Die spiegelnden Mantren 19 S und 34 h

19 S

Geheimnisvoll das Neu-Empfang’ne

Mit der Erin­n’rung zu umschließen,

Sei meines Strebens weitr­er Sinn:

Es soll erstarkend Eigenkräfte

In meinem Innern weck­en

Und wer­dend mich mir sel­ber geben.

34 h

Geheimnisvoll das Alt-Bewahrte

Mit neuer­stand­nem Eigensein

Im Innern sich belebend fühlen:

Es soll erweckend Wel­tenkräfte

In meines Lebens Außenwerk ergießen

Und wer­dend mich ins Dasein prä­gen.

Mariä Himmelfahrt und der Ewigkeitssonntag bzw. Christkönigtag

In der Woche des Mantras 19 S liegt aller­meist der 15. August, an dem Mar­iä Him­melfahrt gefeiert wird, ihr Entschlafen und ihre Auf­nahme in den Him­mel. Der Son­ntag, zu dem das Mantra 34 h gehört, ist stets der Son­ntag vor dem 1. Advent; er wird Ewigkeitsson­ntag, Toten­son­ntag bzw. Christkönig­tag genan­nt. (Und zwar, weil ich mich bei der Anpas­sung am Ende der Oster­scholle, d.h. nach der Woche 9 I, am kom­menden Wei­h­nachts­fest ori­en­tiere.) Mit diesem Son­ntag vor dem 1. Advent wird überkon­fes­sionell die Wiederkun­ft Christi ver­bun­den. Das bedeutet, dass die Feste der Him­melfahrt Marias und der Wiederkun­ft Christi zu spiegel­nden Mantren gehören. Der Auf­stieg Marias in den Him­mel ste­ht dadurch in Beziehung zur erneuten Her­abkun­ft Christi. Der See­lenkalen­der offen­bart, dass bei­de Ereignisse aufeinan­der bezo­gen sind — genauer, dass sie zwei seel­is­che Sit­u­a­tio­nen beschreiben, die zusam­menge­hören wie Baum und Borke.

Das volk­stüm­lich Mar­iä Him­melfahrt genan­nte Fest hat eine sehr alte Tra­di­tion. Es geht auf ein Marien­fest zurück, das Cyrill von Alexan­drien im 5. Jahrhun­dert ein­führte und schon damals auf den 15. August fest­set­zte. Dieser Tag gilt tra­di­tionell als Todestag Marias.

Schon Kaiser Augus­tus ord­nete an, jeden August (später am 15. August) seinen Sieg über Anto­nius und Kleopa­tra vom Jahr 30 v. Chr. im ganzen römis­chen Reich zu feiern. Kleopa­tra, die let­zte ptolomäis­che Herrscherin von Ägypten, hat­te sich (wie in Ägypten üblich) als Isis vergöt­tlicht verehren lassen. Sicher­lich beste­ht zwis­chen dem Sieges­fest über Kleopa­tra (und Anto­nius) und dem Fest der Auf­nahme Marias in den Him­mel ein Zusam­men­hang, stellt Kleopa­tra doch die unrecht­mäßige Vergöt­tlichung des Men­schen dar, während in Maria die durch Christi Tat entsüh­nte Seele der Men­schheit erkan­nt wird. Mar­iä Him­melfahrt ist damit eine Vor­weg­nahme und stellt im Bild das Ziel der Men­schheit­sen­twick­lung dar.

Zum Ewigkeitsson­ntag und der Wiederkun­ft Christi siehe Blog 34 h.

Aus­nahm­sweise will ich hier auch auf die Laute der Mantren einge­hen, auf das S und das H, denn auch in ihnen ist ein Schlüs­sel zum Ver­hält­nis der bei­den Spiegel­sprüche 19 S und 34 h enthal­ten. Rudolf Stein­er spricht im Zusam­men­hang mit dem M, dem Laut des Men­schen und des Aus­gle­ichs (siehe Blog 13 M — 38 m) über die Laute S und H. Er beschreibt sie als Aus­druck der bei­den im Gle­ichgewicht zu hal­tenden Gegen­mächte. “Das S ist, wenn ich mich jet­zt anthro­posophisch aus­drück­en darf, der eigentlich ahri­man­is­che Laut, und das M ist das­jenige, was das Ahri­man­is­che in sein­er Eigen­schaft mildert, abmildert, was ihm, wenn ich so sagen darf, seine ahri­man­is­che Stärke nimmt. …

In diesem H liegt etwas, was unmit­tel­bar luz­iferisch sich aus­nimmt. Es ist also das Luz­iferische in dem H, das da zum Aus­drucke kommt. … wenn man das H macht und es gle­ich überge­hen läßt in ein M. … Da haben Sie die ganze Anschau­ung des Luz­iferischen abgemildert, ihm die Spitze genom­men …” (GA 315, S. 32 ff)

Über die Spiegelsprüche 19 S und 34 h

Die Mantren 19 S und 34 h sind wahrlich geheimnisvoll, denn sie sprechen von etwas, das zwar als Neu-Emp­fan­gen bzw. als Alt-Bewahrt von dem jew­eils dif­feren­ziert beobach­t­en­den Ich-Sprech­er beschrieben wird, doch für den Leser bleibt unklar, um was es sich da wirk­lich han­delt. Dadurch ist jed­er Leser aufgerufen, durch Selb­stre­flex­ion zu ergrün­den, was in der Seele dem Neu-Emp­fan­genen und dem Alt-Bewahrten entsprechen könnte.

Das Neu-Emp­fan­gene soll mit der Erin­nerung umschlossen wer­den (19 S), das Alt-Bewahrte mit neuer­standen­em Eigen­sein sich beleben (34 h). Wenn das Alt-Bewahrte sich mit neuer­standen­em, aufer­standen­em Eigen­sein belebt, kön­nte das Umschließen mit Erin­nerung bedeuten, dass das Neu-Emp­fan­gene einen gewis­sen Tode­sprozess durchzu­machen hat. Das lässt sich beobacht­en: Was im gegen­wär­ti­gen Moment erlebt und gedacht wird, fällt schon im näch­sten Augen­blick der Ver­gan­gen­heit anheim und “stirbt”, wenn es nicht als Erin­nerung auf­be­wahrt, sozusagen mumi­fiziert wird. Erin­nern, so sagt Rudolf Stein­er, ist nicht das Her­aufhohlen eines ins Unter­be­wusst­sein abge­taucht­en Vorstel­lungs­bildes, son­dern ein Beleben ein­er Men­schen­form, eines Men­schen­phan­toms, welch­es das Erin­nerungs­bild ver­mit­telt, wie die Buch­staben den Inhalt der Schrift trans­portieren (siehe Blog 19 S). Das Neu-Emp­fan­gene (19 S) kann deshalb als die Summe aller äußeren und inneren Erleb­nisse ange­se­hen wer­den, das Alt-Bewahrte (34 h) als die Gesamtheit gesam­melter Erfahrun­gen, als der Schatz der Erinnerungen.

Die Bele­bung des Alt-Bewahrten (34 h), der Erin­nerung, also des Men­schen­phan­toms, find­et in ein­er neuen Gegen­wart mit der zu Bewusst­sein gewor­de­nen Leben­skraft statt, die in dem Moment zur Ver­fü­gung ste­ht. Das die Erin­nerung bergende Men­schen­phan­tom muss also belebt wer­den, zum Leben erweckt wer­den. Rudolf Stein­er ver­gle­icht diesen Vor­gang mit dem Lesen, bei dem die Buch­staben den Inhalt “tra­gen” ohne mit ihm iden­tisch zu sein. Der Inhalt des Textes muss durch den Ver­stand aus den Zeichen “erweckt” werden.

Erin­nerung, wie sie hier gemeint ist, wird mit dem belebt, was dem Men­schen in dem Moment eigen ist, mit seinem Eigen­sein, mit sein­er eige­nen Leben­skraft. Das Eigen­sein bein­hal­tet son­st das Abge­gren­zt­sein als Eigen­we­sen und die neg­a­tive Kon­no­ta­tion des Egos, doch hier rückt dieses “Eigen­sein” in die Nähe des “Ich-Seins”. Stets ist dieses “Ich-Sein” ein in der Gegen­wär­tigkeit aufleuch­t­en­des Ich. Und dieses gegen­wär­tige Ich erin­nert und schaut zurück auf das ver­gan­gene Erleb­nis und gle­ichzeit­ig auf sich selb­st, auf sein dama­liges “Ich-Sein”.

Nun fol­gt in bei­den Mantren nach einem Dop­pelpunkt, welchen Sinn die geheimnisvollen Vorgänge haben. In bei­den Mantren heißt es “Es soll …” und ein erstes Ziel wird genan­nt, an das sich mit “und” jew­eils ein zweites, über­ge­ord­netes, großes Ziel anschließt.

Beim ersten Ziel geht es in bei­den Mantren um Kräfte: im Mantra 19 S um Eigenkräfte, im Mantra 34 h um Wel­tenkräfte. Eigenkräfte sind Bewusst­sein­skräfte, Wel­tenkräfte sind Kräfte, die die Wahrnehmungswelt erschaf­fen, damit das Licht der Bewusst­seinssonne etwas bescheinen, etwas in den Fokus nehmen kann. Die Eigenkräfte sind erstark­end (19 S), die Wel­tenkräfte sind erweck­end (34 h). Die Bewusst­sein­skraft wächst ständig durch die Rei­fung und das Ler­nen des Men­schen — sie erstarkt durch die Erleb­nisse, das Neu-Emp­fan­gene (19 S). Die Wel­tenkräfte sind erweck­end, weil die Wahrnehmungswelt — nun die erin­nerte, alt-bewahrte und neu als Vorstel­lung belebte — diejenige ist, in der sich kraft men­schlich­er Kop­far­beit Zusam­men­hänge denk­end erschließen (34 h). Anders als im realen Erleben kön­nen in der Reflex­ion, in der inneren Ver­ar­beitung Bezüge zu größeren Zusam­men­hän­gen erkan­nt und neue Per­spek­tiv­en ein­genom­men werden.

Die erstark­enden Eigenkräfte sollen im Innern geweckt wer­den (19 S), die erweck­enden Wel­tenkräfte sollen sich ergießen (34 h). Sie sollen in das Außen­werk meines Lebens fließen, sich dort hineingießen. Das Neu-Emp­fan­gene, Erin­ner­bargemachte, soll erstark­ende Eigenkräfte im Innern weck­en (19 S). Ein im Innern gesam­melter Erin­nerungss­chatz stärkt die Eigenkräfte, denn sie sind inner­er Besitz. Das Alt-Bewahrte, mit Eigen­sein Belebte und aktuell Erin­nerte, soll erweck­ende Wel­tenkräfte in das Außen­werk meines Lebens, in meine Tat­en ergießen (34 h). Jede Hand­lung speist sich aus dem Erfahrungs- und Erken­nt­niss­chatz eines ganzen Lebens. In das Werk im Außen, das Lebenswerk, fließt ein, was ein Men­sch erfuhr und sich erar­beit­et hat.

Ganz schlicht mit “und” ange­fügt fol­gt nun in bei­den Mantren das über­ge­ord­nete, eigentliche Ziel des beschriebe­nen Vor­gangs. Dieses Ziel bet­rifft in bei­den Mantren den wer­den­den, sich entwick­el­nden Men­schen. Das Schaf­fen von Erin­nerun­gen durch das Neu-Emp­fan­gene (19 S) soll zunächst erstark­ende Eigenkräfte im Innern weck­en und “mich mir sel­ber geben” als Wer­den­der, in Entwick­lung begrif­f­en­er Men­sch. Das tat­säch­liche Erin­nern des Alt-Bewahrten (34 h), das Beleben der Vorstel­lun­gen mit Eigen­sein, mit eigen­er, neuer Leben­skraft, lässt erweck­ende Wel­tenkräfte, den Erfahrungss­chatz, sich in die Tat­en ergießen, und das soll eben­falls als Wer­dende “mich ins Dasein prä­gen”. Schon bei Erin­nerun­gen spricht man davon, dass sie sich ein­prä­gen. Seinen Tat­en gibt der Men­sch sich sel­ber mit. Er bleibt karmisch mit seinem Werk ver­bun­den, denn die Welt bewahrt ihn durch seine Tat­en in ihrem Gedächt­nis. Er hat sich durch seine Hand­lun­gen ins Dasein geprägt.

Die aktuellen Erleb­nisse führen dazu, dass der Men­sch Erin­nerun­gen erschafft und sich selb­st gegeben wird (19 S). Die ver­ar­beit­eten Erleb­nisse, mithin seine gesam­melten Erfahrun­gen, führen dazu, dass der Men­sch sich in der Welt ver­wirk­licht, sich in ihr Gedächt­nis ein­prägt (34 h).

Maria als Nach­fol­gerin der Isis kann eben­so als die Zeit ange­se­hen wer­den, denn von der Isis heißt es am Tem­pel zu Sais, dass sie die Ver­gan­gen­heit, die Gegen­wart und die Zukun­ft ist. Die Zeit gebiert alles Leben, alles Sein. Und so, wie sie fortwährend neues Leben gebiert, stirbt sie mit jed­er verge­hen­den Sit­u­a­tion. Indem die Erleb­nisse erin­ner­bar wer­den, mit Erin­nerung umschlossen wer­den, erfährt die Zeit — Maria — ihre Him­melfahrt, ihre Verewi­gung. Wie Maria durch ihre Him­melfahrt, erhält das Erleb­nis über den Tod des Moments fort­dauern­des Leben, indem die Erleb­nisse zu Erin­nerun­gen gemacht wer­den. Im Men­schen wirkt die Zeit so, dass in der Gegen­wär­tigkeit das Ich-Erleb­nis auf­blitzt. Hier gebiert Maria — die Zeit — fortwährend das Erleb­nis, ein Ich zu sein. Das Mantra 19 S sagt, ich werde als in Entwick­lung begrif­f­en­er Men­sch mir sel­ber gegeben, bzw. ich gebe mich mir selber.

Die neu belebten, aufer­stande­nen, inner­lich ver­ar­beit­eten Erin­nerun­gen tra­gen Chris­tuskraft in sich. In der Ver­ant­wor­tung für die eige­nen Tat­en wird das Ich stark. Die Tat­en prä­gen den Men­schen ins Dasein und bewahren ihn dort, bis er in einem neuen Leben weit­er­ar­beit­en kann an seinen Hin­ter­lassen­schaften. Das All­t­ags-Ich dieses Lebens wird als Wer­den­des aufgenom­men in das Weltgedächt­nis des Christus-Ichs.

Die ver­fes­ti­gende ahri­man­is­che S‑Kraft kann im Umschließen des Neu-Emp­fan­genen erlebt wer­den. Um das Erlebte dauer­haft machen zu kön­nen, es in Men­schen­phan­tome, in seel­is­che “Schriftze­ichen” ban­nen zu kön­nen, bedarf der Men­sch sicher­lich der Hil­fe Ahri­mans. In der Seele hält sich dieser Prozess im Gle­ichgewicht, indem die H‑Kraft als luz­iferische Hil­fe von­nöten ist, um das Alt-Bewahrte mit Eigen­sein zu beleben — um ihm Leben­satem einzuhauchen. Es ist die Gabe Luz­ifers, dass sich der Men­sch als ein Eigen­we­sen und nicht als Glied des göt­tlichen Seins ohne eigenes Bewusst­sein erlebt.

Die Geheimnisse von Mar­iä Him­melfahrt in der Woche 19 S, der ahri­man­is­chen S‑Kraft, und die Geheimnisse vom Ewigkeitsson­ntag, dem Christkönig­tag in der Woche 34 h, der luz­iferischen h‑Kraft, zeigen sich vor diesem Hin­ter­grund als Aus­gle­ich schaf­fende, heilende Beschützer des Menschen.

Eine Erweiterung dieses Gedankens ergibt sich, wenn auch die Gegen­sprüche bei­der Mantren angeschaut werden.

Die Mantren der ahri­man­is­chen S‑Kraft und der luz­iferischen H‑Kraft

Der Gegen­spruch zum Mantra 19 S ist 44 s, die erste Woche der Oster­scholle. Wird diese Woche nicht vom kom­menden Oster­fest her bes­timmt, son­dern mit dem Zeit­strom weit­ergezählt, liegt in dieser Woche meist Lichtmess, auch Mar­iä Reini­gung genan­nt. Mit bei­den Mantren ist deshalb Maria verbunden.

Der Gegen­spruch zum Mantra 34 h ist 8 H, die Pfin­gst­woche. Pfin­g­sten wird die Her­abkun­ft des Heili­gen Geistes in Form von Feuerzun­gen und die Aussendung der Apos­tel gefeiert. Mit diesen Mantren ist der im Geist weilende und zur Erde zurück­k­om­mende Chris­tus und der Heilige Geist verbunden.

Betra­chte ich den See­lenkalen­der als Weg der Seele, so umfasst die Oster­scholle die Inkar­na­tion — und zwar die voröster­liche Zeit das Leib­w­er­den bis zur Geburt, die nachöster­liche Zeit das Leben bis zum Tod. Die Wochen 34 h und 44 s des Win­ter-Hal­b­jahres stellen ein Zur-Erde-Kom­men dar; der Chris­tus mit dem Ewigkeitsson­ntag, die Seele zum Beginn der Oster­scholle. Die jew­eili­gen Feste der Gegen­sprüche im Som­mer-Hal­b­jahr bedeuten dage­gen ein Erheben in höhere Sphären, der Maria in den Him­mel und der Apos­tel zu ihrem neuen weltweit­en Wirken.