Die Krisen-Gegensprüche 7 G und 33 g

7 G

Mein Selb­st, es dro­het zu entfliehen,

Vom Wel­tenlichte mächtig angezogen.

Nun trete du mein Ahnen

In deine Rechte kräftig ein,

Erset­ze mir des Denkens Macht,

Das in der Sinne Schein

Sich selb­st ver­lieren will.

.…33 g

So fühl ich erst die Welt,

Die außer mein­er Seele Miterleben

An sich nur frostig leeres Leben

Und ohne Macht sich offenbarend,

In See­len sich von neuem schaffend,

In sich den Tod nur find­en könnte.

 

Die Eurythmieformen zu den Krisenspruch-Mantren 7 G und 33 g

Über den Buchstaben “G”

Das G nimmt im griechis­chen Alpha­bet den drit­ten Platz ein, der für unser Alpha­bet zum C wurde. Bei­de Buch­staben verbindet das The­ma des Lebendi­gen. Drückt sich im C die Leichte-Kraft der Vergeis­ti­gung aus, die Über­win­dung der Materie (3 C — 29 c), so im G die auf die Erde führende, befes­ti­gende, inkarnierende Kraft. Im lateinis­chen Alpha­bet nimmt das G den siebten Platz ein und bringt damit zum Aus­druck, dass mit ihm das Schöpferisch-Prozesshafte, das z.B. in den klas­sis­chen sieben Plan­eten oder Wochen­t­a­gen lebt, zur Vol­len­dung, zum Abschluss kommt — ein Ganzes wird. Das G ist der Gottes­laut, das ursprünglich Gute, die Gen­e­sis der ersten Vater­schöp­fung, der Geist, der in der gen­er­a­tiv­en Vererbung wirkt und Gen­er­a­tion für Gen­er­a­tion her­vor­bringt. Das G hat gewaltige Kraft. Als Gau­men- und Stoßlaut ist das G mit dem Willen, dem Stof­fwech­sel und der Erde ver­bun­den und drückt stets aus, dass ein Geschöpf, ein Geist sich auf der Erde zur Gel­tung bringt. Der Name Gabriel bedeutet nach Rudolf Stein­er ‘Gott-Verkün­der’, Gottes Wort, ‘Got­taus­sager’. (GA 273)

Die Qual­itäten des G reichen von den reinen Leben­skräften, die das G in ‘Engel’ repräsen­tiert (das NG inter­pretiert Ernst Moll als GG) bis zum Allzu­men­schlichen, wie es sich z.B. in den Worten ‘Ego’, ‘Gier’ und ‘Geiz’ zeigt. “Im Wil­len­shaften befes­tigt man sich, ins­beson­dere, sofern es die Äußerung der mehr unbe­wussten Kräfte im Men­schen ist, dessen, was aus den rein natur­mäßi­gen Untergün­den her­vorstößt. Das alles ist eben der naturhafte Ego­is­mus. Er steckt im Grunde in jedem Stoßlaut ver­bor­gen. Denn immer zeigt dieser ein ‘Gel­tend­machen des Inneren’. (Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 144) Was Rudolf Stein­er für alle Stoßlaute sagt, charak­ter­isiert das G im beson­deren: “Es ist die Sym­pa­thie mit sich selb­st in den Stoßlaut­en aus­ge­drückt … Die Stoßlaute sind ego­is­tisch … Wo ein Stoßlaut ist … will eine scharfe Kon­tur geze­ich­net wer­den … Stoßlaute: Laute für die See­len­ver­fas­sung des Ego­is­mus, für die Gel­tend­machung der eige­nen men­schlichen Wesen­heit, die man bewahren will draußen in der Welt. Beim Stoßlaut muss der Kör­p­er nicht durch Bewe­gung wirken, son­dern durch Hal­tung … Eine ‘Ver­stei­fung’ tritt ein.” (GA 279, in Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 144f)

Das G gren­zt nach außen ab und hält das Innere zusam­men, wie es der hebräis­che Name für Kreis, ‘galil’ verdeut­licht. ‘Galiläa’ bedeutet Kreis oder Bezirk der Hei­den (Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 145) Der ‘Garten’, ins­beson­dere der Paradies­garten bringt diese Geste eben­so zum Aus­druck. Rudolf Stein­er sagt: “Alles Äußere abwehren, das Inner­liche zusam­men­hal­ten gibt die G‑Gebärde.” (GA 279) Zu dieser Gebärde des Abgren­zens kommt hinzu die Aufrich­tung aus der Kraft von unten, das zur Gel­tung brin­gen des Eige­nen. “Das sich Erheben als räum­lich­er Vor­gang kann sog­ar bis zur Lösung vom Erd­bo­den führen. Schon im ‘Gehen’, im aufrecht­en ‘Gang’ ist dieser Aspekt gegeben. (Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 151).

Der griechis­che Name ‘Gam­ma’ leit­et sich ab vom phönizis­chen ‘Gimel’, das Kamel bedeutet. Das Kamel kann den lebens­feindlichen Bedin­gun­gen in der Wüste trotzen, seinen Wasser­vor­rat zusam­men­hal­ten. Die ein oder zwei Höck­er ragen wie Gipfel in den Him­mel. Das G ist auch die aufra­gende Erhe­bung, der hohe Grad, der Giebel und damit auch Schädel des Men­schen: ‘Gol­gatha’ bedeutet die Schädel­stätte, der Ort der Kreuzi­gung Christi, an der ER sich opferte für die Men­schheit. Rudolf Stein­er sagt: “Das­jenige, was der über­schüs­sige Ego­is­mus im men­schlichen Blut war, das rann am Kreuze mys­tisch-real aus den Wun­den des Chris­tus Jesus her­aus, das wurde geopfert.” (GA 96, S. 286)

Die Form des Gam­ma Γ entspricht einem Gal­gen, einem aufra­gen­den Gerüst. Auch dieses Feste, Gegrün­dete ist G. Für die Sprache, ‘Glos­sa’ bedeutet auf Griechisch die ‘Zunge’ oder die ‘Sprache’, übern­immt die Gram­matik diese befes­ti­gende Funk­tion. Der Gau­men, Ort der Laut­bil­dung des G, der hin­ten weich, im vorderen Mund­bere­ich jedoch hart ist, gle­icht einem fel­sig hart gewor­de­nen Him­mels­gewölbe. Dadurch wird dieser alt und fest gewor­dene, aus der Ver­gan­gen­heit stam­mende Him­mel zur ‘Grotte’ der Geburt Christi und gle­ichzeit­ig zum ‘Grab’, zum tiefen Ab-‘Grund’. In der nordis­chen Mytholo­gie heißt der Schöp­fungsab­grund ‘Gin­nun­gagab’. In den Sagen der Iro-Kel­ten wird die Ursprache ‘Gor­tigheam’ genan­nt. (Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 160). So wie die Sprache aus der Vielzahl der Laute beste­ht, so besitzt das G gliedernde, abgren­zende und dadurch Gestalt bildende Qual­ität. Rudolf Stein­er beschreibt es so: “Merken Sie, wie der Ein­druck des Körni­gen schon liegt in Worten wie: Grau, Gries, Granat, Graupe, und wie Sie selb­st körnig empfind­en müssen, wenn Sie sagen Gräulich ist das.” (GA 280, in Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 156)

Das Granitharte ist nicht nur das Körnige, son­dern auch das ‘Glat­te’, ‘Glasklare’, ‘Glänzende’, ‘Glitzernde’. Hier wer­den wir zur Leuchtkraft des G, der rot leuch­t­en­den ‘Glut’ und zum ‘gel­ben’ ‘Glanz’ und ‘Gold’ geführt. Dieses Licht kann ver­führen. Dann wird das Gold zum begehrten ‘Geld’, das G wird ‘glitschig’, ‘glei­t­end’ und schlangen­haft ‘giftig’. Das Ego macht sich geltend.

Doch nicht nur das Ego hat mit dem G zu tun, auch das Ich braucht die befes­ti­gende, gerüst­bildende Kraft. Rudolf Stein­er sagt über das ‘Ich-Gerüst’: “Es ist wirk­lich unserem physis­chen Leib etwas eingegliedert wie ein feines Gerüste. … Der Men­sch trägt ein ihm ein­fach durch seine Ich-Organ­i­sa­tion eingeprägtes Gerüste mit sich herum, ein sehr feines Gerüste, welch­es allerd­ings aus den Kräften des Äther­leibes her­aus dem physis­chen Leib einor­gan­isiert ist. .. Nun wer­den Sie leicht ein­se­hen kön­nen, dass dieses Gerüste, das das Ich da in den men­schlichen Organ­is­mus hineinz­im­mert, eigentlich in gewis­sem Grade ein Fremd­kör­p­er ist. Der men­schliche Organ­is­mus hat auch fortwährend die Ten­denz gegen dieses Gerüste sich zu wehren. Er bestrebt sich namentlich jede Nacht beim Schlafen, diese Gerüst zu ruinieren.” (GA 312, in Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 155f)

Das Auge hat mit der Bil­dung dieses inneren Ich-Gerüstes zu tun. Rudolf Stein­er erk­lärt: “Durch den Sehvor­gang wird dem Organ­is­mus ein Phan­tom eingegliedert, ein Gerüste” und auch “Alles das­jenige, was zwis­chen Auge und Außen­welt, bzw. durch das Auge zwis­chen Seele und Außen­welt spielt, das stellt diese Aufrich­tung eines Gerüstes — in Reinkul­tur dar.”  und weit­er “wenn Sie studieren die Augen-Organ­i­sa­tion eines Men­schen, so wer­den Sie zu einem urteils­gemäßen Erfassen des Äther­leibes kom­men kön­nen, des Äther­leibes, der dann so ähn­lich ist dem, was ich jet­zt als ein Gerüst beze­ich­net habe.” (GA312, in Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 158) Das Auge ver­mit­telt im Wesentlichen, was Vorstel­lung und Erin­nerung wer­den kann. Es ver­mit­telt die Grund­lage zum Denken. Und im Begreifen, dem inneren ‘Greifen’ wird aus Einzel­heit­en ein Ganzes: aus Bergen wird das ‘Gebirge’, das mehr ist als eine Ansamm­lung von Bergen. Einzelne Bau-Werke wer­den zum ‘Gebäude,’ aus der Tätigkeit des Fassens wird das ‘Gefäß’, alles was wächst, ist ‘Gewächs’.

Der irokeltische Name des G lautet ‘Gort’ und bedeutet Efeu. Wegen sein­er dreispitzi­gen, “dreifälti­gen” Blät­ter und seinem immer­währen­den, “unsterblichen” Grün wird der Efeu in Eng­land zur Wei­h­nacht besun­gen und verehrt. An den Efeu denke ich im Beson­deren bei dem, was Rudolf Stein­er über die Farbe ‘Grün’ und das Denken sagt: “Wenn wir … imstande sind, uns dem, was real als das Grüne auf­schießt, hinzugeben, so kön­nen wir … dies so weit treiben, dass das Grüne als Grünes für uns ver­schwindet … Dafür aber … fühlt die Seele …: ‘Jet­zt ver­ste­he ich das, was ich erlebe, wenn ich in mir vorstelle, was ich in mir denke, schaffe, wenn ein Gedanke in mir auf­schießt … Das ver­ste­he ich jet­zt erst, das lehrt mich das Her­vor­s­prießen des Grü­nen über­all um mich herum … Das Grün der Pflanzen sagt es mir, wie ich fühlen sollte in mir selb­st, wenn meine Seele beg­nadet ist, Gedanken zu denken, Vorstel­lun­gen zu hegen’.” (GA 136, in Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 147)

Ein Gedanke kann wach­sen und sich ent­fal­ten wie eine Pflanze. Er kann jedoch auch kristallin, klar und geprüft — an der Real­ität erhärtet sein. Eine solche Dauer und Uner­schüt­ter­lichkeit drückt sich im G der Stein-Worte aus. Lateinisch heißt der Bern­stein ‘glae­sum’ und der Kiesel­stein ‘glarea’, der Edel­stein gém­ma. Hebräisch ist ‘gar­al’ der Stein, ‘gal’ der Stein­haufen. Das hebräis­che ‘gar­al’ wurde zu dem rät­sel­haften deutschen Wort ‘Gral’, der sowohl Kelch als auch Stein ist. Als Stein wird er ‘Lapist exil­lis’ genan­nt, bzw. ‘Lapis ex caelis’, was bedeutet: ‘er fiel aus dem Him­mel’. (Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 157) Das G als Gral ist die Gestalt und Leben schenk­ende gen­er­a­tive Schöpfer­kraft, die einst im Him­mel war, doch dann auf die Erde fiel, als der Men­sch mit der Sprache das Denken lernte, um sich und die Welt schließlich darin zu erken­nen, zu erschaffen.

 

Über die Gegensprüche 7 G und 33 g

Die Gegen­sprüche 7 G und 33 g sind soge­nan­nte Krisen­sprüche. Sie verdeut­lichen eine Entwick­lung, die an ihr Ende gekom­men ist und bedrohliche, lebens­feindliche Fol­gen hätte, wenn keine Wen­dung stat­tfind­et. Im Mantra 7 G beste­ht die Krise darin, dass das Selb­st dro­ht zu ent­fliehen, da es vom Wel­tenlicht mächtig ange­zo­gen wird. Im Mantra 7 G bet­rifft die Bedro­hung den Men­schen, sein Selb­st, und sie geht von der Welt, dem Wel­tenlicht aus. Im Mantra 33 g ist die Welt in ihrem Fortbe­stand bedro­ht, denn das Leben der äußeren Welt ist frostig und leer gewor­den. Die Herb­st-Welt ist unweiger­lich dem Tode gewei­ht, das natür­liche Leben ist an ein Ende gekommen.

Im Mantra 7 G wird es für den Men­schen als Selb­st zum Prob­lem, wenn er weit­er dem Wel­tenlicht fol­gt, das dieses Selb­st mächtig anzieht. Das Wel­tenlicht lässt das Selb­st nicht frei. Es zieht es an, es zieht es zu sich hin — also weg von sich selb­st. Was ist dieses Wel­tenlicht — und was ist das Selbst?

Das Wel­tenlicht ist zum einen sicher­lich die äußere Sonne, die im Früh­ling immer mehr an Kraft gewin­nt und den Men­schen in die Außen­welt lockt. Sie lockt ihn in den Wahrnehmungs­bere­ich der Seele, wo er für sich sel­ber ein­schläft, wo er mit dem Wahrnehmungs­ge­gen­stand ver­schmilzt und erst wieder zu sich erwacht, wenn er begin­nt, den Begriff hinzuzufü­gen (so Rudolf Stein­er). Ich denke, das Wel­tenlicht meint hier noch mehr. Jed­er Erken­nt­nisvor­gang ist ein seel­is­ch­er Licht-Prozess. Wird dieses Licht an der Welt, an der Materie gewon­nen, wie es die Natur­wis­senschaft heute anstrebt, so ist dieses Licht ein materielles Erken­nt­nis­licht, ein Wel­tenlicht. Die Erken­nt­nis des Men­schen als eines geisti­gen Wesens, als geistiges Selb­st, ent­flieht dadurch. Das Wel­tenlicht kann außer­dem auch als der Weisheitsstrom, die Urflut ver­standen wer­den, die noch Geist ist, aber im Begriff, sich in materiell inkarnierte Wesen zu wan­deln, neues Leben zu erschaf­fen. Diese Urflut zieht alles in ihre Strö­mung der Ver­leib­lichung hinein, auch das Selb­st des Men­schen, sodass der Men­sch zu tief inkarniert und seine geistige Heimat ver­gisst. (Obwohl auch im Mantra 12 ! das Wort ‘Wel­tenlicht’ vorkommt, ist die Wortbe­deu­tung nicht die gle­iche. Vielmehr ist sie durch den anderen Kon­text neu zu betrachten.)

Und was ist das Selb­st, von dem jed­er so selb­stver­ständlich redet, wenn er sich der Welt gegenüber­ste­hend erlebt. Warum dro­ht dieses Selb­st zu ent­fliehen? Das Selb­st ist die Spiegelung des Ichs an der Physis, so sagt Rudolf Stein­er. Der Leib gibt dem Men­schen die Gewis­sheit, ein Eigen­we­sen, ein Selb­st zu sein. Doch diese Selb­st-Erken­nt­nis ist zunächst eine Erken­nt­nis im Bewusst­sein. Auch wenn das Selb­st eine Spiegelung des Ichs am physis­chen Leib ist, so ist sie doch als solche geistiger Natur. Ver­wech­selt der Men­sch sich mit seinem Leib, hält er den Leib für sein eigentlich­es Wesen, so wird diese Selb­sterken­nt­nis entwertet. Das Selb­st als Same, Keim oder Vorstufe des Geist­selb­st ent­flieht dann aus dem Erken­nt­nishor­i­zont des Men­schen. Das Geist­selb­st ist der vol­lkom­men vom Ich durch­drun­gene Astralleib. Der Astralleib ist die Organ­i­sa­tion des Innen, die das Wesen von der Außen­welt abschließt. Wer innen bei sich zu Hause ist, kann aus dem Fen­ster her­auss­chauen. Er sollte sich nur nicht zu weit her­auslehnen — um ein Bild für das Ent­fliehen des Selb­st zu finden.

Der G‑Charakter zeigt sich im Mantra durch die Notwendigkeit, das eigene Selb­st zu bewahren, sich zusam­men­zuhal­ten. Auch die Sonne als Wel­tenlicht, als Schöpferin und Gestal­terin aller Wesen ist G, denn diese Kraft, die die Welt erschafft, wurde als der große Geome­ter betra­chtet. Er gibt jedem Wesen sein Maß. Wird der Men­sch in den Selb­staus­druck dieses Schöpfers über Gebühr hineinge­zo­gen, so ver­liert er seine Eigen­ständigkeit, sein eigenes Schöpfer­tum. Das zu machtvolle Aufkeimen der Leben­skraft ist in diesem Mantra das Problem.

Als Lösung wird das Ahnen, das nicht-logis­che, nicht an die äußere Sinneswahrnehmung gebun­dene Denken aufgerufen. Das an den Schein der Sinne, stel­lvertre­tend an das Sehen der physis­chen Augen gebun­dene Denken ver­liert sich selb­st. Es wird sklave der Materie. Laut­gle­ich mit dem deutschen Wort Auge ist das griechis­che ‘augé’, lateinisch ‘augére’, das ‘wach­sen machen’, ‘wach­sen lassen’, ‘her­vor­brin­gen’, ‘erzeu­gen’, ‘ver­mehren’ und ‘erhöhen’ bedeutet. “Die ätherische Kraft des G, die emporschießende Wach­s­tum­skraft, das Struk­turg­erüst des Gam­ma, tritt uns hier urbild­haft vor Augen.” (Ernst Moll, Die Sprache der Laute, S. 158) Indem ein Knospenansatz vom Gärt­ner ‘Auge’ und das Vere­deln ‘Okulieren’ genan­nt wird, zeigt sich der innere Zusam­men­hang des Auges mit dem lateinis­chen Verb ‘ver­mehren’ und wach­sen’. In Rom war offen­sichtlich noch ein weit­er­er Zusam­men­hang des Sehens und Wer­dens bekan­nt. Dort hießen die Wahr- und Weis­sager, die Seher ‘Auguren’. Die Beobach­tung und Deu­tung der Wahrze­ichen heißt ‘augu­rare’ — das Ahnen und Vorausah­nen kom­mender Ver­wirk­lichung. Ernst Moll sagt: “Es ist nichts anderes als das griechis­che ‘augé’, das Schauen der Sonne, das Sehor­gan des ätherischen Licht­es. Und weil der ätherische Bilde­prozess der physisch-sicht­baren Gestal­tung voraus­ge­ht, deshalb ist der Auguren­di­enst ein Vorauss­chauen, ein Wahrsage­di­enst.” (Die Sprache der Laute, S. 158) Beim Ahnen geht es also darum, den Ver­fes­ti­gung­sprozess dort anzuschauen, wo er noch im Lebendi­gen ist, wo er noch nicht zum Gewor­de­nen erstar­rt ist.

Alles irdis­che Leben ist am Ende sterblich. Um dieses Ende und um einen voll­ständi­gen Neuan­fang geht es im Mantra 33 g. Die Welt, so fühlt der Ich-Sprech­er, hat nur noch frostig leeres Leben. Die Lebenswärme ist erkaltet, der Strom des Lebens ist ver­siegt, Fortpflanzung und Ver­jün­gung sind aus sich selb­st nicht mehr möglich. Einzig und allein das seel­is­che Miter­leben des Men­schen kann daran etwas ändern. Die Seele des Men­schen ist der einzige Ort, an dem die Welt sich von neuem schaf­fen kann. So unschein­bar wie die Welt sich in der Seele als men­schlich­es Erleben, als macht­lose Vorstel­lung offen­bart, so wichtig ist dieser Prozess doch für die Welt. Nicht der Men­sch, sie sel­ber, die Welt, schafft sich fort­laufend in der men­schlichen Seele neu. Hier ist der Quellpunkt, der Keim­punkt für einen neuen, jun­gen und frischen Lebensstrom — eine neue Urflut. In diesem Mantra zeigt sich die erschaf­fende, gen­er­a­tive Qual­ität des G, der göt­tlich schöpferische Aspekt, dessen Schau­platz über­raschen­der­weise die men­schliche Seele ist.

 

Ergänzung

Der Begriff des “Weltlichts” im Mantra 7 G und 12 ! — der große und der kleine “Hüter der Schwelle”

Der Begriff des Wel­tenlicht­es ist im Mantra 7 G neg­a­tiv kon­notiert, im Mantra 12 ! nicht. Im Mantra 7 G dro­ht das Selb­st zu ent­fliehen, weil es vom Wel­tenlicht mächtig ange­zo­gen wird. Das Wel­tenlicht ist hier also eine Bedro­hung für das Selb­st. Im Mantra 12 ! dage­gen wird der Ich-Sprech­er gezwun­gen, seine Göt­terkräfte zum Wel­tenflug zu ent­binden, sich zu ver­lassen. Er soll sich stattdessen in Wel­tenlicht und Wel­tenwärme ver­trauend suchen. Das Wel­tenlicht ist hier also ein Aspekt der neuen Iden­ti­fika­tion, des Ziels.

In der fol­gen­den Beschrei­bung von Rudolf Stein­er über Bud­dha und Chris­tus sowie die bei­den Hütergestal­ten an der Schwelle zur geisti­gen Welt scheint mir die Antwort zu liegen.

„Bud­dha endete in erhaben­er Weise. Auf ein­er Wan­derung fühlte er sich krank. Er kam zum Flusse Hiran­ja, in der Nähe von Kuschi­na­gara. Hier legte er sich auf einen von seinem Lieblingsjünger Anan­da aus­ge­bre­it­eten Tep­pich. Sein Leib fing von innen an zu leucht­en. Er endete verk­lärt, als Lichtkör­p­er, mit dem Ausspruche: «Nichts ist lang­während.» Dieser Tod Bud­dhas entspricht der Verk­lärung Jesu: «Und es begab sich nach diesen Reden bei acht Tagen, daß er zu sich nahm Petrus, Johannes und Jakobus, und ging auf einen Berg, zu beten. Und da er betete, ward die Gestalt seines Angesichts anders, und sein Kleid ward weiß und glänzte. In diesem Punk­te endet Bud­dhas Lebenslauf; der wichtig­ste Teil im Leben Jesu aber begin­nt damit: Lei­den, Ster­ben, Aufer­ste­hung. Und es liegt das Unter­schei­dende des Bud­dha von dem Chris­tus in dem, was nötigte, das Leben des Chris­tus Jesus über das Bud­dha-Leben hin­auszuführen. Bud­dha und Chris­tus wer­den nicht ver­standen, wenn man sie bloß zusam­men­wirft. (Das wird sich in dem Fol­gen­den dieses Buch­es zeigen.) Andere Darstel­lun­gen des Todes Bud­dhas kom­men hier nicht in Betra­cht, wenn sie auch manche tiefen Seit­en der Sache enthüllen.

Die Übere­in­stim­mung in den bei­den Hei­land­sleben zwingt einen ein­deuti­gen Schluß auf. Wie dieser Schluß aus­fall­en muß, darüber geben die Erzäh­lun­gen selb­st Auskun­ft. Als die Priester­weisen von der Art der Geburt hören, wis­sen sie, um was es sich han­delt. Sie wis­sen, daß sie es mit einem Gottmen­schen zu tun haben. Sie wis­sen vorher, was es mit der Per­sön­lichkeit für eine Bewandt­nis haben wird, die da auftritt. Und deshalb kann deren Lebenslauf nur dem entsprechen, was sie als Lebenslauf eines Gottmen­schen ken­nen. In ihrer Mys­te­rien­weisheit erscheint für die Ewigkeit ein solch­er Lebenslauf vorgeze­ich­net. Er kann nur sein, wie er sein muß. Wie ein ewiges Naturge­setz erscheint solch ein Lebenslauf. Wie ein chemis­ch­er Stoff sich nur in ein­er ganz bes­timmten Weise ver­hal­ten kann, so kann ein Bud­dha, ein Chris­tus nur in ein­er ganz bes­timmten Weise leben. Man erzählt seinen Lebenslauf nicht, indem man seine zufäl­lige Biogra­phie schreibt; man erzählt ihn vielmehr, indem man die typ­is­chen Züge erzählt, die in der Mys­te­rien­weisheit darüber für alle Zeit­en enthal­ten sind. Die Bud­dha-Leg­ende ist eben­so wenig eine Biogra­phie im gewöhn­lichen Sinne, wie die Evan­gelien eine solche des Chris­tus Jesus sein wollen. Bei­de erzählen nicht ein Zufäl­liges; bei­de erzählen einen für einen Welthei­land vorgeze­ich­neten Lebenslauf. In den Mys­te­ri­en­tra­di­tio­nen haben wir für bei­de die Vor­la­gen zu suchen, nicht in der äußer­lichen, physis­chen Geschichte. Bud­dha und Jesus sind im vornehm­sten Sinne Eingewei­hte für die, die ihre göt­tliche Natur erkan­nt haben. (Jesus ist der durch die Innewoh­nung der Chris­ten­we­sen­heit Eingewei­hte.) Damit ist ihr Leben allem Vergänglichen entrückt. Damit hat auf sie Anwen­dung, was man von Eingewei­ht­en weiß. Man erzählt nicht mehr die zufäl­li­gen Ereignisse ihres Lebens. Man sagt von ihnen: «Im Urbe­ginn war das Wort, und das Wort war bei Gott, und ein Gott war das Wort. … Und das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns.» (Johannes 1, 1 und 14.)

Aber das Jesus-Leben enthält mehr als das Bud­dha-Leben. Bud­dha schließt mit der Verk­lärung. Das Bedeu­tungsvolle im Jesus-Leben begin­nt nach der Verk­lärung. Man über­set­ze das in die Sprache der Eingewei­ht­en: Bud­dha ist bis zu dem Punk­te gelangt, wo in dem Men­schen das göt­tliche Licht anfängt zu glänzen. Er ste­ht vor dem Tode des Irdis­chen. Er wird das Weltlicht. Jesus geht weit­er. Er stirbt nicht physisch in dem Augen­blicke, in dem ihn das Weltlicht durchk­lärt. Er ist in diesem Augen­blicke ein Bud­dha. Aber er betritt auch in diesem Augen­blicke eine Stufe, die in einem höheren Grade der Ini­ti­a­tion ihren Aus­druck find­et. Er lei­det und stirbt. Das Irdis­che ver­schwindet. Aber das Geistige, das Weltlicht ver­schwindet nicht. Seine Aufer­ste­hung erfol­gt. Er enthüllt sich als Chris­tus für seine Gemeinde. Bud­dha zer­fließt im Augen­blicke sein­er Verk­lärung in das selige Leben des All­geistes. Chris­tus Jesus erweckt diesen All­geist noch ein­mal in men­schlich­er Gestalt in das gegen­wär­tige Dasein. Solch­es ward mit dem Ini­ti­ierten bei den höheren Wei­hen in einem Sinne vol­l­zo­gen, der bild­haft ist. Die im Sinne des Osiris-Mythos Ini­ti­ierten waren zu solch­er Aufer­ste­hung in ihrem Bewußt­sein als in einem Bild-Erleb­nis gelangt. Diese «große» Ini­ti­a­tion, aber nicht als Bild-Erleb­nis, son­dern als Wirk­lichkeit, wurde also im Jesus-Leben zu der Bud­dha-Ini­ti­a­tion hinzuge­fügt. Bud­dha hat mit seinem Leben das erwiesen, daß der Men­sch der Logos ist, und daß er in diesen Logos, in das Licht zurück­kehrt, wenn sein Irdis­ches stirbt. In Jesus ist der Logos selb­st per­sön­lich gewor­den. In ihm ist das Wort fleis­chge­wor­den.“ (GA 8, S. 72f, Her­vorhe­bung A.F.)

Bud­dha legt sich auf einen Tep­pich – auf den Sin­nen­tep­pich zur Verk­lärung. Der Sinnestep­pich wird mit dieser Ein­wei­hung durch­sichtig. Die Bud­dha-Ein­wei­hung, die Erleuch­tung des per­sön­lichen Men­schen, find­et sich in der Aufer­ste­hung der Seele im Mantra 5 E und des Selb­stes im Him­melfahrts-Mantra 6 F. Doch damit endet der Entwick­lungsweg des Men­schen nicht, son­dern mün­det in die Begeg­nung mit dem großen Hüter der Schwelle. Bleibt der Men­sch bei der eige­nen Erleuch­tung ste­hen, ist das Wel­tenlicht Aus­druck der Gefahr, wie es das Mantra 7 G beschreibt. Der große Hüter stellt den Men­schen vor eine Wahl, sich zwis­chen Selb­st­losigkeit und Ego­is­mus zu entschei­den. Alles ego­is­tisch Selb­stis­che muss geopfert wer­den, will der Men­sch Chris­tus fol­gen. Im Bud­dhis­mus ist diese Entschei­dung als Bod­hisatt­va Gelübde bekan­nt. Das Gelübde besagt, auf die eigene Erleuch­tung und das bere­its ver­di­ente Nir­vana so lange zu verzicht­en, bis alle anderen Wesen auch befre­it sind.

„So kündigt sich der «große Hüter» der Schwelle bald an, nach­dem die Begeg­nung mit dem ersten Wächter erfol­gt ist. Der Eingewei­hte weiß aber ganz genau, was ihm bevorste­ht, wenn er den Lock­un­gen eines vorzeit­i­gen Aufen­thaltes in der übersinnlichen Welt fol­gt. Ein unbeschreib­lich­er Glanz geht von dem zweit­en Hüter der Schwelle aus; die Vere­ini­gung mit ihm ste­ht als ein fernes Ziel vor der schauen­den Seele. Doch eben­so ste­ht da die Gewißheit, daß diese Vere­ini­gung erst möglich wird, wenn der Eingewei­hte alle Kräfte, die ihm aus dieser Welt zuge­flossen sind, auch aufgewen­det hat im Dien­ste der Befreiung und Erlö­sung dieser Welt. Entschließt er sich, den Forderun­gen der höheren Licht­gestalt zu fol­gen, dann wird er beitra­gen kön­nen zur Befreiung des Men­schengeschlechts. Er bringt seine Gaben dar auf dem Opfer-Altar der Men­schheit. Zieht er seine eigene vorzeit­ige Erhöhung in die übersinnliche Welt vor, dann schre­it­et die Men­schheitsströ­mung über ihn hin­weg. Für sich selb­st kann er nach sein­er Befreiung aus der Sin­nen­welt keine neuen Kräfte mehr gewin­nen. Stellt er ihr seine Arbeit doch zur Ver­fü­gung, so geschieht es mit dem Verzicht, aus der Stätte seines ferneren Wirkens selb­st für sich noch etwas zu holen. Man kann nun nicht sagen, es sei selb­stver­ständlich, daß der Men­sch den weißen Pfad wählen werde, wenn er so vor die Entschei­dung gestellt wird. Das hängt näm­lich ganz davon ab, ob er bei dieser Entschei­dung schon so geläutert ist, daß kein­er­lei Selb­st­sucht ihm die Lock­un­gen der Seligkeit begehrenswert erscheinen [214] läßt. Denn diese Lock­un­gen sind die denkbar größten. Und auf der anderen Seite sind eigentlich gar keine beson­deren Lock­un­gen vorhan­den. Hier spricht gar nichts zum Ego­is­mus. Was der Men­sch in den höheren Regio­nen des Übersinnlichen erhal­ten wird, ist nichts, was zu ihm kommt, son­dern lediglich etwas, das von ihm aus­ge­ht: die Liebe zu sein­er Mitwelt. Alles, was der Ego­is­mus ver­langt, wird näm­lich dur­chaus nicht ent­behrt auf dem schwarzen Pfade. Im Gegen­teil: die Früchte dieses Pfades sind ger­ade die vol­lkom­men­ste Befriedi­gung des Ego­is­mus. Und will jemand nur für sich die Seligkeit, so wird er ganz gewiß diesen schwarzen Pfad wan­deln, denn er ist der für ihn angemessene. — Es darf daher nie­mand von den Okkul­tisten des weißen Pfades erwarten, daß sie ihm eine Anweisung zur Entwick­elung des eige­nen ego­is­tis­chen Ich geben wer­den. Für die Seligkeit des einzel­nen haben sie nicht das allerg­er­ing­ste Inter­esse. Die mag jed­er für sich erre­ichen. Sie zu beschle­u­ni­gen ist nicht die Auf­gabe der weißen Okkul­tisten. Diesen liegt lediglich an der Entwick­elung und Befreiung aller Wesen, die Men­schen und Genossen des Men­schen sind. Daher geben sie nur Anweisun­gen, wie man seine Kräfte zur Mitar­beit an diesem Werke aus­bilden kann. Sie stellen daher die selb­st­lose Hingabe und Opfer­willigkeit allen anderen Fähigkeit­en voran. Sie weisen nie­mand ger­adezu ab, denn auch der Ego­is­tis­chste kann sich läutern. Aber wer nur für sich etwas sucht, wird, solange er das tut, bei den Okkul­tisten nichts find­en. Selb­st wenn diese ihm nicht ihre Hil­fe entziehen; er, der Suchende, entzieht sich den Frücht­en der Hil­feleis­tung. Wer daher wirk­lich den Anweisun­gen der guten Geheim­lehrer fol­gt, wird nach dem Übertreten der [215] Schwelle die Forderun­gen des großen Hüters ver­ste­hen; wer diesen Anweisun­gen aber nicht fol­gt, der darf auch gar nicht hof­fen, daß er je zur Schwelle durch sie kom­men werde. Ihre Anweisun­gen führen zum Guten oder aber zu gar nichts. Denn eine Führung zur ego­is­tis­chen Seligkeit und zum bloßen Leben in der übersinnlichen Welt liegt außer­halb der Gren­zen ihrer Auf­gabe. Diese ist von vorn­here­in so ver­an­lagt, daß sie den Schüler so lange von der überirdis­chen Welt fern­hält, bis dieser sie mit dem Willen zur hingeben­den Mitar­beit betritt. (GA 10, S. 148f, Her­vorhe­bung A.F.)

Das Wel­tenlicht im Mantra 12 !, das in einem Atemzug mit der Wel­tenwärme genan­nt wird, und in dem sich der Ich-Sprech­er ver­trauend suchen soll, ist das Licht dieses großen Hüters. Beze­ich­nen­der­weise ver­wen­det Rudolf Stein­er im ersten Zitat für bei­de Hütergestal­ten das Wort „Weltlicht“.

Das Mantra 7 G trägt die Sig­natur der 7 und damit der Woche, während das Mantra 12 ! die Sig­natur der 12 Monate bzw. Tierkreisze­ichen und damit des Jahres trägt. In der Vol­len­dung der Woche kann also die Verk­lärung gese­hen wer­den, die zur Gefahr wird, wenn der Men­sch weit­er seinem Licht, dem Wel­tenlicht, das er sel­ber ist, fol­gt. In der Vol­len­dung des Jahres kann dage­gen der Chris­tus als der große Hüter erblickt wer­den. In dessen Wel­tenlicht und Wel­tenwärme soll sich der Ich-Sprech­er ver­trauend suchen.