Die spiegelnden Mantren 16 P und 37 l

 

16 P

Zu bergen Geistgeschenk im Innern,

Gebi­etet strenge mir mein Ahnen,

Dass reifend Gottesgaben

In See­lengrün­den fruch­t­end

Der Selb­s­theit Früchte bringen.

.….

WINTER

37 l

Zu tra­gen Geisteslicht in Wel­tenwin­ter­nacht

Erstre­bet selig meines Herzens Trieb,

Dass leuchtend Seelenkeime

In Wel­tengrün­den wurzeln,

Und Gotteswort im Sinnesdunkel

Verk­lärend alles Sein durchtönt.

Musik zum Mantra 16 P — großmütig — komponiert von Herbert Lippmann

Musik zum Mantra 37 l — plaudernd — komponiert von Herbert Lippmann

Über die Spiegelsprüche 16 P und 37 l

Die Mantren 16 P und 37 l sind aus der Per­spek­tive eines wach beobach­t­en­den Ich-Sprech­ers geschrieben. Die ersten vier Zeilen spiegeln, die fün­fte (16 P) bzw. fün­fte und sech­ste Zeile (37 l) nicht. Das bedeutet, dass die bei­den geschilderten Prozesse am Schluss unab­hängig voneinan­der sind, sie verselb­ständi­gen sich. Die vier spiegel­nden Zeilen davor zeigen ihre Bezo­gen­heit aufeinander.

Das Mantra 37 l ist das Mantra der drit­ten Adventswoche. Die Adventszeit kann als Durch­gang durch die Natur­re­iche bis zum Men­schen­re­ich erlebt wer­den. Dann entspricht die Woche des 1. Advent (35 i) dem Min­er­al­re­ich, die Woche des 2. Advent (36 k) dem Pflanzen­re­ich, die Woche des 3. Advent (37 l) dem Tier­re­ich und die Woche des 4. Advent mit der Heili­gen Nacht (38 m) dem Men­schen­re­ich. Das Charak­ter­is­tis­che des Tier­re­ichs ist die Entwick­lung von Bewusst­sein und selb­ständi­ger Bewe­gung. Doch Selb­stbewusst­sein, das Ver­mö­gen, sich selb­st gegenüber zu ste­hen, sich zu reflek­tieren und als stiller Beobachter wie von außen zu betra­cht­en, das ist in sein­er entwick­el­ten Form nur dem Men­schen möglich.

Bei­de Mantren begin­nen mit ein­er Inten­tion, ein­er vom Ich-Sprech­er geforderten Hand­lung. Erst danach wird jew­eils deut­lich, wer diese Forderung stellt und was ihr Ziel ist. Die Mantren begin­nen also mit einem starken Wil­len­sim­puls. Doch wer ist jew­eils das han­del­nde Sub­jekt? Im Mantra 16 P ist es das Ahnen des Ich-Sprech­ers, im Mantra 37 l der Trieb seines Herzens.

Ahnen (16 P) hängt mit den Ahnen, unseren Vor­fahren, zusam­men. Rudolf Stein­er sagt über den in alten Zeit­en gepflegten Ahnenkult: “Den [nach dem Tod im Kos­mos erhal­te­nen] Äther­leib ihres Ahnen nah­men die Leute in ihrem alten atavis­tis­chen, traumhaften Hellse­hen wahr, verehrten das­jenige, was sich ihnen offen­barte durch diesen Äther­leib. Aber zwis­chen dem Tod und ein­er neuen Geburt kommt dieser Äther­leib in Berührung mit den Geis­tern der höheren Hier­ar­chien, vor allen Din­gen mit den Geis­tern aus der Hier­ar­chie der Archai, der Zeit­geis­ter. Und weil der Betr­e­f­fende eine für die Men­schheit­sen­twick­elung bedeut­same Per­sön­lichkeit war, so ver­band er sich mit dem Zeit­geist, der die Men­schheit­sen­twick­elung um ein Stück vor­wärts brachte. … Über­all, wo wir zurück­ge­hen bis in die Zeit­en, die noch als graue Zeit­en die Geschichte sehen kann, find­en wir, daß die Men­schen verehrten die ätherischen Leiber ihrer Vor­fahren als Offen­barungsmit­tel der Zeit­geis­ter. Also indem wir zu den Ahnenkul­ten zurück­ge­hen, haben wir die Verehrung der Zeit­geis­ter, der Archai.” (Lit.: GA 172, S. 200ff) Das Ahnen, das im Mantra 16 P streng gebi­etet, ist also der durch den Ver­stor­be­nen, den Ahnen, sprechende Zeitgeist.

Das Ahnen ist im Mantra ein sub­stan­tiviertes Verb. Es ist ein­er­seits Tätigkeit, ander­er­seits han­del­ndes Sub­jekt. In mein­er Beobach­tung ist Ahnen ein tas­ten­des, inneres Wahrnehmen. Wenn ein Sachver­halt geah­nt wird, taucht das Wis­sen unscharf und nebel­haft am Hor­i­zont des Bewusst­seins auf. Ahnen ist die Däm­merungszone der Bewusst­seinssonne. Ahnen ist möglicher­weise auch die vom Kopf zu unter­schei­dende Ver­standeskraft des Herzens, das Herz­denken. Das Herz, so weiß man heute, ver­fügt über Ner­ven­zellen, die verdeut­lichen, dass das Herzen ein eigenes Bewusst­sein hat. Ein Pio­nier der Herz­forschung, der Neu­rokar­di­ologe Dr. J. Andrew Armour führte bere­its 1991 den Begriff “Herzge­hirn” ein. Dieses „Herzge­hirn“ ver­fügt, wie auch das eigentliche Gehirn, über ein kom­plex­es Net­zw­erk von Neu­ro­nen, Neu­ro­trans­mit­tern, Pro­teinen und Helferzellen. Das Herzge­hirn ver­fügt über aus­geprägte sen­sorische Fähigkeit­en und kann unab­hängig vom Kopfge­hirn agieren. (Heart­Math Deutsch­land) In Ver­suchen hat sich gezeigt, dass das Herz oft ein intu­itives Vor­wis­sen von Ereignis­sen hat. Es ahnt sie voraus. “Das vom Herzen erzeugte elek­tro­mag­netis­che Feld ist das stärk­ste rhyth­mis­che Energiefeld, das vom Kör­p­er pro­duziert wird.” (Heart­Math) Es ist bedeu­tend stärk­er, als das vom Gehirn aus­ges­trahlte Feld. Ich denke, dass dieses elek­tro­mag­netis­che Feld dem vom Herzen ausstrahlen­den Bewusst­sein entspricht und deshalb dem Erleben der Gegenwärtigkeit.

Das Nacheinan­der in der Zeit entspricht dem irdisch-men­schlichen Erleben. Das Kopf- oder Gehirn-Bewusst­sein nimmt die Zeit lin­ear wahr. Das Herz lebt füh­lend im Jet­zt. Es erlebt sich in der Zeit als Raum — im Zeit-Raum, der einen größeren oder kleineren Zyk­lus umfasst. Deshalb ist das ahnende Bewusst­sein des Herzens nicht in gle­ichem Maße an die lin­eare Zeit gebun­den wie das Kopf-Bewusst­sein. Und dieses Bewusst­sein, so sagt Rudolf Stein­er, entspricht dem Bewusst­sein des Ver­stor­be­nen, der nicht mehr im irdis­chen Raum lebt. “Die Zeit ist inner­halb der Erde gar keine Real­ität. Was muß man denn daher erleben, wenn man aus dem Raum, in dem man zwis­chen Geburt und Tod lebt, ein­treten will in die Raum­losigkeit, in der man zwis­chen dem Tod und ein­er neuen Geburt lebt, was muß man erleben? Ja, meine lieben Fre­unde, man muß ster­ben!” (GA 243 S. 238)

Und statt im physis­chen Raum, lebt man in der Zeit, die zum Raum wird. Das Ahnen hängt also mit dem wahrnehmenden Bewusst­sein des Herzens zusam­men, mit dem Leben in der Zeit als Raum, in dem die Ver­stor­be­nen, die Ahnen weilen. Durch das einen ganzen Zyk­lus als Raum ausstrahlende Bewusst­sein — und sei dieser Raum der Gegen­wär­tigkeit noch so klein — ste­ht das Herz-Bewusst­sein mit dem gegen­wär­tig führen­den Archai in Beziehung. Auch dem Archai unter­ste­ht die Zeit als Raum. Diese Hier­ar­chie wird Engel der Urbe­ginne, Geis­ter der Umlaufzeit­en genan­nt. Sie ken­nen und regieren den ganzen Zyk­lus und deshalb auch die Zukunft.

Mit Trieb (37 l) meint Rudolf Stein­er das Wirken des Wil­lens im Äther­leib. “Im physis­chen Leib ist der Wille Instinkt; sobald der Äther­leib sich des Instink­tes bemächtigt, wird der Wille Trieb. … Von Instinkt wird man immer so sprechen, daß er, wenn er sich im Tiere oder in sein­er Abschwächung im Men­schen vorfind­et, dem Wesen von außen aufge­drängt ist; beim Trieb ist schon daran zu denken, daß das, was sich in ein­er mehr verin­ner­licht­en Form äußert, auch mehr von innen kommt, weil der übersinnliche Äther­leib sich des Instink­tes bemächtigt und dadurch der Instinkt zum Trieb wird.

Nun hat der Men­sch auch noch den Empfind­ungsleib. Der ist noch inner­lich­er. Er ergreift nun wieder den Trieb, und dann wird nicht nur eine Verin­ner­lichung erzeugt, son­dern es wird Instinkt und Trieb auch schon ins Bewußt­sein her­aufge­hoben, und so wird daraus dann die Begierde.“ (Lit.: GA 293, S. 66f, Her­vorhe­bung A.F)

Der Trieb des Herzens lebt also im Äther­leib, im Zeit­en­leib. Er ist der ins Ätherische erhobene Instinkt des Herzens, der jedoch noch nicht Begierde ist, nicht im Empfind­ungsleib lebt und deshalb noch pflanzen­haft rein ist. Was will das Herz instink­tiv? Und was wird dann Trieb — treibt das Herz ohne vom Ego­is­mus berührt zu sein? Ist es der Wille, den großen Puls der Zeit im Kleinen nachzuah­men, ihn im Kleinen zu verkör­pern und mit ihm Schritt zu hal­ten? Und ist der Trieb des Herzens dann vielle­icht das Streben nach Har­monie von innen und außen, kleinem und großem Puls? Im weit­eren Sinn kön­nte der Trieb des Herzens auch der Wille zur Entwick­lung sein.

Bei­de han­del­nden Instanzen, — das Ahnen unaus­ge­sprochen und der Trieb des Herzens aus­ge­sprochen, — sind im Herzen lokalisiert. Sie bilden, denke ich, den reinen Bewusst­seins- und Wil­len­saspekt des Herzens, der über die irdis­che Per­sön­lichkeit hinausweist.

Das Ahnen (16 P) gebi­etet streng, der Trieb des Herzens (37 l) erstrebt selig. Dadurch zeigt sich das Ahnen als eine “elter­liche”, autoritäre von außen bes­tim­mende Kraft, der Trieb des Herzens als eine von innen selig strebende, intrin­sisch motivierte Kraft. Im Mantra 16 P wird ein von Außen nach Innen gehen­der Prozess ini­ti­iert, im Mantra 37 l ein von innen nach außen gehen­der. Diese Bewe­gun­gen set­zen sich im Ver­lauf der Mantren fort.

Das Ahnen (16 P) des Ich-Sprech­ers gebi­etet ihm, etwas im Innern zu bergen. Bergen bedeutet nicht ver­ber­gen, im Sinne von Ver­steck­en, son­dern es nach innen zu nehmen, zu “ret­ten” und dort zu behüten. Der Trieb des Herzens (37 l) erstrebt etwas zu tra­gen, es in die Welt zu tra­gen, nach außen zu bringen.

Und was soll jew­eils bewegt wer­den? Im Mantra 16 P ist es das Geist­geschenk, das im Innern gebor­gen wer­den soll. Im Mantra 37 l ist es das Geis­tes­licht, das in Wel­tenwin­ter­nacht getra­gen wer­den soll. Geist­geschenk und Geis­tes­licht sind bei­des geistige Sub­jek­te, sie sind sel­ber Geist.

Das Geis­tes­licht (37 l) ist das im Herzen, durch die Ätheri­sa­tion des Blutes aufkeimende Bewusst­seinslicht des Men­schen, dass dieser als bewusstes, wahrnehmendes und denk­endes Wesen in die Welt strahlt. Es ist die Son­nenkraft des Men­schen. Zwar ist Bewusst­sein auch Tieren in abgestuften Graden eigen, doch kön­nen sie dieses Licht nur für ihren Lebens- und Arter­halt ein­set­zen. Sie haben nicht wie der Men­sch die Frei­heit, ihre Aufmerk­samkeit selb­st­losen Zie­len zu wid­men, Schön­heit zu erschaf­fen, altru­is­tisch zu helfen, philosophis­che Fra­gen zu erörtern.

Und das Geist­geschenk (16 P), was ist damit gemeint? Diese Frage ist nicht ein­fach zu klären. Vom Geist­geschenk ist sozusagen nur das Äußere, das Geschenkpa­pi­er sicht­bar, das den Inhalt ver­birgt. Ich will ver­suchen es auszuwick­eln und mich Schicht für Schicht dem annäh­ern, was damit gemeint sein könnte.

Zum Ersten kön­nte die Wahrnehmungs­fülle der Erden­welt das Geist­geschenk sein. Die Wahrnehmungen nimmt der Men­sch von außen auf und birgt sie in Form von Vorstel­lun­gen im Innern. Dieses Nach-Innen-Nehmen beschreibt Rudolf Stein­er als Ziel der Men­schheit­sen­twick­lung: “Ein­er, der die ganzen irdis­chen Erfahrun­gen aufgenom­men hat, so daß er von einem jeglichen Dinge weiß, wie es ver­w­ertet wer­den kann und so ein Schöpfer gewor­den ist, wird ein Bod­hisatt­va genan­nt, das heißt ein Men­sch, der Bod­hi, die Bud­dhi der Erde, genugsam in sich aufgenom­men hat. Dann ist er reif, aus den inner­sten Impulsen her­aus zu wirken. Die Weisen der Erde sind noch nicht Bod­hisattvas. Auch für einen Weisen gibt es immer noch Dinge, in denen er noch nicht ver­mag sich zurechtzufind­en. Erst wenn man das gesamte Wis­sen der Erde in sich aufgenom­men hat, um schaf­fen zu kön­nen, ist man ein Bod­hisatt­va. Bud­dha, Zarathus­tra zum Beispiel, waren Bod­hisattvas.“ (Lit.: GA 93a, S. 54)

Doch ganz stim­mig ist es nicht, denn das Geist­geschenk ist ein einziges, die Wahrnehmungen sind dage­gen eine Vielzahl, — viele Geist­geschenke. Zum Zweit­en ist möglicher­weise das Leben und damit die dem Men­schen zur Ver­fü­gung ste­hende Zeit das Geist­geschenk. Da sich das Leben in der Dual­ität vol­lzieht, ist die Außen­welt mit ihrer Wahrnehmungs­fülle inbe­grif­f­en. Nur weil es ein fremdes Außen gibt, kann der Men­sch seine Innen­welt als sein Eigen betra­cht­en, in die er das Außen wahrnehmend aufn­immt. Und nur durch diese Dual­ität hat der Men­sch die Möglichkeit, sein Ich zu entwick­eln. Der Name Eva bedeutet auf Hebräisch das Leben. Adam, dem noch geisti­gen Men­schen wurde Eva, seine Frau, von Gott geschenkt, wodurch Entwick­lung einsetzte.

Zum Drit­ten kann auch das Ich des Men­schen als Geist­geschenk betra­chtet wer­den. Die zyk­lis­che Zeit mit Tag und Nacht, Wachen und Schlafen bietet dem Ich zunächst das Lern­feld, ein biographis­ches Bewusst­sein, einen roten Faden der Iden­tität zu entwick­eln, obwohl dieses Selb­st­be­wusst­sein jede Nacht unter­brochen wird. Was im Kleinen so selb­stver­ständlich ist, zeigt sich im Großen als Denkmöglichkeit, um Reinkar­na­tion zu ver­ste­hen — die Kraft des Ichs, die Unbe­wuss­theit des Schlafs und sog­ar den Tod zu über­brück­en und sich damit über die irdis­che Zeit mit ihren Rhyth­men zu erheben.

Zum Vierten kön­nte auch die Exis­tenz des Todes das Geist­geschenk sein, denn latente Abster­be­prozesse sind es, die den Lebensstrom im Herzen in Bewusst­seinslicht ver­wan­deln. Die Todeskraft ist Geist erschaf­fende Kraft. Über­wiegen die veg­e­ta­tiv­en Kräfte, schläft der Men­sch. Dann weilen Ich und Astralleib außer­halb seines belebten Leibes. Das mit den Ahnen, den Ver­stor­be­nen, ver­bun­dene Ahnen, die noch nicht zum Wis­sen gewor­dene Erken­nt­niskraft gebi­etet streng, das Geist­geschenk im Innern zu bergen. Das Ahnen, das vom Tod Ken­nt­nis hat, befiehlt dieses Geschenk des Geistes im Innern zu bergen — die Todeskraft im Innern zu beherber­gen und dadurch geis­tes­ge­gen­wär­tig zu werden.

Laut Rudolf Stein­er ist der Tod der wahre Name des Vater­gottes. Im Zusam­men­hang mit dem Chris­tus­wort “Ich bin vom Vater aus­ge­gan­gen, und gekom­men in die Welt: wiederum ver­lasse ich die Welt und gehe zum Vater.” (Joh. 16:28) erläutert Rudolf Stein­er: “Nun leuchtet in den Jüngern auf, weil sie reif gewor­den sind, dass die Welt, wie sie um sie herum ist, der äußere Aus­druck des Vaters ist, und dass das­jenige, was das Bedeut­sam­ste an der äußeren Welt ist — da, wo die äußere Welt am meis­ten Maja oder Illu­sion ist -, der Aus­druck des Vaters ist: dass der Tod der Name ist für den Vater. …

Jet­zt wussten die Jünger, dass die wahre Gestalt des Todes im göt­tlichen Vater-Geist begrün­det ist, dass der Tod, wie er angeschaut wird von den Men­schen und emp­fun­den wird, eine trügerische Erschei­n­ung ist, ein Irrtum. So enthüllt der Chris­tus seinen Jüngern den Namen des Todes, hin­ter dem sich ver­birgt der Quell des höch­sten Lebens. Nim­mer­mehr wäre die neue Lebens-Sonne ent­standen, wenn nicht der Tod in die Welt gekom­men wäre und sich hätte über­winden lassen von dem Chris­tus. So ist der Tod, in sein­er wahren Gestalt ange­se­hen, der Vater. Und der Chris­tus ist in die Welt gekom­men, weil von diesem Vater ein falsches Spiegel­bild ent­standen ist im Tode. Und der Chris­tus ist in die Welt gekom­men, um die wahre Gestalt, ein wahres Nach­bild des lebendi­gen Vater-Gottes zu schaf­fen. Der Sohn ist der Nachkomme des Vaters, der die wahre Gestalt des Vaters offen­bart. Wahrhaftig, der Vater hat seinen Sohn in die Welt geschickt, damit die wahre Natur des Vaters offen­bar werde, das heißt, das ewige Leben, das sich hin­ter dem zeitlichen Tode ver­birgt.” (GA 112, 253f)

Der Vater-Gott kann nicht direkt wahrgenom­men wer­den, doch das Ahnen im Mantra 16 P hat die Ken­nt­nis der wahren Gestalt des Vaters bewahrt. Mit “väter­lich­er Strenge” gebi­etet das Ahnen, das Geist­geschenk der Bewusst­sein­ser­weck­ung, der Todeskraft, im bis dahin auss­chließlich von Leben durch­drun­genen Leib zu bergen. Und durch das Geschenk des Bewusst­seins sind auch die anderen Geschenke, die Wahrnehmungen, das Selb­st­be­wusst­sein und die Ich-Entwick­lung möglich.

Fün­ftens kön­nte das Geist­geschenk das Geist­selb­st, das fün­fte Teil des Men­schen sein, dass dem Men­schen erst im Ver­lauf der Erden­zeit geschenkt wird. Dieses Geist­selb­st, so sagt Rudolf Stein­er, ste­ht hin­ter der Bil­dung des Ichs und ist größer als Bewusst­sein und Wahrnehmung. „Der ein «Ich» bildende und als «Ich» lebende Geist sei «Geist­selb­st» genan­nt, weil er als «Ich» oder «Selb­st» des Men­schen erscheint. Den Unter­schied zwis­chen dem «Geist­selb­st» und der «Bewußt­seinsseele» kann man sich in fol­gen­der Art klar­ma­chen. Die Bewußt­seinsseele berührt die von jed­er Antipathie und Sym­pa­thie unab­hängige, durch sich selb­st beste­hende Wahrheit; das Geist­selb­st trägt in sich dieselbe Wahrheit, aber aufgenom­men und umschlossen durch das «Ich»; durch das let­ztere indi­vid­u­al­isiert und in die selb­ständi­ge Wesen­heit des Men­schen über­nom­men. Dadurch, daß die ewige Wahrheit so verselb­ständigt und mit dem «Ich» zu ein­er Wesen­heit ver­bun­den wird, erlangt das «Ich» selb­st die Ewigkeit.

Das Geist­selb­st ist eine Offen­barung der geisti­gen Welt inner­halb des Ich, wie von der andern Seite her die Sin­nesempfind­ung eine Offen­barung der physis­chen Welt inner­halb des Ich ist.“ (Lit.: GA 9, S. 52f) Die Men­schheit begann das Geist­selb­st zu emp­fan­gen, als die Israeliten vierzig Jahre durch die Wüste wan­derten. Da reg­nete es Man­na vom Him­mel, um sie zu ernähren. Von da an brauchte der Men­sch neben der irdis­chen Nahrung geistige Speise. Chris­tus antwortet dem Teufel, als dieser ihn auf­fordert Steine zu Brot zu machen: “Der Men­sch lebt nicht nur von Brot, son­dern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.” (Matth 4,4)

Und Sech­stens ist die Kom­mu­nion Geist­geschenk, denn der Chris­tus schenkt sich in das irdis­che Brot und den irdis­chen Wein hinein und ist im Sakra­ment nach Opfer­ung und Wand­lung darin anwe­send. Und das gilt auch für das men­schliche Bewusst­sein. „Wer weiß, daß der Men­sch bei jedem Gedanken einen göt­tlichen Strom in sich ein­strö­men läßt, wer sich dessen bewußt ist, der erhält als Fol­geer­schei­n­ung die Gabe der höheren Erken­nt­nis. Wer weiß, daß Erken­nt­nis Kom­mu­nion ist, der weiß auch, daß sie nichts anderes ist, als das­jenige, was sich sym­bol­isiert in dem Abendmahl.“ (Lit.: GA 266a, S. 48)

Das Geis­tes­licht im Mantra 37 l soll ober­fläch­lich betra­chtet nach Außen, in Wel­tenwin­ter­nacht, in die win­ter-kalte, nacht-dun­kle Welt getra­gen wer­den. Doch Wel­tenwin­ter­nacht weist auf das Win­ter-Hal­b­jahr hin, das laut Rudolf Stein­er für das Denken ste­ht, wie das Som­mer-Hal­b­jahr für die Wahrnehmung, die aufnehmende Seite der Seele. Das Geis­tes­licht soll also in den stets als kalt erlebten Ver­stand, in das Win­ter-Sein des Men­schen getra­gen wer­den. Mit dem Ver­stand denkt der Men­sch über die Welt nach — und diese Welt ist ihm zunächst dunkel, solange ihm kein Sinnzusam­men­hang ein­leuchtet. Der Wille im Herzen, der Trieb, strebt danach, das im Herzen durch die Ätheri­sa­tion des Blutes entste­hende Bewusst­sein, das Geis­tes­licht, dem Denken zur Ver­fü­gung zu stellen. Und dieses Streben ist selig. Auch dieses Wort hat mit den Ver­stor­be­nen zu tun, wer­den diese doch auch die “Seli­gen” genan­nt. Man sagt über sie: “Gott hab’ sie selig” und meint damit, dass die Ver­stor­be­nen bei Gott in Seligkeit weilen.

Nun fol­gt in bei­den Mantren, was sich aus der ersten Hand­lung ergeben soll. In bei­den Mantren wer­den dazu Beschrei­bun­gen aus der Pflanzen­welt ver­wen­det: reifend, fruch­t­end, Früchte brin­gend (16 P) bzw. See­lenkeime, wurzeln (37 l). Darin liegt ein Hin­weis, dass es hier um Leben­sprozesse geht.

Im Mantra 16 P soll das Geist­geschenk im Innern gebor­gen wer­den, damit reifende Gottes­gaben, während sie in See­len­grün­den frucht­en, der Selb­s­theit Früchte brin­gen. Anders als beim Geist­geschenk han­delt es sich bei den Gottes­gaben um eine Vielzahl, min­destens zwei. Ich denke, dass es sich um Wahrnehmung und Denken han­delt — oder um die drei See­len­fähigkeit­en Denken, Fühlen und Wollen. Bei­de Vari­anten kön­nen als Gottes­gaben ange­se­hen wer­den. Bei­de müssen sich entwick­eln und her­an­reifen. Und bei­de frucht­en, befrucht­en die See­len­gründe und brin­gen damit der Selb­s­theit Früchte. Den Begriff der Selb­s­theit ver­wen­det Rudolf Stein­er für das irdis­che Ich. Im Zusam­men­hang mit dem Blut, das aus der Seit­en­wunde des Chris­tus bei der Kreuzi­gung floss, erläutert er: “Über­all, wo Blut ist, ist das Selb­st. Sollen alle alten Selb­st­ge­mein­schaften aufhören, dann muß die Selb­s­theit, die im Blute sitzt, ein­mal hin­geopfert wer­den.” (GA 97, Vor­trag: 2. 12. 1906, Das Mys­teri­um von Gol­gatha, S. 75, Her­vorhe­bung A.F.) Im Mantra soll der geschilderte Prozess der Selb­s­theit Früchte brin­gen. Die Selb­s­theit soll bere­ichert wer­den. Ich ver­ste­he die Selb­s­theit als das noch mit dem Astralleib ver­bun­dene irdis­che Ich. Auch im Begriff für den vergeistigten, vom Ich umgear­beit­eten Astralleib, dem Geist­selb­st, ist das Selb­st enthal­ten. Die Selb­s­theit, der Astralleib, der durch das Wirken des Ichs Selb­st­be­wusstein­skraft entwick­elt, erhält die Früchte der reifend­en Gottes­gaben, um Geist­selb­st zu werden.

Im Mantra 37 l soll das Geis­tes­licht in Wel­tenwin­ter­nacht getra­gen wer­den, damit leuch­t­ende See­lenkeime in Wel­tengrün­den wurzeln. Das Geis­tes­licht ste­ht mit den leuch­t­en­den See­lenkeimen in unaus­ge­sproch­en­em Zusam­men­hang. Ich denke mir, dass das Geis­tes­licht — sich in Licht­funken teilend — in die drei See­len­fähigkeit­en leuchtet und dort im Denken, Fühlen und Wollen zu See­lenkeimen wird. Wenn Bewusst­sein sich mit den Fähigkeit­en der Seele verbindet, keimt See­len­sub­stanz auf, die sich mit der Welt verbinden will — die in Wel­tengrün­den wurzeln will. Und hier ist sowohl an die äußere als auch an die innere Welt zu denken. Das Denken will über Wahrgenommenes und denk­end erschaf­fene Ideen nach­denken, das Fühlen dem Außen und Innen begeg­nen, der Wille han­deln und die Welt verän­dern — die äußere und auch die innere. Die See­len­fähigkeit­en wollen mit der Welt zusam­menwach­sen, in ihr wurzeln. Durch diesen Prozess hin­durch wirkt ein zweit­er. Das Gotteswort durchtönt das Sein im Sin­nes­dunkel und verk­lärt es. Das Mantra sagt eigentlich, dass das Gotteswort das Sein verk­lärt, indem der Men­sch Bewusst­seinslicht in sein mit der Welt sich auseinan­der­set­zen­des Denken trägt, damit die drei See­len­fähigkeit­en wie leuch­t­ende See­lenkeime sich mit der Welt verbinden, darin wurzeln.

Die Gottes­gaben sind reifend (16 P), die See­lenkeime leuch­t­end (37 l). Reifen beschreibt einen Leben­sprozess, Leucht­en einen Bewusst­sein­sprozess. Gottes­gaben, Geschenke sind etwas Vol­len­detes, Keime, See­lenkeime begin­nen ger­ade erst ihren Entwicklungsprozess.

In bei­den Mantren wird ein Ort der Tiefe in der Mehrzahl genan­nt, die Gründe, in denen etwas geschieht. Im Mantra 16 P sind es die See­len­gründe, im Mantra 37 l die Wel­tengründe. Eben­so scheinen der Mehrzahl der Gottes­gaben und See­lenkeime viele See­len- bzw. Wel­ten-Gründe zu entsprechen. Die Gottes­gaben frucht­en, wirken befruch­t­end in den See­len­grün­den, die See­lenkeime wurzeln in den Wel­tengrün­den. Die Prozesse bei­der Mantren scheinen naht­los ineinan­der überzuge­hen. Die fruch­t­en­den Gottes­gaben, die Befruch­tung der Seele führt zu See­len­samen — zu See­lenkeimen, die Wurzeln schla­gen in der Welt.

Die Mantren ste­hen zueinan­der wie Ein- (16 P) und Ausat­mung (37 l). Mit dem ersten Atemzug, dem Bergen der Luft im Innern (16 P), ist auch der let­zte Atemzug, der Tod, schon vorbes­timmt. Die Einat­mung bringt der Selb­s­theit Früchte. Sie ermöglicht dem Men­schen zu leben und zu ler­nen. Mit dem Ausatem­strom trägt der Men­sch Todeskraft und damit Geis­tes­licht (37 l) in die Welt. Das ermöglicht dem Gotteswort, die Welt zu durchtönen.