen Erken­nt­nisse schenkt, wenn dieser sein Gedanken­ma­te­r­i­al zur Ver­fü­gung stellt und darauf verzichtet, sel­ber Vorstel­lun­gen zu bilden. Es ist auch der Wel­tengeist, der dem Men­schen seit Urzeit­en moralisch den Weg weist und der später in ihn als Gewis­sen einge­zo­gen ist. Auch die Taube über dem Kelch ist der Wel­tengeist, mithin der Heilige Geist, den Rudolf Stein­er den kör­per­losen Geist nen­nt. Im Blog-Artikel 29 c habe ich den Kräfte­quell des Wel­tengeistes als den geisti­gen Ort beschrieben, aus dem die Zeit, die alles trägt, was auf Erden im Leben des Men­schen geschieht, in weisheitsvoller Ord­nung her­vorquillt. Im Mantra 51 ! wird der Wel­tengeist ein drittes Mal im See­lenkalen­der erwäh­nt. Hier find­et er sich im Spiegel­bild des Men­schenauges, dass aber erst durch seine Kraft wieder ler­nen muss, geistig zu sehen. Der Wel­tengeist ist also eine Kraft, die sowohl auf das Erken­nen, als auch auf die moralis­che Aus­rich­tung des Men­schen weisheitsvoll ord­nend wirkt und die gle­ichzeit­ig außer­halb des Men­schen im weisheitsvollen Gang der Zeit zu find­en ist.

Im Blog­a­r­tikel zu den Gegen­sprüchen 24 X — 49 x find­en sich zwei von vie­len Beispie­len, in denen der Wel­tengeist in Sprüchen vorkommt, die Rudolf Stein­er für die Med­i­ta­tion geschaf­fen hat. Hier ste­ht der Wel­tengeist mit dem Rosenkreuz in Beziehung und deutet auf die Kraft, die den Tod über­winden kann.

In den Anthro­posophis­chen Leit­sätzen beschreibt Rudolf Stein­er den Wel­tengeist weniger speziell, dafür bringt er ihn in Zusam­men­hang mit der Zeit. Er unter­schei­det drei Zeit­epochen, eine uralt ver­gan­gene, die gegen­wär­tige und eine kom­mende. In dieser mit­tleren Epoche tritt auseinan­der, was in der ver­gan­genen Epoche zu ein­er Ein­heit gebildet wor­den war und was auch in der zukün­fti­gen Epoche wieder eine Ein­heit bilden wird. Der eine Pol in der mit­tleren Zeit­epoche ist der Wel­tengeist, sein Gegen­teil der Wel­tenleib. Rudolf Stein­er fasst unter dem Wel­tengeist alles gemein­schaftlich-har­monis­che Wirken geistiger Mächte zusam­men, das zwar unberechen­bar ist, jedoch stattdessen durch Liebe in Frei­heit ver­bun­den. Der Wel­tenleib ist dage­gen nach Maß, Zahl und Gewicht geord­net und dadurch vorbes­timmt, deter­miniert und deshalb auch berechen­bar. Rudolf Stein­er sagt: “… es gab eine kos­mis­che Zeit-Epoche, da waren dieses Scheinen und diese Erdenkräfte noch unmit­tel­bare geistige Offen­barung der göt­tlich-geisti­gen Wesen. Der Men­sch in seinem dumpfen Bewußt­sein fühlte die göt­tlich-geisti­gen Wesen wirk­sam in sein­er Wesen­heit.

Dann kam eine andere Zeit-Epoche. Der Ster­nen­him­mel löste sich als kör­per­lich­es Wesen aus dem göt­tlich-geisti­gen Wirken her­aus. Es ent­stand das, was man Wel­tengeist und Wel­tenleib nen­nen kann. Der Wel­tengeist ist eine Viel­heit göt­tlich-geistiger Wesen­heit­en. Sie wirken in der älteren Epoche aus den Ster­nen-Orten auf die Erde here­in. Was da von den Wel­tenweit­en erglänzte, was vom Erden­zen­trum als Kräfte erstrahlte, das war in Wirk­lichkeit Intel­li­genz und Wille der göt­tlich-geisti­gen Wesen­heit­en, die an der Erde und ihrer Men­schheit schufen. …

Man kann, wenn man in geist­gemäßer Weltan­schau­ung auf diese Dinge zurück­blickt, sagen: aus dem ursprünglichen Geist-Leib der weltschöpferischen Wesen ist Wel­tengeist und Wel­tenleib ent­standen. Und der Wel­tenleib zeigt in Ster­nen-Anord­nung und Ster­nen­be­we­gung, wie einst das intel­li­gente und wil­lens­gemäße Göt­ter­wirken war. Aber für die kos­mis­che Gegen­wart ist, was einst frei bewegliche Göt­ter­in­tel­li­genz und Göt­ter­wille in den Ster­nen war, in diesen geset­zmäßig-fest geworden.

… Man muß in der Welt­gestal­tung zurück­blick­en auf eine alte kos­mis­che Epoche, in der Wel­tengeist und Wel­tenleib als eine Ein­heit wirken. Man muß die mit­tlere Epoche ins Auge fassen, in der sie als Zwei­heit sich ent­fal­ten. Und man muß in die Zukun­ft, die dritte Epoche, denken, in der der Wel­tengeist den Wel­tenleib wieder in seine Wirk­samkeit übernehmen wird.

Für die alte Epoche wären Ster­nenkon­stel­la­tion und Ster­nen­lauf nicht zu «berech­nen» gewe­sen, denn sie waren Aus­druck der freien Intel­li­genz und des freien Wil­lens von göt­tlich-geisti­gen Wesen. In der Zukun­ft wer­den sie wieder nicht zu berech­nen sein.

«Berech­nung» hat nur eine Bedeu­tung für die mit­tlere kos­mis­che Epoche.

Und wie für Ster­nenkon­stel­la­tion und Ster­nen­lauf, so gilt dieses auch für die Wirk­samkeit der vom Erden­zen­trum in die Wel­tenweite strahlen­den Kräfte. Da wird das, was «aus der Tiefe» wirkt, «berechen­bar».

Aber alles strebt aus der älteren kos­mis­chen Epoche der mit­tleren zu, in der das Räum­liche und Zeitliche «berechen­bar» wird und das Göt­tlich-Geistige als Intel­li­genz- und Wil­lens-Offen­barung «hin­ter» dem «Berechen­baren» gesucht wer­den muß.

Nur in dieser mit­tleren Epoche sind die Bedin­gun­gen gegeben, in denen die Men­schheit von einem dumpfen Bewußt­sein zu einem hellen, freien Selb­st­be­wußt­sein, zu eigen­er freier Intel­li­genz und eigen­em freien Willen fortschre­it­en kann.” (GA 26 aus den Leit­sätzen 167 — 169, Her­vorhe­bung fett A.F.)

Welche Rolle spielt der Wel­tengeist nun in den Mantren 24 X und 29 c? Bei­de Mantren begin­nen mit “Sich selb­st …” Sie begin­nen damit, die Eige­nak­tiv­ität zu benen­nen. Im Mantra 24 X ist das See­len­sein aktiv. Es erschafft sich in jedem Augen­blick, fort­laufend, selb­st und wird dadurch für sich sel­ber wahrnehm­bar. Das See­len­sein wird sich durch sein Han­deln selb­st gewahr. See­len­sein ist also schöpferische Aktiv­ität, die Bewusst­sein entste­hen lässt. Es ist eine fort­laufende Inter­ak­tion zwis­chen zwei gegen­sät­zlichen Kom­po­nen­ten. Ana­log zum Wel­tengeist und Wel­tenleib kön­nte es sich um die schöpferische Begeg­nung von Men­schengeist und Men­schen­leib han­deln, von Lebens- und Todeskräften. Aus dieser Inter­ak­tion entste­ht Bewusst­sein. Doch dieses Bewusst­sein ist noch kein Selb­st­be­wusst­sein. Es gibt im Mantra keinen Ich-Sprech­er, es ist das See­len­sein, was sich sein­er gewahr wird.

Nun wird der Wel­tengeist genan­nt. Er nimmt sozusagen die Stelle des Ichs ein, das hier nicht vorhan­den ist. Der Wel­tengeist lässt sich in dem Bewusst­sein nicht häus­lich nieder, wie es das Ich tut, son­dern er strebt fort. Hier stellen sich nun eine Rei­he von Fra­gen: War der Wel­tengeist beteiligt an der Selb­ster­schaf­fung des See­len­seins? Gab er dem See­len­sein die Voraus­set­zung für die Selb­ster­schaf­fung? Strebt er fort, weil er seine Arbeit mit dem Entste­hen von Bewusst­sein been­det hat? Gibt er das entste­hende Bewusst­sein frei, damit es vom Ich als Selb­st­be­wusst­sein ergrif­f­en wer­den kann?

Dieses Ergreifen und benutzen des Bewusst­seins find­et im Mantra 29 c durch den Ich-Sprech­er statt, der sich selb­st des Denkens Leucht­en ent­fachen will. Er will also denken. Eine Leuchte ist eine Lichtquelle. Es han­delt sich min­destens um zwei Denk-Leucht­en, mithin um zwei Arten zu denken, die kraftvoll, also wil­lentlich aktiviert, d.h. entzün­det wer­den müssen. Aktives, wil­lentlich geführtes sowohl ana­lytisch-unter­schei­den­des als auch Ganzheit­en bilden­des, syn­thetis­ches Denken ver­bre­it­en Erken­nt­nis­licht und kön­nen als diese Leucht­en ange­se­hen werden.

So wie der Ich-Sprech­er im Mantra 29 c poten­tiell durch Denken in der Lage ist, Selb­sterken­nt­nis zu gewin­nen, wird dies vom Wel­tengeist im Mantra 24 X berichtet. Diese Selb­sterken­nt­nis belebt den Wel­tengeist neu. War er vorher unbelebt? Schlief er? Wodurch hat­te er sich so ver­aus­gabt? Im Mantra wird darüber nichts gesagt. Das Mantra 29 c ver­rät vom Wel­tengeist jedoch, dass er einen Kräfte­quell besitzt, dass es sein Kräfte­quell ist, — den er also beherrscht, lenkt und vielle­icht aus sich her­vor­bringt — aus dem alle Geschehnisse sin­nvoll gedeutet wer­den kön­nen. Der Wel­tengeist bringt dem­nach den Sinn her­vor, der in jed­er Entwick­lung und damit im Ver­stre­ichen der Zeit liegt. Die Zeit wird gerne im Bild eines strö­menden Flusses vorgestellt. Und wie jed­er Fluss muss auch der Zeit-Fluss aus ein­er Quelle entspringen.

In der Gen­e­sis wird beschrieben, wie ein Strom im Paradies entspringt, der sich in vier Ströme teilt und die die ganze Welt bewässert.

“Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Haupt­flüssen. Der Name des ersten ist Pischon (Phi­son); er ist es, der das ganze Land Haw­ila umfließt, wo es Gold gibt. Das Gold jenes Lan­des ist gut; dort gibt es Bdel­li­umharz und Onyx. Der Name des zweit­en Stromes ist Gihon (Geon); er ist es, der das ganze Land Kusch umfließt. Der Name des drit­ten Stromes ist Tigris (Tygris); er ist es, der östlich an Assur vor­bei­fließt. Der vierte Strom ist der Eufrat (Euphrat).” (Gen­e­sis 2,10–14, Ein­heit­süber­set­zung, Schreib­weise in Klam­mern A.F.)

Rudolf Stein­er sagt über diese Paradies­flüsse: “Die vier Gewäss­er [die vier Paradiesströme, A.F.] sind die Sym­bole für die vier Astral­for­men der Materie, die zusam­men­fließen. Das Wass­er bedeutet immer das Astrale in der eso­ter­ischen Sprache.” (GA 88, S. 221)

Im Mit­te­lal­ter wur­den diese vier Paradiesströme ver­schiedentlich dargestellt und mit den seit Ais­chy­los (467 v. Chr.) bekan­nten vier Kar­dinal­tugen­den kom­biniert, wie es z.B. eine Abbil­dung im soge­nan­nten Jungfrauen­spiegel zeigt, bei der die Madon­na im Zen­trum steht.

Die Paradies­flüsse bilden auf dieser Abbil­dung ein senkrecht­es Kreuz, die Tugen­den ein diag­o­nales, dargestellt als Jungfrauen auf je einem Blüten-Thron

Specu­lum Vir­ginum Ms 665 fol 19v Leipzig Uni­ver­si­taets­bib­lio­thek, um 1140

Das Mantra 29 c sagt, aus dem Wel­tengeist entquellen Kräfte. Sicher­lich lassen sich hier vier Kräfte gemäß der vier Paradiesströme denken: die Kraft des Ichs, des Astralleibs, des Äther­leibs und der Physis. Diese vier Kräfte strö­men vom Kos­mos ins Zen­trum, wie Rudolf Stein­er es für die vier Wirkrich­tun­gen der Wesens­glieder beschreibt (GA 115, S. 39) und wie es die mit­te­lal­ter­liche Darstel­lung zeigt (allerd­ings mit anderen Zuord­nun­gen der Tugen­den). Diese vier Kräfte durch­wirken den geisti­gen Raum und stellen sich deshalb in jedem Zeit-Raum, in jedem Zyk­lus dar. Die Kräfte, die dem Wel­tengeist entquellen, sind die in den Rhyth­men der Zeit und jed­er Entwick­lung wirk­enden Ätherkräfte.

Im Wirken der Zeit gibt der Wel­tengeist seine Kräfte hin, ver­aus­gabt sich durch die Wand­lun­gen der Natur im Jahr. Das sich selb­st erschaf­fende See­len­sein (24 X), führt beim Wel­tengeist zu neu beleben­der Selb­sterken­nt­nis. Der Wel­tengeist erwacht durch das sich selb­st erschaf­fende See­len­sein, kön­nte man sagen. Auch Bewusst­sein­skräfte sind Ätherkräfte, die durch ster­ben­des Leben, durch die Ätheri­sa­tion des Blutes gebildet wer­den (wie Rudolf Stein­er sagt). Hier wird ein Kreis­lauf sicht­bar. Durch Abster­bevorgänge im Men­schen bildet sich Bewusst­sein. Das entwe­ichende Leben nimmt der Wel­tengeist auf, es belebt ihn neu (24 X). Doch sein Leben gibt er mit dem Ver­fließen der Zeit, dem Erschaf­fen des Lebens hin (Wel­tengeistes Kräfte­quell 29 c). Auch dem Men­schen führt die Zeit immer neue Leben­skräfte zu, solange seine ihm bemessene Leben­szeit dauert.

Im Mantra 24 X wird nun eine zweite Tätigkeit des Wel­tengeistes geschildert. Der Wel­tengeist schafft aus See­len­fin­ster­n­is, aus tief­ster Unbe­wuss­theit der Seele, die Wil­lens­frucht des Selb­stsinns. Er erfüllt mit Sinn, damit der Men­schen als See­len­we­sen ein Selb­st, ein eigen­ständi­ges Wesen, sein kann und will. Das bedeutet, dass es ohne diese Schöp­fung­stat des Wel­tengeistes sinnlos wäre, sich als ein selb­ständi­ges Wesen zu fühlen. Ohne diese Tat wäre der Men­sch nur Glied des Wel­tenwe­sens. Sein See­lenin­nen­raum wäre nur Spiegel der Welt und kein wirk­lich eigen­er Raum. Der Wel­tengeist erschafft den Sinn des men­schlichen, dualen Wel­ter­lebens. Es ist also vom Wel­tengeist gewollt, dass der Men­sch sich als Eigen­we­sen, als Ich, der Welt gegenüber­ste­hend, erlebt. Damit macht das Mantra eine gewichtige Aussage.

Rudolf Stein­er sagt: “Immer wieder hört man die Phrase, die Men­schen müßten nach und nach in einem All­be­wußt­sein aufge­hen. Das wäre die Erlö­sung, wenn sie ihr heutiges Bewußt­sein ver­lören und in einem All­be­wußt­sein aufgin­gen. So ver­hält es sich aber nicht. Das Ich-Bewußt­sein, das ein­st­mals gar nicht da war, wird noch nach der let­zten Verkör­pe­rung beste­hen. Was sich aus der gemein­samen geisti­gen Sub­stanz her­aus­gegliedert hat, wird wieder zusam­men­fließen. Aber das stellen Sie sich jet­zt so vor: Ursprünglich hat­ten Sie klares Wass­er, das ist aufge­so­gen wor­den von den vie­len Schwämm­chen. Während dieser Abson­derung wird jedoch alles aufgenom­men, was aus der Umge­bung aufgenom­men wer­den kann. Jed­er Tropfen färbt sich mit ein­er ganz bes­timmten Fär­bung. Wenn die Schwämm­chen wieder aus­ge­drückt wer­den, dann bringt ein jedes seine Farbe mit. Das ist eine Man­nig­faltigkeit von Far­ben, schillernd, schön­er als es jemals vorher hätte sein kön­nen. So bringt ein jed­er Men­sch, wenn er wieder in das All­geistige zurück­kehrt, seine beson­dere Fär­bung mit. Das ist sein indi­vidu­elles Bewußt­sein, das unver­lier­bar ist. Ein Zusam­men­klang von allen Bewußt­seinen, eine Har­monie wird das All­be­wußt­sein sein. In Frei­heit wer­den die Wesen, die durch die Men­schheit gegan­gen sind, eine Ein­heit sein. Sie wer­den viele bleiben, doch weil sie eine Ein­heit sein wollen, aber nicht gezwun­gen wer­den, eine Ein­heit zu bilden, daher wer­den sie eine Ein­heit sein. Jed­er hat sein Bewußt­sein erhal­ten, und alle zusam­men bilden durch ihren Willen ein ein­heitlich­es Bewußt­sein. So müssen wir uns Anfang und Ende unseres heuti­gen Wel­tenprozess­es vorstellen.“ (Lit.: GA 96, S. 222ff)

Indem der Wel­tengeist aus der tiefen Unbe­wuss­theit der Seele die Frucht des Selb­stsinns — also die Tren­nung von Welt und Selb­st im Bewusst­sein des Men­schen erschafft, tren­nt er, was ehe­mals eine Ein­heit war. So bildet er, denke ich mir, aus der Ganzheit die Dual­ität, die nun Voraus­set­zung für das sich selb­st erschaf­fende See­len­sein ist. Damit gibt es nicht nur den makrokos­mis­chen Quel­lort der Zeit im Besitz des Wel­tengeistes, son­dern einen zweit­en Quell im Men­schen. Aus diesem entsteigt der Wel­tengeist ver­jüngt mit neuer Selb­sterken­nt­nis. Von diesem Quel­lort des sich selb­st erschaf­fend­en See­len­seins strebt er fort — wirkt in die Zukunft.

Das Mantra 29 c schließt mit drei Auf­gaben für den Ich-Sprech­er, die sich aus dem sin­nvollen Deuten des Erlebten ergeben. Zum einen ist dieses sin­nvolle Deuten des Geschehenen Som­mererbe, zum zweit­en ist es Herb­stes­ruhe und zum drit­ten Win­ter­hoff­nung. Im Blog 29 c beschreibe ich ver­schiedene Ver­ständ­nisebe­nen dieses Dreis­chritts. Für den im Mantra wachen, schöpferisch denk­enden Men­schen geht es um die Hand­habung der drei Zeitqual­itäten im Zusam­men­hang mit seinen See­len­fähigkeit­en. Das Som­mererbe weist auf die Ver­gan­gen­heit. Da das Som­mer-Hal­b­jahr mit der Wahrnehmung ver­bun­den ist, so ist das Som­mererbe der Wahrnehmungss­chatz, den das Denken von der Wahrnehmung erbt. Die Herb­stes­ruhe ist ein füh­len­des Erleben in Gegen­wär­tigkeit. Die Win­ter­hoff­nung weist in die Zukun­ft. Sie ist mit dem Wollen ver­bun­den, dass die Hand­lun­gen, die auf den gemacht­en und denk­end ver­ar­beit­eten Wahrnehmungen beruhen, in aus­geglich­en­em, ruhigem, abgek­lärtem, herb­stlichem Fühlen aus­ge­führt, Grund zur Hoff­nung auf eine gute Weit­er­en­twick­lung geben mögen. Der in der Gegen­wart, in Herb­stes­ruhe durch den Willen gewirk­ten Tat fol­gt die Win­ter­hoff­nung, die Hoff­nung, dass die zum Abschluss gekommene, Kristall gewor­dene Tat in der Welt Same wer­den möge, aus der neues Leben entste­ht. Auch der durch Som­mererbe und Herb­stes­ruhe gewonnene neue See­len­zu­s­tand kann win­ter­lich-kristallin erlebt wer­den und Hoff­nung auf die Ver­vol­lkomm­nung des Men­schen weck­en. Mit diesen drei Eigen­schaften, dem Som­mererbe, der Herb­stes­ruhe und der Win­ter­hoff­nung erweist sich der denk­ende Men­sch als geistig reifer Schöpfer. Der Geist ist in ihn einge­zo­gen und leuchtet durch men­schlich­es Denken in die Welt.

Rudolf Stein­er charak­ter­isiert die Empfind­ung zur Win­ter­son­nen­wende als Hoff­nung, mithin als Win­ter­hoff­nung: „Und es lebte inner­halb dieser hei­d­nis­chen Anschau­ung der Gedanke, daß, wenn die Erde zur Zeit der Win­ter­son­nen­wende ihre fin­ster­sten Tage hat, zugle­ich der Augen­blick herangerückt ist, wo die Sonne ihre siegende Kraft für alle Erden­frucht­barkeit wieder zu entwick­eln begin­nt. Diese Empfind­ung des Auf-sich-selb­st-Angewiesen­seins der Erde, der Abgeschlossen­heit der Erde von den kos­misch-göt­tlichen Mächt­en, diese Empfind­ung gewis­ser­maßen der Wel­tein­samkeit der Erde, sie wurde abgelöst in diesem Augen­blicke der Win­ter­son­nen­wende von der Empfind­ung der Hoff­nung: Ja, es kom­men wieder die segensvollen Licht-und Liebe­wirkun­gen aus dem Son­nen­bere­ich und weck­en alles Frucht­bare der Erde neu auf.“ GA 209, S. 60, 26. Dezem­ber 1921) Win­ter­hoff­nung ist also die Hoff­nung auf neue Geistverbindung, auf den Sieg des Son­nen­haften auch im Menschen.

Das fol­gende Zitat von Rudolf Stein­er kön­nte auf das Aufwachen des Geistes im Men­schen hin­deuten, wie es das Mantra 29 c im leuch­t­en­den und sin­nvoll deu­ten­den Denken des Ich-Sprech­ers schildert: “Der Geist ist in diesen drei Welt­ge­bi­eten [in der Natur, in der Seele und im Geist] schaf­fend. Die Natur ist nicht geist­los. Man ver­liert erken­nend auch die Natur, wenn man in ihr den Geist nicht gewahr wird. Aber man wird allerd­ings inner­halb des Natur­da­seins den Geist wie schlafend find­en. So wie aber der Schlaf im Men­schen­leben seine Auf­gabe hat und das «Ich» eine gewisse Zeit schlafen muß, um zu ein­er andern recht wach zu sein, so muß der Wel­tengeist an der «Natur-Stelle» schlafen, um an ein­er andern recht wach zu sein.” (GA 26, Leit­satz 18, Her­vorhe­bung A.F.) In der Natur schläft der Wel­tengeist. Im Geist, aus dem der Zeit­en­strom des Wel­tengeistes her­ausquillt, wacht er, denn er gestal­tet das Welt­geschehen so, dass das Erlebte vom Men­schen sin­nvoll gedeutet wer­den kann. Auch im Men­schengeist kann er erwachen. Zwis­chen diesen bei­den Welt­ge­bi­eten liegt das See­len­sein. Träumt der Wel­tengeist hier? Das Mantra 24 X schildert das Wirken des Wel­tengeistes im See­len­sein als ein dop­peltes. Im auf­scheinen­den Bewusst­sein strebt der Wel­tengeist fort, in der See­len­fin­ster­n­is, im Unbe­wussten, erschafft er die Wil­lens­frucht des Selb­stsinns. Hier in diesem Zwis­chen­bere­ich ist zwar kein träu­mendes Bewusst­sein des Wel­tengeistes zu beobacht­en, wohl aber eine wei­t­ende und bal­lende Bewe­gung, die an das mit­tlere Sys­tem im Men­schen, an sein rhyth­mis­ches Sys­tem erin­nert. Der im Geist wache Wel­tengeist kann hin­ter dem Mantra 29 c erah­nt wer­den. Ist auch der in der Natur schlafende Wel­tengeist im See­lenkalen­der zu find­en? Im Mantra 51 ! find­et sich der Wel­tengeist im Spiegel­bild des Men­schenauges — und dieses Spiegel­bild wird her­vorgerufen durch die Wahrnehmung — die Wahrnehmung der Natur, in der der Wel­tengeist eben schläft.

Laut Rudolf Stein­er ste­ht dem in Frei­heit gemein­schaftlich wirk­enden, vielgestalti­gen Wel­tengeist der berechen­bare Wel­tenleib dual gegenüber, wie im Vor­ange­hen­den dargelegt wor­den ist. Lässt sich über den Wel­tenleib auch etwas sagen? Der Zeitor­gan­is­mus als Jahres­lauf und auch der See­lenkalen­der in seinen Struk­turen mit Spiegel- und Gegen­sprüchen muss als Wel­tenleib ange­sprochen wer­den, denn jede Struk­tur bedeutet Voraus­sag­barkeit und damit “Berechen­barkeit”. Den Inhalt jedes Mantras, seine Aus­sage, erlebe ich jew­eils als eine voll­ständig eigen­ständi­ge. Hier glaube ich, dem Wel­tengeist zu begeg­nen. Ich denke, der See­lenkalen­der als Ganzes nimmt die Vere­ini­gung von Wel­tengeist und Wel­tenleib vor­weg — oder bere­it­et sie vor — die Rudolf Stein­er für die dritte Epoche voraussagt.

Die Spiegel­sprüche 24 X und 29 c weisen erstaunlich wenige Entsprechun­gen auf. Sie sind sozusagen wenig Wel­tenleib. Dieser Anteil wird (in der Ei-Ori­en­tierung des Jahres) im darüber liegen­den Spruch­paar 25 Y und 28 b weit­er abnehmen und beim ober­sten, let­zten Spruch­paar 26 Z und 27 a ver­schwun­den sein. Was bedeutet diese Abnahme? Die feste Struk­tur der Spiegel- und Gegen­sprüche wird im See­lenkalen­der “plan­mäßig” durch­brochen. Für die Spiegel­sprüche geschieht dies durch die Mantren 26 Z und 27 a, die nicht spiegeln, für die Gegen­sprüche durch die Mantren ohne Buch­staben 12 ! und 51 ! (das Aus­rufeze­ichen verdeut­licht, dass der Buch­stabe nicht vergessen wurde und stammt von mir), die bei­de an zwölfter Stelle ihres Viertel­jahres ste­hen. All diese Mantren haben also gradu­ell mehr Anteil am Wel­tengeist, als die anderen, die eben die feste Struk­tur des See­lenkalen­ders ver­wirk­lichen. So wun­dert es wenig, dass das dritte Mantra, das im See­lenkalen­der vom Wel­tengeist spricht, das Mantra 51 ! ist. Es fügt sich ohne jede struk­turelle Notwendigkeit hinzu und führt so zu ein­er rein inhaltlich begrün­de­ten Drei­heit von Weltengeist-Sprüchen.