Die spiegelnden Zwischenspruch-Mantren 21 U und 32 f
21 U Ich fühle fruchtend fremde Macht Sich stärkend mir mich selbst verleihn, Den Keim empfind ich reifend Und Ahnung lichtvoll weben Im Innern an der Selbstheit Macht. |
32 f Ich fühle fruchtend eigne Kraft Sich stärkend mich der Welt verleihn; Mein Eigenwesen fühl ich kraftend Zur Klarheit sich zu wenden Im Lebensschicksalsweben. |
Musik zum Mantra 21 U — schlicht — komponiert von Herbert Lippmann
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Musik zum Mantra 32 f — dozierend — komponiert von Herbert Lippmann
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Das Bild des Webens für alles Schöpferische
In beiden Mantren taucht das Bild des Webens auf. Im Mantra 21 U webt die Ahnung im Innern lichtvoll an der Macht der Selbstheit. Im Mantra 32 f fühlt der Ich-Sprecher seine Kraft wachsen, um sich im Lebensschicksalsweben zur Klarheit zu wenden — die Verstrickungen und Knoten im Schicksal zu lösen.
Kunst des Webens
Die Kunst des Webens ist sehr alt. Die ältesten textilen Überreste sind ca. 30.000 Jahre alt und stammen aus dem Kaukasus, aus Georgien. Webgewichte sind seit 6000 v.Chr. belegt. Mit ihnen wurden die Kettfäden beschwert, was dem seit der Jungsteinzeit in Europa gebräuchlichen Gewichtswebstuhl seinen Namen gab.
Webgewicht mit einer aus Dreieckengebildeten Göttin, Grumelnitza-Kultur/Karanovo, Mitte 5. Jht.
Das Kreuz scheint zu sagen, dass alles in der Welt im Gleichgewicht ist, die Dreiecke, dass sich Oben und Unten entsprechen.
Die Kettfäden hingen also senkrecht, die Schussfäden verliefen waagerecht. Das Webstück wurde von oben nach unten gefertigt und wuchs sozusagen vom Himmel zur Erde herab. Die Schussfäden lassen sich mit der über die Erde gehenden Zeit vergleichen, die immer Neues entstehen lässt, die im Rhythmus von Tag und Nacht, Sommer und Winter, auf und ab webend wirkt. Die Kettfäden entsprechen in diesem Bild den Gesetze, die zwischen Himmel und Erde aufgespannt sind.
Weisen Kett- und Schussfäden jeweils eine andere Farbe auf, entsteht ein Schachbrettmuster, wie es auf dem Gefäß zu sehen ist. Das Netzmuster auf dem zweiten Ausguss deutet dagegen auf ein geknüpftes Netz, wie es für den Fischfang gebraucht wurde.
Doppelhals-Gefäß mit Schachbrett und Netzmuster, Gumelnitza-Kultur, Rumänien, Bronzezeit um 4500–4300, Höhe 22,5 cm
Das Schachbrettmuster deutet auf gewebten Stoff, das Netzmuster auf ein geknüpftes Netz. Das Schachbrettmuster könnte für die Raumwelt stehen, in der die Zeit wirkt. Das Netzmuster könnte für das subjektive innerseelische Erleben der Zeit stehen, die sich im Bewusstsein dehnen und stauchen kann — wie die Maschen von Netzen. In diesem Bewusstsein tauchen wie die Fische aus dem Wasser Gedanken auf. Um sie zu erfassen, um sie im Bewusstsein zu halten braucht es ein Netz. So wie das Gefäß zwei Öffnungen aber ein Wasser Reservoir hat, entstammen auch beide Zeitströme einer Quelle — der wahrnehmend in der Außenwelt erlebte und der im Bewusstsein fließende, die Gedanken tragende.
Weben als Bild für schöpferische Geistprozesse
Rudolf Steiner verwendet das Bild des Webens sehr häufig, um das schöpferische Wirken des Geistigen in der Seele oder auf der Erde zu charakterisieren. Im folgenden Zitat verbindet er es mit dem schöpferischen Wirken aus der Sprache: „Sie müssen nur sich einmal vor die Seele stellen, wie ja im Laute Elemente des gestaltenden und wesenden Wortes gegeben sind, und wie durch das Erleben dieser Laute der mannigfaltigste, ja der wundervollste Welteninhalt gestaltet werden kann durch die Kombination der etwa 32 Lautelemente. Versetzen Sie sich einmal in eine solche Zeit — und es gab ja Zeiten, wo der Menschheit das noch eine Realität war -, versetzen Sie sich in eine Zeit, welche ganz lebhaft weste in diesen Elementen der Laute und ganz lebhaft empfand das Wunderbare, das darin liegt, aus dem Erleben dieser 32 Lautelemente heraus eine Welt gestalten zu können. Man empfand wirklich in der Sprach-Gestaltung, in der bildenden Gestaltung des Wortes, das Weben eines Geistigen, das man miterlebt im Sprechen. Man erlebte, daß in den Lauten Götter leben.
Wenn Sie diese 32 Laute nehmen, dann werden Sie sich leicht ausrechnen können, daß dabei etwa 24 Laute auf die Konsonanten und etwa sieben auf die Vokale kommen — natürlich sind die Dinge immer approximativ -, und Sie können jetzt im Sinne des Anfanges des Johannes-Evangeliums «Im Urbeginne war das Wort» ein Licht fallen lassen auf jenes Bild, das ja auch als apokalyptisches Bild gedacht werden kann: Das Alpha und das Omega ist umgeben von den sieben Engeln — den Vokalen — und von den 24 Ältesten — den Konsonanten. Und so empfand man auch, daß das Geheimnis des Weltenalls ganz in dem webte und lebte — mit der Bedeutung, die ich schon auseinandergesetzt habe -, was man in der heiligen Sprache des Kultus intonierte. Und man fühlte im Zelebrieren des Kultus die mächtige Anwesenheit desjenigen, was von dem Welteninhalt in diesem symbolischen Bilde war.“ (Lit.: GA 346, S. 88f)
Das folgende Zitat Rudolf Steiners nennt das Weben nicht explizit. Es kann jedoch mitgedacht werden, wenn von Rhythmus die Rede ist, denn Weben ist rhythmisches Auf und Ab. Die schöpferische Gewalt, die mit dem Bild des Webens verbunden ist, kommt hier besonders gut zur Geltung. „Wenn wir imstande wären, den Rhythmus eines Wortes auf unsere ganze Umgebung zu übertragen, so würde diese unsere Umgebung zuletzt der Ausdruck dieses Wortes werden; wir würden durch unser Wort die Materie um uns in solche Bewegung versetzen und durch das andauernd tönende Wort in einer bestimmten Spannung halten, die zuletzt auch sichtbar zum Ausdruck kommen würde.
So ist auch am Anfang, das heißt bei Beginn unserer Erdentwicklung, das göttliche Schöpferwort erklungen und hat die Erde in einen bestimmten Rhythmus versetzt, und durch das Andauern dieses Rhythmus wurden die Bewegungen der Materie zur Verdichtung; die Materie wurde durch den Ton des Wortes in einer bestimmten Spannung erhalten. Dieses göttliche Schöpferwort erklang aber nicht nur am Anfang. Es erklingt unausgesetzt. Wenn es nur eine Sekunde lang nicht mehr erklingen würde, so würde die Welt sofort in ein Chaos verwandelt werden. Alles um uns her ist der Ausdruck dieses göttlichen Schöpferwortes, das durch die Welt erklingt. Alles Sichtbare ist die äußerlich wahrnehmbare Schwingungsgrenze des göttlichen Wortes; es ist der an die Oberfläche gedrängte Lebensrhythmus, den wir in der Sinnenwelt um uns her erblicken, und die Formen der Sinnenwelt sind die Gottesgedanken, die in diesem göttlichen Schöpferwort zum Ausdruck kommen.
Die Welt ist in einem beständigen Rhythmus, der von dem göttlichen Schöpferwort hervorgebracht wird. Das Göttliche ist alles, was da ist; das Wort ist die Bewegung, die in dem göttlichen Ewigen eintritt; alles, was in die Erscheinung tritt, ist der Gedanke des Göttlichen, der durch das Wort aus dem Innern der Gottheit herausströmt. So tritt aus dem göttlichen Sein, aus der Ruhe, die zugleich unausgesetzte, undifferenzierte Bewegung ist, durch das Wort das Leben hervor und versetzt alles in die unausgesetzte differenzierte Bewegung und prägt dadurch den Gottesgedanken in dem vorher Undifferenzierten aus. So ist das Göttliche überall zu gleicher Zeit ewige Ruhe, dem Sein nach; dann ewiges Leben, das dem ewigen Wechsel gleichkommt, denn ewiges Leben heißt ewiger Wechsel, ewiges Aufsprießen, Hervorwachsen, und zuletzt ewiges Bewusstsein; ein beständiger Ausdruck des gewordenen Gottesgedankens ist die Welt.
Alles, was wir äußerlich in der Welt wahrnehmen, ist das durch das göttliche Leben in äußeres Sein umgesetzte Bewusstsein. Der Mensch entwickelt sich auch einmal dahin, dass er sein Bewusstsein durch das Wort nach außen senden kann und in eine äußere Schöpfung umwandeln kann. Dazu muss er erst imstande sein, den klaren Gedanken aus seinem Inneren herauszusenden. Dann muss er diesen Gedanken mit einem Leben durchtränken können. Dann muss er imstande sein, diesen lebenden, rhythmischen Gedanken der Umwelt dauernd einzuprägen, ihn zur Verkörperung zu bringen. Dann ist er selbst Schöpfer in höherem Sinne geworden, gottähnlich ist er dann. Wenn er klare Gedanken in die Welt hinaussendet, so wirkt er durch die Kraft des göttlichen Geistes; wenn er lebensvolle Gedanken erzeugt, so wirkt er durch die Kraft des Sohnes; wenn er gestaltende, lebende Gedanken aussendet, so wirkt er durch die Kraft des Vaters.“ (Lit.: GA 91, S. 270f)
Über die Spiegelsprüche 21 U und 32 f
Die Mantren 21 U und 32 f scheinen auf den ersten Blick zum Verwechseln ähnlich. Sie weisen eine besonders hohe Zahl an gleichen Worten und Wendungen auf. Ihr Inhalt wirkt unkonkret und erscheint zunächst uninteressant, fast alltäglich. Ich könnte auch sagen, das „Gewebe“ der Mantren ist so fein, dass es besonders schwer zu greifen ist.
Beide Mantren sind aus der Perspektive eines seiner sich selbst bewussten Ich-Sprechers geschrieben. Dieser Ich-Sprecher fühlt. Fühlen geschieht immer in der Gegenwart. Der gegenwärtige, verfließende Moment wird in den Mantren auffallend hervorgehoben durch jeweils drei Verben, die in der Verlaufsform stehen. Eine solche Häufung diese Verbform erzeugt ein Gefühl des Ungreifbaren. Mehrere sich gerade vollziehende Aktivitäten, die ja weiter andauern, müssen vom Leser/Hörer gleichzeitig mitvollzogen, mitgefühlt werden. Im Mantra 21 U sind dies fruchtend, stärkend und reifend. Im Mantra 32 f sind es ebenso fruchtend und stärkend, das dritte Verb lautet kraftend. Schaue ich auf die beiden sich unterscheidenden Verben, so geschieht im Pflanzenreich das Kraften im Frühling, das Reifen im Herbst. Doch ist es ein „Keim“ (21 U), also das, was sich in der Seele mit dem Keim einer Pflanze beschreiben lässt, der vom Ich-Sprecher als reifend empfunden wird. Und es ist ein „Eigenwesen“ (32 f), das ich als eine Frucht der mannigfaltigen Erfahrungen ansprechen kann, das vom Ich-Sprecher als kraftend, also frühlingshaft gefühlt wird. Eine Gleichzeitigkeit von jahreszeitlichen Gegensätzen erscheint hier, die Schlüssel sein kann zum Verständnis dieser Spiegelsprüche.
Doch nach dieser Vorausschickung will ich der Reihe nach vorgehen. Im Mantra 21 U fühlt der Ich-Sprecher eine fruchtende fremde Macht. Der Ich-Sprecher des Mantras 32 f fühlt dagegen die eigene Kraft fruchtend. Die Macht ist hier zunächst fremd, die Kraft ist die eigene. Macht und Kraft bedingen sich gegenseitig, denn Kraft verleiht Macht – und Macht zeigt sich kraftvoll. Trotzdem unterscheiden sie sich insofern, als dass Macht auch vorhanden ist, wenn sie nicht ausgeübt wird. Sie besteht über die Gegenwart hinaus. Macht ist Potenz und Kompetenz. Kraft wird dagegen als Intensität einer Wirkung erlebt. Sie ist eine situative Erscheinung, die nur besteht, solange sie ausgeübt wird. Die Kraft des Windes wirkt nur, solange der Wind bläst, seine Macht über die Welt ist dagegen stets gegenwärtig. Gleichzeitig ist die Macht auf die Kraft angewiesen. Ein Weber, Meister seines Faches, hat die Macht zu weben. Ist er jedoch müde, mangelt ihm die Kraft, seine Macht zu gebrauchen. Kraft ist stets Ausdruck von Lebenskraft, Macht von erworbener Erfahrung (abgesehen von der erblich gewordenen Macht der Könige). Macht kann ich als eine astrale Qualität ansehen, Kraft als eine ätherische.
Im Mantra 21 U ist es eine fremde Macht, die fruchtend wirkt. Später im Mantra ist es die eigene Macht, an der lichtvoll gewoben wird. Im Mantra 32 f ist es nur die eigene Kraft, die sich allerdings stärkt. Was ist die fremde Macht? Was fühlt der Ich-Sprecher als fremde Macht fruchtend wirken? Er fühlt etwas, das nicht er ist, das außerhalb seiner selbst ist. Und diese Macht stärkt sich, sie verstärkt sich noch durch das Geschehen. Und gleichzeitig verleiht sie dem Ich-Sprecher sich selbst. Durch die fremde Macht wird er mehr er selbst. Der Vorgang gleicht einem Gericht, das immer mehr es selbst wird, je mehr der benötigten Zutaten hinzugefügt werden. Die Kompetenz des Kochs – der fremden Macht – wächst in diesem Prozess durch die gewonnene Erfahrung, der Koch wird stärker. Ich sehe die Zeit als die fremde Macht an. Sie gibt dem Menschen immer neue Zutaten. Der Mensch ist in diesem Bilde das Gericht, das gerade gekocht wird. Der Ich-Sprecher fühlt die Zeit und je länger sie wirkt, desto älter er wird, desto stärker fühlt er ihre Wirkung. Die Zeit fühlt er fruchtend, sie befruchtet den Ich-Sprecher mit immer neuen Erlebnissen und Herausforderungen – und unter diesem Prozess wird er immer mehr er selbst. Der Ich-Sprecher wird sich selbst verliehen.
Im Mantra 32 f ist es die eigene Kraft, die fruchtend wirkt. Diese Kraft stärkt sich ebenfalls während ihrer fruchtenden Wirkung und verleiht den Ich-Sprecher der Welt. Die eigene Kraft wird erlebt, während sie ausgeübt wird, während gehandelt wird. Muskelkraft trainiert sich durch Gebrauch. Auch die Willenskraft wächst durch ihre Anwendung. Es geht hier also um die Kraft, etwas in der Welt zu verändern. Und mit jeder Handlung geht etwas vom Menschen in die Welt. Der Mensch hinterlässt Spuren. Doch warum fruchtet diese Kraft? Auch geistig, mit jedem Denk-Akt, handelt der Mensch. Für die zum aktiven Denken notwendige Konzentration braucht er ebenso Kraft, die sich durch Übung stärkt.
Denken und Wahrnehmung befruchten einander gegenseitig. Eine neue Wahrnehmung befruchtet das Denken. Sie stellt das Gewohnte in Frage und fordert den Menschen heraus, das Neue zu integrieren. Und die neu gewonnene Einsicht, das neu Gelernte verändert die Aufmerksamkeit und damit die Wahrnehmung. Durch diesen Zusammenhang ergibt sich eine neue Einsicht. Nicht nur die Zeit, auch die Wahrnehmung begegnet dem Menschen als fremde Macht (21 U) und wirkt befruchtend. Zum Denken braucht der Mensch seine eigene Kraft (32 f) und indem sich dadurch sein Bewusstsein verändert, befruchtet er seine Wahrnehmungsfähigkeit. Durch die Wahrnehmung der Naturreiche erkennt der Mensch sein eigenes Wesen – er wird sich selbst verliehen (21 U). Durch sein Denken wird er der Welt verliehen (32 f), denn jeder Gedanke, sagt Rudolf Steiner, ist ein vom Menschen erschaffenes Wesen, dass in der Welt weiterlebt. So lässt sich schlussfolgern, dass Wahrnehmung den Menschen als Eigenwesen stärkt, weil er hier Dualität erlebt und Denken vereint den Menschen mit der Welt, weil er sie Zusammenhänge bildend und verstehend sich zu eigen macht.
In beiden Mantren wird der Ich-Sprecher sich selbst bzw. der Welt verliehen. In beiden Fällen ist es kein endgültiger, sondern ein vorübergehender Besitz. Rudolf Steiner beschreibt im Vorwort zur ersten Ausgabe des Seelenkalenders den zyklischen Charakter von Wahrnehmung und Denken folgendermaßen: „Mit der Welt und ihrem Zeitenwandel verbunden fühlt sich der Mensch. In seinem eigenen Wesen empfindet er das Abbild des Welten-Urbildes. Doch ist das Abbild nicht sinnbildlich-pedantische Nachahmung des Urbildes. Was die große Welt im Zeitenlaufe offenbart, entspricht einem Pendelschlage des Menschenwesens, der nicht im Elemente der Zeit abläuft. Es kann vielmehr fühlen der Mensch sein an die Sinne und ihre Wahrnehmungen hingegebenes Wesen als entsprechend der licht- und wärme-durchwobenen Sommernatur. Das Gegründetsein in sich selber und das Leben in der eigenen Gedanken- und Willenswelt kann er empfinden als Winterdasein. So wird bei ihm zum Rhythmus von Außen- und Innenleben, was in der Natur in der Zeiten Wechselfolge als Sommer und Winter sich darstellt. Es können ihm aber große Geheimnisse des Daseins aufgehen, wenn er seinen zeitlosen Wahrnehmungs- und Gedankenrhythmus in entsprechender Weise zum Zeitenrhythmus der Natur in Beziehung bringt.“ (GA 40, S. 21f)
Im Mantra des Wahrnehmungsmenschen (21 U) heißt es weiter, dass er den Keim reifend empfindet. Der, der sich selbst verliehen wurde durch die fruchtende fremde Macht, empfindet jetzt noch etwas neben sich selbst. Er empfindet einen reifenden Keim. Was da in ihm keimt, ist sein Dasein als zukünftiger Geist-Mensch. Wahrnehmend begegnet der Mensch in der Welt seinem Urbild, wie Rudolf Steiner im obigen Zitat vermuten lässt. Er begegnet seinem Ziel, das er einstmals erreichen soll, das gegenwärtig in ihm noch Keim ist.
Im Mantra des Denkmenschen (32 f) heißt es weiter, dass er sein Eigenwesen kraftend fühlt. Durch eigene Handlungen erlebt der Mensch Selbstwirksamkeit und das gilt auch für eigenes aktives Denken. Dadurch fühlt der Ich-Sprecher sein Eigenwesen kraftend, zu Kräften kommend, kräftiger werdend. Mit dieser neu gewonnenen Kraft kann er als Eigenwesen sich nun folgerichtig zur Klarheit wenden und die Schicksalsfäden ordnen, die Knoten lösen – die Ver- und Beurteilungen überdenken und korrigieren. Erst als kräftig gewordenes Eigenwesen, das sich von allen anderen Eigenwesen unterscheidet, erst als unverwechselbare Individualität ist die Klarheit vorhanden, die Schicksalsfäden zu entwirren und die Geschehnisse nun nicht mehr nach erlernten Normen, sondern nach selbst errungenen Werten zu beurteilen – und entsprechend anders zu handeln. Erst wenn das Denken kräftig genug geworden ist, kann es auch in die Motive der Handlungen Bewusstsein bringen – „Denken in den Willen bringen“, wie Rudolf Steiner es nennt.
Der Wahrnehmungsmensch (21 U) empfindet nach dem reifenden Keim im Innern die Ahnung lichtvoll webend an der Macht der Selbstheit. Wofür wird diese Macht benötigt? Vielleicht, um entsprechend „Willen ins Denken zu bringen“, um aktiv gestaltend zu denken. Die Wahrnehmungen lassen ununterbrochen Gedanken entstehen. Pausenlos fügt das Denken Begriffe zur Wahrnehmung hinzu, benennt diese. Doch dieses Denken ist kein aktives, willentlich geführtes Denken. Das wird es erst, wenn es eine Instanz gibt, die das Denken lenkt, die dem Denken durch Fragen die Richtung weist. Dafür braucht es die Macht der Selbstheit. Lichtvoll webt die Ahnung diese Macht durch das Licht des Sommer-Halbjahres, das dem Wahrnehmungsmenschen entspricht.
So unscheinbar diese Mantren wirken, beinhalten sie doch gemeinsam das schöpferische Potenzial des Menschen. Durch das dem Vorbild der zyklischen Zeit folgende, doch selber zeitlose, aber an sich rhythmische und in sich wechselseitige Zusammenwirken von Wahrnehmung und Denken gewinnt der Mensch Anteil an der Ewigkeit.
Durch das Zusammenspiel von Wahrnehmung und Denken erfährt sich der Mensch als Ich – im Wahrnehmen lernt erfährt er sich der Welt gegenüberstehend und lernt sich zu unterscheiden, im Denken ergreift er sich als Ich. Durch das fühlende Erleben des Ich-Sprechers in diesen Spiegelsprüchen wird der Leser/Hörer Zeuge von der Entzündung des Ich-Funkens aus der fruchtbaren Spannung zwischen Macht und Kraft. Macht und Kraft zeigen sich dadurch als zwei Seiten einer Medaille. Sie sind Offenbarung und Wirksamkeit eines Wesens – des hinter dem Ich-Erleben stehenden höheren Ich des Menschen.
Beide Mantren betonen Aspekte des Ichs, doch auf verschiedene Weise. Im Mantra 21 U fühlt der Ich-Sprecher das sich von ihm unterscheidende als eine fremde Macht, die (nach meiner Meinung) von Außen auf ihn einwirkt. Sie verleiht ihm sich selbst. Er wird ein Selbst – laut Rudolf Steiner die Spiegelung des Ichs an der Physis. Das Mantra spricht nun von einem reifenden Keim. Ich verstehe das so, dass das ihm verliehene Neue ein lebendig-Wesenhaftes im Keimzustand ist. Und dieses Neue wird eine mit Macht ausgestattete Selbstheit sein. Sicherlich ist es gerechtfertigt, hier an das werdende Geistselbst zu denken, an das Arbeitsergebnis des Ichs am Astralleib. Die Ahnung webt lichtvoll an dieser Macht. Das auf die Zukunft, auf das Menschheitsziel ausgerichtete und gleichzeitig mit dem Uranfang, den Ahnen verbundene höhere bzw. tiefer Erkennen des Menschen, sein Ahnen, webt diese Macht. Wie ein Königsmantel aus Licht wird die Selbstheit dann umhüllt sein mit wiederum ausstrahlender Macht, wenn sie fertig gewoben sein wird. Dieser Prozess geschieht im Innern. Das Mantra 21 U beschreibt eine von Außen nach Innen gehende Bewegung.
Im Mantra 32 f finden wir die Gegenbewegung. Sie beginnt mit dem Fühlen der eigenen Kraft – die sicherlich im Innern erlebt wird — und sie führt zur Klärung des Lebensschicksalswebens, das im Außen, im sozialen Umfeld stattfindet. Schon vorher verleiht die eigene Kraft den Ich-Sprecher der Welt, eine erste nach außen gerichtete Bewegung. Danach fühlt der Ich-Sprecher sein Eigenwesen kraftend – wiederum ein Innenerlebnis. Was ist das kraftende Eigenwesen (32 f)? Sicherlich unterscheidet es sich von der mit lichter Macht begabten Selbstheit (21 U). Das Eigenwesen ist es, das sich zur Klarheit wendet im Lebensschicksalsweben. Es ordnet das Karma. Könnte es vielleicht als der werdende, kraftende Lebensgeist angesehen werden, als die verwandelten Ätherkräfte – die Christuskraft im Menschen?
Ergänzend ein hypothetischer Gedanke
Es wird gesagt, dass der Mensch dazu berufen ist, die neun himmlischen Hierarchien als zehnte Hierarchie zu ergänzen. Die neun Engelhierarchien können in den neun Stufen im Sternbereich des Jahreslauf-Eis gefunden werden. Das Mantra 21 U entspricht der Stufe der Elohim, die dem Menschen das Ich verliehen haben, indem sie von ihrer Substanz opferten. Sie werden von Rudolf Steiner als Geister der Form benannt. Die obige Darstellung kann als Bestätigung empfunden werden. Doch an dieser Stelle möchte ich noch weiterführende Ahnung teilen, denn die Mantren 21 U – 32 f machen einen sehr dynamischen Eindruck. Vielleicht ist es so:
Wenn der Mensch 10. Hierarchie geworden ist – wenn er Engelstufe erreicht hat – steigen mit ihm alle Hierarchien auf. In den Mantren des Weltenwortes (17 Q — 36 k) kann dieses Ziel erahnt werden. Damit verschieben sich die Hierarchiestufen jeweils um ein Mantra. Dann wird zu den Mantren 21 U – 32 f die Stufe der Dynamis, der Geister der Bewegung gehören.
26 Z – 27 a – Seraphim steigen ebenso auf zu neuen Aufgaben
25 Y – 28 b Cherubim steigen auf zu Seraphim – Geister der Liebe
24 X – 29 c Thronen steigen auf zu Cherubim – Geister der Harmonie
23 W – 30 d – Kyriotetes steigen auf zu Thronen – Geister des Willens
22 V – 31 e — Dynamis steigen auf zu Kyriotetes – Geister der Weisheit
21 U – 32 f — Elohim steigen auf zu Dynamis – Geister der Bewegung
20 T – 33 g — Archai steigen auf zu Elohim – Geister der Form
19 S – 34 h – Erzengeln steigen auf zu Archai – Geister der Uranfänge
18 R – 35 i – Engeln steigen auf zu Erzengeln
17 Q – 36 k – Mensch steigt auf zur Engelstufe und wird 10. Hierarchie
Das bedeutet auch, dass zu den drei als Zusammengehörig zu betrachtenden Mantren von Krisen- Zwischen- und Lichtsprüchen ebenfalls eine zusammengehörige Dreiheit von Engelhierarchien gehört.