Die spiegelnden Mantren 8 H und 45 t
8 H
Es wächst der Sinne Macht Im Bunde mit der Götter Schaffen, Sie drückt des Denkens Kraft Zur Traumes Dumpfheit mir herab. Wenn göttlich Wesen Sich meiner Seele einen will, Muss menschlich Denken Im Traumessein sich still bescheiden. |
45 t Es festigt sich Gedankenmacht Im Bunde mit der Geistgeburt, Sie hellt der Sinne dumpfe Reize Zur vollen Klarheit auf. Wenn Seelenfülle Sich mit dem Weltenwerden einen will, Muss Sinnesoffenbarung Des Denkens Licht empfangen. |
Musik zum Mantra 8 H — sehnend-sehnsüchtig — komponiert von Herbert Lippmann
Pfingsten und Valentinstag
Die spiegelnden Mantren 8 H und 45 t stehen beide für eine Fest. Das Mantra 8 H ist das Pfingst-Mantra, die Oktave des Osterfestes. Der Valentinstag am 14. Februar ist der 40. Tag nach dem 6. Januar, dem Tauftag Jesu im Jordan und der 52 Tag nach dem 24 Dezember, seinem Geburtstag. Ausführlich sind diese Zahlengeheimnisse in den jeweiligen Blogartikeln dargestellt. Sieht man von der für Ostern meist notwendige Anpassung ab, liegt der Valentinstag zumeist in der Woche 45 t und gehört deshalb zu diesem Mantra.
Zu Pfingsten feiern wir die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Gemeinschaft der zwölf Jünger mit Maria, der Mutter Jesu. Wir feiern die Vereinigung des außermenschlichen, kosmischen und deshalb Heiligen Geistes mit der Menschheit, die sich als eine männliche Zwölfheit verbunden mit einer weiblich-mütterlichen Einheit darstellt.
Obwohl mit dem Valentinstag meist andere Inhalte verbunden werden, bezeichnet er auch das Ende der 40tägigen Fastenzeit Jesu und den Sieg über die drei Versuchungen. Dadurch steht der Valentinstag für das dem Pfingstfest entgegengesetzte Geheimnis. An diesem 40. Tag nach der Taufe geht es um den im Menschen wirkenden Geist, um sein Ich. Und diesem Ich wurde durch Christus, durch dessen Überwindung der dreifachen Versuchung, der Weg geöffnet, wieder hinaufsteigen zu können, indem auch der Mensch diese Versuchungen überwindet.
Nachdem sich bei der Taufe der kosmische Geist in Gestalt einer Taube auf Jesu herabgesenkt und mit ihm vereinigt hatte, fastete dieser vierzig Tage in der Wüste. Den Abschluss dieser Integrationszeit bildet die Überwindung dreier Versuchungen, die zu überwinden vordem für die Menschheit nicht möglich war. Rudolf Steiner sagt über diese Prüfungen: “Er [der Christus] hatte die Versuchung durchgemacht durch die Kraft des eigenen Innenwesens, durch das, was wir heute beim Menschen sein Ich nennen [nicht durch die Hilfe von Lehrern, wie es bei der bis dahin bestehenden Einweihung notwendig gewesen war]. Er hatte erreicht, daß er alle Anfechtungen und Versuchungen überwunden hatte, die dem Menschen entgegenkommen, wenn er hinuntersteigt in den astralischen Leib, Ätherleib und physischen Leib. Das ist auch deutlich dargestellt. Alle Egoismen sind dargestellt, und zwar so, daß wir überall auf den höchsten Grad bei ihnen aufmerksam gemacht werden. …
Diese drei Stufen der Versuchung lebt wie in einem Modell, wie in einem Muster, die Christus-Wesenheit der Menschheit vor. Und indem es einmal erlebt wird außerhalb der alten Mysterienstätten, erlebt wird durch die Kraft einer Wesenheit, die in den drei menschlichen Leibern selber lebt, wird der Impuls gegeben, damit die Menschheit in der Zukunft selber im Fortlauf der Entwickelung so etwas erreichen kann: daß der Mensch mit dem Ich, mit dem er in Malchuth, in dem Reiche sein kann, auch in die geistige Welt hinaufsteigen kann. Das sollte erreicht werden, daß das, was die zwei Welten trennt, nicht mehr besteht, und daß der Mensch mit dem Ich, das in Malchuth lebt, in die geistigen Welten hinaufsteigen kann. Das war für die Menschheit erreicht durch die Überwindung der Versuchung, wie sie im Matthäus-Evangelium (Matth. 4, 1–11) geschildert wird. Das war erreicht, daß nun in einer Wesenheit, die auf der Erde lebte, das Musterbild da war von dem Hinauftragen des Ich für das Reich in die höheren Reiche und höheren Welten. ” (GA: 123, S.157ff)
Vielleicht lassen sich diese drei Versuchungen als drei Entwicklungsherausforderungen der Seele verstehen, um der egoistischen Neigung von jeder der drei Seelenfähigkeiten Herr zu werden: Steine in Brot verwandeln zu wollen betrifft den Willen, sich von der Tempelzinne zu stürzen das Fühlen und das Reich zu gewinnen das Denken. Auch wenn die letztendliche Überwindung der Widersacher erst mit der Auferstehung geschah, bildete die dreifache Zurückweisung der Versucher den Beginn des Christuswirkens unter den Menschen. Die vom Christus vorverkündigte Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingstfest bildet dagegen den Abschluss des direkten Christuswirkens.
Über die Spiegelsprüche 8 H und 45 t
Die Mantren 8 H und 45 t entsprechen sich grammatisch ganz besonders stark, weisen jedoch durchgängig kontrastierende Worte auf. Das Pfingst-Mantra 8 H ist aus der Perspektive eines Ich-Sprechers geschrieben, das Mantra 45 t dagegen in der unbeteiligten, beobachtenden dritten Person.
Beide Mantren handeln von Macht. Das Mantra 8 H spricht von der wachsenden Macht der Sinne, die die Denkkraft zur Dumpfheit des Traumzustands herabdrücken. Das Mantra 45 t schildert, dass sich die Gedankenmacht festigt und die dumpfen Reize der Sinne zur vollen Klarheit aufhellt. Im Mantra 8 H liegt die Übermacht auf der Wahrnehmungsseite der Seele (das Sommer-Halbjahr) auf dem träumenden Hineinschlafen in die Wahrnehmung (wie Rudolf Steiner den Wahrnehmungsprozess schildert). Im Mantra 45 t überwiegt die Macht des Denkens in der Seele (das Winter-Halbjahr), das die Sinnesreize verarbeitet, um sie zur vollen Klarheit aufzuhellen. In beiden Mantren geht es also um die jeweilige Macht, um die Kompetenz des “Königs” in seinem Reich. Im Mantra 8 H sind dies die Sinne im Reich des Sommer-Halbjahres, im Mantra 45 t die Gedankenmacht im Reich des Winter-Halbjahres.
Von beiden Prozessen wird gesagt, dass sie im Bunde mit etwas geschehen. Sie sind also verbunden — oder vielleicht auch gebunden an etwas. Die Macht der Sinne wächst im Bunde mit dem Schaffen der Götter (8 H). Die Macht der Sinne korrespondiert also mit dem Schaffensprozess der Götter — mit dem nicht menschlichen, sondern göttlichem schöpferischen Prozess, der die Außenwelt des Menschen, die Naturreiche fortwährend erschafft und belebt ‑die Wahrnehmungswelt bereitstellt. Das Entspricht der Erfahrung, dass der Anblick z.B. einer Speise den Appetit darauf weckt.
Die Gedankenmacht festigt sich dagegen im Bunde mit der Geistgeburt. Als irdisches Wesen wird der Mensch von seiner Mutter geboren. Erfasst er sich jedoch als Ich und in diesem Zusammenhang als Geist, so gleicht dies einer Neugeburt, der Geburt aus dem Geist — seiner Geistgeburt. Und dieses Ereignis wirkt festigend auf seine Gedankenmacht. Nun erst kann der Mensch die dumpfen Reize der Sinne zur vollen Klarheit aufhellen. Nun erst — von der geistigen Perspektive aus — kann er die von der materiellen Welt stammenden, also dumpfen Sinnesreize so durchdringen, dass sie geistdurchlässig werden — also vollständig klar.
Nach der Schilderung der jeweiligen Ausgangslage, folgt in beiden Mantren ein Satzgefüge, das Abhängigkeiten deutlich macht: “Wenn … will, … muss …” Wenn also eine wollende Instanz da ist, muss sich das Andere entsprechend dazu verhalten.
Im Pfingstmantra 8 H ist die wollende Instanz das göttliche Wesen, im Mantra 45 t die Seelenfülle. Ein Wesen kann selbstverständlich wollen, erst recht ein göttliches — doch kann dies auch etwas, das als Seelenfülle charakterisiert wird? Was ist die Seelenfülle?
Zunächst ein Blick zurück auf den ersten Teil der Mantren. Im Pfingstmantra 8 H sind es mehrere Götter, mit denen die Macht der Sinne im Bunde ist, während sie wächst und die Denkkraft in den Traumzustand herabdämpft. Zu dieser Mehrzahl an Göttern tritt das eine göttliche Wesen hinzu, das sich mit meiner Seele einen will.
Im Mantra 45 t zeigt sich ein umgekehrtes Bild. Hier ist es die eine Geistgeburt, mit der die Gedankenmacht im Bunde ist, während sie sich festigt und die Sinnesreize aufhellt. Zur Geistgeburt tritt nun kein Wesen hinzu, sondern die Seelenfülle. Die Seelenfülle will sich auch nicht mit einem Wesen einen, sie will sich mit dem Weltenwerden, mit dem Entwicklungsgang der Welt einen.
Im Mantra 8 H zeigt sich eine Vielzahl an Göttern schaffend in der Welt, im Außen. Doch einziehen in die Seele, sich mit ihr einen will sich ein einziges göttliches Wesen. Wieder genau komplementär ist es im Mantra 45 t. Hier zeigt sich die Geistgeburt als ein Einzelnes. Sie zeigt sich, ohne dass dies im Mantra explizit ausgesprochen würde, als ein Wesen, das innen, in der Seele, vorzustellen ist. Doch einen will sich die Seelenfülle, eine Vielzahl mit einem Außen — mit dem Weltenwerden. Die Bewegung vollzieht sich also im Pfingstmantra 8 H von außen nach innen, im Mantra 45 t von innen nach außen.
Nochmal — was ist die Seelenfülle? Im Prolog des Johannes Evangeliums heißt es: „Und von seiner Fülle (griech. πληρωματος pleromatos) haben wir alle genommen, Gnade um Gnade.“ (Joh 1,16 LUT)
Rudolf Steiner führt dazu aus: “Und nun werden bedeutsame Worte gesagt: «Denn aus dessen Fülle haben wir alle entnommen Gnade über Gnade» (1, 16). Viele Menschen gibt es, die sich Christen nennen und die über das Wort «Fülle» hinweglesen, die sich bei diesem Wort nichts besonders Genaues denken. «Pleroma» heißt nach dem Griechischen «die Fülle». .… Was ist denn nun Pleroma, die Fülle? Nur der kann es verstehen, der da weiß, daß man in den alten Mysterien von dem Pleroma oder der Fülle als von etwas ganz Bestimmtem gesprochen hat. Denn man hat damals schon die Lehre vertreten, daß, als sich zuerst offenbarten diejenigen geistigen Wesenheiten, die bis zur Göttlichkeit aufgestiegen waren während des alten Mondes, die Elohim, einer sich von ihnen trennte: Einer blieb auf dem Mond und strahlte von dort zurück die Kraft der Liebe, bis die Menschen genügend reif waren für das Licht der übrigen sechs Elohim. So unterschied man Jahve, den Einzelgott, den Rückstrahler und die aus sechs bestehende Fülle der Gottheit, «Pleroma». Da aber mit dem Gesamtbewußtsein des Sonnenlogos der Christus gemeint ist, mußte man, wenn man auf ihn hindeutete, sprechen von der Fülle der Götter. Diese tiefe Wahrheit verbirgt sich dahinter: «Denn aus dem Pleroma haben wir alle entnommen Gnade über Gnade.»” (Lit.: GA 103, S. 78f, Hervorhebungen A.F.)
Auch bei der Geburtsgeschichte im Lukasevangelium wird die Fülle erwähnt, die Fülle der himmlischen Heerscharen erscheint den Hirten, nachdem der Engel des Herrn gesprochen hatte: “Und mit einem Male war um den Engel die Fülle der himmlischen Engelchöre versammelt; ihr Lobgesang tönte zum göttlichen Weltengrund empor: Geoffenbaret sei Gott in den Höhen und Friede auf Erden den Menschen, die eines guten Willens sind.” (Luk. 2;13 — 14, Übersetzung Emil Bock, Hervorhebung A.F.)
Hier, so sagt Rudolf Steiner, bedeutet die Fülle der himmlischen Heerscharen den Körper der Verwandlung, den Nirmanakaya des Buddha. “Und als das wichtigste Ereignis auf der Erde vorbereitet wurde und die Hirten auf dem Felde waren, da erschien ihnen eine Individualität aus den geistigen Höhen und verkündete ihnen das, was eben im Lukas-Evangelium geschildert wird: Und hinzu traten zu dem Engel «himmlische Heerscharen». Wer war das?
Was hier den Hirten im Bilde entgegentrat, das war der verklärte Buddha, der Bodhisattva der alten Zeiten, dasjenige Wesen in seiner geistigen Gestalt, das durch Jahrtausende und Jahrtausende den Menschen die Botschaft der Liebe und des Mitleides gebracht hatte. Jetzt, nachdem es seine letzte Inkarnation auf der Erde hinter sich hatte, schwebte es in geistigen Höhen und erschien in Himmelshöhen den Hirten neben dem Engel, der ihnen das Ereignis von Palästina vorherverkündete.” (GA 114, S. 50, Hervorhebung A.F.)
Menschenkundlich betrachtet ist dieser Nirmanakaya das Geistselbst. Rudolf Steiner sagt: “Und in dem Augenblick, in dem der Astralleib so weit ist, daß er ganz durchgearbeitet ist, da drückt sich die ganze neue Form des Astralleibes, des Geistselbstes, in den Ätherleib hinein, so daß dann der Ätherleib ein Abdruck ist dieses also umgearbeiteten Astralleibes. … Kurz, Sie sehen, wir haben damit geschildert eine besonders hohe Wesenheit, die im eminentesten Sinn weit gekommen ist dadurch, daß sie das ganze Geistselbst entwickelt hat. Diese Wesenheit wird nun in der östlichen Wissenschaft Nirmanakaya genannt, denn es hat sein Astralleib, sein astralischer Kaya die Stufe erreicht, wo er keine Überreste hinterläßt. Das ist ein Nirmanakaya.“ (Lit.:GA 110, S. 149ff)
Die Seelenfülle im Mantra 45 t verstehe ich als das Zukunftsbild des Geistselbst, als den Astralleib, der auf dem Wege ist, Geistselbst zu werden. Und dafür will sich die Seelenfülle mit dem Weltenwerden einen — die Seele will wieder inkarnieren.
Nun folgt in beiden Mantren die Konsequenz, die sich aus dem geäußerten Willen ergibt. Sie ist bedingungslos. “Wenn … will, … muss …” lautet das Satzschema.
Im Mantra 8 H muss das menschliche Denken sich im Traumessein still bescheiden, wenn das göttliche Wesen sich der eigenen Seele einen will. An dieser Stelle wird im Mantra deutlich, dass es einen sich reflektierenden, wachen Ich-Sprecher gibt. Und die seelische Situation, die dieser Ich-Sprecher wahrnimmt, ist jedem gut bekannt. Das menschliche Denken muss sich still bescheiden, es muss im Traumzustand sein, wenn das göttliche Wesen sich der eigenen Seele vereinen will. Der irdische Verstand, der wie ein Mühlrad im Kopf dreht und ständig spricht, muss zum Schweigen gebracht werden, soll eine höhere Macht, ein göttliches Wesen, sich mit der Seele vereinen — darin leben. Die Ausgießung des Heiligen Geistes wird als die Taufe mit Feuer beschrieben. Soll sich im Menschen das Taufgeschehen Jesu im Kleinen wiederholen, der göttliche Geist Wohnung nehmen im Menschen, muss das menschliche Denken still und bescheiden zur Seite treten.
Im Mantra 45 t muss die Sinnesoffenbarung das Licht des Denkens empfangen, wenn die Seelenfülle sich mit dem Weltenwerden einen will. Das Denken muss also aktiv sein und Licht erzeugen, Erkenntnis hervorbringen auf der Grundlage der Sinnesoffenbarung. Nicht was die Sinne wahrnehmen soll Grundlage des Denkens sein, sondern Sinnesoffenbarung. Das Urbild hinter der einzelnen Wahrnehmung soll zunächst geschaut werden. Und dieses Geoffenbarte durch die Sinne, das muss Licht empfangen aus dem Denken.
Auch das Pleroma, also die Fülle wird von Rudolf Steiner als Licht, sogar als schaffendes Licht bezeichnet. “Von dem schaffenden Lichte sprechen die Gnostiker, die ägyptischen Mystiker, die Mystiker des Mittelalters. Sie nennen es das Äonenlicht. Es ist ein Licht, welches vom Mystiker aus die Gegenstände um ihn her zu lebendigem Leben erweckt. [Dies Licht strahlt also vom Mystiker aus und ermöglicht die mystische Schau, A.F.] Das ist das Pleroma der Gnostiker. So fühlt sich der Mystiker in dem Weltenlicht beseligt. Er fühlt sich beseligt verwebt mit diesem Aonenlicht. Da ist er nicht getrennt von der Wesenheit der Dinge; da ist er teilhaftig der unmittelbaren Schöpferkraft. Das ist, was der Mystiker als seine Beseligung in dem schöpferischen Lichte bezeichnet.” (Lit.: GA 051, S. 214)
Rudolf Steiner hat die Fülle, das Pleroma, schon in den angeführten Zitaten mit ganz unterschiedlichen Inhalten verbunden. Er hat das Pleroma zum einen als die Gesamtheit der sechs Sonnen-Elohim und damit als den kosmischen Christusgeist charakterisiert, zum zweiten als den Nirmanakaya des Buddha, zum dritten als das Geistselbst und zum vierten als das Erkenntnislicht der mystischen Schau.
Vielleicht vereint all diese geistigen Entitäten, was für alle Wesen der dritten Hierarchie (Engel, Erzengel, Archai) gesagt wird, dass ihr Wahrnehmen gleichzeitig ein Selbstoffenbaren ist. Johann Wolfgang von Goethe charakterisiert diese ausstrahlende Art des Wahrnehmens so:
Ich wache ja! O laßt sie walten, |
Die Vielheit geistiger Kompetenz und die ganz anders geartete Wahrnehmung muss mit der Seelenfülle also mitgedacht werden.
Ein wenig freier lässt sich der zweite Teil des Mantras vielleicht so wiedergeben: Wenn die Seelenfülle, — das seelisch sonnenhaft ausstrahlende, sich zur Offenbarung bringende, zukünftige Geistselbst — wieder inkarnieren will, muss die von der Welt bereitgestellte Sinnesoffenbarung es sich gefallen lassen, dass das schöpferische Licht des Denkens, hinter dem die Geistgeburt steht, gestaltend eingreift. Wenn die Sinnesoffenbarung das Licht des Denkens empfängt, befruchtet das Denklicht (der Geistgeburt) gleichzeitig die Sinnesoffenbarung, denn eine Empfängnis ist aus der anderen Perspektive betrachtet eine Befruchtung.
Diese lichtempfangende Sinnesoffenbarung (45 t) möchte ich das erschaffende Wahrnehmen nennen. In ihr tritt das Licht des Denkens erst in Erscheinung — wie das Beleuchtete das äußere Licht sichtbar macht. Wir kennen dieses erschaffende Licht alle — oft jedoch von der unschönen Seite. Wie oft geschieht es, dass etwas hineingesehen wird, das äußerlich betrachtet nicht da — oder nicht so — ist. Egoistische Bestrebungen der Seele fördern diese Neigung, nutzen sie aus, verblenden den Menschen. Das Helfersyndrom ist solch ein Phänomen, bei dem sich die betreffende Person für vollkommen selbstlos hält, in Wirklichkeit jedoch Vorteile (Selbstwertsteigerung, Anspruch auf Dankbarkeit und Liebe) aus ihren Hilfeleistungen zieht. Ein weiteres Negativ-Beispiel ist der Narzissmus, bei dem sich der Betreffende nur selber sieht. Ein positives Beispiel für dieses schöpferische Sehen ist der liebevolle Blick, der auf die Möglichkeiten, auf die bestmögliche Version fokussiert, statt auf die Unvollkommenheiten der gegenwärtigen Version.
Im Pfingstmantra 8 H wird nicht die Empfängnis, sondern die Befruchtung geschildert. Sie geschieht, wenn das göttliche Wesen sich meiner Seele einen will und das eigene Denken nicht störend wirkt. Als Geistgeburt erscheint dieses göttliche Wesen im spiegelnden Mantra 45 t.
Im Valentins-Mantra 45 t wird die weibliche Seite geschildert, die Empfängnis. Die Geistgeburt ist hier eine Tatsache und wirkt von der Zukunft herein. Aktiv wird die Seelenfülle, die weibliche Züge trägt. Sie will sich mit dem Weltenwerden einen. Ich verstehe sie als der seelische Aspekt des Pleroma, als eine Vielheit, die nur gemeinsam eine Ganzheit bildet — so wie die Wochen im Jahr sich zum Jahreskreis zusammenfügen. Als das Schaffen der Götter erscheint die mit dem Weltenwerden vereinte Seelenfülle im Pfingst-Mantra 8 H.
Ergänzung:
Rudolf Steiner schildert, dass die (salomonische) Mutter Jesu 45 Jahre alt war, als sich im Leben des Jesus die Taufe vollzog — und dass damit auch für sie eine bedeutsame Verwandlung einherging. „In demselben Augenblicke, als diese Taufe im Jordan geschah, fühlte auch die Mutter etwas wie das Ende ihrer Verwandlung. Sie fühlte — sie war damals im fünfundvierzigsten, sechsundvierzigsten Lebensjahre -, sie fühlte sich mit einem Male wie durchdrungen von der Seele jener (nathanischen) Mutter, welche die Mutter des Jesusknaben war, der in seinem zwölften Jahre das Zarathustra-Ich empfangen hatte, und die gestorben war. So wie der Christus-Geist auf Jesus von Nazareth herabgekommen war, so war der Geist der anderen Mutter, die mittlerweile in der geistigen Welt weilte, herniedergekommen auf die Ziehmutter, mit der Jesus jenes Gespräch hatte. Sie fühlte sich seitdem wie jene junge (nathanische) Mutter, die einstmals den Lukas-Jesusknaben geboren hatte.“ (Lit.:GA 148, S. 85, Hervorhebungen und Ergänzungen A.F.)
So wie die Mantren 8 H und 45 t spiegeln, und sich im Pfingstmantra vollzieht, was Jesus in der Taufe erlebte, so scheint mir der für Maria beschriebene Prozess sich im Mantra 45 t wiederzufinden. So könnte die Altersangabe “sinnvoll” sein, denn rein rechnerisch steht sie im Gegensatz zu den von Rudolf Steiner zu dem doppelten Jesus- und Mariengeheimnis angegebenen Altersverhältnissen, auf die ich hier aber nicht einghen will.